Archiv für den Monat: April 2018

Schuldfähigkeit, oder: Der Angeklagte aus der „Trinkerszene“

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Und zum Abschluss dann noch eine Entscheidung zur Schuldfähigkeit, nicht vom BGH, sondern vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 25.09.2018 –  1 RVs 78/17, den mir der Kollege E. Schnekle aus Bochum geschickt hat, zum erforderlichen Umfang der Feststellungen hinsichtlich der Schuldfähigkeit Stellung genommen.

Der Angeklagte ist wegen mehrere Diebstahlstaten verurteilt worden. Seien Revision hatte wegen des Strafausspruchs Erfolg:

Nach den vom Landgericht zutreffend als bindend angesehenen Feststellungen des Amtsgerichts Dortmund vom 17.01.2017 zu den im vorliegenden Verfahren erstmals abgeurteilten Taten hat der Angeklagte, dessen Leben in der Bochumer Trinkerszene – abgesehen von mehrmaligen Inhaftierungen und einer im Juni 2005 für erledigt erklärten Unterbringung gemäß § 64 StGB – nach den weiteren Feststellungen der Kammer seit Jahrzehnten vorwiegend von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und übermäßigem Alkoholkonsum bestimmt ist, nach seiner am 23.06.2016 erfolgten letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Zeitraum vom 27.06.2016 bis zum 26.09.2016 bei acht Gelegenheiten in verschiedenen Geschäften Bierflaschen oder -dosen und in einem weiteren Fall Süßigkeiten entwendet, wobei der Wert der jeweiligen Tatbeute zwischen 0,87 € und 5,20 € lag.

Den nachträglich einbezogenen Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 23.03.2017 lag – wie sich dem Urteil des Landgerichts entnehmen lässt – zugrunde, dass der Angeklagte in der Zeit vom 10.08.2016 bis zum 27.09.2016 bei vier weiteren Gelegenheiten Lebensmittel und/oder Alkohol entwendete und bei einer dieser Taten Mitarbeitern der betroffenen Aldi-Filiale anschließend Schläge androhte, um diese dazu zu bewegen, ihn noch vor dem Eintreffen der Polizei gehen zu lassen. Dabei handelte der Angeklagte – so die im vorliegend angefochtenen Urteil zitierten Feststellungen des Amtsgerichts Bochum – „in allen Fällen aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit im Zustand der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit“.

Unter Berücksichtigung dieser Feststellung zu weitgehend gleichgelagerten und sämtlich innerhalb des vorliegend verfahrensgegenständlichen Tatzeitraums begangenen Taten des nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen seit Jahrzehnten übermäßig Alkohol konsumierenden Angeklagten lag die Möglichkeit einer bei ihm erheblich verminderten Schuldfähigkeit auch bei den vorliegend erstmals abgeurteilten Diebstahlstaten, die mit einer Ausnahme sämtlich auf die Beschaffung von Alkohol gerichtet waren, derart nahe, dass sich das Landgericht mit dieser Frage sowie mit einer daraus möglicherweise resultierenden Strafmilderung gemäß § 49 StGB näher hätte auseinander setzen müssen (allg. vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2017 — 111-4 RVs 7/17 -, juris; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 27 m.w.N.). Die ohne nähere Ausführungen erfolgte Bewertung der Kammer, dass der Angeklagte nach ihrer Überzeugung zum Zeitpunkt der Begehung sämtlicher Taten in vollem Umfang strafrechtlich verantwortlich gewesen sei, erweist sich daher ohne konkrete Begründung als‘ nicht hinreichend tragfähig. Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass die Kammer bei einer diesbezüglichen rechtsfehlerfreien Vorgehensweise zu geringeren Einzelstrafen gelangt wäre.

Und:

Trotz des Umstandes, dass der vielfach einschlägig vorbestrafte Angeklagte erst vier Tage vor Beginn der verfahrensgegenständlichen Tatserie aus einer wegen einschlägiger Straftaten verbüßten Strafhaft von einem Jahr und vier Monaten entlassen worden war, erscheint es dem Senat vorliegend auch für den Fall, dass sich das Landgericht nunmehr rechtsfehlerfrei von der vollen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten überzeugt, sowohl unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes als auch bezüglich der „Binnendifferenzierung“ hinsichtlich der Einzelstrafen (insbesondere im Vergleich mit der für den Diebstahl vom 27.06.2016 von zwei Bierdosen mit einem Verkaufswert von 3,90 € verhängten einmonatigen Freiheitsstrafe) rechtlich bedenklich, den am 25.07.2016 begangenen Diebstahl von vier Bierdosen zum Verkaufspreis von 5,60 € mit einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten zu belegen.

Auch wird die neu entscheidende Strafkammer bei der Gesamtstrafenbildung, die sich ungeachtet der seit dem heutigen Tag vollständigen Verbüßung der am 23.03.2017 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe auch auf die damals verhängten Einzelstrafen zu erstrecken hat (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rn. 6a m.w.N.), besonders zu beachten haben, dass das Gesamtstrafübel den Schuldgehalt der zu berücksichtigenden Taten insgesamt nicht übersteigt, die sich soweit vorliegend erstmals abgeurteilt auf Bier und Süßigkeiten mit einem Gesamtverkaufswert von 25,74 € beziehen und im Übrigen – soweit nämlich bereits am 23.03.2017 abgeurteilt – Waren im Wert von 9,98 €, 26,41 € und zweimal 30,00 € betrafen.“

Terminsverlegung, oder: „ernsthaft bemühen muss sich der Vorsitzende“

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Seit längerem gibt es mit dem BGH, Beschl. v. 21.03.2018 – 1 StR 415/17 – wieder eine postiv stimmende Entscheidung des BGH zu Terminsverlegung-/fragen. Ist zwar im/zum Strafverfahren ergangen, ist aber eine Entscheidung, die sich sicherlich auch mancher Bußgeldrichter „hinter die Ohren schreiben sollte“. Denn, wen man die Diskussionen zu Terminsverlegungen an der Stelle, manchmal verfolgt, hat man den Eindruck, dass es die dort in der Regel nicht gibt.

Zur Entscheidung des BGH:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung fand am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai 2016 an vier weiteren Tagen statt. Am ersten und zweiten Hauptverhandlungstag waren lediglich der Angeklagte und sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt B. , nicht jedoch der Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. anwesend. Rechtsanwalt B. war dem Angeklagten, der mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht einverstanden war, mit Beschluss des Vorsitzenden vom 21. März 2016 zur Verfahrenssicherung als Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. beigeordnet worden.

Der Festlegung der Hauptverhandlungstermine vorausgegangen war eine Anfrage des Vorsitzenden an die Verteidiger der insgesamt drei Angeklagten für eine Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. April 2016 und 29. April 2016 sowie im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016. Auf diese Terminanfrage hatte der Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. mitgeteilt, dass er am 27. April 2016 und 29. April 2016 wegen anderweitiger – konkret bezeichneter – Termine verhindert sei, im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016 aber Termine wahrnehmen könne. Der Vorsitzende teilte sodann mit Schreiben an die Verfahrensbeteiligten vom 11. April 2016 mit, dass die Hauptverhandlung für den Fall der Anklagezulassung am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai bis zum 25. Mai 2016 an fünf weiteren, im einzelnen bezeichneten Terminen stattfinden werde, und bat um verbindliche Terminreservierungen. Gegen die Terminierung wandte sich der Wahlverteidiger sodann mit einem Schreiben vom 12. April 2016 und einem Verlegungsantrag vom 13. April 2016. Auf beide Schreiben reagierte die Strafkammer nicht.

Am ersten Hauptverhandlungstag übergab der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt B. ein Schreiben von Rechtsanwalt P. vom 27. April 2016, in dem dieser unter Hinweis auf den zuvor geschilderten Sachverhalt eine Verletzung der Verteidigungsrechte seines Mandanten geltend machte und zudem mitteilte, der Angeklagte werde in seiner Abwesenheit nur Pflichtangaben machen. Das Gericht wies am dritten Hauptverhandlungstag im Zusammenhang mit einem Antrag von Rechtsanwalt P., den dieser unter Bezugnahme auf das zuvor genannte Schreiben begründet hatte, unter anderem darauf hin, dass sich in der Akte ein „Terminverlegungsantrag vom 12. April 2016“ befinde. Dieser sei von der Geschäftsstelle nicht eigens vorgelegt und deshalb nicht formal verbeschieden worden; im Übrigen hätte eine Verlegung des Termins aufgrund der Terminlage der anderen Verfahrensbeteiligten und der Kammer nicht erfolgen können.

2. Diese Verfahrensweise war rechtsfehlerhaft. Sie verletzte den Angeklagten in seinem Recht auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) MRK, § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO und verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Bei der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation bedurfte angesichts der Nichtbescheidung des Schreibens vom 12. April 2016 und des Übergehens des Terminverlegungsantrags vom 13. April 2016, zu dessen Vorlage und Verbleib die Strafkammer keine Erklärung abgegeben hat, keines (Aussetzungs-)Antrags in der Hauptverhandlung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 2 StRR 90/96, BayObLGSt 1996, 94, 95; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Oktober 1997 – 3 Ss 286/97, StV 1998, 13, 14; Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 213 Rn. 19; Arnoldi in Münchener Kommentar, StPO, § 213 Rn. 18; siehe allgemein zum Meinungsstand hinsichtlich der Zulässigkeitsanforderungen an die Revision bei Terminverfügungen des Vorsitzenden: Britz in Radtke/Hohmann, StPO, § 213 Rn. 17 f.). Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob in dem Schreiben des Wahlverteidigers vom 27. April 2016, in dem auf die Nichtbescheidung der zuvor genannten Schreiben hingewiesen wurde, nicht ein entsprechender Aussetzungsantrag gesehen werden müsste.

b) Die Rüge ist auch begründet. Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt allerdings nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (BGH, Beschlüsse vom 29. August 2006 – 1 StR 285/06, NStZ 2007, 163, 164 Rn. 5 und vom 18. Dezember 1997 – 1 StR 483/97, NStZ 1998, 311, 312; Wessing in BeckOK StPO, 29. Ed. 1.1.2018, § 137 Rn. 4 mwN). Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden und steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen (§ 213 StPO). Der Vorsitzende muss sich jedoch ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 – 1 StR 123/10, NStZ-RR 2010, 312, 313; vom 6. November 1991 – 4 StR 515/91, StV 1992, 52, 53 und vom 11. September 1986 – 1 StR 472/86, NStZ 1987, 34 f.). Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden ist vorliegend weder bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine nach vorheriger Terminanfrage bei den Verfahrensbeteiligten noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens und des Verlegungsantrags des Wahlverteidigers, der erkennbar das Vertrauen des Angeklagten genoss, ersichtlich. Eine andere Terminierung dürfte vorliegend auch nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen sein, da die Strafkammer mit der Hauptverhandlung am 13. Mai 2016 hätte beginnen können, die Verzögerung mithin zeitlich nicht erheblich ins Gewicht gefallen wäre.

c) Der Fehler führt zur Aufhebung des Urteils, weil sich nicht ausschließen lässt, dass die Hauptverhandlung bei Anwesenheit des Wahlverteidigers auch an den ersten beiden Hauptverhandlungstagen, an denen sich die Mitangeklagten zur Sache geäußert haben sowie Zeugen und Sachverständige gehört wurden, zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis geführt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1989 – 2 StR 352/89, BGHSt 36, 259, 262; Beschluss vom 6. Juli 1999 – 1 StR 142/99, StV 1999, 524).“

Und jetzt bitte keine Kommentare, wie belastet die Amtsrichter sind und was alles nicht geht……

Der Alkohol und die Strafrahmenverschiebung, oder: „gesellschaftliches Steuerungselement“

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Schon etwas älter ist der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des BGH betreffend Strafrahmeverschiebung nach §§ 21, 49 StGB, der auf eine Vorlage des 3. Strafsenats des BGG zurückgeht. In dem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte mit bedingtem Vorsatz einen Mitbewohner durch Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie gegen den Kopf, nachdem beide gemeinsam Alkohol konsumiert hatten. Das LG hat weder den Anlass der Tat noch den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten festzustellen vermocht. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat sie keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat sie sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt. Von einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hatte das LG ebenfalls abgesehen. Es ist davon ausgegangen, dass dies im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit möglich sei, wenn diese auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.

Der 3. Strafsenat hat die Entscheidung des LG für rechtsfehlerfrei gehalten und wollte die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Wegen ggf. entgegenstehender Rechtsprechung anderer Strafsenatehat es dort emäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob diese an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203). Nach den erhaltenen Antworten hat er dann vorgelegt.

Der Große Senat hat dann dem BGH, Beschl. v. 24.07.2017 – GSSt 3/17 -geantwortet:

Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.

Und jetzt hat dann der 3. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 08.03.2018 – 3 StR 63/15 – die Revision verworfen:

„….bb) Nach diesem Maßstab durfte das Landgericht, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des 21 StGB vorlagen, in Ausübung seines Ermessens wegen der Vorwerfbarkeit der Alkoholisierung eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ablehnen. Anders als der Beschwerdeführer meint, hing die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht von Feststellungen zur Vorhersehbarkeit der Tat im Zeitpunkt des Sich-Berauschens ab; dazu, ob der Angeklagte erkennbar zu Gewalttaten in alkoholisiertem Zustand neigte, brauchten sich die Urteilsgründe nicht zu verhalten…..“

Man darf gespannt sein, wie sich die Fragen jetzt weiter entwickeln. Wie hat Jahn in der Anmerkung zu dem Beschluss des Großen Senats in der NJW so schön geschrieben: Ein weiterer Schritt zur Abkehr vom Tat- und Schuldstrafrecht hin zu einem gesellschaftlichen Steuerungsinstrument.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Pauschgebühr nach § 42 RVG, oder: Die StA will nicht

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Und das dritte Posting an einem Montag enthält dann des Rätsels Lösung, nämlich die der RVG-Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Pauschgebühr nach § 42 RVG, oder: Die StA will nicht.

Vorab: Ich hatte bei dem Kollegen zur Sicherheit noch einmal nachgefragt, wen er denn nun eigentlich in Anspruch nehmen will: Mandantin, Staatskasse oder RSV? Er hatte – so seine Antwort – die RSV im Visier.

Und das war dann meine Antwort:

„Hallo, ok.

M.E. kann es in Ihrem Fall dann auf eine Kostenentscheidung nicht ankommen. Abgesehen davon, dass eh keine ergeht – Einstellung durch die StA, nicht durch das Gericht – , würde das sonst bedeuten, dass die Bindungswirkung des § 42 Abs. 4 RVG gegenüber der RSV nicht herbeigeführt werden könnte.

Ich würde mir die Arbeit aber nicht machen. Denn Sie werden m.E. mit einem Antrag – auf der Grundlage der mitgeteilten Verfahrensumstände – keinen Erfolg haben. Ich verweise auf die Kommentierung zu den §§ 42, 51 RVG in unserem RVG-Kommentar.“

Zur „Doppelgrenze“ hatte ich schon in meiner Nachfragemail darauf hingewiesen, dass wir darüber nicht diskutieren müssen/können. Denn es steht bei § 42 RVG nun mal so im Gesetz. Ob es gefällt oder nicht, ist egal.

Er hat dann noch einmal geantwortet und sich bedankt, vor allem dafür, dass ich ihm mit meiner Einschätzung „Arbeit erspare“. Denn einen Puachvergütungsantrag – und dann auch noch nach § 42 RVG – würde m.E. nun wirklich keinen Erfolg haben. Zeit und Papier kann der Kollege sich sparen und tut er jetzt auch. Die Pauschgebühr ist im Grunde genommen tot. Steht auch alles im RVG-Kommentar, auf den ich immer wieder gern hinweise und es auch hier noch einmal tue. Zur Bestellung geht es hier. Ja, Montag ist Werbetag :-).

Ordnungsmittelbeschluss ohne Begründung, oder: Etwas schnell geschossen Herr Amtsrichter

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Die zweite Entscheidung aus dem Themenkreis Sitzungspolizei/Verhandlungsleitung ist schon etwas älter. Es ist der LG Duisburg, Beschl. v. 20.12.2017 – 33 Qs 38/17. Der stammt vom Kollegen P. Vogt aus Duisburg. Das LG hat in ihm (noch einmal) zu den Anforderungen an die Begründung eines Ordnungsmittelbeschlusses, durch den einem Zeugen ein Ordnungsgeld wegen einer Aussageverweigerung auferlegt wird, Stellung genommen.

Der Zeuge hatte als Geschädigter einen Strafantrag gegen den Angeklagten gestellt. Er ist dann polizeilich vernommen worden. Im Hauptverhandlungstermin am 04.09.2017 wurde er dann im Verfahren gegen den Angeklagten als Zeuge richterlich vernommen. Der Zeuge hat sich geweigert, eine Aussage zu machen. Gegen ist dann ein Ordnungsgeld in Höhe 500,- EUR, ersatzweise je 50,- EUR pro Tag Ordnungshaft festgesetzt worden. Dagegen dann die Beschwerde des Zeugen, die „aus formellen Gründen“ Erfolg hatte:

„Letztlich kann es dahinstehen, ob der Beschwerdeführer gegen seine Pflicht vor Gericht auszusagen aus § 48 Abs. 1 S. 2 StPO verstoßen und das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund im Sinne des § 70 Abs. 1 S. 2 StPO verweigert hat. Rechtlich unerheblich ist es daher auch, ob beim Beschwerdeführer die Schwelle eines Anfangsverdachts, der ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO begründen könnte, überschritten war.

Denn weder dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 04.09.2017, dem Ordnungsgeldbeschluss vom 04.09.2017 noch der Nichtabhilfeentscheidung vom 01.10.2017 lässt sich entnehmen, dass der Tatrichter sich bei seiner Entscheidung innerhalb des ihm nach den Umständen des Einzelfalls eröffneten weiten Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Annahme eines Anfangsverdachts gehalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.04.2010, BeckRS 2010, 49081; BGH, Beschluss vom 06.08.2002, BeckRS 2002, 30276571; OLG Celle NStZ-RR 2011, 377) sowie den richtigen Entscheidungsmaßstab unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich garantierten Selbstbelastungsfreiheit zugrunde gelegt hat (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO/Senge, 7. Auflage 2013, § 55 Rn. 4; OLG Köln BeckRS 2013, 08021).

Die Wertung des Tatrichters, dem Beschwerdeführer stehe derzeit (im Zeitpunkt des Erlasses des Ordnungsgeldbeschlusses) kein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu und er habe seine Aussage ohne gesetzlichen Grund verweigert, lässt sich anhand des Akteninhalts nicht nachvollziehen. Es ist anhand der Ausführungen im Hauptverhandlungsprotokoll vom 04.09.2017 und in der Nichtabhilfeentscheidung vom 01.10.2017 nicht erkennbar, ob der Tatrichter den Akteninhalt, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme sowie das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Hauptverhandlung ausgewertet und umfassend gewürdigt hat. Eine entsprechende Wertung und Würdigung durch den Tatrichter bei Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses ist nicht feststellbar und damit auch nicht überprüfbar. Aufgrund der fehlenden Begründung des Ordnungsgeldbeschlusses kann das Beschwerdegericht auch nicht nachprüfen, ob der Tatrichter seine Entscheidung im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums auf fehlerhafte Erwägungen gestützt hat.“

Na ja: Selbst auf die Gefahr hin, dass wieder böse Kommentare kommen: Bisschen schnell geschossen Herr Amtsrichter, oder: Etwas mehr Sorgfalt…..