Archiv für den Monat: April 2018

Laptop in der Hauptverhandlung, erlaubt, oder: Jetzt hoffentlich auch beim AG Cottbus

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Ich mache ja ganz gerne „Thementage“. Und da muss man manchmal warten, bis man genügend Entscheidungen zu einem Thema für einen Tag gesammelt hat. Das kann etwas dauern und dann wird die ein oder andere Entscheidung etwas älter, bis sie den Weg hierhin gefunden hat. Heute ist es dann so weit. Thema:

Verhandlungsleitung/Sitzungspolizei. Und da habe ich zwei Entscheidungen: Eine aktuelle und eine weniger aktuelle. Ich fange mit der aktuellen an.

Es handelt sich dabei um den LG Cottbus, Beschl. v. 10.04.2018 – 22 Qs 60/18. Den hat der Kollege C. Janeczek, Dresden, in der FB-Gruppe „VerK-Forum“ online gestellt hat. Dort habe ich ihn mir geklaut. Wir hatten dort vorher über den der Beschwerdeentscheidung zugrunde liegenden Beschluss des AG Cottbus diskutiert. Es geht um die Frage: Darf der Kollege/der Rechtsanwalt in der Hauptverhandlung sein Notebook benutzen oder nicht. Die Richterin am AG Cottbus hatte: Nein, gesagt, das aber nicht mit konkreten „Ereignissen“ begründet, sondern nur mit in meinen Augen diffusen Sicherheitsbedenken. Der Kollege hat dagegen das LG angerufen. Und das hat ihm – wie m.E. nicht anders zu erwarten – Recht gegeben:

„Die Beschwerde des Verteidigers gegen die mit dem angefochtenen Beschluss angeordnete Versagung der Nutzung elektronischer Medien in der Hauptverhandlung ist im eigenen Namen zulässig.

Ihrer Statthaftigkeit steht nicht § 181 Abs. I GVG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln in den Fällen der §§ 178, 180 GVG binnen einer Woche Beschwerde eingelegt werden. Nach überwiegender Auffassung folgt daraus zwar im Umkehrschluss, dass andere sitzungspolizeiliche Maßnahmen, insbesondere solche auf der Grundlage nach § 176 GVG der gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde grundsätzlich entzogen sind, vgl. z.B. nur KG NStZ 2011, 120. Allerdings ist die Beschwerde ausnahmsweise dann statthaft, wenn es zumindest möglich erscheint, dass die angefochtene Maßnahme Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Beschwerdeführers über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft tangiert und beeinträchtigt, vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015, 1 BvR 3276/08, KG a.a.O. oder dass sie sich nicht in der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Verhandlung erschöpft, sondern weitergehende Wirkungen entfaltet.

So liegt der Fall hier. Der Verteidiger macht geltend, über die Hauptverhandlung hinaus in seinem Grundrecht der freien Berufsausübung gem. Artikel 12 GG betroffen zu sein. Sein Vortrag lässt eine entsprechende Rechtsverletzung zumindest als möglich erscheinen. So wird in der Kanzlei des Rechtsanwaltes seit 2005 ausschließlich eine digitale Akte geführt. Die Arbeitsweise in der Kanzlei ist standardisiert nach DIN 9001. Die Anordnung des Gerichts bedeutet neben dem Verstoß gegen die zertifizierte Arbeitsweise in der Kanzlei, insbesondere nach der Hauptverhandlung eine zusätzliche Mehrarbeit durch die Übertragung der Mitschriften vom Papier in digitale Form und behindert den Rechtsanwalt an der Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit.

Die Verfügung der Vorsitzenden ist auch nicht gemäß § 305 Satz I StPO einer Anfechtung im Beschwerdeweg entzogen, wonach Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen. Dies betrifft nämlich nur Entscheidungen, die mit der Urteilsfällung in innerem Zusammenhang stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen entfalten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass solche Entscheidungen bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und ein ausreichender Rechtsschutz über das statthafte Rechtsmittel gegen das Urteil gewährleistet ist. Demgegenüber beruft sich der Verteidiger hier darauf, dass die angefochtene Verfügung Wirkungen auf seine Rechte entfaltet, die über das vorliegende Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren hinausreichen.

Die Beschwerde ist auch begründet, mithin ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

Nach § 176 GVG obliegt der Vorsitzenden die Aufrechterhaltung „der Ordnung in der Sitzung“. Ordnung in der Sitzung ist der Zustand, der dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine störungsfreie Ausübung ihrer Funktionen ermöglicht, die Aufmerksamkeit der übrigen Anwesenden in der öffentlichen Verhandlung nicht beeinträchtigt und allgemein deren gebührlichen Ablauf sichert. Art und Umfang der sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG sind gesetzlich nicht festgelegt. Die Vorsitzende trifft die Entscheidung über entsprechende Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich deshalb im Einzelfall nach dem jeweils verfolgten Zweck und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip, vgl. OLG Karlsruhe NWJ 1977, 309. Dabei steht der Vorsitzenden ein Ermessen zu, BGHSt 17, 201. Demnach ist die angefochtene Maßnahme durch das Beschwerdegericht nur darauf zu prüfen, ob die Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und die Vorsitzende ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen ist dem Beschwerdegericht verwehrt.

Nach diesen Maßstäben verfolgt die angefochtene Maßnahme, die das Verhalten des Verteidigers im Sitzungssaal im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung regelt, keinen zulässigen sitzungspolizeilichen Zweck, denn sie beruht auf keinem konkreten Anlass. Vielmehr sollen unerlaubte Ton- und Bildaufnahmen in der Hauptverhandlung ganz allgemein unterbunden werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für solche unerlaubten Aufnahmen durch den Verteidiger gegeben sind. Solchermaßen ist die Verfügung Ausdruck unbestimmter Sicherheitsbedenken oder eines allgemeinen Misstrauens gegen Verteidiger, ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Fall die Ordnung der Sitzung tatsächlich gefährdet ist. Ohne solch einen konkreten Anhaltspunkt für den Missbrauch des Laptops zu unerlaubten Ton- oder Bildaufzeichnungen ist eine Untersagung des Benutzung des Laptops unzulässig.

Dies gilt umso mehr, als der Verteidiger hier ausgeführt hat, noch nie Bild- und Tonaufnahmen in der Hauptverhandlung angefertigt zu haben. Anhaltspunkte, die Zweifel an dieser Erklärung begründen könnten, sind nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus der Nichtabhilfeentscheidung.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Man kann nur hoffen, dass es hilft und: Man fragt sich, in welcher Zeit wir eigentlich leben. Da wird im Straf-/Bußgeldverfahren die elektronische Akte eingeführt, wir werden alle – ob wir wollen oder nicht – durchdigitalisiert – und dann meint ein AG: Laptop in der Hauptverhandlung geht aber gar nicht, einfach mal so. Schön, dass das LG das gerichtet hat. Schön auch deshalb, weil es m.E. so viele Entscheidungen zu der Problematik nicht gibt.  Woanders ist das vielleicht aber auch kein Problem. In Cottbus jetzt hoffentlich auch nicht mehr.

Sonntagswitz, heute zur Kirmes, weil in Münster Send ist

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Ich hatte vorhin ja schon darauf hingewiesen, dass ab gestern in Münster „Send ist“. Das ist eine große Traditionskirmes, die dreimal im Jahr stattfindet. Und wie fast immer: Es regnet :-). Den Send/die Kirmes nehme ich dann mal zum Anlass zu „Kirmeswitzen“, und zwar:

Auf der der Kirmes rief ein Chinese vor einem Zelt:

„Leute kommt alle hel! Liiieeesen Attlaktion hiel.
Nul 5 Eulo Eintlitt! Leute kommt alle helein! Liieeesen Attlaktion hiel! Einmalig auf del Welt!“

Nunja, Max zahlte die 5 EUR und kommt in das Zelt. Dort war eine Bühne, der Vorhang war noch heruntergelassen. Man wartete noch auf weitere Zuschauer. Draussen hörte man den Chinesen weiter die Leute anlocken:
„Heleinspazielt, heleinspazielt!“

Dann war es soweit, das Licht ging aus. Der Vorhang wurde langsam nach oben gezogen.
Nach einem kurzen Augenblick erschien ein kleiner Chinese, musterte das Publikum, holte tief Luft und sagte: „Rrrrrrrrr….“


Kirmes im Dorf.
Ein Besoffener kommt zu einer … Schießbude und sagt: „Gib mir einen Schuss!“
Er schießt und trifft. Als Gewinn bekommt er eine kleine lebende Schildkröte.

Eine halbe Stunde später kommt er nochmal, schießt wieder, trifft und gewinnt wieder eine kleine lebendige Schildkröte.

Danach kommt er wieder, noch besoffener, schießt wieder, trifft, aber diesmal bekommt er einen kleinen blauen Plüschteddy.

Darauf schaut er den Schießbudenbesitzer an und sagt: „Nein, den will ich nicht, gib mir lieber noch so ’n Fischbrötchen.“


Auf der Kirmes.
Der bullige Catcher zerquetscht vor den Augen des begeisterten Publikums im Kirmeszelt eine Zitrone, bis er keinen Tropfen mehr herausbekommt:
„Damen und Herren, hoch verehrtes Publikum. Wenn es jetzt noch jemand schafft, aus dieser Zitrone nur noch einen einzigen Tropfen herauszubekommen, dann zahle ich demjenigen sofort 500 Euro bar auf die Hand!“
In der letzten Reihe meldet sich ein schmächtiger älterer Herr, wird auf die Bühne gebeten und fängt an, die zerquetschte Zitrone zu bearbeiten. Tatsächlich gelingt es ihm, noch zwei Tropfen herauszubekommen.
Fragt der bullige Catcher sichtlich irritiert und verblüfft das schmächtige Kerlchen: „Donnerwetter, was machen Sie denn von Beruf?“
„Ich bin Finanzbeamter!“


Ein Düsseldorfer, ein Kölner und ein Münchner sitzen in einem Bierzelt auf der Kirmes.

Der Düsseldorfer bestellt sich ein Altbier, der Kölner bestellt sich ein Kölsch und der Münchner bestellt sich eine Cola.

Die anderen beiden schauen ihn an und fragen, warum er sich denn nun eine Cola bestellt hat.

Darauf sagt der Münchner: „Wenn ihr kein Bier trinkt, dann trinke ich auch keines.“

Wochenspiegel für die 15 KW., das war die Rechtsanwaltsboutique, 30 Jahre Steuernachforderung und die Handy-Pin

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So, die 15. KW. schließen wir ab, heute mit einem Sonntag, der zumindest hier in Münster kein gutes Wetter bringt. Aber das war klar. Ist ja auch Send/Kirmes hier. Dann regnet es (fast) immer. Also genügend Zeit ein wenig in den Beiträgen der ablaufenden Woche zu stöbern. Interessant fand ich:

  1. Was ist eine Rechtsanwaltsboutique?
  2. LG Essen: Alleinhaftung nach Unfall auf Grund disziplinierenden Bremsens,

  3. Der Beschuldigte wollte seine Handy-PIN nicht verraten,

  4. Geblitzt mit VDS M5 – Voraussetzungen und Angriffspunkte,
  5. Pseudo-Verteidiger, die keiner braucht III,– Der Fragenerklärer – dazu gibt es im Übrigen bei dem Kollegen eine ganze Reihe –

  6. „Gaffen“ ist nicht verboten,
  7. DSGVO: Müssen Kontaktformulare jetzt verschlüsselt werden?,

  8. Reform der Vermögensabschöpfung: Können Strafrichter nun 30 Jahre lang Steuern nachfordern?,

  9. Vorratsdatenspeicherung: Mustervorlage für Auskunftsbegehren,
  10. und dann war da noch: Karriere ohne zweites Staatsexamen – Alternative Möglichkeiten

Unfallschadenregulierung, oder: Wenn der eigene Sachverständige an einer Nachbesichtigung teilnimmt

Und als zweite Entscheidung dann – damit es nicht zu bunt wird – das AG Saarlouis, Urt. v. 01.12.2017 – 28 C 891/17 (70), das mir der Kollege Gratz übersandt hat. Er wird die Entscheidung sicherlich auch noch in seinem VerkehrsrechtsBlog bringen. Es geht um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger verlangt Kosten für die Teilnahme seines Sachverständigen an einer Nachbesichtigung des Pkws des Klägers. Insgesamt waren rund 350 € im Streit, die das AG in diesem Fall nicht zuerkennt.

„1. Die Kosten der Teilnahme des Zeugen M an der Nachbesichtigung des PKWs des Klägers in Höhe von 349,50 € sind vorliegend nicht erstattungsfähig.

1.1 Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls darf einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenhöhe an seinem beschädigten Pkw beauftragen und von dem Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (BGH in NJW 2014, 1947). Bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadenbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d. h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere seine individuellen Erkenntnis-und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGH aaO).

1.2  Dabei ist in der Rechtsprechung der zuständigen Berufungskammer des Landgerichts Saarbrücken auch anerkannt, dass der Geschädigte grundsätzlich die Einholung eines Ergänzungsgutachtens zur Auseinandersetzung mit den erhobenen Einwendungen für sachdienlich halten und die dadurch entstandenen Kosten ersetzt verlangen kann, wenn der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vorgerichtlich technische Einwendungen gegen das vom Geschädigten eingeholte Kfz-Schadensgutachten erhebt und der Geschädigte ohne sachverständige Hilfe die Berechtigung der Einwendungen nicht beurteilen kann (Landgericht Saarbrücken in NJW-RR 2015,721). Darüber hinaus wird auch die Teilnahme des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen an einer vom Haftpflichtversicherer initiierten Fahrzeuggegenüberstellung als ersatzfähig angesehen (Landgericht Bochum, Urteil vom 8. Juli 1997,9 § 60/97, Landgericht Hamburg, Urteil vom 9. Juli 2015, 323 § 13/15).

1.3 Vorliegend verlangt der Kläger demgegenüber Ersatz der Kosten, die durch die Teilnahme des von ihm beauftragten Sachverständigen zur Überprüfung des von ihm vorgelegten Gutachtens an der verlangten Nachbesichtigung seines Fahrzeuges anfallen. Solche Kosten sind nach Auffassung des Gerichts jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erstattungsfähig. Es war weder erforderlich, dass der Sachverständige des Geschädigten bei der Nachbesichtigung möglicherweise auftretende Fragen beantwortet noch dass dieser den Gutachter des Versicherers überwacht. (so Landgericht München I, Schaden-Praxis 2011,188, a.A: Amtsgericht Kaiserslautern, ZfSch 2014,559, Amtsgericht Mainz, Urteil vom 31. Mai 2016,80 C 73/16).

Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schädiger oder sein Versicherer nach der Vorlage eines Schadengutachtens überhaupt einen Anspruch auf Nachbesichtigung haben (FreymannNVellner/Lennartz,jurisPKStrassenverkehrsrecht,119 WG Rn 24,1.A.2016). Denn selbst wenn man einen solchen Anspruch verneint und die Gestattung einer Nachbesichtigung durch den Kläger als ein Entgegenkommen gegenüber dem Haftpflichtversicherer betrachtet, bleibt es für die Ersatzfähigkeit der durch die Beauftragung des eigenen Sachverständigen mit der Teilnahme an der Nachbesichtigung entstandenen Kosten dabei, dass diese nur ersetzt werden müssen, wenn sie erforderlich waren.

Diese Erforderlichkeit ergibt sich vorliegend nicht aus einem Beweissicherungsinteresse des Klägers (Landgericht München aaO). Der Zeuge M hatte für diesen bereits ein Schadensgutachten angefertigt und die Beschädigungen des Fahrzeuges ausführlich durch Lichtbilder dokumentiert. Eine weitere Beweissicherung hat der Zeuge zu diesem Zeitpunkt folglich nicht für notwendig erachtet. Weshalb sich dies durch ein Nach- besichtigungsbegehren des Haftpflichtversicherers geändert haben sollte, ist nicht erkennbar. Dieser beabsichtigte die Nachbesichtigung nach seinen Angaben lediglich, weil das Gutachten des Zeugen M ihm unplausibel erschien und um es demzufolge auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Konkrete Einwendungen gegen die Schadenshöhe hatte der Versicherer zu diesem Zeitpunkt nicht erhoben. Zwar kann Voraussetzung für eine Erforderlichkeit nicht sein, dass der vom Versicherer beauftragte Sachverständige zu einem anderen Ergebnis gelangt als der Sachverständige des Geschädigten, da auf die Sichtweise des Geschädigten im Zeitpunkt der Äußerung des Nachbesichtigungsverlangens abzustellen ist. Es wäre jedoch von vornherein ausreichend gewesen, wenn der Kläger im Falle von Beanstandungen des Sachverständigen der Dekra als Reaktion auf diese nachträglich eine Stellungnahme des Zeugen M      deren Kosten dann gegebenenfalls ersatzfähig gewesen wären, eingeholt hätte. Weitergehende Erkenntnisse, die sich gerade durch eine Teilnahme an einer Nachbesichtigung hätten ergeben können, hat der Kläger weder aufgezeigt noch sind diese für das Gericht ersichtlich. Hieran ändern auch mögliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität des vom Versicherer beauftragten Sachverständigen nichts. Selbst wenn diese zutreffen sollten, kann auf Beanstandungen nachträglich angemessen und ohne Nachteil für den Geschädigten reagiert werden. Auf die vage Hoffnung, dass wegen der Anwesenheit des eigenen Sachverständigen auf Beanstandungen bzw. Nachfragen sofort reagiert und damit die Schadensabwicklung beschleunigt werden kann, kann es ebenfalls nicht ankommen.

Etwas anderes  gilt, wenn der Geschädigte die Teilnahme seines Sachverständigen und diesbezüglich eine Kostenerstattung zur Bedingung für die Zustimmung zur Nachbesichtigung macht, kann offenbleiben, denn der Kläger hat nicht vorgetragen, dies gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Geschädigten im Vorfeld der Nachbesichtigung so kommuniziert oder die beabsichtigte Hinzuziehung des Zeugen M auch nur erwähnt zu haben.

1.4 Soweit die Teilnahme des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen an einer Fahrzeuggegenüberstellung von Teilen der Rechtsprechung und Literatur als ersatzfähig angesehen wird, steht dies nicht im Widerspruch zu den vorstehenden Ausführungen……

Herausgabe der Handakten, oder: Anspruch verjährt?

Heute wird es im „Kessel Buntes“ dann mal ganz bunt. Denn ich eröffne mit dem LG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.03.2018 – 2-25 O 125/17. Das hat nichts mit Verkehrsrecht oder Strafrecht zu tun, sondern hat seinen Ausgangspunkt in einem Insolvenzverfahren. Nach dessen Abschluss wird nun um die Herausgabe von Handakten gestritten. Kläger ist der Insolvenzverwalter, Beklagte ist eine Rechtsanwaltssozietät, die für die Insolvenzschuldnerin rechtsberatend tätig war. Das Insolvenzverfahren ist 2012 eröffnet worden.  Mit E-Mail vom 23.12.2015 hat der Kläger von der Beklagten Herausgabe der bei der Beklagten für die Insolvenzschuldnerin geführten Handakte gefordert. Die hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben. Sie ist der Auffassung, ein Herausgabeanspruch aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB sei nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt. Eine berufsrechtliche Herausgabepflicht bestehe allenfalls zivilrechtsakzessorisch, das heißt die Pflicht bestünde nur dann, wenn ein korrespondierender zivilrechtlicher Herausgabeanspruch durchsetzbar wäre, was aufgrund der Verjährung nicht der Fall sei. Im Übrigen ergäbe sich aus einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht, sei es nach § 50 BRAO alter oder neuer Fassung, kein Anspruch des Klägers im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB, also das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. Die Verletzung der Berufspflicht werde lediglich berufsrechtlich sanktioniert. Es sei strikt zwischen zivilrechtlicher Anspruchsgrundlage und sanktionsfähiger Berufspflicht zu unterscheiden. § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F., der berufsrechtlich sanktioniert sei, sei überdies auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dem stehe das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen, das sich auch auf die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit beziehe.

Das LG gibt der Beklagten Recht und hat die Klage abgewiesen. Begründung: Zwar hat es einen Herausgabeanspruch gegeben, aber:

„II.

Dieser Anspruch ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil er gem. §§ 195, 199 Abs. 1, 214 Abs. 1 BGB verjährt ist.

1. Die Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB findet auf den Herausgabeanspruch nach § 667 BGB Anwendung (Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 667 Rn. 9). Dies gilt auch für den auf §§ 675 Abs. 1, 667 BGB gestützten Anspruch auf Herausgabe der anwaltlichen Handakten ( BGHZ 109, 260, 264 f.; Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427).

2. Dabei sind die §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für den Anspruch eines Auftraggebers auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass Verjährung nicht vor Ablauf der in § 50 Abs. 1 Satz 1 BRAO in der seit dem 18.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: n.F.) oder in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der bis zum 17.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) normierten Aufbewahrungsfrist eintritt. Die allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB sind nicht um einen Ausnahmetatbestand im eben genannten Sinne zu ergänzen.

Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht und der ihm immanenten Teleologie unvollständig ist, mithin eine nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel fehlt (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, 196 f.) und dass die Ergänzung um einen Ausnahmetatbestand wertungsmäßig geboten ist, was einerseits durch den Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm geboten sein kann, wobei jeweils das Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln zu beachten ist (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 211).

a) Für die vorliegende Fallgestaltung ist dem Gesetz bereits keine planwidrige verdeckte Regelungslücke zu entnehmen……“