Archiv für den Monat: November 2017

Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten, oder: Wo wohnt der Empfänger?

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

Im „Kessel Buntes“ befindet sich dann heute zunächst das OLG München, Urt. v. 18.10.2017 – 7 U 530/17 –, in dem es um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten geht. Es handelt – wie man an dem Aktenzeichen sieht – um eine im Zivilverfahren ergangene Entscheidung, die aber, da über § 36 StPO, die ZPO-Vorschriften auch im Straf- und Bußgeldverfahrenvon Bedeutung sind, darüber hinaus Bedeutung hat.

Der Entscheidung liegt folgenden Sachverhalt zugrunde: In einem Zivilverfahren war in der Klageschrift als Anschrift des Beklagten die G.-Str. 46c in R. angegeben. Die Klage ist nach der Postzustellungsurkunde am 16.02.2016 auch unter dieser Anschrift vom Postzusteller in den Hausbriefkasten eingelegt worden. Der Beklagte hat im Verfahren nicht reagiert. Es ist daher am 09.93.2016 im schriftlichen Vorverfahren gegen ihn Versäumnisurteil ergangen. Dieses wurde dem Klägervertreter am 22.03.2016 zugestellt. Beim Beklagten wurde es laut Postzustellungsurkunde am 22.03.2106 in der G.-Str. 4 c in R., in den Hausbriefkasten eingelegt. Am 22.12.2016 hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt. Das LG hat diesen und einen Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, die Erfolg hatte:

„Eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (und damit auch die Möglichkeit der Zustellung durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten, § 180 ZPO) ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16.6.2011 – III ZR 342/09, zitiert nach juris, dort Rz. 13). Nach dem Prozessstoff ist aber davon auszugehen, dass der Beklagte am 22.3.2016 nicht mehr unter der angegebenen Anschrift in R. wohnte.

1. Der Kläger hat schon zeitgleich mit der Klage im Antrag auf öffentliche Zustellung der Klage vorgetragen, dass der Aufenthalt des Beklagten unbekannt sei und sich nicht habe ermitteln lassen (was impliziert, dass er nicht mehr unter der in der Klageschrift angegebenen Anschrift wohnte). Dem ist der Beklagte zu keiner Zeit entgegen getreten. Daher ist unstreitig, dass der Beklagte schon bei Klageerhebung und auch später nicht mehr in R. wohnte. Da die Zulässigkeit des Einspruchs zwar von Amts wegen, aber nach dem Beibringungsgrundsatz auf der Basis des unstreitigen oder bewiesenen Prozessstoffs zu beurteilen ist, ist dieser unstreitige Befund zugrunde zu legen.

2. Nichts anderes ergibt sich aus den sonstigen den Akten zu entnehmenden Befunden.

a) Die Postzustellungsurkunde vom 22.3.2016 erbringt nur Beweis dafür, dass das Versäumnisurteil in den Hausbriefkasten unter der genannten Anschrift eingelegt wurde, nicht aber dafür, dass der Beklagte tatsächlich dort wohnte.

b) Der Kläger hat als Anlagen zur Klage Meldeamtsauskünfte (wonach der Beklagte „verzogen“ ist) und eine Auskunft der gegen den Beklagten ermittelnden Staatsanwaltschaft (wonach der Aufenthalt des Beklagten dort unbekannt war) vorgelegt. Dies zwingt zu der Überzeugungsbildung, dass der Beklagte im Zustellungszeitpunkt keine Wohnung mehr unter der genannten Anschrift in R. hatte.

Zwar hat die melderechtliche An- und Abmeldung für die Frage einer zustellungsrechtlichen Wohnung regelmäßig keine unmittelbare Aussagekraft (vgl. BGH, Urteile vom 24.4.1977 – II ZR 1/76, zitiert nach juris, dort Rz. 11; vom 24.11.1977 – III ZR 1/76, zitiert nach juris, dort Rz. 11, 12). Der Tatsache einer Abmeldung beim Einwohnermeldeamt kann aber eine gewisse indizielle Bedeutung für die Frage des tatsächlichen Wohnsitzes nicht abgesprochen werden. Maßgeblich für die Aufgabe der zustellungsrechtlichen Wohnung ist ein (für den objektiven Beobachter) nach außen erkennbarer Akt (BGH, Beschluss vom 22.10.2009 – IX ZB 248/08, zitiert nach juris, dort Rz. 21). Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, insbesondere Dauer der Abwesenheit, Kontakt zu den in der Wohnung Verbliebenen und Möglichkeit der Rückkehr (BGH, III ZR 1/76, a.a.O. Rz. 12). Vorliegend lässt sich die Abmeldung als nach außen erkennbarer Akt der Wohnungsaufgabe deuten. Ferner hat der Beklagte vorgetragen, dass er sich nach Österreich abgesetzt habe, weil er sich bedroht gefühlt habe; zuvor habe er seine Familie in Sicherheit gebracht. Das spricht für eine gewisse Dauer der geplanten Abwesenheit und dafür, dass niemand in der Wohnung verblieb bzw. kein Kontakt mehr zu den in der Wohnung Verbliebenen bestand. Auch war (aus Sicht des Beklagten wegen des Bedrohungsgefühls, aus objektiver Sicht wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens) seine Absicht und Möglichkeit der Rückkehr höchst eingeschränkt. Auch die Umstände des Einzelfalles sprechen daher für eine Aufgabe der Wohnung in R.

c) Dem Beklagten ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Zustellung zu berufen. Ein dem Beklagten zurechenbarer Rechtsschein, etwa durch Nichtentfernung des Briefkastens oder dessen Beschriftung bei Auszug, genügt für die Annahme einer ordnungsgemäßen Zustellung nicht (BGH. Urteil vom 16.6.2011 – III ZR 342/09, zitiert nach juris, Rz. 13). Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Zustellungsempfänger einen Zustellungsmangel geltend macht, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, etwa durch wiederholte wahrheitswidrige Bezeichnung der Zustellanschrift als seinen Lebensmittelpunkt (BGH, a.a.O. Rz. 15 m.w.Nachw.). Letzteres ist vorliegend schon deshalb nicht anzunehmen, weil sich der Kläger bei Verfahrensbeginn nicht in einem solchen Irrtum befand, wie sein Antrag auf öffentliche Zustellung zeigt.“

Ich habe da mal eine Frage: Lag ich falsch mit meinem Gegenstandswert für die Einziehung?

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Im Moment kommen eine ganze Menge Anfragen wegen der Nr. 4141 VV RVG und damit zusammenhängender Probleme. So auch folgende:

„Hallo Herr Kollege Burhoff,

ich habe in pp. bei einer PV die Gebühr 4142 beantragt. In der Anklage wurde meinem Mandanten vorgeworfen, vom Jobcenter 984 € zuviel erhalten zu haben, da er seinen Verdienst nicht angegeben hat.

Aufgrund meiner Besprechung mit dem Mandanten hatte er im Termin 900 € dabei, die er mir zwecks Überweisung übergeben wollte. Letztlich bestand jedoch nur noch ein Rückstand in Höhe von 486 €. (Zeugenaussage im Termin)

Die Richterin erteilte dann noch den rechtlichen Hinweis, daß eine Einziehung in Betracht käme, aber bereits erfüllt wurde.

Ich rechnete die Gebühr nach 4142 mit einem Gegenstandswert von 894 € ab. Die Bezirksrevisorin teilte mit, die Gebühr sei nicht entstanden.

Ich führte darauf hin aus, dass sowohl eine Besprechung mit dem Mandanten (sichtbar durch Geldübergabe im Termin), als auch Besprechung im Gerichtstermin, die Gebühr angefallen sei. Ich verwies hier mal wieder auf Ihren Kommentar. 🙂

Jetzt erhalte ich eine erneute Stellungnahme, sie wäre mit der Erstattung der Gebühr einverstanden, aber nur mit einem Gegenstandswert von 486 €.

Was meinen Sie, lag ich falsch mit meinem Gegenstandswert?“

Ist auf den Anwaltsvertrag ggf. das Fernabsatzrecht anwendbar?

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So, und dann die angekündigte gebührenrechtliche Entscheidung 🙂 . Ich weise hin auf das AG Brandenburg, Urt. v. 13.10.2017 – 31 C 244/16. Das behandelt ein Problem, das die Rechtsprechung im Moment beschäftigt, nämlich die Frage, ob auf den Anwaltsvertrag die Regelungen des Fernabsatzrechts anzuwenden sind oder nicht. Das haben das LG Bochum und das AG Charlottenburg vor kurzem verneint (vgl. LG Bochum RVGreport 2017, 91 = AGS 2017, 370; AG Berlin-Charlottenburg NJW-RR 2016, 184), das AG Düsseldorf hat es hingegen bejaht (vgl. AnwBl. 2017, 92). Das AG Brandenburg geht in seiner Entscheidung auch von der Anwendbarkeit aus, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Geklagt hatte ein Rechtsanwalt. Der verlangte von der Beklagten Zahlung von Rechtsanwaltsvergütung. Die Ehefrau des Beklagten war mit dem Fahrzeug ihres Ehemannes am 27.02.2016 in B. in einen Verkehrsunfall verwickelt. Am Morgen des 29.02.2016 wurde der Beklagte dann zusammen mit seiner Ehefrau im „Autohaus pp.“ in N. ein Mietfahrzeug zur Verfügung gestellt. Anlässlich dieses Termins füllte der Beklagte dann auch Unterlagen hinsichtlich der Reparatur des Unfallfahrzeuges und der Anmietung des Mietfahrzeuges aus und hat diese unterzeichnet. Durch den Mitarbeiter des Autohauses wurden die Personalien des Beklagten und seiner Ehefrau und deren Mobil-Telefonnummer mitaufgenommen. Der Mitarbeiter des Autohauses in N. empfahl dem in Br. wohnenden Beklagten dann noch, den Kläger, der sein Büro in H. hat, als Rechtsanwalt zu beauftragen. Der Kläger übersandte noch am 29.2.2016 per Telefax um 11:44 Uhr an das „Autohaus pp.“ eine vorgedruckte „Prozessvollmacht“ des Klägers mit den eingefügten Personalien des Beklagten und der Unfallgegnerin. Diese vorgedruckte und ausgefüllte „Prozessvollmacht“ des Klägers unterzeichnete der Beklagte noch im Autohaus. Mit Schreiben vom 29.2.2016 bestätigte der Kläger gegenüber dem Beklagten und seiner Ehefrau die Übernahme des Mandats und zeigte mit Schriftsatz vom gleichen Tag gegenüber der Versicherung der Unfallgegnerin unter Beifügung der auf ihn lautenden Vollmacht an, dass er die Interessen des Beklagten vertrete. Am 1.3.2016 teilte die Ehefrau des Beklagten dann dem Büro des Klägers telefonisch um 11:15 Uhr mit, dass sie doch keine Vertretung durch den Kläger wünsche, sondern einen Kollegen in ihrer Heimatstadt beauftragen wolle. Mit einer E-Mail vom 1.3.2016 um 13:17 Uhr entzog die Ehefrau des Beklagten dem Kläger das Mandat und teilte dem Kläger mit, dass sie einen Rechtsanwalt in ihrer Stadt beauftrage. Der Kläger rechnete mit Kostennote vom 2.3.2016 nach bei einem Geschäftswert von 6.879 EUR eine Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und MwSt. i.H.v. insgesamt 650 EUR brutto gegenüber dem Beklagten ab. Am 10.3.2016 meldete sich dann der vom Beklagten beauftragte Rchtsanwalt beim Kläger und erklärte diesem im Namen des Beklagten, dass eine „konkrete Mandatierung“ des Klägers durch den Beklagten nicht erfolgt sei. Der Beklagte hat in der Folgezeit nicht gezahlt. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das AG Brandenburg sagt: Auch ein Anwaltsvertrag kann ein Fernabsatzvertrag sein, der ein Widerrufsrecht begründet. Zwar sei nicht jeder Anwaltsvertrag, bei dem zwischendurch telefoniert werde oder Mails bzw. Telefaxe verschickt werden, ein Fernabsatzvertrag. Das Gesetz verlange ein erkennbares System der Akquise und/oder der Abwicklung des Anwaltsvertrages über die Distanz der Fernkommunikationsmittel. Zur Anwendung des Fernabsatzrechts genüge es aber, wenn der Rechtsanwalt seinen Betrieb so organisiere, dass Verträge mit Verbrauchern regelmäßig auch im Fernabsatz abgeschlossen und abgewickelt werden könnten. Werde ein Anwaltsvertrag mit einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 312c BGB) abgeschlossen und bediene sich der Rechtsanwalt in der Folge dieser Fernkommunikationsmittel auch zur Leistungserbringung, so könne das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages nicht verneint werden. Voraussetzung hierfür sei nur, dass sich der Rechtsanwalt Techniken der Kommunikation systematisch zu Nutze mache, um seine Geschäfte insgesamt als Distanzgeschäfte abzuwickeln. Vorliegend seien die Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln durchgeführt worden.

Also: Vorsicht:

Beweiswürdigung, oder: Wenn eine Vertrauensperson etwas gehört hat

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Heute ist ja an sich Gebührentag. Leider reicht mein Material aber nur für eine gebührenrechtliche Entscheidung, die ich dann heute Mittag vorstelle. Vorher bringe ich dann den BGH, Beschl. v. 07.09.2017 – 1 StR 329/17. In ihm nimmt der BGH noch einmal zur Frage der Beweiswürdigung bei Angaben von Vertrauenspersonen Stellung.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren Raubes verurteilt. Der Angeklagte hatte die Tat bestritten hat. Das LG stützt seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben einer Vertrauensperson, die diese gegenüber einem Kriminalbeamten gemacht hat. Der hatte erklärt, eine von ihm geführte Vertrauensperson habe berichtet, sie habe gehört, dass der Angeklagte das Uhrengeschäft überfallen habe, nachdem ein Mittäter bereits vorher das Geschäft betreten habe. Dieselbe Vertrauensperson habe zudem später telefonisch mitgeteilt, dass der Angeklagte plane, am 8. Mai 2016 die S. -Tankstelle in Er. zu überfallen, was sich als zutreffend erwiesen habe. Das LG hat die Angaben der Vertrauensperson aufgrund weiterer Indizien als bestätigt angesehen. Dem BGH reicht die Beweiswürdigung des LG nicht:

„3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unter-laufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergeb-nis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert ge-wertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, NStZ-RR 2017, 223).

4. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Land-gerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft, da das Landgericht sich nicht mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinan-dergesetzt hat. Zudem hat es die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und die einzelnen Beweisergebnisse nicht in eine umfassende Gesamt-abwägung eingestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte, die für und gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sprechen, schon die Anforderungen an eine Gesamtwürdigung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.

a) Das Landgericht ist im Ansatz hinsichtlich der mittelbar eingeführten Angaben der Vertrauensperson zwar zutreffend von einem lediglich eingeschränkten Beweiswert ausgegangen und hat gesehen, dass die Bekundungen äußerst sorgfältig und zurückhaltend zu würdigen sind und durch andere ge-wichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926 Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 je-weils mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a f.; KK-StPO/Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 29a). Es hat diese Beweisanzeichen jedoch nicht unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt…………….“

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, so nicht und jetzt nicht mehr

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas für Verkehrsrechtler, nämlich den LG Koblenz, Beschl. v. 10.10.2017 – 3 Qs 84/17. Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Verfahren wegen eines gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB). Begangen haben sollte der Beschuldigte den am 03.01.2017. Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 30.08.2017 wurde, nachdem das Gericht dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis erteilt hatte, dass eine Strafbarkeit nur nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB in Betracht komme, dann gem. § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Eine Begründung des Beschlusses erfolgte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht. Die Hauptverhandlung wurde sodann ausgesetzt.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Koblnez Erfolg hat. Dem LG gefällt die „Begründung“ der Entscheidung und nicht und hat Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit:

„Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Denn gemäß § 34 StPO sind die mit einem Rechtsmittel angreifbaren Entscheidungen zu begründen. Dazu reicht im Falle der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO die knappe Mitteilung des Sachverhalts, seine strafrechtliche Würdigung und die Angabe der Gründe, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (vgl. LG Zweibrücken, Beschluss vom 17.09.2010, Qs 94/10,-juris).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss – auch unter Berücksichtigung der Nichtabhilfeentscheidung sowie des Ergänzungsbeschlusses – vorliegend jedoch nicht gerecht. Denn der der Entscheidung zugrunde gelegte Lebenssachverhalt wurde bisher überhaupt nicht mitgeteilt. Die bloße Bezugnahme auf die nach Auffassung des Gerichts anwendbaren Rechtsnormen genügt insoweit nicht. Die in dem Ergänzungsbeschluss mitgeteilte rechtliche Würdigung entspricht darüber hinaus weder derjenigen in dem Strafbefehl vom 31.05.2017 noch dem rechtlichen Hinweis in der Hauptverhandlung vom 30.08.2017. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, von welchem Lebenssachverhalt das Amtsgericht bei Beschlusserlass ausgegangen ist.

Das Fehlen einer hinreichenden Begründung stellt auch einen gewichtigen Verfahrensmangel dar. Zum einen erschwert es dem Angeklagten eine sachgerechte Anfechtung der Entscheidung. Zum anderen ist es der Kammer hierdurch verwehrt, die Gründe der angefochtenen Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Die fehlende Überprüfungsmöglichkeit würde im Ergebnis auf eine Kompetenzverlagerung hinauslaufen, da die Kammer praktisch in erster Instanz tätig werden und entscheiden müsste. Eine solche Kompetenzverlagerung kommt – da sie mit dem Verlust einer Instanz für den Angeklagten verbunden wäre – nicht in Betracht.

Der angefochtene Beschluss war daher bereits aufgrund seiner unzureichenden Begründung aufzuheben.

Im Übrigen erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht gerecht. Zwar kann grundsätzlich die Fahrerlaubnis auch Verfahrensabschnitt vorläufig nach § 111a StPO entzogen werden. Bei einer vorläufigen Entziehung erst längere Zeit nach der Tatbegehung ist jedoch, da es sich bei § 111a StPO um eine Eilentscheidung handelt, besonders sorgfältig die Einhaltung und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen (OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2001 – 2 Ws 304/01). Dabei ist insbesondere die Schwere des Verkehrsverstoßes und der Grad der von dem Täter ausgehenden Gefahr einerseits sowie das Ausmaß einer etwaigen Verfahrensverzögerung, die Dauer des Zeitablaufs und die – etwaigen beruflichen – Belange des Angeklagten andererseits gegeneinander abzuwägen.

Nach Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber nicht verhältnismäßig. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lag die angeklagte Tat bereits nahezu 9 Monate zurück. Der Tatvorwurf erscheint – gegenüber der ursprünglich im Strafbefehl getroffenen Annahme – nach der durchgeführten Hauptverhandlung auch weniger schwerwiegend. Entgegen der rechtlichen Würdigung im Strafbefehl geht das Amtsgericht Mayen nach dem Ergänzungsbeschluss vom 22.09.2017 nämlich selbst „nur“ noch von einer Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Konstellation) aus. Der 53-jährige Angeklagte, der seine Fahrerlaubnis auch zur Ausübung seiner nebenberuflichen Tätigkeit nutzt, ist bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Auch sein Fahreignungsregister enthält keine Eintragungen. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war auf dieser Grundlage nicht geboten.“