Archiv für den Monat: März 2018

Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen – hier haftet der „Einparker“ voll

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich das OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2017 – I-1 U 133/16 – vor. Das OLG entscheidet über einen Verkehrsunfall in Zusammenhang mit dem Rückwärtseinparken in einer Einbahnstraße. Dre Kläger parkt rückwärts ein, dabei kommt es zum Zusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten. Das OLG sagt: Für beide nicht „unabwendbar“, die Gesamtabwägung führt jedoch dazu, dass der Beklagte – zumindest in diesem Fall – voll haftet, und zwar auf der Grundlage folgender Überlegungen/Thesen:

  • Für die Beklagte war das Unfallgeschehen schon deswegen abwendbar, weil sie bei größtmöglicher Vorsicht auf eine Rückwärtsfahrt in der Einbahnstraße hätte verzichten und nach einer Runde um den Berliner Platz den von ihr gewünschten Parkplatz sodann in einer deutlich ungefährlicheren Fahrt in Vorwärtsrichtung hätte erreichen können.
  • Der Beklagten fällt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot, eine Einbahnstraße nur in die vorgeschriebene Fahrtrichtung zu befahren (Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) sowie ein solcher gegen § 9 Abs. 5 StVO zur Last, welche sich die Beklagte zu 2. zurechnen lassen muss.
    • Die Beklagte zu 1. hat durch die Rückwärtsfahrt entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße gegen das Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO verstoßen. denn:
    • Auch wenn das bloße Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen zulässig ist, da es sich insoweit um ein zulässiges Rangieren des Kfz handelt, stellt das Rückwärtsfahren zu einer Parklücke ein Fahren gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung dar.
    • Der Beklagten zu 1. ist zudem ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, jedenfalls aber ein erheblicher Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen.
    • Selbst soweit man die Auffassung vertritt, dass die durch § 9 Abs. 5 StVO geregelte Rückwärtsfahrt mit der erhöhten Aufmerksamkeitsanforderung vor allem dem Schutz des fließenden Verkehrs sowie dem Fußgängerverkehr dient (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, a.a.O., § 9 StVO Rn 67 m.w.N., ebenso Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO Rn. 51 m.w.N.) und deswegen nicht gegenüber den vom Straßenrand Anfahrenden gilt, verbleibt eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 2 StVO seitens der Beklagten zu 1.
  • Dem Kläger ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten als Anfahrendem aus § 10 S. 1 StVO oder auch nur ein Aufmerksamkeitsverschulden nach § 1 Abs. 2 StVO nicht entgegengehalten werden.
    • Nach § 10 StVO muss derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss er sich einweisen lassen. Dies betrifft grundsätzlich auch entgegenkommenden oder rückwärts fahrenden Verkehr (vgl. Senat, Urteil vom 15.05.2012, 1 U 127/11 m.w.N.). Jedoch kann sich derjenige, der verbotswidrig eine Straße entgegen der einzig zugelassenen Fahrtrichtung benutzt, nicht auf eine Schutzwirkung zu seinen Gunsten durch § 10 StVO berufen .
    • Die Beklagten konnten darüber hinaus auch keinen Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 2 StVO nachweisen, weil dieser fahrend mit dem bereits erkennbar sich in Rückwärtsfahrt befindlichen Fahrzeug der Beklagten zu 1. kollidiert wäre.

Das führt(e) dann zu folgenden Leitsätzen:

  1. Durch das Vorschriftzeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. § 41 Abs. 1 StVO ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der allein zugelassenen Fahrtrichtung untersagt.
  2. Wer in einer Einbahnstraße in Fahrtrichtung vom Fahrbahnrand anfährt, muss nicht damit rechnen, dass ihm ein Kraftfahrzeug entgegen kommt. Im Falle einer Kollision besteht daher kein Anschein für ein Verschulden des vom Fahrbahnrand Anfahrenden, § 10 StVO.
  3. Dessen Mithaftung ist nur gerechtfertigt, wenn der Rückwärtsfahrer dem Anfahrenden ein unfallursächliches Aufmerksamkeitsverschulden nachweisen kann.

Ich habe da mal eine Frage: Kann ich die ersparten Fahrtkosten gegen Grund-/Verfahrensgebühr gegenrechnen?

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Und dann haben wir vor dem Wochenende noch das Gebührenrätsel mit einer Frage, die schon etwas länger in meinem Ordner schlummert:

Hallo Herr Burhoff. Es ist Freitag und es stellt sich mir die Frage, warum immer nur die anderen die Gebühren Fragen beantworten sollen.

Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen, deren Beantwortung ich bislang vergeblich gesucht habe.

Es geht um Folgendes:

Ich verteidige als Pflichtverteidiger in einem Verfahren. Ich bin erst nachträglich beigeordnet worden hierfür ist ein anderer Kollege entpflichtet worden. In dem Beschluss heißt es: „Rechtsanwalt PP. wird als Pflichtverteidiger bestellt (…) und keine Mehrkosten entstehen.“

Es geht mir um die Passage mit den Mehrkosten. Ich denke, dass das Gericht meint, dass ich weder die Verfahrens noch die Grundgebühr abrechnen darf, da der entpflichtete Kollege diese geltend machen kann, was bislang nicht geschehen ist.

Es handelt sich bei dem Verfahren um ein lang angelegtes Umfangsverfahren mit zahllosen Terminen hier in D1. Der entpflichtete Kollege kam aus D2. und war in der Lage, erhebliche Fahrtkosten abzurechnen. Da ich aus D1. komme wird das Verfahren zukünftig nicht mit den Fahrtkosten des Kollegen aus D2. belastet werden. Dies bedeutet, dass das Verfahren bezogen auf die Fahrtkosten auf jeden Fall für den Staat nunmehr kostengünstiger verlaufen wird. Diese Einsparung führt dazu, dass dem Staat keine Mehrkosten entstehen werden, selbst wenn ich die Verfahrensgebühr und die Grundgebühr abrechnen würde.

Kurzum: Kann ich die Grund- und Verfahrensgebühr trotzdem abrechnen?“

Verfahrensgebühr für die Berufung, oder: Wenig Mühe gemacht……

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Und als zweite Entscheidung dann der (unerfreuliche) AG Köthen, Beschl. v. 12.03.2018 – 5 Ds 393 Js 803/17 (33/17). Zu dem teilt mir der Kollege Gregor aus Aken, der ihn mir geschickt hat, mit:

„Zur Vorgeschichte: Ich hatte gegen ein Urteil Berufung eingelegt, durch dass mein Mdt. zu 4 Monaten FS ohne Bewährung verurteilt wurde. Dadurch drohte auch der Widerruf zweier Bewährungen (1 Jahr FS und 4 Monate FS). Zur Vorbereitung des Berufungstermins gab es mit dem Mandanten und v. a. dessen Betreuer mehrere Gespräche, um die Zeit zu nutzen. Das war erfolgreich, denn ich hatte die Berufung auf das Strafmaß – sprich Bewährung – beschränkt, die dann auch „gewährt“ wurde. Kosten und notwendige Auslagen zu Lasten der Staatskasse.

Dann habe ich bei der Verfahrensgebühr die Mittelgebühr beantragt, die mir die Bezirkksrevisorin auf 200,00 € gekürzt hat. Begründung: deutlich unterdurchschnittliche Angelegenheit. Vielleicht sehe ich es ja auch verkehrt, aber ich habe dann zum einen meinen Arbeitsaufwand dargestellt, der vor allem in wiederholten Beratungen lag. Außerdem habe ich ausgeführt, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung für einen Menschen micht deutlich unterdurchschnittliche Bedeutung hat, sondern wohl überdurchschnittlich. Denn mehr als seine Freiheit kann ihm der Staat nicht nehmen. Außerdem hängen da ja noch andere Folgen dran wie Verlust Arbeitsplatz, Wohnung etc.“

In dem Beschluss – eher ein Beschlüsschen :-), da man von den Argumenten des Kollegen dort nichts wiederfindet, heißt es kurtz und knapp:

„Die geltend gemachte Gebühr W 4124 RVG ist lediglich in Höhe von 200,00 € als erstattungsfähig anzusehen. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit jm Rechtssinne ist vorliegend nicht mit einer üblichen Berufung gleichzusetzen. Die vom Verteidiger vorgetragene Begründung, wonach ein höherer Gebührenbetrag gerechtfertigt sei, mag nicht überzeugen. Die Bezirksrevisorin weist nach Auffassung des Gerichtes zu Recht darauf hin, dass es sich bei den vom Verteidiger in seiner Stellungnahme aufgeführten Tätigkeiten vorwiegend um Gespräche mit dem Betreuer handelt. Diese begründen jedoch keine durchschnittliche Tätigkeit im gebührenrechtlichen Sinn.“

Der Kollege wird ins Rechtsmittel gehen. m.E. zu Recht. Denn die Kriterien des § 14 RVG sind nicht ausreichend beachtet. Abgestellt wird lediglich auf die Schwierigkeit und auf mehr nicht….. Was schreibt man da nicht. Fast hätte ich geschrieben: Typisch Rechtspfleger, aber das wäre sicherlich nicht angemessen, da es auch andere – besser begründete – Entscheidungen gibt….. Vielleicht passt: wenig Mühe gemacht besser?

Einziehung/Verfall, oder: Wertgebühr über 80.000 EUR Gegenstandswert oder Rahmengebühr?

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So, es ist Gebührenfreitag und damit stehen gebührenrechtliche Entscheidungen an. Zum Glück habe ich zwei – gerade gestern „rein gekommen“. Fangen wir mit dem OLG Köln, Beschl. v. 28.02.2018 – 2 Ws 73/18 –  an. Es geht um eine Frage in Zusammenhaag mit der Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Und zwar wird der Angeklagte durch ein landgerichtliches Urteil wegen Verstößen gegen das BtMG verurteilt. Ferner wird gegen ihn der Wertersatzverfall – es geht noch um „altes Recht“ – in Höhe von 80.000 EUR angeordnet. Nachdem das Urteil zunächst rechtskräftig geworden war, hebt der BGH auf die Revision eines Mitangeklagten des Angeklagten das Urteil teilweise auf; die Teilaufhebung erstreckte sich auch auf die gegen den Angeklagten ausgesprochene Verurteilung. Nicht betroffen von der Teilaufhebung waren jedoch vier gegen den Angeklagten verhängte Einzelstrafen sowie die gegen ihn getroffene Wertersatzverfallsanordnung.

Die nach Teilaufhebung und Zurückverweisung der Sache durch den BGH befasste Strafkammer des LG Aachen stellt das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses ein. Der Verteidiger des Angeklagten beantragt dann die Einstellung der Vollstreckung aus der Verfallsanordnung und eine entsprechende Mitteilung an die niederländischen Behörden, die u.a. die Vollstreckung des Wertersatzverfalls zwischenzeitlich übernommen hatten. Die StA Aachen weist das Begehren mit der Begründung zurück, die Verfallsanordnung sei als rechtskräftige Nebenentscheidung von dem Einstellungsbeschluss des LG Aachen nicht erfasst. Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der keinen Erfolg hat. Die sofortige Beschwerde hat dann beim OLG Erfolg. Das OLG hat der Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Der Verteidiger macht dann eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG aus einem Gegenstandswert von 80.000 EUR geltend. Die wird nicht gewährt. Dagegen dann die Beschwerde, die keinen Erfolg hat:

„Die Einziehungsgebühr (Nr. 4142 VV RVG) ist für die mit Antragsschrift vom 11.01.2017 eingeleitete Tätigkeit des Verteidigers des Beschwerdeführers, mit dem die Einstellung der Vollstreckung aus der Verfallanordnung sowie eine entsprechende Unterrichtung der niederländischen Behörden begehrt worden ist, nicht angefallen. Nach der Anmerkung im Abs. 3 zu VV 4142 VV RVG entsteht die Einziehungsgebühr für das Verfahren des ersten Rechtszuges einschließlich des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren Rechtszug jeweils gesondert (vgl. NK-GK/Stollenwerk, 2. Aufl.,VV RVG Nr. 4141-4147, Rn. 29). Die anwaltliche Tätigkeit ist vorliegend jedoch erst nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens und damit nicht in einem „weiteren Rechtszug“ im Sinne von Nr. 4142 Abs. 3 VV RVG entfaltet worden. Die nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorgenommenen Bemühungen stellen Tätigkeiten im Rahmen der Strafvollstreckung dar und könnten damit nach Teil 4 Abschnitt 2 (Gebühren in der Strafvollstreckung) zu vergüten sein. Ob vorliegend eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4204 VV RVG zzgl. Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer angefallen ist, hatte der Senat im Hinblick auf den zu Grunde liegenden Festsetzungsantrag jedoch nicht zu prüfen, wobei sich der aus der Senatsentscheidung vom 27.10.2017 ergebende Kostenerstattungsanspruch ohnehin nur auf die im Beschwerdeverfahren 2 Ws 283/17 angefallenen Kosten bzw. Auslagen bezieht.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen lässt sich den Bestimmungen des RVG nicht entnehmen, dass die nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens vorgenommene Tätigkeit des Verteidigers im Zusammenhang mit der Vollstreckung des Wertersatzverfalls eine Einziehungsgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG auslösen würde. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen daraus, dass im Rahmen der Strafvollstreckung ein Rechtsmittelverfahren durchgeführt wurde, der Beschwerdeführer mit dem von ihm eingelegten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde erfolgreich war und ihm insofern die Erstattung der im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zugesprochen wurde. Auch insofern ist nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens kein weiterer Rechtszug im Sinne der Ausführungen in Abs. 3 der Nr. 4142 VV RVG eröffnet worden und damit keine Einziehungsgebühr im Sinne der vorstehenden Bestimmung angefallen.

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen im Verteidigerschriftsatz vom 05.02.2018, wonach durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betreffend der Urteilsaufhebung und Zurückverweisung ein neuer Rechtszug im Sinne des § 21 RVG eröffnet worden sei und die Gebühren der unteren Instanz somit neu entstehen würden. Denn die für den Anfall der Gebühr gemäß 4142 VV RVG maßgebliche Frage eines Wertersatzverfalls war nicht Gegenstand der Teilaufhebung durch den Bundesgerichtshof und damit auch nicht des nach Zurückverweisung durchgeführten weiteren Verfahrens vor dem Landgericht Aachen.“

M.E. richtig. Denn: Die erbrachten Tätigkeiten sind nicht mehr im Erkenntnisverfahren erbracht. Also findet Teil 4 Abschnitt 1 Vv RVG und die Nr. 4142 VV RVG keine Anwendung. Es handelt sich vielmehr um eine sonstige Tätigkeit im Rahmen der Strafvollstreckung, also nach Nr. 4204 VV RVG. Wird den Verteidiger nicht freuen, denn die Gebühr Nr. 4142 VV RVG ist als Wertgebühr natürlich interessanter 🙂 .

Unverständlich ist für mich, dass das OLG die entstandenen Gebühren nicht festsetzt, sondern nur sagt: Könnte entstanden sein, war aber nach dem Antrag nicht festzusetzen. Leuchtet nicht ein, wobei mir die Rechtsprechung zum „Austausch von Positionen“ im Kostenfestsetzungsverfahren bekannt ist. Aber, was soll das? Jetzt geht das Ganze wieder von vorn los. Eine praktische – verfahrensbeendende – Lösung ist das nicht.

Pflichti III: Freispruch und dagegen Berufung der StA, oder: Pflichtverteidiger?

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Und zum Abschluss dann noch den OLG Hamm, Beschl. v. 05.09.2017 – 1 Ws 411/17. Problematik: Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Berufungsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat. Normalerweise wird dann ja beigeordnet, hier jedoch nicht:

„Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, unerlaubt Betäubungsmittel besessen zu haben. Bei einer polizeilichen Kontrolle sei bei dem Angeklagten ein Tütchen mit 0,54 g MDMA vorgefunden worden, wobei der Angeklagte nicht im Besitz betäubungsmittelrechtlicher Erlaubnisse sei. Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten am 29.03.2017 freigesprochen. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der Berufung. Sie wandte ein, das Amtsgericht habe den Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt. In der Berufungshauptverhandlung vom 06.07.2017 stellte der Angeklagte den Antrag, seinen Wahlverteidiger als notwendigen Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen. Diesen Antrag wies das Landgericht mit der Begründung zurück, dass der Sachverhalt überschaubar sei und weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweise. Auch im Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß – im Strafbefehlswege waren zuvor 40 Tagessätze festgesetzt worden – lägen die Voraussetzungen für eine Beiordnung nicht vor. Das Verfahren wurde sodann ebenfalls durch weiteren Beschluss gemäß § 153a StPO gegen eine Arbeitsauflage vorläufig eingestellt. Gegen die Ablehnung der Beiordnung wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 25.07.2017. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16.08.2017 nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Beschwerde beantragt.

II. …….

Das Landgericht hat zu Recht eine Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt, da weder ein in § 140 Abs. 1 StPO genannter Fall notwendiger Verteidigung vorliegt noch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO gegeben sind. Nach letztgenannter Vorschrift bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen unter anderem dann einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat diese Regelung dahin konkretisiert, dass dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn die Staatsanwaltshaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat und eine Verurteilung aufgrund abweichender Beweiswürdigung oder sonst unterschiedlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage erstrebt (vgl. Schmitt a.a.O., § 140 Rn. 26a m.w.N.).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die – zwingende – Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen derzeit nicht vor. Zwar besteht in Verfahrenskonstellationen der vorliegenden Art – Freispruch des Angeklagten im ersten Rechtszug und Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten – in der Regel Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, weil sie dokumentiert, dass zwei mit der Strafverfolgung betraute Stellen über die Beurteilung der Sach- oder Rechtslage unterschiedlicher Auffassung sind und für den – freigesprochenen – Angeklagten das Risiko einer Verurteilung im Berufungsrechtszug besteht. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Rechtliche Schwierigkeiten, auf die ein großer Teil der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, 336; OLG Bremen, NJW 1957, 151; OLG Hamm, NZV 1989, 244) maßgeblich abstellt, bestehen derzeit nicht. Zweck der Beiordnung ist, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensabschluss gewährleistet ist. In tatsächlicher Hinsicht ist die Sachlage derzeit einfach und übersichtlich. Das Verfahren ist – wenn auch nur vorläufig – gemäß § 153a StPO eingestellt. Der Angeklagte hat es selbst in der Hand mit der Ableistung der ihm auferlegten Arbeitsstunden die endgültige Einstellung des Verfahrens herbeizuführen. Für den Angeklagten steht damit aktuell eine Verurteilung nicht im Raum. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Verfahren nach Erfüllung der Auflage endgültig eingestellt wird. Bei dieser Sachlage besteht kein Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Erst dann, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens wegen Nichterfüllung der Auflage nicht erfolgt und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird, bestünde gegebenenfalls Anlass einen Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen.“

Man beachte das „derzeit“.