Archiv für den Monat: April 2018

Im Bußgeldverfahren immer die Mittelgebühr, oder: Burhoff sagt das auch

Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, ist dann erfreulicher als der vorhin vorgestellte OLG Hamburg, Beschl. v. 20.03.2018 – 5 S AR 7/18. 

Es geht auch nicht um Pauschgebühr, sondern „nur“ um die Höhe der Wahlanwaltsgebühren in einem Bußgeldverfahren. Das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen  – ist von der Verwaltungsbehörde eingestellt worden. Die Kosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Der Verteidiger hat dann in seinem Festsetzungsantrag die bei ihm entstandenen Wahlanwaltsgebühren geltend gemacht. Dabei hat er jeweils die Mittelgebühr angesetzt. Der Bezirksrevisorin war das teilweise zu viel/zu hoch. Die Gebühren sind dann niedriger festgesetzt worden. Das AG gibt dem Verteidiger im AG Plauen, Beschl. v. 22.03.2018 – 7 OWi 440 Js 18243/16 – Recht:

„Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens – und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigen Ermessen.

Bei den infrage stehenden Gebühren macht der Antragsteller stets die Mittelgebühr geltend.

Die Bezirksrevisorin führt unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Landgerichts Zwickau vom 07.10.2008 (Az. 2 Qs 308/08) und vom 13.10.2008 (k. 2 Qs 321/07) aus, dass sich in einfach gelagerten Fällen der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens bewegt.

Abweichungen davon sind im Einzelfall denkbar, werden im vorliegenden Fall jedoch nicht gesehen.

Der Antragsteller hingegen bezieht sich auf eine Entscheidung des LG Chemnitz vom 09.06.2016 (Az. 2 Qs 76/16). Der dort verhandelte Fall (80,00 EUR Geldbuße, 1 Punkt im Verkehrszentralregister) ist mit dem hier vorliegenden Fall vergleichbar. Das Landgericht Chemnitz sieht grundsätzlich in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Rahmenmittelgebühr als Ausgangspunkt for die Bemessung der Gebühr.

Von diesem Standpunkt ausgehend wird sodann geprüft gebührenerhöhende oder – vermindernde Tatsachen ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen bzw. erforderlich machen.

Das LG hat in seiner Entscheidung einen durchschnittlichen Fall angenommen und im Ergebnis die Mittelgebühr für erstattungsfähig befunden.

Das Gericht schließt sich der Ansicht des Antragstellers an. Diese deckt sich mit der Ansicht, welche größtenteils die Literatur zu diesem Streitpunkt vertritt (m.w.N. Gerold/Schmidt RVG, 22. Auflage 2015, Rn. 20,21 zu Einl. 5 VV; Burhoff RVG, 2. Aufl., 2007, Rn. 39 -41 zu Vorb. 5). Demgemäß sind straßenverkehrsrechtliche Bußgeldsachen gerade nicht pauschal von geringer/unterdurchschnittlicher Bedeutung, sondern können aufgrund der umfangreichen und zum Teil schwierigen, obergerichtlichen Rechtsprechung durchaus als kompliziert angesehen werden (aaO).

Im Ergebnis hält das Gericht im vorliegenden Verfahren die Mittelgebühr der o.g. Gebührentatbeständen der VV-Nr. 5100, 5103, 5109 RVG für angemessen und damit für erstattungsfähig.“

Sehr schön und richtig 🙂 . Und die Begründung: Burhoff sagt das auch, lese ich natürlich besonders gern.

Das einig Unschöne an der Entscheidung: Das AG zitiert unseren RVG-Kommentar in der 2. Aufl., Den gibt es aber inzwischen schon in der 5. Aufl., die man hier bestellen kann (Werbemodus an/aus 🙂 ).

Pauschgebühr beim Schwurgericht, oder: „Nicht unzumutbar“ oder was?

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Seit längerem heute mal wieder eine Entscheidung zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, und zwar der OLG Hamburg, Beschl. v. 20.03.2018 – 5 S AR 7/18. Ergangen ist er in einem Schwurgerichtsverfahren, das beim LG Hamburg anhängig war. Nach Abschluss des Verfahrens hatte die Verteidigerin eine Pauschgebühr beantragt. Sie hatte das – ich kenne den Antrag nicht – u.a. wohl mit den 117 Hauptverhandlungstagen und dem erheblichen Vorbereitungsaufwand und Aufwand während der Zeit der Hauptverhandlung. Das OLG lehnt natürlich ab.

Wir lesen das, was wir immer in diesen Fällen lesen, nämlich den Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG und das Sonderopfer usw. Und weiter:

„Gemessen an diesen Grundsätzen war die durch § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG in den Blick genommene besondere Fallkonstellation in vorliegendem Fall zur Überzeugung des Senats nicht gegeben.

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Gesetzgeber den Gebührenrahmen für Schwurgerichtssachen gegenüber anderen landgerichtlichen Strafverfahren erheblich höher angesetzt hat und damit dem Umfang und der Schwierigkeit dieser Verfahren bereits bei den Regelgebühren in erheblichem Umfang Rechnung getragen hat. So beträgt die Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag in den allgemeinen Strafsachen vor dem Landgericht, in denen sich der Mandant in Haft befindet, gemäß Nr. 4115 des Vergütungsverzeichnis (VV) 312,- €, bei Schwurgerichtssachen gemäß Nr. 4121 VV 517,- €. Dauert der Verhandlungstag länger als 5 Stunden, beträgt die zusätzliche Gebühr statt 128,- € (Nr. 4116 VV) 212,- € (Nr. 4122 W).

Es ist zwar nicht zu verkennen, dass das vorliegende Verfahren, auch an den besonderen Maßstäben für Schwurgerichtssachen gemessen, sicher umfangreich und angesichts der Problematik um die Würdigung einer Zeugin vom Hörensagen und der Einführung fremdsprachiger TKÜ in tatsächlicher Hinsicht nicht einfach war. Der Tatvorwurf an sich war allerdings sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht überschaubar.

Soweit die Antragstellerin in Ergänzung ihres Antrags einen erheblichen Vorbereitungsaufwand und Aufwand während der Zeit der Hauptverhandlung vorträgt, ist zu bedenken, dass dieser Aufwand durch die Anzahl der Hauptverhandlungstage, durch die die Regelvergütung maßgeblich bestimmt wird, wieder relativiert wird. Gemessen an 114 Hauptverhandlungstagen ist dieser Aufwand relativ gering. Entsprechendes gilt für die Vernehmung von lediglich 70 Zeugen und 5 Sachverständigen bezogen auf 117 Hauptverhandlungstage. Außerdem wurde hier von der Verteidigung der drei Angeklagten offenbar eine einheitliche Verteidigungslinie geführt, was die Möglichkeit der Arbeitsteilung eröffnete. Das zahlreiche wechselseitige Anschließen an die Anträge der jeweils anderen Verteidiger verdeutlicht diese Arbeitsweise. Die von der Antragstellerin als besondere Belastung geltend gemachten Besprechungen mit den anderen Verteidigern ist vor diesem Hintergrund eher als Mittel der Arbeitserleichterung relevant.

Angesichts des überschaubaren Tatvorwurfs konzentrierte sich die weit überwiegende Zahl der Anträge der Antragstellerin auf Indiztatsachen zur Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sowie Fragen der Richtigkeit der Übersetzungen fremdsprachiger Telefongespräche.

Der Senat verkennt den Arbeitsaufwand, der mit diesen Anträgen verbunden war, nicht. Gleichwohl vermag dieser Einsatz nicht zu erklären, dass sich die Dauer der Hauptverhandlung über 2 Jahre erstreckte und 117 Verhandlungstage in Anspruch nahm. Die Durchsicht des Protokolls ergibt, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung durch Auseinandersetzungen zu Beanstandungen, Würdigungen von Verhaltensweisen von Verfahrensbeteiligten, Fragen der Protokollierung von Äußerungen, insbesondere im Hinblick auf § 183 GVG, Diskussionen zur Protokollierung von Pausen, Auseinandersetzungen um die Reihenfolge bei der Ausübung des Fragerechts und ähnliches geprägt war.

Exemplarisch und zur Verdeutlichung sei hier eine Passage aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. August 2015 wiedergegeben:……

Bei den skizzierten Auseinandersetzungen handelt es sich um solche, die einen erheblichen Teil der Hauptverhandlung in Anspruch nahmen, ihrer Natur nach aber keinen großen Vorbereitungs- und Nachbearbeitungsaufwand bei den Verfahrensbeteiligten erforderten. Vielmehr konnte hier spontan aus der jeweiligen Hauptverhandlungssituation heraus agiert werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es sich dabei nicht um Problematiken handelt, die einen besonderen Umfang oder eine besondere Schwierigkeit gemäß § 51 RVG für die Antragstellerin begründeten. Die Verhandlungsführung wird in diesen Situationen für die Vorsitzende sicher besonders schwer gewesen sein. Diese Erschwernis lässt sich aber nicht in gleicher Weise auf die Verfahrensbeteiligten übertragen.

Die Belastung durch eine lang dauernde Hauptverhandlung wird auch wesentlich durch die Verhandlungsdichte bestimmt. Es liegt auf der Hand, dass das übliche Geschäft eines Rechtsanwalts im stärkeren Maße bei hoher Verhandlungsdichte im Rahmen einer Pflichtverteidigung leidet. Hier war die Verhandlungsdichte unterdurchschnittlich. Sie betrug auf den Gesamtzeitraum bezogen lediglich 1,1 Tage pro Woche. In diesem Zeitraum gab es auch keine vorübergehend hohe Konzentration der Verhandlungsdichte, die die Aussagekraft dieses Durchschnittswerts relativieren könnte. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Hauptverhandlungstage lediglich bis zu 3 Stunden dauerte, was den Aufwand zusätzlich relativiert.

Die Antragstellerin hat, wenn auch in geringem Umfang, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich bei Verhinderung vertreten zu lassen. Auch insofern konnte sie ihren eigentlichen beruflichen Verpflichtungen nachgehen.

Nach allem erscheint es dem Senat angesichts der Regelpflichtverteidigergebühren in Höhe von 69.216,- € nicht als unbillig, es bei diesen zu belassen. Von einer Unzumutbarkeit der gesetzlich bestimmten Gebühren kann keine Rede sein.“

Tja, das war es dann. Was bleibt, ist zunächst die Frage: Was verneint das OLG denn nun eigentlich? War das Verfahren nicht besonders umfangreich/besonders schwierig oder sind die gesetzlichen Gebühren nicht unzumutbar i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG? Da geht es in dem Beschluss ein wenig durcheinander, zumindest ist das nicht klar zu erkennen. Ich tendiere zu „nicht unzumutbar“. Und dann die Frage: Kann man noch etwas machen? Sicher, kann man. Man kann Verfassungsbeschwerde einlegen. Nur wage ich die Prognose, dass die nichts bringen wird.

Was für mich darüber hinaus noch bleibt, ist ein leicht säuerlicher Beigeschmack. Das OLG legt im Einzelnen mit der „Passage aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. August 2015″ das Geschehen in der Hauptverhandlung an dem Tag als Beispiel dafür dar, dass es in der Hauptverhandlung wohl immer wieder „hoch her gegangen“ ist. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, inwieweit die antragstellende Verteidigerin an dem Geschehen „beteiligt war – in der vorgestellten Passage ist sie es kaum – hat das für mich so ein wenig den Beigeschmack der Retourkutsche bzw. könnte das die Stelle sein, an der man sich der Rechtsprechung anschließen will, die „unnötige Anträge“  bei der Gewährung einer Pauschgebühr nicht berücksichtigen will, was man aber dann lieber doch nicht sagt.

Und wer jetzt kommentieren will: Bitte die gesetzlichen Gebühren nicht auf die erbrachten Stunden umrechnen. Das mögen die OLG ja nun gar nicht.

„durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater“, oder: Die „Gesamtschau reicht für Besorgnis der Befangenheit

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So ganz häufig sind ja Entscheidungen des BGH zur Besorgnis der Befangenheit nicht. Und wenn der BGH entscheidet, haben die in der Instanz gestellten Ablehnungsanträge meist Erfolg. Der BGH scheint, was die Fragen des § 24 StPO angeht, dann doch etwas sensibler als die Tatgerichte zu sein. Ein „schönes“ Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 28.02.2018 – 2 StR 234/16. Ergangen ist er auf die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des LG Frankfurt/Main. Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und Besitz von Munition, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Außerdem hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Also schon ein richtiger Hammer.

Aber: Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO – Mitwirkung eines abgelehnten Richters – Erfolg. Dazu stellt der BGH – man muss etwas weiter ausholen – Folgendes fest:

„1. a) Den abgeurteilten Taten war eine „Vortat“ vorausgegangen:

Der aus Afghanistan stammende Angeklagte war am 11. November 2007 in einen Streit mit seinem Landsmann P. um die Nutzung eines Fahrzeugstellplatzes geraten. Sie hatten ein Treffen vereinbart und waren jeweils davon ausgegangen, dass es zu einer Auseinandersetzung kommen würde. P. hatte deshalb seinen Schwager A. mitgenommen; beide hatten sich mit Schlagwerkzeugen und zumindest einem Messer bewaffnet. Der Angeklagte hatte seinen Sohn Y. S. , einen Boxsportler, sowie seinen Bruder A. S. , der „stark sehbehindert und kriegsversehrt“ war, zum Tatort mitgebracht. Dort war es zu Tätlichkeiten gekommen, bei denen A. S. durch einen Messerstich tödlich verletzt worden war und der Angeklagte sowie sein Sohn Stichverletzungen davongetragen hatten. P. und A. waren deshalb strafrechtlich verfolgt worden. Der Angeklagte hatte widersprüchliche Zeugenaussagen gemacht und auf das Aussageverhalten seines Sohnes Einfluss genommen. Auch deshalb waren P. und A. vom Landgericht – unter Mitwirkung des im vorliegenden Verfahren abgelehnten Vorsitzenden – durch Urteil vom 9. September 2008 freigesprochen worden, weil Notwehr oder Nothilfe nicht ausgeschlossen werden konnte.

Die Familie des Angeklagten ging von dessen Mitverschulden am Tod seines Bruders aus. Er versuchte sich zu entlasten, indem er P. und A. die ganze Schuld zuschob. Solange sich diese in Untersuchungshaft befanden, „stützte dies die Darstellung des Angeklagten.“ Dieses Bild änderte sich durch die Freisprechung von P. und A. und deren Entlassung aus der Untersuchungshaft. Danach geriet der Angeklagte zunehmend in Misskredit.

b) Durch Urteil des Senats vom 17. Juni 2009 – 2 StR 105/09 – wurde das freisprechende Urteil wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Die Sache wurde an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese war überlastet, weshalb die neue Hauptverhandlung erst am 9. Dezember 2014 begann.

c) Vor diesem Hintergrund beschloss der Angeklagte, „Selbstjustiz“ zu üben, um sich in seinem sozialen Umfeld in ein besseres Licht zu rücken. Er beschaffte sich eine Selbstladepistole nebst Munition; außerdem verfügte er über ein Jagdmesser. Er wollte P. und A. am zweiten Verhandlungstag vor dem Gebäude des Landgerichts abpassen und dort töten. „Für eine Begehung der Tat vor dem Gerichtsgebäude sprach zuletzt, dass die Tat hierdurch noch den Charakter einer öffentlichen Hinrichtung erhielt.“ Die Tötung sollte ihn „retrospektiv wieder ins Recht setzen.“

Die erneute Hauptverhandlung gegen P. und A. begann am 22. Januar 2014. Dem als Zeugen geladenen Angeklagten wurde mitgeteilt, dass er am nächsten Verhandlungstag, dem 24. Januar 2014, nicht erscheinen müsse. P. und A. kamen an jenem Tag gegen 8.45 Uhr vor dem Gerichtsgebäude an und rechneten nicht mit einem Angriff auf ihr Leben. Der Angeklagte hielt sich unter einer Vielzahl von wartenden Besuchern verborgen. Dann gab er in rascher Folge Schüsse auf P. ab, der zu Boden ging. Der Angeklagte verfolgte den fliehenden A. in den Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes, wo er diesen mit Schüssen und Messerstichen tötete, um danach den schwerverletzten P. mit Messerstichen zu töten.

2. Darin hat das Landgericht einen Heimtückemord in zwei Fällen gesehen. Es ist auch von einer Tötung aus niedrigen Beweggründen ausgegangen. „Selbstjustiz“ könne „nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der „Blutrache“ bis heute relevant ist.“ Jedoch sei bei einer Gesamtbetrachtung, auch mit Blick auf das „Gewicht und nähere Umstände der Vortat“, davon auszugehen, dass die Beweggründe des Angeklagten auf tiefster Stufe stünden. „Auch die Umstände der justiziellen Aufarbeitung“ sprächen „entschieden gegen den Angeklagten.“ Er aber habe „der Justiz die Behandlung der Sache durch seine Tat ganz bewusst aus der Hand“ genommen.

II.

Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO ist mit Unrecht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO).

1. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

a) Zu Beginn der Hauptverhandlung lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Dies stützte er auf dessen frühere Mitwirkung an dem Freispruch von P. und A. , weiterhin auf Rechtsfehler in jenem Urteil und dem zugrunde liegenden Verfahren, außerdem auf eine mittelbare Verursachung des Tatentschlusses des Angeklagten durch den Freispruch, ferner auf Bemerkungen des Vorsitzenden in einem anderen Verfahren über „Selbstjustiz“ sowie vor allem auf abwertende Bemerkungen über seine Persönlichkeit im freisprechenden Urteil vom 9. September 2008.

Dabei ging es im Einzelnen um Folgendes:

Bei der Urteilsbegründung in einer anderen Strafsache hatte der abgelehnte Vorsitzende kurz nach der Tat des Angeklagten unter anderem geäußert: „Selbstjustiz ist durch die Tat vom vergangenen Freitag nicht salonfähig geworden und wem das nicht passt, der soll dahin gehen, wo das anders ist.“ Diese Äußerung wurde in einem Zeitungsartikel der F. unter der Überschrift „Formen der Selbstjustiz“ zitiert.

In dem Urteil, mit dem P. und A. freigesprochen worden waren, hatte die Schwurgerichtskammer unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden zu der Zeugenaussage des Angeklagten angemerkt: „Den Angaben von H. S. kann nicht gefolgt werden, weil diese ebenfalls teilweise widerlegt und im Übrigen widersprüchlich sind … .“ Im Zusammenhang mit der Zeugenaussage seines Sohnes wurde angemerkt: „Hierbei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Erinnerung des Y. S. – ohne böse Absicht – durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater so verfremdet hat, dass er die Ereignisse nicht mehr so wiedergeben kann, wie sie tatsächlich geschehen sind.“

Außerdem hatte das Urteil auf das Verhalten des Angeklagten in einem früheren Gerichtsverfahren wie folgt verwiesen: „Dass H. S. andere zu falschen Aussagen zu bestimmen versucht, ist diesem ebenfalls nicht persönlichkeitsfremd. Er hatte nämlich bereits 2003 vor dem Frankfurter Amtsgericht einen gedungenen Zeugen für sich falsch aussagen lassen.“ Das in Bezug genommene Urteil des Amtsgerichts hatte die Zeugenaussage eines Verwandten des Angeklagten infrage gestellt und dazu bemerkt: „Es drängt sich daher der zwingende Verdacht auf, dass es sich hier um einen Zeugen handelt, der die Unwahrheit vor Gericht gesagt hat.“

b) Der abgelehnte Vorsitzende erklärte dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch, dass die Äußerungen im freisprechenden Urteil zugunsten von P. und A. nicht mit der Absicht einer Herabsetzung des Angeklagten verbunden gewesen seien. Seine in der Zeitung – für sich genommen zutreffend – zitierte Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie sei auf das damalige Verfahren bezogen gewesen und habe nichts mit einer ethnopolitischen Einstellung zu tun. Da es hiernach um eine „bloße Vorbefassung“ mit der Sache gehe, habe er von einer Anzeige nach § 30 StPO abgesehen.

c) Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet verworfen.

Dem BGH reicht es. Er bejaht die Besorgnis der Befangenheit – mehr muss nicht vorliegen! Denn: Erforderlich ist eine Gesamtschau aller vom Angeklagten vorgetragenen Umstände. Die Aspekte seien zwar nicht isoliert, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet, die Richterablehnung zu rechtfertigen. Dem kann/ist m.E. nichts hinzuzufügen.

Tatbegriff im Steuerstrafverfahren, oder: Kein Strafklageverbrauch

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Im weitesten Sinn auch mit der Anklage befasst sich der BGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 StR 464/17. Es geht um die häufig mit der die Anklage zusammenhängende Frage des Strafklageverbrauchs. Das LG hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Dagegen macht der Angeklagte das Verfahrenshindernis „Strafklageverbrauch“ geltend. Kein Erfolg, sagt der BGH:

„1. In Bezug auf den Angeklagten ist durch das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 30. März 2011, durch das er wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt wurde, kein Strafklageverbrauch aufgrund rechtskräftiger Aburteilung und damit kein Verfahrenshindernis eingetreten. Dieser Verurteilung lagen andere prozessuale Taten (§ 264 StPO) zugrunde als den hier verfahrensgegenständlichen.

a) Im Steuerstrafverfahren gilt grundsätzlich kein vom allgemeinen Strafverfahren abweichender Verfahrensgegenstandsbegriff. Auch hier ist Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO der vom Eröffnungsbeschluss betroffene geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen. Zu dem von der Anklage und dem darauf bezogenen Eröffnungsbeschluss erfassten einheitlichen geschichtlichen Vorgang gehört dementsprechend alles, was mit diesem nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Maßgeblich sind insoweit die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 1 StR 256/15, NStZ 2016, 296, 298 mwN).

b) Gegenstand der rechtskräftigen Aburteilung durch das Amtsgericht waren die inhaltlich unrichtigen Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die GmbH in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002, die der Angeklagte an näher festgestellten Tagen in den Jahren 2002 und 2003 abgegeben hatte. Die auf die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2007 bezogenen, die vorgenannten Steuerarten betreffenden Steuererklärungen weisen unter keinem für den einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang maßgeblichen Aspekt Umstände auf, die Identität mit den bereits abgeurteilten Taten herstellen. Ebenso fehlt es vorliegend an „besonderen rechtlichen Verknüpfungen“ die – unter Modifikation des sonst für die prozessuale Tatidentität Maßgeblichen – ausnahmsweise zeitlich auseinanderfallende Verletzungen unterschiedlicher steuerlicher Erklärungspflichten zu einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne verbinden können (dazu BGH aaO NStZ 2016, 296, 298 f.). Wie der Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt hat, würde auch ein möglicherweise bereits bei den die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 betreffenden Taten bestehender Entschluss zukünftig im Rahmen einer „Gesamthinterziehungstrategie“ Steuern hinterziehen zu wollen, keine prozessuale Tatidentität mit den hier verfahrensgegenständlichen Taten begründen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – 1 StR 103/12, NStZ 2012, 637, 639 Rn. 41). Ohnehin können eine einheitliche Motivationslage oder ein „Gesamtplan“ grundsätzlich nicht unterschiedliche materiell-rechtliche Taten zu einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne zusammenführen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, 19 f. und vom 20. Dezember 1995 – 5 StR 412/95, StV 1996, 432, 433; näher Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 264 Rn. 24 mwN). Liegen – wie hier – mehrere sachlich-rechtlich selbständige Taten vor, bilden diese nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich dann eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern nach den ihnen zugrundeliegenden Ereignissen bei natürlicher Betrachtung unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (siehe nur BGH, Beschluss vom 4. September 2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 103 Rn. 15 mwN).

Diese Voraussetzungen liegen bei tatmehrheitlich begangenen, auf unterschiedliche Veranlagungszeiträume bezogenen Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO desselben Steuerpflichtigen derselben Steuerart regelmäßig schon wegen der in tatsächlicher Hinsicht verschiedenen Tathandlungen durch Abgabe je eigenständiger unrichtiger Steuererklärungen und unterschiedlicher, der Besteuerung unterliegender Lebenssachverhalte nicht vor.“

Ein Versuch war es wert.

Anklageschrift nicht unterschrieben, oder: Macht aber nichts…..

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Manchmal ist man schon erstaunt, dass es Fallkonstellationen, von denen man dachte, diue gibt es nur beim Repetitor, dann doch auch im „wirklichen Leben“ gibt. So ergeht es – mir – beim Lesen des BGH, Beschl. v. 05.12.2017 – 4 StR 323/17, ergangen in einem Verfahren wegen Betruges. Da war die Anklageschrift nicht unterschrieben – und es ist offenbar erst beim BGH aufgefallen. Aber: Macht nix, denn die Sachbearbeiterin bei der StA hat gesagt, dass alles ok ist:

„1. Ein Verfahrenshindernis mit Blick darauf, dass die in den Gerichtsakten befindliche Anklageschrift vom 13. Juni 2016 nicht unterschrieben ist, besteht nicht. Das Fehlen der Unterschrift führt nicht zur Unwirksamkeit der Anklage und damit der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, wenn die Anklage mit Wissen und Wollen des zuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft zu den Akten gereicht worden ist (vgl. RGSt 37, 407, 408; OLG Düsseldorf, wistra 1993, 352; OLG München, wistra 2011, 280; Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 200 Rn. 27; Kuckein, StraFo 1997, 33, 34).

So verhält es sich hier. Denn aus der dienstlichen Stellungnahme der Staatsanwältin vom 23. Oktober 2017 und deren Vermerk vom 20. Oktober 2017 ergibt sich, dass die Akte mit der jeweils unterschriebenen Fassung der Begleitverfügung und der Anklageschrift an die Strafkammer abverfügt wurde; weshalb sodann diese Fassungen in die Zweitakte und die nicht unterschriebenen Fassungen in die Hauptakte geraten sind, konnte nicht mehr aufgeklärt werden. Danach steht aber fest, dass die Anklage mit Wissen und Wollen des zuständigen Beamten erhoben worden ist und somit den Verfolgungswillen der Anklagebehörde dokumentiert (vgl. Schneider in KK-StPO, 7. Aufl., § 200 Rn. 37 mwN).“

Nun, ja. Kein weiterer Kommentar…