Archiv für den Monat: Juni 2017

„Sie sind schlimmer als Roland Freisler“, erlaubt/“noch hinnehmbar“?, aber: Was bringt es?

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In den vergangenen Tagen ist in Zusammenhang mit dem Tod von Helmut Kohl viel auch über dessen Goebbels-Vergleich betreffend M. Gorbatschow berichtet worden. Das hat damals für viel Aufregung gesorgt. Einiges an Aufregung in den Blogs hat dann jetzt der OLG München, Beschl. v. 31.05.2017 –  5 OLG 13 Ss 81/17 gebracht. In dem geht es um einen „Roland Freisler“- Vergleich. Auch der ist als „Un-Person“ der Geschichte bekannt, häufig auch als „Blutrichter“ benannt. Wir alle kennen seinen „Auftritt“ im Zusammenhang mit den Verfahren gegen die Attentäter des 20. Juli.

Ein Kollege hatte vor einiger Zeit in einem Klageerzwingungsverfahren, das beim OLG München anhängig war, in einer Anhörungsrüge, ausgeführt:

„Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich bean¬spruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider.“.

Wegen dieser Passage, mit der im Grunde gesagt wird: Sie sind schlimmer als Roland Freisler, ist der Kollege vom AG und LG München wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt worden. Das OLG München hebt auf die Revision hin aber auf und spricht frei.AG und LG hatten die o.a. Äußerungen als Werturteile angesehen, die nicht über § 193 StGB gerechtfertigt seien. Anders das OLG.  Das sieht im Rahmen der  erforderlichen Gesamtabwägung die Voraussetzungen der Äußerung im „Kampf ums Recht“ erfüllt:

b) Bei Kritik an richterlichen Entscheidungen steht im Rahmen dieser Gesamtabwägung dem vom Bundesverfassungsgericht (vgl. etwa BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304) betonten Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, die Ehrverletzung der Richter gegenüber. Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung muss diese Beeinträchtigung (sofern keine Schmähkritik vorliegt) gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit grundsätzlich dann zurücktreten, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient (vgl. BayObLGSt 2001, 92, 100). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten (BayObLGSt 2001, 92, 100; OLG Naumburg, StraFo 2012, 283f.).

„b) Nach diesen Maßstäben ist das Handeln des Angeklagten auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nach § 193 StGB noch gerechtfertigt.

Der Angeklagte stellt im Rahmen seiner Ausführungen dar, wodurch sich das Verhal¬ten Freislers von dem der Geschädigten unterscheidet, und führt aus, dass das durch die Geschädigten begangene Unrecht noch schwerwiegender sei als das von Freisler begangene Unrecht. Im Kern ist das „nur“ der Vorwurf sehr großen Unrechts und willkürlichen, rechtsbeugenden richterlichen Handelns durch den 2. Strafsenat. Der Vorwurf ferner nicht gegen die Richter als Personen, sondern gegen den gesamten Senat als Entscheidungsträger gerichtet (vgl. UA S. 134/135; zur Bedeutung dieses Umstandes s. BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992, 1 BvR 1770/91, zitiert nach juris, dort
Rdn. 25 und OLG Frankfurt vom 20.03.2012 aaO Rdn. 6).

Die Äußerungen des Angeklagten erfolgten im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens, also im „Kampf ums Recht“ (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunktes BVerfG, Beschlüsse vom 29.02.2012, zitiert nach juris, dort Rdn. 15f., und vom 28.07.2014 aaO, dort Rdn. 13, je m. w. N.). Sie erfolgten ausschließlich schriftlich im Rahmen des Verfahrens, ohne dass sie anderen, nicht am Verfahren beteiligten Personen zur Kenntnis gelangen konnten (vgl. hierzu BVerfG vom 29.02.2012 aaO Rdn. 15 und 17). Auch starke und eindringliche Ausdrücke im Rahmen der Kritik an behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen stehen grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG vom 29.02.2012 aaO Rd. 16 und vom 28.07.2014 aaO Rdn. 13, je m. w. N.; Urteil des KG vom 11.01.2010, 1 Ss 470/09, zitiert nach juris, Rdn. 35), ohne dass es darauf ankäme, ob der Angeklagte auch anders hätte formulieren können (BVerfG vom 29.02.2012 aaO Rdn. 16). Der durch die Gleichstellung mit Roland Freister erfolgte Vergleich mit NS-Unrecht führt für sich allein genommen ebenfalls nicht zu einer Strafbarkeit (vgl. die den Entscheidun¬gen des BVerfG vom 05.03.1992 und des OLG Frankfurt vom 20.03.2012, je aaO, zugrundeliegenden Sachverhalte). Kein entscheidender Gesichtspunkt bei der Abwägung ist es ferner (entgegen der Ansicht des Landgerichts, vgl. UA S. 135), dass der Senat „keinerlei Anlass“ für die Äußerungen gegeben hat. Zwar mag es für die Wahrung berechtigter Interessen sprechen, wenn das Handeln der Behörde oder des Ge¬richtes (sogar) rechtswidrig war. Im Übrigen aber ist es für ein Eingreifen von § 193 StGB nicht entscheidend, ob die mit der fraglichen Äußerung kritisierte Entscheidung der Behörden oder Gerichte rechtmäßig war (vgl. zu vergleichbaren Fällen BVerfG vom 05.03.1992 aaO Rdn. 27 und OLG Frankfurt vom 20.03.2012 aaO Rdn. 6f.).

Rechtsfehlerhaft war es schließlich, das Fehlen spontaner Erregung bei dem Angeklagten (vgl. UA S. 135) zu seinen Lasten in die Abwägung einzustellen (vgl. OLG Celle Urteil vom 27. März 2015 Az. 31 Ss 9/15 Zitiert über jurisß Rdn. 41); im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nicht nur als Rechtsanwalt, sondern auch als mittelbar persönlich Betroffener handelte, da er u. a. seine Tochter im Ver-fahren vertrat (vgl. zur Bedeutung dieses Umstandes BayObLGSt 2001, 92ff.).

Es erscheint insgesamt hinnehmbar, den Ehrenschutz in Fällen wie dem vorliegenden im Rahmen der Abwägung zurücktreten zu lassen, weil Richter im Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes einerseits und ihrer privaten Berührtheit andererseits bedenken müssen, dass ihre Entscheidungen für die Betroffenen häufig einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich trotz gegenteiliger Formulierung letzten Endes gar nicht gegen ihre Person oder Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten (vgl. KG vom 11.01.2010 aaO Rdn. 41).“

Und dann abschließend:

„Der Senat bemerkt allerdings ausdrücklich, dass die Entscheidung nicht als Billigung der Äußerung und der Vorgehensweise des Angeklagten missverstanden werden darf. Die Auseinandersetzung mit tatsächlich oder vermeintlich falschen Entscheidun¬gen oder Vorgehensweisen von Behörden hat grundsätzlich allein mit den Mitteln zu erfolgen, die die jeweiligen Verfahrensordnungen zur Verfügung stellen, ohne dass Anlass und Raum für verletzende und kränkende, die gebotene sachliche Atmosphäre lediglich vergiftenden Angriffe auf die handelnden Personen bliebe. Strafbar ist das Verhalten des Angeklagten nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Grundsätze allerdings noch nicht.“

Lassen wir dahin gestellt, ob das so richtig ist oder ob die Äußerungen nicht ggf. doch über das Erlaubte hinausgehen, also nicht noch „hinnehmbar“ sind. Beizutreten ist m.E. aber auf jeden Fall den letzten Ausführungen des OLG. Ich frage mich bei solchen Äußerungen/Passagen immer: Was soll es? Was bringt es? Nun gut, wir alle kennen die strenge Rechtsprechung der OLG im Klageerzwingungsverfahren, aber – bei allem Verständnis über den Unmut darüber: Die ändere ich doch nicht durch solche Vergleiche, sondern – wenn überhaupt – nur auf den dafür vom der StPO vorgegebenen Wegen. Alles andere bringt m.E. nichts. Außer unnötigen Verdruss für alle Seiten.

„StPO 3.0“ beim AG Ulm, oder „Abwimmeln, abwimmeln, abwimmeln“

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Der Kollege Herrmann aus Neuwied, mit dessen Erlaubnis ist dieses Posting absetze, ist Verteidiger in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren beim AG Ulm (5 OWi 16 Js 8301/17). In dem Verfahren hat der Kollege ergänzende Akteneinsicht hinsichtlich der Dateien und Urkunden, wie Lebensakte, betreffend die Messung, die im Verfahren eine Rolle spielt, beantragt. Die Akte hat er zur Einsicht erhalten, die entsprechenden Dateien nicht. Also hat der Kollege diese nochmal beantragt. Und darauf hat er ein Schreiben des AG bekommen, in dem es heißt:

„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Herrmann.
richterlicher Weisung gemäß wird mitgeteilt, dass die Akte die erforderlichen Bestandteile enthält und daher vollständig ist. Hinsichtlich darüber hinausgehender Daten/Urkunden ist die Verteidigung auf einen in der HV zu stellenden Beweisantrag verwiesen. In Bezug auf die vorgebrachten Einwände wird auf die extrahierte xml-Datei BI. 31 d. A. sowie auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 26.05.2017, Az.: 2 Rb 8 Ss 246/17 hingewiesen.
Mit freundlichen Grüßen
ppppp.
Justizfachangestellte (Azubi) m DLA“

Das ist also die Antwort, die ein Verteidiger beim AG Ulm auf einen (ergänzenden) Akteneinsichtsantrag erhält. Da antwortet also nicht mehr der Richter durch einen Beschluss, sondern die Geschäftsstelle durch einen „Azubi“. Ich frage mich, was das ist/was das soll? Ist das ein Phänomen (nur) aus Baden-Württemberg, also „Akteneinsicht a la BW“ oder ist das (allgemein) „StPO 3.0“? Oder ist das einfach nur eine – ich kann es nicht anders bezeichnen – Unverschämtheit des zuständigen Richters, der dem Verteidiger an der Stelle mal so richtig zeigt/zeigen will, was er von ihm und seiner Verteidigungsstrategie hält. Nämlich nichts, und zwar so viel „nichts“, dass er es nicht einmal für nötig findet, dem Rechtanwalt durch die in der StPO/dem OWiG vorgesehene Möglichkeit des Beschlusses zu antworten. Für mich unfassbar, für die einige sicherlich kommentierende Leser wahrscheinlich nicht oder sogar normal (?), denn: Es ist/war ein Antrag gestellt.

Ich frage mich, wie weit wir im Bußgeldverfahren eigentlich inzwischen gekommen sind. M.E. hat dort nach wie vor der Betroffene einen Anspruch auf richterliche Entscheidung und auch Mitteilung durch den Richter. Denn: Was soll der Betroffene jetzt tun? Welches Rechtsmittel hat er? Gibt es eine Beschwerde gegen eine „richterlicher Weisung gemäß“ erfolgte Mitteilung der Geschäftsstelle? Die Beschwerde nach § 304 StPO kann es ja wohl nicht sein, oder doch? Aber vielleicht ist das ja auch Strategie des Richters, sich so unliebsame Rechtsmittel vom Hals zu schaffen.

Interessant auch, dass der Kollege – von der Geschäftsstelle – oder von wem? – „wegen der Dateien auf einen in der HV zu stellenden Beweisantrag verwiesen“ wird. Wenn man da so liest, hat man den Eindruck, dass dessen Ablehnung schon in der Schreibtischschublade des Richters – oder wahrscheinlich auf dessen Dienst-PC – schlummert. Und dann wird natürlich auch gleich – quasi freudestrahlend – auf den „OLG Karlsruhe vom 26.05.2017, Az.: 2 Rb 8 Ss 246/17 hingewiesen“ (vgl. dazu PoliscanSpeed, oder: „ein bisschen schwanger“ bzw. Trauerspiel/Worthülse „standardisiertes Messverfahren“). War klar, dass das kommen und die AG freudig das vom OLG Karlsruhe begonnene Trauerspiel fortführen würden. Man hat wirklich den Eindruck, dass es im Bußgeldverfahren nur noch darum geht: Abwimmeln, abwimmeln, abwimmeln.

Zum Schluss: Der Kollege Herrmann hat übrigens die Akte zurück gesandt mit dem Hinweis, dass die Aktenversendungspauschale nicht gezahlt wird wegen Unvollständigkeit der Akte. Ich bin gespannt: Vielleicht hört der Kollege ja demnächst etwas vom Vollstrecker 🙂 .

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich denn nun die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ab?

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Die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich denn nun die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ab?, hatte ich dem Kollegen „kurz und zackig“ beantwortet mit:

„Hallo,
das ist keine Zurückverweisung, die zu einem neuen Rechtszug beim AG/LG führt, sondern das ist Strafvollstreckung (vgl. Burhoff/Volpert, Nr. 4204 Rn. 3).“

Und damit war klar/deutlich: Es entstehen nicht Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG.Nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG – Einzeltätigkeit – natürlich auch nicht, denn der Kollege ist ja Verteidiger.

So weit, so gut, habe ich gedacht. Aber: Ich hatte nicht mit dem LG Bonn gerechnet. Denn das hat inzwischen im LG Bonn, Beschl. v. 23.3.2017 – 29 Qs 5/17 ausgeführt, dass im Gesamtstrafenverfahren nach § 460 StPO für den Verteidiger, der den Angeklagten bereits im Erkenntnisverfahren vertreten hat, nicht die Gebühr Nr. 4204 VV RVG entsteht. Begründung. Das Verfahren zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe sei  – trotz seiner Stellung im siebten Buch der StPO – kein solches Verfahren in der Strafvollstreckung. Das LG zieht eine Parallele zur Weiterwirkung der Pflichtverteidiger-Bestellung u.a. für die Nachtragsentscheidungen nach § 460 StPO. Denn wenn das nachträgliche Verfahren zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung als reiner Annex zu behandelt sei, so sei nicht ersichtlich, warum dies gebührenrechtlich anders zu beurteilen sein sollte. Dafür spreche zudem, dass die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe regelmäßig und normalerweise bereits im Erkenntnisverfahren hätte stattfinden müssen, da es sich um einen Teil der Strafzumessung handelt, und nur mangels Kenntnis der anderen Verurteilung bzw. versehentlich nicht erfolgte.

M.E. ist das unzutreffend. Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG und damit aus dem Bereich des Erkenntnisverfahrens sind ausgeschlossen, da die Gesamtstrafenbildung nach Rechtskraft erfolgt und damit Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG nicht anwendbar ist. Und zwar weder für den „alten“ noch einen „neuen“ Pflichtverteidiger, der sonst ja für die Tätigkeiten Grundgebühr und gerichtliche Verfahrensgebühr abrechnen können müsste, obwohl das Erkenntnisverfahren bereits abgeschlossen ist. Daran ändert m.E. auch nichts, dass die h.M. davon ausgeht, dass die Pflichtverteidigerbestellung aus dem Erkenntnisverfahren auch die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Gesamtstrafenbildung erfasst. Das ist eine gebührenrechtliche Frage, die unabhängig von der Pflichtverteidigerbestellung zu sehen. Das entspricht im Übrigen auch der Sicht für das Wiederaufnahmeverfahren. Auch insoweit geht die überwiegende Meinung davon aus, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung darauf „erstreckt“ und dem Rechtsanwalt dafür die Gebühren Nrn. 4136 ff. VV RVG zustehen.

Was mich an der Entscheidung des LG Bonn (noch) erstaunt: Es ist eine Einzelrichterentscheidung, die noch gar nicht nötig gewesen wäre, weil die Sache auf formellen Gründen zurückgegeben worden ist, also ein obiter dictum. Ich meine, dass die Frage sicherlich grundsätzliche Bedeutung hat und daher – ohne Einzelrichtervorgaben – durch die Kammer in Dreierbesetzung entschieden werden müsste.

„Langsamer Richter“, oder: Im Schneckentempo zur Entscheidung über das Entscheidungstempo

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der BGH, Beschl. v. 28.03.2017 – RiZ(R) 1/15 -, auf den mich (auch) ein aufmerksamer Blogleser hingewiesen hat. Ergangen ist er – so heißt es in dem BGH-Beschluss – „in dem Prüfungsverfahren wegen Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht“. Das liest sich ziemlich nüchtern. Aber aufmerksame Leser wissen, was sich hinter dieser „unprosaischen“ Kurzbezeichnung versteckt. Es ist das dienstrechtliche Verfahren des Richters am OLG Karlsruhe „K.“, dem die damalige dortige Präsidentin des OLG „vorgehalten“ hatte, er arbeite zu langsam. Dagegen hatte der Richter geklagt und hat – wenn ich es richtig sehe – bisher im Wesentlichen in allen Instanzen verloren. Zuletzt hatte der Dienstgerichtshof  des Landes Baden-Württemberg beim OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Urt. v. 17.04.2015 – DGH 1/13, DGH 2/13,  DGH 3/13 – die Ermahnungsmaßnahme der Präsididentin bestätigt und ausgeführt, dass damit nicht gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen worden ist.

Das Verfahren ist jetzt in der Revision beim BGH, aber da geht es nicht so recht voran. Man streitet – so will ich es mal ausdrücken – um Verfahrensfragen bzw. um die richtige Besetzung des Senats. Dazu hat es bereits einen Beschluss gegeben, nämlich den BGH, Beschl. v. 02.12.2015 – RiZ(R) 1/15 (vgl. dazu Wenn der VorsRiBGH und der Präsident des OLG mit Kind und Kegel zusammen verreist sind: Besorgnis der Befangenheit).

Nun gibt es eben noch den BGH, Beschl. v. 28.03.2017, der sich auch/noch einmal zu Ablehnungsfragen verhält, und zwar zu folgendem Vorbringen – ich zitiere:

... In der Revisionsbegründung sowie in einem weiteren Schriftsatz hat er die Richter des Senats um eine dienstliche Erklärung zu folgenden Fragen gebeten:

„Welche Wahrnehmung haben die erkennenden Richter zu Zeit pro Fall und zu Erledigungszahlen einerseits und zu unterschiedlicher Rechtsanwendung andererseits, insbesondere für die richterliche Tätigkeit am Oberlandesgericht? Gibt es in der Wahrnehmung der Richter einen logi-schen Zusammenhang zwischen einer Forderung nach höheren Zahlen einerseits und einer anderen Rechtsanwendung andererseits?

Wie ist das Selbstverständnis der Richter des Senats im Hinblick auf Erledigungszahlen in ihrer eigenen richterlichen Tätigkeit am Bundesgerichtshof? Welche Rolle spielen „Erledigungszahlen“´ und „Rückstände“ für die eigene richterliche Tätigkeit?“

Mit Pressemitteilung vom 14. Juli 2016 hat der Bundesgerichtshof auf den in dieser Sache und in den beiden Parallelverfahren anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2016 unter anderem mit folgendem Text hingewiesen:

„Der Antragsteller […] wendet sich u.a. gegen einen Bescheid der (da-maligen) Präsidentin […], der einen Vorhalt und eine Ermahnung gemäß § 26 Abs. 2 DRiG im Zusammenhang mit seinem Erledigungspensum zum Gegenstand hat.

Das Dienstgericht […] hat die Anträge des Antragstellers im Wesentli-chen zurückgewiesen. Die Berufungen […] hatten keinen Erfolg.“

Mit Schriftsatz vom 26. September 2016 hat der Antragsteller die zur Entscheidung berufenen fünf namentlich bezeichneten Mitglieder des Dienstgerichts des Bundes wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zum einen sei in der Pressemitteilung der Streitgegenstand des Verfahrens im Kern verkannt bzw. verfälscht, und zwar mit parteilicher Tendenz zu seinen Lasten. Es sei davon auszugehen, dass die abgelehnten Richter an der Erstellung der Pressemitteilung mitgewirkt hätten. Zudem habe der Senat auf seine Bitte, die Pressemitteilung zu korrigieren, nicht reagiert. Zum anderen hätten sich die Richter trotz wiederholter Bitte nicht dienstlich zu ihrem Vorverständnis erklärt.

Zu diesen Ablehnungsgesuchen sind dienstliche Stellungnahmen der abgelehnten Richter sowie der Pressesprecherin und der (damaligen) stellvertretenden Pressesprecherin des Bundesgerichtshofs eingeholt und dem Antragsteller übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2017 hat er geltend gemacht, aus den dienstlichen Stellungnahmen ergäben sich neue Ablehnungsgründe. Es fehle an zusammenhängenden Stellungnahmen zu den äußeren und inneren Tatsachen. Dass die abgelehnten Richter am Zustandekommen der Pressemitteilung laut den dienstlichen Stellungnahmen nicht mitgewirkt hätten, sei nicht nachvollziehbar und auszuschließen. Außerdem sei keine Erklärung erfolgt, warum die abgelehnten Richter nicht auf eine Berichtigung der Pressemitteilung hingewirkt hätten.“

Der BGH hat dann im BGH, Beschl. v. 28.03.2017 das Ablehungsgesuch zurückgewiesen, und zwar wie folgt:

  • An der Pressemitteilung vom 14.07.2016 haben die Richter nicht mitgewirkt, „so dass ihnen deren Inhalt nicht zuzurechnen ist„.
  • Unbeschadet dessen gibt der Text der Pressemitteilung aus der maß-geblichen Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei (vgl. BGH Beschluss vom 18. Dezember 2014 IX ZB 65/13 FamRZ 2015, 746 Rn. 11) keinen Anlass, eine Befangenheit zu besorgen. Anders als der Antragsteller meint, informiert die Terminankündigung knapp, aber zutreffend und nicht tendenziös über den Verfahrensgegenstand. Dass das Verfahren auf Betreiben des Antragstellers erfolgt, wird ebenso deutlich wie der Umstand, dass der Antragstel-ler in erster Instanz einen Teilerfolg erzielt hat. Im Zusammenspiel mit dem vollständig zitierten Wortlaut des § 26 DRiG kann auch kein Zweifel verbleiben, dass es sich um ein Prüfungsverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG handelt, in dem auf Antrag des Richters geprüft wird, ob eine Maßnahme der Dienstaufsicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt. Mit dem Bescheid, der den Vorhalt und die Ermahnung nach § 26 Abs. 2 DRiG beinhaltet, und dem Zusatz „u.a.“ wird benannt, wogegen sich der Antragsteller zur Wehr setzt, und mit dem „Erledigungspensum“ der Punkt angesprochen, den die Dienstvorgesetzte als Grund für die Maßnahme der Dienstaufsicht bezeichnet hatte. Auch mit Blick auf die Ausführungen des Antragstellers ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Pressemit-teilung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit begründen kann.“
  • Nachdem ein objektiver Bedarf für eine Korrektur der Pressemitteilung mithin nicht bestand, kann sich ein Grund im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO auch nicht daraus ergeben, dass eine solche Korrektur nicht, insbesondere nicht auf Betreiben der abgelehnten Richter, vorgenommen worden ist.“
  • Ebenfalls ohne Erfolg wird gerügt, dass die vom Antragsteller „erbetene Mitteilung zu den die Wahrnehmung und das Selbstverständnis der Richter betreffenden Fragen unterblieben ist. Denn die abgelehnten Richter sind zu einer dahingehenden Auskunft rechtlich nicht gehalten. Eine Anzeigepflicht be-steht nach § 48 ZPO nur für solche Umstände, die einen Ausschluss kraft Ge-setzes gemäß § 41 ZPO oder eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO rechtfertigen könnten, was bei den vom Antragsteller erfragten Punkten nicht der Fall ist. Das Vorgehen des Antragstellers zielt vielmehr darauf ab, zu ermitteln, ob die mit dem Fall betrauten Richter seinem rechtlichen Standpunkt oder dem der Gegenseite zuneigen. Hierfür fehlt es jedoch an einer Rechtsgrundlage.“
  • Die Ablehnungsgesuche sind auch insoweit unbegründet, als der Antragsteller „sie darauf stützt, die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter genügten nicht den Anforderungen des § 44 ZPO….. Nachdem die abgelehnten Richter nicht an der Erstellung der Pressemitteilung mitgewirkt hatten, waren keine darüber hinausgehenden Ausführungen hierzu veranlasst. Ebenso wenig bedurfte es einer Darlegung, weshalb die Senatsmitglieder nicht auf eine ohnedies sachlich nicht gebotene Berichtigung der ohne ihr Zutun erstellten Pressemitteilung hingewirkt haben. Auch soweit die Befangen-heitsgesuche den Vorwurf enthielten, es fehle an der erbetenen Mitteilung, sind die dienstlichen Stellungnahmen ausreichend.“

So, das war es dann jetzt. Ich bin dann nur gespannt, ob und wann es denn weitergeht. Gelesen habe ich von einem neuen Termin noch nichts. Insgesamt kann man m.E. nur sagen, wenn man sich den bisherigen Gesamtverfahrensablauf ansieht: Im Schneckentempo zur Entscheidung zum Entscheidungstempo 🙂 . Entscheiden wird die Sache im Übrigen aber wahrscheinlich eh nicht der BGH, sondern im Zweifel das BVerfG.

„Die Wahl des Verteidigers als tatbestandsbegründendes Moment“ oder: Die objektivste Behörde der Welt

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Unter der Überschrift „Wieder einmal: Die Wahl des Verteidigers als tatbestandsbegründendes Moment. “ hat der Kollege M.Wandt aus Iserlohn am vergangenen Freitag in der FB-Gruppe „Fachanwälte für Strafverteidiger“ zu einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart in einem Strafbefehlsverfahren gepostet. Dem Mandanten des Kollegen wird ein Verstoß gegen § 21 StVG – Fahren ohne Fahrerlaubnis – vorgeworfen. Der Mandant verfügt über einen polnischen Führerschein, der der StA bisher aber nicht vorliegt. Der Mandant bestreitet, gefahren zu sein. Es geht also auch um die Identifizierung des Mandanten anhand eines (schlechten) Beweisfotos.

So weit, so gut. Bis dahin nichts Besonderes. Aber ein „Geschmäckle“ und „besonders“ wird die Sache dann durch das Anschreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.05.2017 zum Strafbefehlsantrag. Die Staatsanwaltschaft hat sich durch einen ihrer Amtsanwälte geäußert. Da heißt es in dem Schreiben

„Da der Angeschuldigte von Rechtsanwalt Wandt vertreten wird, der bekanntlich fast ausschließlich Mandanten vertritt und berät, die über den so genannten Führerscheintourismus Fahrerlaubnisse in Osteuropäischen EU-Staaten erwerben, liegt der Verdacht nahe, dass auch der Angeschuldigte im Besitz eines solchen Führerscheins ist.

Es wird deshalb angeregt im Falle der Vorlage eines EU-Führerscheins im Wege der Rechtshilfe ermitteln zu lassen, ob sich der Angeschuldigte an der aus dem Führerschein hervorgehenden Anschrift mindestens 185 Tage dauerhaft aufgehalten hat. Da der Angeschuldigte selbständig ist, soweit bekannt durchgehend in Deutschland gemeldet war und der polnischen Sprache nicht mächtig ist, erscheint ein solcher dauerhafter Aufenthalt äußerst unwahrscheinlich.“

Ja, das muss man auf sich wirken lassen. Und das muss man auch zweimal lesen, weil man es nach dem ersten Lesen nicht glauben will/kann. Da wird also die Wahl des Verteidigers herangezogen, um einen Verdacht zu begründen/zu untermauern. Ich drücke es mal vorsichtig aus – und gehe nicht auf „unfassbar“: Das ist schon „keck“, wenn die angeblich „objektivste Behörde der Welt“ so argumentiert. Das braucht der Angeschuldigte doch gar nicht erst in die Hauptverhandlung zu kommen und sich einzulassen. Denn, was die „objektivste Behörde der Welt“ von seiner potentiellen (! – man weiß ja noch nicht mal, ob/dass eine ausländische Fahrerlaubnis im Spiel) Einlassung hält, wird gleich vorab auch schon mitgeteilt: Nichts.

Ich kann dazu nur das Wort von Rainer Barzel aus den 70-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgreifen: So (m.E.) nicht. Oder: Ich habe eine andere StPO und auch ein anderes Verständnis vom Strafverfahren.

Und ich packe dann hier gleich mal einige von den schönen Kommentaren auf FB dazu:

Von mir kam:

Man stelle sich die Argumentation bitte in einer Kap.-Sache vor:
„Da der Angeschuldigte von Rechtsanwalt XY vertreten wird, der bekanntlich fast ausschließlich Mandanten vertritt und berät, denen ein Kapitaldelikt vorgeworfen wird, liegt der Verdacht nahe, dass auch der Angeschuldigte ein solches begangen hat.“

Und dann waren da noch:

„Mit der Logik kann man aus jeder Wahl des Verteidigers beim schweigenden Angeklagten ein Geständnis fingieren. Unglaublich.“

oder:

„Noch mal ganz kurz für mich zum Mitdenken: Dieses Schreiben stammt von der selbst ernannten objektivsten Behörde Deutschlands, deren Aufgabe es ist, nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln und die von allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland verlangt, die bestehenden Gesetze zu beachten?“

und auch:

Gleich mal beantragen, die Sache zurückzugeben und beim LOStA anzuregen, den Fall auf einen Dezernenten „der neutralsten Behörde der Welt“ zu übertragen, der sich nicht von Befindlichkeiten ggü. bestimmten Verteidigern, sondern sich ausschließlich von aus den Sachakten ergebenden Verdachtsmomenten in seiner Tätigkeit leiten lässt und dem eine entsprechende Rechtstreue zuzutrauen ist.