Archiv für den Monat: Juni 2017

Sonntagsfahrverbot, oder: Ist „Fertiglasagne“ ein „frisches Fleischerzeugnis“?

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Urheber jules / stonesoup

Das Wochenende naht – immerhin haben wir heute schon Donnerstag 🙂 und da passt dann ganz gut eine OLG-Entscheidung, die sich mit dem Sonntagsfahrverbot befasst. Es ist der OLG Celle, Beschl. v. 05.04.2017 – 1 Ss (OWi) 5/17 -, der sich mit der Frage befasst, ob ein Transportunternehmen durch den Transport von Lebensmitteln gegen das Sonntagsfahrverbot des § 30 StVO verstoßen hat. Vom AG ist im selbständigen Verfallsverfahren ein Betrag von rund 840 EUR für verfallen erklärt worden. Grundlage war eine  Fahrt eines Arbeitnehmers der betroffenen Verfallsbeteiligten mit einem Lkw der Verfallsbeteiligten von Frankreich kommend. Transportiert wurde eine Ladung Fertiglasagne durch das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit dem Fahrtziel Polen . Bei dem Transportgut handelte es sich um Lasagne, die am 24. 01. 2014 in Frankreich produziert worden war und ein Haltbarkeitsdatum 23.02.2014 aufwies.

Diesen Transport hat das Amtsgericht als Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO gewertet. Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dass ein Frachtlohn zwischen der Verfallsbeteiligten und ihrem Auftraggeber in Höhe von 1.700,- € vereinbart worden war und ausgehend von einer Gesamtfahrtstrecke des Transportes von 1.438 km und einem innerdeutschen Streckenanteil von 706,30 km der verfallsrechtlich relevante Bruttoerlös aus der unter Verstoß gegen § 30 Abs. 3 StVO vorgenommenen Fahrt durch deutsches Hoheitsgebiet 835,04 EUR beträgt. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das OLG meint:

„Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts unterfällt der Sachverhalt, auf den sich die Verfallsanordnung stützt, keinem der Ausnahmetatbestände des § 30 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StVO vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO.

Zwar gilt das Sonn- und Feiertagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 S. 1 StVO gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StVO unter anderem dann nicht, wenn frische Milcherzeugnisse beziehungsweise frische Fleischerzeugnisse transportiert werden. Nach der Verkehrsblattverlautbarung „Definition der frischen und leicht verderblichen Lebensmittel im Sinne des § 30 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StVO“ des Bundesverkehrsministeriums vom 31. Juli 1998 (Verkehrsblatt 1998, Heft 16, Seite 844), die zwar für den Senat nicht bindend ist, von der der Senat indes im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung ausgeht, sind frische Fleischerzeugnisse alle ständig kühlbedürftigen Fleischerzeugnisse. Milcherzeugnisse sind nach der Verkehrsblattverlautbarung des Bundesverkehrsministeriums Erzeugnisse aus Sauermilch, Joghurt, Kefir, Buttermilch, Sahne, Milch- oder Molkenmischungen sowie Frischkäse und Frischkäsezubereitungen.

Fertiglasagne enthält zwar (typischerweise) Fleischanteile; zudem wird bei der Produktion Milch verwendet. Das aber macht Fertiglasagne weder zu einem Milcherzeugnis noch einem Fleischerzeugnis. Milcherzeugnisse beziehungsweise Fleischerzeugnisse sind vielmehr Erzeugnisse, die ausschließlich oder ganz überwiegend aus Milch beziehungsweise Fleisch bestehen, also das Ergebnis einer Bearbeitung von Milch oder Fleisch sind, nicht aber Produkte, die unter Verwendung unter anderem von Milch beziehungsweise Fleisch produziert wurden. Fleischerzeugnisse sind daher im Wesentlichen Speck, Schinken, Wurst und Pökelwaren, gestückeltes Fleisch wie Gulasch oder Geschnetzeltes, gewolftes Fleisch wie Hackfleisch sowie aus kleineren Fleischstücken geformtes Fleisch (sogenanntes Formfleisch). Ein Fertiggericht wie Fertiglasagne unterfällt mithin weder dem Begriff Milcherzeugnis noch dem Begriff Fleischerzeugnis.

Unerheblich ist dagegen, ob der Transport unbedingt an dem betreffenden Sonntag durchgeführt werden musste oder es auch ausgereicht hätte, die Fahrt erst nach 22:00 Uhr am 26. Januar 2014 durchzuführen. Denn die gesetzliche Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 3 S. 2 StVO stellt allein auf das Transportgut ab und lässt Fahrten entgegen dem Sonntagsfahrverbot zu, sofern nur eines der aufgeführten Erzeugnisse transportiert wird.“

Nun ja. Bei manchen Lasagne-Fertigprodukten kann man schon daran zweifeln, ob sie „Fleisch“ enthalten 🙂 . Die auf dem Bild ist wohl kein Fertigprodukt. Sieht auch gut aus. Brinkt mich auf eine Idee 🙂 .

Strafzumessung III: Zeitablauf, oder: Wenn die Vorverurteilung bereits 13 Jahre zurück liegt

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Und als dritte Strafzumessungsentscheidung dann noch der OLG Celle, Beschl. v. 09.03. 2017 – 2 Ss 23/17 –, über den ich ja gestern schon in einem anderen Zusammenhang berichtet hatte (vgl. Angeklagter: „bin dann mal nebenan…“, oder: Wer nicht im Sitzungssaal ist, ist nicht anwesend). Heute geht es dann noch um die Strafzumessungsfragen, die das LG Hannover auch nicht zur Zufriedenheit des OLG gelöst hatte. Dazu dann das OLG:

„a) Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung im angefochtenen Urteil erweisen sich als rechtsfehlerhaft.

Zwar ist die Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Hannover vom 20. September 2003 gem. § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG noch nicht tilgungsreif, so dass sie grundsätzlich bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden darf. Im Falle einer strafschärfenden Berücksichtigung dieser nicht einschlägigen Vorverurteilung ist jedoch der Umstand zu würdigen, dass die Verurteilung bereits über 13 Jahre zurückliegt. Vorverurteilungen wegen Straftaten, die fünfzehn und zehn Jahre zurückliegen und von geringer oder mittlerer Schwere sind, rechtfertigen allenfalls dann eine Strafschärfung, wenn besondere Umstände vorliegen, etwa solche, die besorgen lassen, dass der Angeklagte zu eingeübter strafbarer Betätigung zurückgekehrt ist (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1991 – 5 StR 444/91 –, juris).

Darüber hinaus beanstandet die Revision zu Recht, dass die (teil-)geständige Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung ebenso Berücksichtigung finden muss wie die Tatsache, dass die hervorgerufenen Verletzungen der Nebenklägerin glücklicherweise nicht sehr schwerwiegend waren und offenbar folgenlos verheilt sind. Zudem lässt die Formulierung, der Angeklagte habe seine Tochter in „erniedrigender Weise“ behandelt, einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB besorgen, denn die Herabwürdigung des Opfers ist dem angenommenen Tatbestand der Beleidigung gem. § 185 StGB immanent.

b) Die vom Landgericht ausgeurteilte Tagessätzhöhe der Geldstrafe lässt befürchten, dass die Kammer dem vom Angeklagten zu entrichtenden Unterhalt an seine Töchter, der nach ständiger Rechtsprechung bei der Bemessung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen ist (Fischer, StGB 64. Aufl. 2017, § 40, Rn. 14), keine Bedeutung beigemessen hat.“

Wie gestern schon angemerkt: Handwerklich nicht gut gemacht.

Strafzumessung II: Verfahrensverzögerung im Jugendrecht, oder: So geht es

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Drei Punkte kombiniert der BGH, Beschl. v. 09.05.2017 – 4 StR 73/17, nämlich: Strafzu-/bemessung, Jugendstrafrecht und Verfahrensverzögerung. Letztere wird nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich über die sog. Vollstreckungslösung des BGH berücksichtigt. Im Jugendrecht ist das aber wegen des Erziehungsgedankens nicht so ganz einfach. Da muss man dann ggf. einen anderen Weg gehen, und zwar:

„Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bei der Bestimmung des Maßes des Erziehungsbedarfs berücksichtigt. Bei den hier angeordneten Auflagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 JGG) und Weisungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG) ist die Anwendung der Vollstreckungslösung (BGH – GS –, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) nicht geeignet, die mit Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln verfolgten erzieherischen Zwecke zu erreichen und damit dem Erziehungsgedanken Rechnung zu tragen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – III-3 RVs 102/11, StRR 2012, 110, zum Jugendarrest; vgl. hingegen zur Jugendstrafe BGH, Beschlüsse vom 27. November 2008 – 5 StR 495/08, NStZ 2010, 94, und vom 28. September 2010 – 5 StR 330/10, NStZ 2011, 524, 525).“

Geht also anders als im Erwachsenenstrafrecht. Und: Ich liebe diese „knackigen“ BGH-Entscheidungen 🙂 .

Strafzumessung I, oder: Mittäter sind i.d.R. gleich zu behandeln

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Heute bringe ich mal wieder drei Strafzumessungsentscheidungen.  Das Opening macht der BGH Beschl. v. 23.03.2017 – 2 StR 406/16, der noch einmal zur Strafzumessung bei mehrere Tatbeteiligten Stellung nimmt:

Zwar ist bei mehreren Tatbeteiligten einer Tat jeder Täter nach dem Maß der eigenen Schuld abzuurteilen, so dass die Revision grundsätzlich nicht auf einen Vergleich der Strafzumessung verschiedener Täter gestützt werden kann. Etwas anderes gilt jedoch, wenn offenkundige Widersprüche vorliegen oder es an einer nachvollziehbaren Begründung für eine abweichende Strafzumessung bei verschiedenen Tätern fehlt und eine solche auch nicht aus den sonstigen Urteilsfeststellungen geschlossen werden kann (BGH StV 2010, 677). Bei Abur-teilung mehrerer Beteiligter an derselben Tat durch dasselbe Gericht in demselben Verfahren müssen die jeweiligen Strafmaße in einem sachgerechten, nachprüfbaren Verhältnis zur Strafe anderer Beteiligter stehen (vgl. etwa BGH StV 2011, 725; s. a. BGHSt 56, 262, 263; BGH NStZ-RR 2017, 40).

Gemessen daran hält die Festsetzung der Einzelstrafen in den Fällen II. 9 – 10 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat in diesen Fällen gegen den Angeklagten jeweils Freiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten verhängt, gegen den Mitangeklagten R. dagegen jeweils nur Freiheitsstrafen von einem Jahr und acht Monaten. Weder aus den Feststellungen zur Tat noch sonst aus den Urteilsgründen ergibt sich jedoch ein nachvollziehbarer Grund für die Verhängung einer höheren Strafe gegen den Angeklagten. Die Angeklagten waren an den Taten mit gleichartigen Tatbeiträgen beteiligt. Die Strafzumessungserwägungen der Strafkammer stimmen hinsichtlich beider Angeklagter wörtlich überein. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb der Angeklagte trotz der geständigen Einlassung für diese Taten im Vergleich zu dem Mittäter härter bestraft worden ist und nicht – wie in den anderen Fällen – gleich hohe Strafen verhängt worden sind. Dieser Rechtsfehler führt hier zur Aufhebung des Strafausspruchs und führt entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zur Festsetzung von Einzelstrafen in der gegen den Mitangeklagten R. verhängten Höhe. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht, das in allen Fällen jeweils gleiche Strafen gegen beide Angeklagte verhängt hat, gegen den Angeklagten in den Fällen II. 9 – 10 eine noch niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte.“

Angeklagter: „bin dann mal nebenan…“, oder: Wer nicht im Sitzungssaal ist, ist nicht anwesend

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Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Immer wieder stößt man auf Vorkommnisse in Verfahren, bei denen man meint, dass es es sie nicht gibt bzw. geben sollte. Es gibt sie  aber, wie die jeweiligen Entscheidungen beweisen, eben doch. Dazu gehört der OLG Celle, Beschl. v. 09.03. 2017 – 2 Ss 23/17 –, der ein – in meinen Augen handwerklich schlecht gemachtes – Urteil des LG Hannover zum Gegenstand hat. Das AG hatte den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG Hannover dann die Berufung des Angeklagten im Wesentlichen verworfen. Das OLG hat mit seinem Beschluss auf die in der Revision des Angeklagten erhobene Sachrüge das Berufungsurteils wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung – ich sage ja: handwerklich schlecht – aufgehoben. Und das OLG merkt auch noch an, die Verfahrensrüge des Angeklagten ggf. auch Erfolg gehabt hätte.

Mit seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte beanstandet, dass das LG die Berufungshauptverhandlung durchgeführt habe, obwohl der Angeklagte in einem verhandlungsunfähigen Zustand gewesen sei, auf den das Gericht durch ein am Tag vor der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ausdrücklich hingewiesen worden sei. Trotz der in dem vorgelegten Attest dargelegten Diagnosen (u.a. rezidivierende reaktiv-depressive Erkrankung, mittelschwere depressive Episode mit unterschwelligen Suizidgedanken) sowie der Einschätzung des Facharztes, dass für den Tag der Gerichtsverhandlung Verhandlungsunfähigkeit bei dem Angeklagten gegeben sei, habe das LG den Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins zurückgewiesen. Dem Angeklagten sei aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes die Wahrnehmung seiner Rechte in der Berufungshauptverhandlung unmöglich gewesen. Ein Indiz hierfür sei u.a. die Tatsache, dass der Angeklagte nach seiner Einlassung freiwillig den Sitzungssaal verlassen und sich bei geöffneter Tür in ein Nebenzimmer begeben habe. Dazu das OLG:

In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat ergänzend, dass das im Protokoll der Hauptverhandlung dokumentierte freiwillige Verlassen des Sitzungssaales durch den Angeklagten während der Vernehmung der Zeugen von der Strafprozessordnung nicht gedeckt ist, auch wenn er der Verhandlung bei geöffneter Tür aus einem Nebenraum folgen konnte. Wer sich vor dem Sitzungssaal befindet, ist in der Hauptverhandlung nicht anwesend (Becker in: Löwe- Rosenberg, StPO 26. Auflage 2009, § 230, Rn. 17). Unabhängig davon, dass dieser Gesichtspunkt nicht Gegenstand einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge war, bleibt festzuhalten, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben ist und das Gesetz nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gestattet. Insbesondere ist ein Verzicht des Angeklagten auf seine Anwesenheit unwirksam (BGH, Beschluss vom 27. November 1992 – 3 StR 549/92 –, NStZ 1993, 198). §§ 247, 247a StPO stellen für eine Vernehmung von Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten strenge Voraussetzungen auf und sind im Übrigen durch einen Gerichtsbeschluss anzuordnen, welcher laut Protokoll der Hauptverhandlung nicht ergangen ist. „

Das LG-Urteil hat dann auch noch einen Strafzumessungsfehler. Auf den komme ich dann noch einmal gesondert zurück.