Archiv für den Monat: Juli 2019

Wochenspiegel für die 29. KW., das war Europäischer HB, lebenslang, Whatsapp-Gerüchte und HIV-Infektion

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Die 29. KW. läuft ab. Aus ihr gibt es Folgendes zu berichten:

  1. Europäischer Haftbefehl darf nicht mehr von deutscher Staatsanwaltschaft ausgestellt werden ,

  2. Lebenslang – muss das sein?,

  3. § 206 StGB – Ein Problem für die IT-Sicherheit?

  4. HIV-Infektion führt nicht generell zu einer Polizeidienstuntauglichkeit,

  5. OLG Celle zu Kollision zwischen Kind und Pkw: Alleinhaftung von 11-Jähriger bei Betreten der Fahrbahn an roter Fußgängerampel

  6. Eintrag im Führungszeugnis – wann wird er gelöscht?,

  7. Kleiner Waffenschein und Straftaten ,

  8. eSport vs. Sport I: Kann ein eSport-Verein sinnvollerweise als (gemeinnütziger) Verein gegründet werden?
  9. Gerüchteküche in WhatsApp-Chat um Vergewaltigung begründet fristlose Kündigung,

  10. und dann aus meinem Blog: Update zu: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Das kann teuer werden

Insolvenzrechtliches (Zivil)Verfahren, oder: Zeugnisverweigerungsrecht?

© Co-Design – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt aus einem insolvenzrechtlichen Zivilverfahren. Dort ist in einem Zwischenstreit um ein Zeugnisverweigerungsrecht der ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin nach den §§ 387 Abs. 1, 384 Nr. 2 ZPO gestritten worden. Das OLG hat das Zeugnisverweigerungsrecht im OLG Beschl. v. 21.03.2019 – 16 W 161/17 – bejaht:

„Nach der zweitgenannten Vorschrift kann das Zeugnis verweigert werden über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Vorliegend müssten die Herren pp. im Zusammenhang mit dem vom Landgericht vorläufig bestimmten Beweisthema „Zahlungsvereinbarungen mit dem Beklagten“ nähere Angaben dazu machen, zu welchen Zeitpunkten ihrem Verständnis nach offene Forderungen des Beklagten in erheblicher Größenordnung fällig geworden sind. Sie müssten damit Angaben machen, die geeignet sein könnten, sich im Rahmen der gegen sie laufenden Ermittlungen u. a. wegen Insolvenzverschleppung selbst zu belasten, weil bei einer wahrheitsgemäßen Aussage etwa offenbar würde, dass die von ihnen geführte Gesellschaft tatsächlich mindestens drohend zahlungsunfähig war. Das kann ihnen nach der Ratio des Gesetzes nicht abverlangt werden, auch nicht etwa deshalb, weil diesbezügliche Ermittlungen bereits in Gang gesetzt worden sind. Da die zivilprozessuale Frage und der strafrechtliche Vorwurf in dem bezeichneten Punkt der Fälligkeit denselben thematischen Kern haben, muss das Zeugnisverweigerungsrecht auch umfassend bestehen und sich etwa auch — dies die einzig vermeintlich unverfängliche Frage, die die Klägerin (Beschwerde S. 5, BI. 133) zu formulieren vermag — auf die Frage nach etwaigen Zahlungsabreden vor der kritischen Phase des Unternehmens erstrecken; denn deren etwaige Verneinung lässt vor dem Hintergrund der streitgegenständlichen Behauptung angeblich branchenüblich weitestschweifiger Zahlungsziele Schlüsse auf die Verhältnisse in der Krise zu.

Eine andere Betrachtung ist, anders als die Klägerin will, auch nicht etwa deshalb geboten, weil nach §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 Ins° die beiden Geschäftsführer gegenüber der Klägerin als Insolvenzverwalterin zur Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Umstände auch dann verpflichtet sind, wenn diese geeignet sind, eine pönale Verfolgung herbeizuführen. Das ändert an dem zivilprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht nichts. Die ZPO statuiert — sedes materiae ist § 385 ZPO — für den Insolvenzschuldner keine besondere Ausnahme, und es spricht nichts dafür, dass eine solche Ausnahme von dem althergebrachten Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss, gleichsam en passant in der InsO hätte „mitgeregelt“ werden sollen. Richtigerweise ist § 97 InsO als eine insolvenzrechtliche Spezialvorschrift anzusehen. Der Senat macht sich wie schon das Landgericht die Erwägungen des Amtsgerichtes Köln (Zwischenurteil vom 2. Januar 2017,142 C 329/14, ZinsO 2017, 449, Rn. 16 bei juris) zu eigen, deren Überzeugungskraft die Klägerin nicht allein dadurch infrage stellen kann, dass sie von einem „Amtsgericht (!)“ formuliert worden sind. Soweit sie (Beschwerde S. 6, Bl. 134) auf eine „umfassenden Fernwirkung“ zu sprechen kommt, so wird diese in den von ihr genannten Fundstellen (u.a. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2017, 3 StR 52/17, Zins() 2017,2314, insofern auch nicht bestätigend, sondern zweifelnd) nicht für § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO, sondern für § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO erörtert; die „Fernwirkung“ betrifft also die Erstreckung des Verbots auch auf die Verwertung der aufgrund von Auskünften des Schuldners noch weiter gewonnenen Erkenntnisse, mithin eine Erweiterung des Verwendungsverbots und keine Erweiterung der Verwertungsmöglichkeiten.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. November 2018 (II ZB 22/17, die Rechtsbeschwerdeentscheidung zu der o.g. Entscheidung des Amtsgerichtes Köln, dessen Ergehen im Einvernehmen der Beteiligten zur Vermeidung eines etwaigen weiteren Rechtsbeschwerdeverfahrens abgewartet worden ist, führt nichts anderem führt. Diesem ist zu entnehmen, dass für einen nach § 384 Nr. 1 ZPO geschützten Zeugen aus dem Lager des Insolvenzschuldners eine Ausnahme vom Zeugnisverweigerungsrecht nach Maßgabe des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht zu machen ist, weder für einen Vertreter des Insolvenzschuldners noch (wie im dortigen Fall die Vorinstanzen gemeint hatten) für einen behauptetermaßen vollmachtlosen Vertreter, dies schon deshalb nicht, weil es sich insoweit nicht um Rechtsvorgänger oder Vertreter des Insolvenzverwalters handelt, der allein im Prozesspartei ist. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob § 97 InsO die Zeugnisverweigerungsrechte des § 384 ZPO aushebeln kann, die, wie die Vorinstanzen befunden hatten, zu verneinen ist, hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der angestellten umfassenden Prüfung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Zeugnisverweigerungsrechts nicht einmal mehr erwogen.“

Und nochmals VW-Abgasskandal, oder: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung…..

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

Hier im Kessel Buntes dann heute noch einmal eine Entscheidung zum „Abgasskandal“ und seinen Folgen. Es geht um das OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019 – 5 U 1318/18, wonach die VW AG dem Käufer eines VW-Sharan, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz verpflichtet ist. Allerdings muss sich der klagende Käufer Nutzungsvorteile anrechnen lassen.

Gekauft hatte der Kläger den Pkw im Januar 2014 für ca. 31.000 €. In dem Fahrzeug war ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut, der nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamtes über eine unzulässige Abschaltvorrichtung verfügt.

Der Kläger hat die VW AG als Herstellerin des Fahrzeugs und Motors auf Schadensersatz in Anspruch genommen, und zwar nach § 826 BGB. Das LG hat seine Klage abgewiesen. Das OLG hat zur Zahlung von ca. 26.000 € verurteilt. Der Restbetrag waren Nutzungsvorteile.

Ich sehe mal davon ab die rund 25 Seiten lange Entscheidung hier (teilweise) einzustellen und verweise auf den Volltext. Hier nur die Leitsätze:

1. Wird ein Fahrzeug mit einer unzulässigen, weil die Typengenehmigung in Frage stellenden Einrichtung (hier. Abgasrückführungsabschalteinrichtung) in den Verkehr gebracht, kann eine Haftung aufgrund sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB in Betracht kommen.

2. Als Schaden können sowohl die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeuges, die mit den Folgen der Nachrüstung verbundenen Aufwände als auch die enttäuschte Erwartung, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, in Betracht kommen.

3. Der Käufer muss sich in der Regel den Wert der gezogenen Nutzungen als Vorteilsausgleich anrechnen lassen.

Das OLG hat die Revision zugelassen. Vielleicht hören wir dann auch in der Sache demnächst etwas vom BGH.

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist es mit der „Einziehungsgebühr“ beim beschränkten Rechtsmittel?

© AllebaziB – Fotolia

Und weil es gerade so schön passt zur Nr. 4142 VV RVG, hier dann eine Frage, die gerade erst gestern in der FB-Gruppe Strafverteidiger gestellt worden ist. Der Kollege sieht es mir bitte nach 🙂 :

„Hallo,

mal wieder eine Frage zur 4142 Gebühr. In der ersten Instanz wurde eingezogen. In der II. Instanz wurde die Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt. Rechtspfleger meint, es gebe keine 4142 Gebühr für die Berufungsinstanz.

Es kommt wieder das Gemurmel von wegen „findet sich nichts zur Einziehung im Protokoll“ – ich weiß, dass das Blödsinn ist.

Aber wegen der Beschränkung auf die Rechtsfolgen bin ich verunsichert. Finde dazu auch nichts bei Burhoff, iww, etc. (oder bin zu doof zum Suchen). Kann mir jemand helfen?“

Ist ganz einfach 🙂 🙂 .

Verletzung der Unterhaltspflicht und Einziehung, oder: Strafcharakter?

© SZ-Designs – Fotolia.com

Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung betrifft dann die Nr. 4142 VV RVG. Es handelt sich um den LG Hanau, Beschl. v. 28.06.2019 – 4b Qs 50/19.

Er ist in/nach einem Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht ergangen. Das AG hat den Angeklagten der Verletzung der Unterhaltspflicht schuldig gesprochen und ihn verwarnt. Eine Geldstrafe ist festgesetzt geworden, die Verurteilung blieb vorbehalten. Weiterhin ordnete das Amtsgericht die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 3.379,69 € an.

Wegen dieser Einziehung hat der Verteidiger die Festsetzung der Gebühr Nr. 4142 VV RVG beantragt. Das AG hat das abgelehnt. Begründung: Diese Gebühr entstehe nicht für „Wertersatz, wenn er den Charakter eines zivilrechtlichen Schadenersatzes hat“.

Das LG hat das anders gesehen und meint:

Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG entsteht auch dann, wenn die gem. §§ 73, 73c, 73d StGB n. F. angeordnete Einziehung nicht Strafcharakter hat, sondern allein der Entziehung durch die Straftat erlangter unrechtmäßiger wirtschaftlicher Vorteile dient.

Es bezieht sich dabei auf die zutreffende Rechtsprechung des KG und des LG Berlin zu der Frage, über die ich ja hier auch schon berichtet habe.