Archiv für den Monat: März 2019

43. Strafverteidigertag in Regensburg, oder: Psychologie des Strafverfahrens

Heute ist Freitag und damit müsste es jetzt an sich die erste gebührenrechtliche Entscheidung geben. Aber die lasse ich heute für ein aktuelles Ereignis „ausfallen“.

Denn heute ist es mal wieder soweit. Heute Abend wird nämlich der Strafverteidigertag 2019 eröffnet. Es ist der 43. Strafverteidigertag, der in diesem Jahr in Regensburg stattfindet. Leider kann ich – ich sage nur Urlaub 🙂 – in diesem Jahr nicht teilnehmen. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass ich auf die Veranstaltung – wie in jedem Jahr – hier hinweise und ihr und allen Teilnehmern aus dem fernen Osten viel Spaß und Erfolg wünsche.

Das Motto lautet in diesem Jahr: „Psychologie des Strafverfahrens“. Zu dem Oberthema gibt es acht Arbeitsgruppen, und zwar:

EINS: Selbstbild und Fremdbild der Strafverteidigung im Strafprozess

Referent*innen:
• VRiOLG Dr. Manfred Dauster, OLG München
• Rechtsanwalt Prof. Dr. Stefan König, Berlin
• Beate Lakotta, Journalistin, Der Spiegel, Hamburg
• MinDir a.D. Marie Luise Graf-Schlicker, Berlin
• Dr. Peter Winckler, Forensischer Psychiater, Tübingen
Moderation: Rechtsanwältin Ricarda Lang, München

ZWEI: Interaktion im Strafverfahren

Referent*innen:
• VRiOLG Lars Bachler, OLG Düsseldorf
• PD Dr. Daniela Böhringer, Universität Osnabrück
• PD Dr. Daniel Oliver Effer-Uhe, Köln
• Rechtsanwältin Andrea Groß-Bölting, Wuppertal
• Prof. Dr. Jürgen Hardeck, Mainz
• Dipl.-Psych. Mag. Iur. Alica Mohnert LL.M., Universität Köln

Moderation: Rechtsanwalt Georg Schulze, Bielefeld

DREI: Erleben, Verstehen, Voraussehen – Verteidiger*innen-Verhalten reflektieren

Referent*innen:
• Sarah Eger, Theaterpädagogin/ Projektkoordinatorin, Sinus – Büro für Kommunikation
• Rechtsanwalt Andreas Mroß, Lübeck
• Swantje Nölke, Theaterpädagogin, Projektleitung, kulturinitiative zwenkau e.V.

VIER: Pranger 3.0

Referenten*innen:
• Prof. Daniela Klimke, Hamburg – zur Einwirkung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung auf das Strafverfahren (siehe z.B. Die Zeit 08/17 »Wie die Opfer von Sexualverbrechen zu gesellschaftlichen Favoriten wurden«)
• Rechtsanwalt Prof. Dr. Jörg Arnold, Forschungsgruppenleiter am Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg – zu den aktuellen Veränderungen im Strafverfahren
• RiLG Wolfgang Kronthaler, Freiburg, Berichterstatter im sog. Dreisam-Mordprozess – Wie geht die Strafjustiz mit dem öffentlichen Druck um?
• Wiebke Ramm, Journalistin, Berichterstatterin für die SZ im NSU-Verfahren, Gerichtsreporterin für Spiegel Online – zur Rolle der Medien
• Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Sommer, Köln – zu neuen Herausforderungen an den Strafverteidiger

Moderation: Rechtsanwalt Michael Moos, Freiburg

FÜNF: Abschied von der Wahrheitsfindung?

Referent*innen:
• Dr. Oliver Harry Gerson, Universität Passau. Er hat sich grundlegend mit dem Begriff der Wahrheit sowie mit der wahrnehmungslenkenden Funktion der Sprache im Strafprozess befasst. Er weist nach, welchen Einfluss auf das Endergebnis bereits die (oft unbewusst gewählte) Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten im Strafprozess hat.
• Prof. Dr. Luise Greuel – Rektorin der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen.
• Rechtsanwalt Prof. Dr. Helmut Pollähne
• Prof. Dr. Tobias Singelnstein – Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum.

Moderation: Rechtsanwalt Arne Timmermann, Hamburg

SECHS: Strafverteidigung von Rechtsextremisten?

Referent*innen:
• Rechtsanwalt Rolf Franek, Dresden (Verteidiger u.a. im ›Gruppe-Freital‹-Verfahren)
• Prof. Dr. Hans Joachim Funke, Politologe, Berlin
• OStA Dr. Jörn Hauschild, OStA beim BGH (GBA Karlsruhe), u.a. Anklagevertreter im ›Gruppe-Freital‹- und OSS-Verfahren
• Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, Kiel
• Sebastian Pittelkow, Journalist, NDR Rechercheteam
Moderation: Rechtsanwalt Alexander Hübner, Dresden

SIEBEN: Datenschutz im Strafverfahren

Referent*innen:
• Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost, Köln – zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen und zeitlichen Grenzen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung in der Presse/in den Onlinemedien
• RiLG Dr. Ulf Buermeyer, Berlin
• Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph, Nürnberg – zur Reichweite des Steuergeheimnisses im Strafverfahren
• StAin Susann Wettley, Berlin – zu Akteneinsicht in Telekommunikationsdaten
• Prof. Dr. Mark A. Zoeller, Universität Trier – zu Grenzen der ›Zweckentfremdung‹ von Daten aus anderen Verfahrensordnungen (angefragt)

Moderation: Rechtsanwalt Peter Syben, Köln

ACHT: Pflichtverteidigerbestellung

Referenten:
• Prof. Dr. Matthias Jahn, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt/Main
• Rechtsanwalt Lefter Kitlikoglu, Frankfurt/Main (Mitautor des Policy Papers der Strafverteidigervereinigungen zur Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigerbeiordnung)
• OStA beim BGH Oliver Sabel, Leiter des Referats RB2 (Gerichtliches Strafverfahren) im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin
• Ulf Thiele, Amtsgericht Ahrensburg, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung

Moderation: Rechtsanwalt Tim Burkert, Hamburg (Mitautor des Policy Papers der Strafverteidigervereinigungen zur Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigerbeiordnung)

Daneben natürlich viele Gespräche und Begegnungen. Nochmals: Allen viel Spaß und Freude.

Ach so: Mich hätte die Arbeitsgruppe 8 sehr interessiert. Aber geht ja leider nicht 🙂 .

OWi III: Die Einlassung des Betroffenen gehört ins Urteil, oder: Sonst lückenhaft

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Und die dritte Entscheidung des heutigen Tages befasst sich ebenfalls mit den Urteilsgründe. Auch sie bringt nichts Neues, sondern zeigt einen Fehler auf, der ebenfalls häufig gemacht wird. es wird nämlich im OWi-Urteil die Einlassung des Betroffenen nicht mitgeteilt. das beanstandet das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 24.01.2019 – Ss BS 107/2018 (76/18) -, über den der Kollege Gratz ja schon vor einiger Zeit berichtet hat:

1. Zwar sind an die Gründe eines tatrichterlichen Bußgeldurteils keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen. Gleichwohl gilt für sie gemäß § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschrift des § 267 StPO sinngemäß und damit für ihren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren. Auch die Gründe eines Bußgeldurteils müssen so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 02.04.2015 – 2 Ss OWi 251/15, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 5. November 2015 – Ss (BS) 76/2015 (44/15 OWi) -, Zfsch 2016, 352 ff. und juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.09.2016 – 2 (7) SsBs 507/16, juris Rn. 8; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 71 Rn. 42; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl., § 71 Rn. 106). Das gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Lücken, Unklarheiten, Widersprüche sowie auf Verstöße gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O.; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 71 Rn. 43; KK-OWiG/Senge, a. a. O., § 71 Rn. 107). Die den Tatsachenfeststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung muss daher im Regelfall erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob und warum der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung als widerlegt ansieht; schweigt der Betroffene oder bestreitet er die Tat, müssen die Urteilsgründe die tragenden Beweismittel wiedergeben und sich mit ihnen auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2015, a. a. O.; OLG Karlsruhe, a. a. O.; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 71 Rn. 43; KK-OWiG/Senge, a. a. O., § 71 Rn. 107 m. w. N.). Das Fehlen einer zumindest gestrafften Darstellung der Einlassung des Betroffenen in den Urteilsgründen sowie gegebenenfalls einer Beweiswürdigung, die sich mit den tragenden Beweismitteln und deren Ergebnissen auseinandersetzt, begründet auch im Bußgeldverfahren in aller Regel einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils (vgl. OLG Bamberg, a. a. O.; Senatsbeschluss vom 5. November 2015, a. a. O.; KK-OWiG/Senge, a. a. O., § 71 Rn. 107 m.w. N.).

2. Diesen Anforderungen genügen die Gründe des angefochtenen Urteils – wie die Verteidigerin in ihrer Gegenerklärung vom 10. Januar 2019 zutreffend ausgeführt hat – nicht. Aus der – überflüssigen formelhaften (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2015, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 267 Rn. 12a) – Aufzählung der verwendeten Beweismittel eingangs der Gründe des angefochtenen Urteils lässt sich zwar entnehmen, dass sich der Betroffene eingelassen hat (“ … auf Grund der Einlassung seitens d. Betroffenen“). Nicht mitgeteilt wird jedoch der Inhalt dieser Einlassung. Im weiteren Verlauf der – Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Wertungen vermischenden – Urteilsgründe heißt es lediglich, dass seitens des Betroffenen keine konkreten Messfehler oder Unregelmäßigkeiten vorgebracht worden seien, sondern sich der Vortrag auf – nicht näher ausgeführte – „entscheidungsunerhebliche abstrakte Einwände gegen die Messung in Form der ,gutachterlichen Sachstandsbewertung‘ der VUT vom 22.05.2018“ beschränkt habe. Abgesehen davon, dass die Einwände des Betroffenen gegen die Messung zumindest in gestraffter Form hätten dargestellt werden müssen, lassen die Gründe des angefochtenen Urteils jegliche Ausführungen dazu vermissen, wie sich der Betroffene im Übrigen zum Tatvorwurf eingelassen hat. Insbesondere hat das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ausdrücklich auf einen Vergleich der Gesichtsmerkmale des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen mit dem sich in der Akte befindenden Messbild gestützt, ohne mitzuteilen, ob und wie sich der Betroffene insoweit eingelassen hat. Dementsprechend fehlt auch jedwede Auseinandersetzung mit einer (möglichen) Einlassung des Betroffenen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Betroffene bezüglich des ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstoßes substantiiert verteidigt hat und der Tatrichter die Bedeutung der Betroffeneneinlassung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O., juris Rn. 9).“

OWi II: Die Identifizierung des Motorradfahrers aufgrund eines SV-Gutachtens, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

entnommen Wikimedia.org photo taken by Barbara Mürdter

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 27.1.2018 – 4 RBs 391/18 -, der sich zu den Anforderungen an die Urteilsgründe verhält, wenn das AG den Betroffenen aufgrund eines anthropologischen Sachverständigengutachtens als Fahrer identifiziert. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung des AG. Das, was es ausführt ist nichts Neues, aber: Es wird immer wieder falsch gemacht.

Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 –, Rn. 15, juris m.w.N.).

„Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugungsbildung in einer Zusammenschau im Wesentlichen darauf, dass die sichergestellte Motorradbekleidung nebst Helm mit der vom Täter auf dem Messfoto getragenen Bekleidung übereinstimme, wobei es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Kleidung verliehen worden sein oder von einer anderen Person getragen worden sein könnte, und dass ein anthropologisches Gutachten der Sachverständigen ergeben habe, dass eine Identität des Betroffenen mit dem Täter „maximal möglich“ sei. Ferner stimme der Betroffene von der Statur und Größe her deutlich mit dem Fahrer auf dem Messfoto überein.

Soweit es um die Bekleidung und den Helm als Identifizierungsmerkmale geht, führt noch nicht zur Lückenhaftigkeit und Aufhebung, dass zunächst unklar bleibt, bei wem die Bekleidung sichergestellt wurde und was sie mit dem Betroffenen zu tun hat. Auf S. 4 UA (bzgl. des Helms) bzw. auf S. 5 UA (bzgl. der Bekleidung) wird mitgeteilt, dass diese bei dem Betroffenen sichergestellt wurde und dass es weitere Fotos von ihm gibt, die ihn mit dieser Bekleidung zeigen. Auch liegt auf S. 5 UA ein noch hinreichender Verweis i.S.v. §§ 71 OWiG; 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Messfoto Bl. 44 d. A. vor. Dieses ist auch von guter Qualität.

Die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung ergibt sich aber aus Folgendem: Nach den Urteilsgründen (UA S. 3) ist die bei dem Betroffenen sichergestellte Motorradkleidung aus schwarzem Leder gefertigt. Bei dem Messfoto, welches der Senat bei seiner Beurteilung aufgrund der Verweisung zu Grunde legen kann, handelt es sich um eine Aufnahme in schwarz-weiß. Dort erscheint die Hose des Fahrers zwar schwarz, der obere Teil der Bekleidung aber deutlich heller (heller Grauton). Insoweit erschließt sich für das Rechtsbeschwerdegericht nicht, wie das Amtsgericht zu der Überzeugung kommt, dass die sichergestellte Motorradbekleidung mit der auf dem Foto übereinstimmt. Ein solcher Schluss erscheint zwar nicht ausgeschlossen, etwa aufgrund unterschiedlichen Reflektionsverhaltens, unterschiedlichem Material etc. Er hätte aber der Darlegung bedurft.  Ähnliches gilt für die auf der sichergestellten Motorradbekleidung erkennbaren Schriftzüge „E“ auf Brust und an den Unterarmen. Das Amtsgericht führt dazu zwar aus, dass diese Schriftzüge nicht zwangsläufig erkennbar sein müssten, weil die Reflektion von weißem Leder (Schriftzüge) deutlich geringer ausfalle als von weißem Kunststoff (die stark reflektierenden Teile an Helm und Motorrad), und das Messfoto im Bereich der Schriftzüge eine leichte Aufhellung aufweise. Dabei hat sich das Amtsgericht aber nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass ausweislich des Fotos Bl. 166 d.A., auf das es verwiesen hat, unmittelbar oberhalb des Brustschriftzuges offenbar abgesetzte Taschen mit Reisverschlüssen erkennbar sind und die dünne strichartige Aufhellung im Brustbereich des Fahrers, welche auf dem Messfoto erkennbar ist, auch hiervon stammen kann. Diese Aufhellung erscheint zudem deutlich schmaler als der Schriftzug.

Auch soweit das anthropologische Sachverständigengutachten betroffen ist, ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichter-licher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 4 RBs 216/17 –, Rn. 3, juris m.w.N.). Das Amtsgericht beschränkt sich hier auf die Mitteilung des Ergebnisses der Sachverständigen, dass diese (offenbar wegen des getragenen Helms) nur eine stark eingeschränkte Anzahl auswertbarer Merkmale gefunden habe und in welchen Merkmalen sie eine Übereinstimmung zwischen Messfoto und Betroffenem sie gefunden hat. Insoweit beschränken sich die Urteilsgründe auf eine bloße Wiedergabe der Ausführungen der Sachverständigen ohne eigene (vgl. § 261 StPO) Beweiswürdigung des Gerichts (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Entsprechende Ausführungen hätten sich hier um so mehr aufgedrängt, als die von der Sachverständigen beschriebenen Merkmale auf dem Messfoto Bl. 44 aufgrund der geringen Größe des Fotos und des vom Täter getragenen Helms mit heruntergeklappter Visierscheibe, nicht erkannt werden können. Möglicherweise mögen diese Merkmale auf einer etwaigen Vergrößerung erkennbar seien. Ob die Sachverständige eine solche bei ihrer Beurteilung zu Grunde gelegt hat wird aber in den Urteilsgründen – welche die auf die Überprüfung auf die Sachrüge hin allein maßgebliche Überprüfungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht sind – nicht mitgeteilt. Auch wird darin nicht auf eine solche Vergrößerung verwiesen.“

OWi I: Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, oder. Wenn die Hausnummer fehlt.

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Heute gibt es dann mal wieder OWi-Entscheidungen. Da hängt einiges in meinem Blogordner.

Und den Opener macht das KG mit dem KG, Beschl. v. 15.10.2018 – 3 Ws (B) 238/18 -, der eine Problematik behandelt, die in der Praxis gerade auch im Hinblick auf die Verjährungsunterbrechung eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Nämlich die Frage der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides. Hier war dessen Unwirksamkeit geltend gemacht, weil der Tatort nicht ausreichend beschrieben sein sollte. Das KG hat das anders gesehen:

„1. Die durch den Senat von Amts wegen durchzuführende Prüfung darauf, ob der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 27. Februar 2018 den Anforderungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG entspricht, deckt keine Mängel auf. Ob die im Bußgeldbescheid bezeichnete Tat den Ort und die Zeit ihrer Begehung hinreichend genau bezeichnet, hängt davon ab, ob der Bußgeldbescheid seine diesbezügliche Aufgabe erfüllt, den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abzugrenzen sowie den Betroffenen ohne Akteneinsicht und Einholung von Rechtsrat in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben wird (vgl. BGHSt 23, 336; OLG Celle ZfSch 2015, 649). Der Bußgeldbescheid wird in seiner Wirksamkeit nicht beeinträchtigt, wenn für den Betroffenen nicht in Frage stehen kann, welcher Sachverhalt ihm zur Last gelegt werden soll. Die hinreichende Bestimmtheit verlangt nicht, dass das Gericht bereits allein aus dem Inhalt des Bußgeldbescheids endgültig entnehmen kann, welche konkrete Handlung dem Betroffenen zur Last gelegt wird. In Ergänzung des Bußgeldbescheids kann auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen werden, um zu klären, welcher Sachverhalt auch für den Betroffenen erkennbar und unverwechselbar gemeint ist (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2014     – 3 Ws (B) 340/14 – juris; BayObLG NZV 1994, 448; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 66 Rdn. 39a m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18. September 2018 darauf hingewiesen, dass die fehlende Angabe einer Hausnummer dem nicht entgegensteht. Denn dass der Betroffene mit dem selben Fahrzeug in derselben Minute auf derselben Straße eine weitere, der Verwaltungsbehörde (bislang) nicht bekannte Ordnungswidrigkeit begangen hat, ist so unwahrscheinlich, dass die Möglichkeit dessen vernachlässigt werden kann. Die diesbezüglichen Ausführungen des Betroffenen im Schriftsatz seines Verteidigers vom 10. Oktober 2018 sind rein spekulativ; dafür dass der Betroffene seine Fahrt auf der Rhinstraße zwischenzeitlich unterbrach, finden sich weder in den tatsächlichen Feststellungen noch sonst in der Akte Anhaltspunkte.“

 

Strafzumessung III: Langer Abstand von 5 Jaharen zwischen Taten und Urteil nicht bedacht, oder: LückenhaftJahren

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Und die dritte Entscheidung ist dann ebenfalls eine vom BGH, und zwar erneut ein Beschluss vom 4. Strafsenat, und zwar der BGH, Beschl. v. 06.12.2018 – 4 StR 424/18 (vgl. dazu bereits: Nochmals: Der nach Zurückverweisung nicht verlesene Anklagesatz, oder: Kein Hellseher). 

Der BGH bestandet die Strafzumessungserwägungen des LG als lückenhaft:

„Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass zwischen den verfahrensgegenständlichen Taten und dem Urteil ein langer zeitlicher Abstand von rund fünf Jahren liegt. Ein erheblicher zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil ist neben dem strafmildernd wirkenden Gesichtspunkt überdurchschnittlich langer Verfahrensdauer und dem rechtsfehlerfrei festgestellten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK ein bestimmender Strafmilderungsgrund (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1998 – 3 StR 561/98, NStZ 1999, 181, 182) und gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 344/14, juris Rn. 49; Beschlüsse vom 29. September 2015 – 2 StR 128/15, NStZ-RR 2016, 7; vom 27. Mai 2008 – 3 StR 157/08, juris Rn. 7).

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler auf die Höhe der Einzelstrafen und die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ausgewirkt hat. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, können die Feststellungen bestehen bleiben (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 23). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bislang getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.

Die Kompensationsentscheidung bleibt von der Aufhebung unberührt. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird erforderlichenfalls zu prüfen haben, ob die Kompensation zu erhöhen ist.“