Archiv für den Monat: August 2016

HWS/Schleudertrauma, Haushaltsführungsschaden und das KG

© Thaut Images Fotolia.com

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Entscheidungen zum Schleudertrauma und/oder zum Haushaltsführungsschaden hatte ich – glaube ich – hier noch nie im Bericht. Heute dann aber mal eine Entscheidung aus diesem Problembereich, der, wenn ich mich richtig an meine Zivilrichterzeit erinnere – lang, lang ist es her -, in der Praxis eine große Rolle spielt.

Es geht im KG, Urt. v. 15.01.2015 – 22 U 68/11 – ist schon etwas älter, da vor der Veröffentlichung durch das KG erst die Rechtskraft abgewartet worden ist – um Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Berlin, an dem die Klägerin als Fahrgast in einem Taxi beteiligt war. Im Streit sind ganz erhebliche Schadensersatz-/Schmerzensgeldsummen, die die Klägerin mit einer bei dem Unfall erlittenen HWS-Distorsion begründet. Die Klage war zunächst vom LG abgewiesen worden, das KG hatt in einem ersten Berufungsverfahren aufgehoben, dann hatte das LG teilweise – zu einem geringen Betrag – verurteilt. Die erneute Berufung hatte dann beim KG keinen Erfolg.

Hier dann die Leitsätze des KG, Entscheidung:

1. Auch bei Überschreiten des Grenzwertes der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung genügen zur Feststellung einer HWS-Distorsion subjektive Beschwerden wie Kopf-, Nackenschmerzen oder Spannungsgefühl für sich nicht, weil insoweit lediglich ein zeitlicher Zusammenhang herzustellen wäre, sie nicht verletzungstypisch und daher ohne besondere Aussagekraft sind.

2. Die Ladung bzw. Anhörung (von Amts wegen) eines Privat-Sachverständigen durch das Gericht, kommt nicht in Betracht. Das Gericht ist insoweit nur verpflichtet, der Partei bzw. in Anwaltsprozessen ihrem Rechtsanwalt die Gelegenheit zu geben, den vom Gericht beauftragten Sachverständigen in Anwesenheit ihres (Privat-) Sachverständigen anzuhören, damit die Partei sich fachlich beraten lassen kann.

3. Zur Darlegung des Haushaltsführungsschadens genügt nicht die Angabe von Tabellenwerten. Es ist der vor dem Unfall im Haushalt tatsächlich geleistete Aufwand konkret unter Beweisantritt darzulegen, weil es sich nicht um einen abstrakt ersatzfähigen Schaden handelt, der von der tatsächlich ausgefallenen Haushaltstätigkeit losgelöst wäre. Lediglich zur Höhe kann der Schaden fiktiv auf der Grundlage des Nettogehalts einer Ersatzkraft berechnet werden.

Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren bekomme ich nach Beiordnung im Rahmen der Sicherungsverwahrung?

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Heute dann mal eine ganz kurze Frage, zu der es dann übrigens auch eine ganz kurze Antwort gegeben hat/geben wird:

Hallo Herr Burhoff,

länger schon nichts mehr voneinander gehört. Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Heute mal eine Frage (ich gebe zu, dass ich nicht die aktuelle Ausgabe Ihres RVG-Kommentars zur Hand habe …): Ich bin für das gerichtliche Verfahren im Rahmen der strafvollzugsbegleitenden Kontrolle bei angeordneter Sicherungsverwahrung (§ 119a Abs. 6 StVollzG) als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das Gericht hat mittlerweile festgestellt, dass die dem Verurteilten angebotene Betreuung den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat. Welche Gebühren kann ich jetzt abrechnen? Ein Streitwert wurde bislang nicht festgesetzt…“

Ist einfach ……

Der Polizeibeamte als/ist „ein Spanner“, oder: Und nochmals Facebook

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Im Moment gibt es einige Entscheidungen des BVerfG zu Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG). Nach der „durchgeknallten Staatsanwältin (vgl. dazu den BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 und Die „dahergelaufene, durchgeknallte, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke Staatsanwältin“, oder: Was bringt es?) haben wir dann jetzt noch den Polizeibeamten als „Spanner“ im BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2372/15.

(Pflicht)Verteidiger stellt sich tot – Wiedereinsetzung, oder: Doppelt tot.

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Da ist dann auch mal ein Verfahren, in dem unverständliches Verteidigerverhalten festzustellen ist, das der BGH im BGH, Beschl. v. 28.06.2016 – 2 StR 265/15 – als einen „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung bzeichnet. Da muss ich nicht mehr viel Worte machen: Der BGH, Beschluss spricht für sich:

Die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision des Angeklagten nach § 345 Abs. 1 StPO beruht auf einem Verteidigerverschulden, welches dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Es handelt sich um einen Fall des „offenkundigen Mangels“ der Verteidigung durch den Pflichtverteidiger, welcher den Anspruch des Angeklagten auf eine wirksame Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK verletzt (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – Nr. 38830/97, NJW 2003, 1229, 1230). Die Verteidigung darf nicht nur formal bestehen.

Nachdem der vom Gericht bestellte Verteidiger namens und im Auftrag des Angeklagten Revision eingelegt hatte, war er mangels Bildung und Bestätigung eines Rücknahmewillens durch den Angeklagten auch verpflichtet, das Rechtsmittel form- und fristgerecht zu begründen. Darauf durfte der Angeklagte trotz des Umstands, dass der Verteidiger bereits im vorangegangenen Revisionsverfahren die Revision nicht (fristgemäß) begründet hatte, auch vertrauen, zumal es aus seiner Sicht – wie es sich seinem Schreiben vom 20. April 2015 entnehmen lässt – keinen Anhalt dafür gab, dass der Verteidiger die Revision nicht ordnungsgemäß begründen würde. Ungeachtet dieser Verpflichtung ist der bestellte Verteidiger untätig geblieben; er hat damit ihm dem Angeklagten gegenüber obliegende Pflichten verletzt und damit dessen Recht auf effektive Verteidigung verletzt.

Auch die Versäumung der Frist zur Nachholung der ursprünglich versäumten Handlung geht auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers zurück, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Er hat in Kenntnis seines eigenen Versäumnisses auf die Zustellung des landgerichtlichen Revisionsverwerfungsbeschlusses, die die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung in Gang setzte, nicht reagiert, weshalb die einwöchige Frist ungenutzt verstrichen ist. Er hat auch in der Folge weder auf Anschreiben der Staatsanwaltschaft noch auf die Übersendung des Antrags des Generalbundesanwalts nach § 346 Abs. 2 StPO noch auf eine telefonische Nachfrage des Senats Bemühungen unternommen, die Verteidigung des Angeklagten durch Nachholung der Revisionsbegründung und Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sicherzustellen.

Die dem Landgericht erkennbare Verletzung von Verteidigungsrechten durch den staatlich bestellten Verteidiger verstößt gegen die Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK und hätte – zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens – im Verfahren vor dem Landgericht zur Entpflichtung des Rechtsanwalts und Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers führen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 143 Rn. 4). Im Revisionsverfahren ist – nachdem der Angeklagte nunmehr einen Wahlverteidiger beauftragt hat – von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung und in die Frist zur Begründung der Revision zu gewähren.“

Überlesen sollte man aber auch nicht den Hinweis des BGH an das LG – „Die dem Landgericht erkennbare Verletzung von Verteidigungsrechten durch den staatlich bestellten Verteidiger ….. hätte – zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens – im Verfahren vor dem Landgericht zur Entpflichtung des Rechtsanwalts und Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers führen müssen“. Also: Doppelt fehelrhaft.

Alte Sünden, oder: Altes Recht bricht neues Recht

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Nach dem VG Freiburg, Beschl. v. 28.7.2016 – 4 K 1916/16 (dazu: „Standfest“ bzw. „handfester Beweis“, oder: Wo ist die (Viagra)Tablette?) eine weitere Entscheidung aus dem Fahrerlaubnisrecht, und zwar das schon etwas ältere VG Karlsruhe, Urt. v. 29.01.2016 – 9 K 275/15, der sich mit dem Fahreignungs-Bewertungssystems (Stichwort: Punktereform 20149 befasst. Es geht um die Frage der Zulässigkeit einer Verwarnung nach neuem Recht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) in Zusammenhang mit Eintragungen nach altem Recht. Im Grunde genommen ein ganz einfacher 🙂 Sachverhalt: Das KFB benachrichtigt die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 29.02.2012, dass auf die Klägerin in das VZR acht Punkte eingetragen seien. Daraufhin spricht die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 21.03.2012 gegenüber der Klägerin eine Verwarnung gemäß §§ 4 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 8 Satz 4 StVG a.F. i aus und wies sie auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hin. Nach dieser Verwarnung wird eine weiterer Verstoß in das VZR mit 3 Punkten eingetragen. Zum 01.05.2014 rechnete das KFB den bis dahin erreichten Punktestand von elf Punkten im VZR auf der Grundlage des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung um und ordnete die Klägerin mit einem Punktestand von fünf Punkten in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem (FABS) ein. Aufgrund eines weiteren Verkehrsverstoeßs ergeht dann eine weitere registerpflichtige Entscheidung mit einem Punkt. Die Fahrerlaubnisbehörde spricht jetzt eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in der ab dem 01.05.2014 geltenden Fassung aus und räumte der Klägerin die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar ein. Und darum streitet man jetzt in Zusammenhang mit  der erhobenen Gebühr in Höhe von 18,90 €.

Das VG sagt: Alles richtig. Denn: Eine Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung (2. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems) setzt nicht voraus, dass zuvor eine Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. (1. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems) ergangen ist, wenn der Betreffende bereits auf der 1. Stufe des früheren Punktsystems gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG in der bis zum 30.04.2014 geltenden Fassung verwarnt worden ist. Dazu aus dem VG Karlsruhe, Urt. v. 29.01.2016 – 9 K 275/15:

„Der Verwarnung nach der 2. Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG steht – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch nicht § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG entgegen. Danach darf die Behörde eine Maßnahme nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StVG erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen und der Punktestand verringert sich entsprechend (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG). Zwar ist die Klägerin nicht gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG in der seit dem 01.05.2014 geltenden Fassung nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem ermahnt worden. Jedoch wurde ihr gegenüber nach dem vor der Reform geltenden Punktsystem bereits die seinerzeit anwendbare Maßnahme der 1. Stufe, namentlich die Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F., ergriffen. Gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG n.F. wird die am 01.05.2014 erreichte Stufe für Maßnahmen nach dem (neuen) Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde gelegt. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber bei der Umstellung auf das neue Fahreignungs-Bewertungssystem gerade nicht bezweckt hat, dass diejenigen Fahrerlaubnisinhaber, die bereits eine Maßnahmenstufe erreicht hatten, durch die Umstellung quasi auf die 1. Stufe „zurückfallen“ und alle zunächst nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. ermahnt werden müssen. Jeder, der sich im bisherigen dreistufigen Punktsystem in einer Maßnahmenstufe befunden hat, wird in die entsprechende Maßnahmenstufe des neuen ebenfalls dreistufigen Fahreignungs-Bewertungssystems überführt und ausgehend von der bereits erreichten Stufe bei weiteren Zuwiderhandlungen und daraus folgendem Erreichen der jeweils nächsten Stufe behandelt (vgl. BT-Drucksache 17/12636 S. 50). Insoweit überlagern die Übergangsbestimmungen des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG die Regelungen des § 4 Abs. 6 StVG jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen nach altem Recht nicht nur punktemäßig eine Stufe des Punktsystems erreicht war, sondern die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme der entsprechenden Stufe auch ergriffen hatte. So liegt der Fall auch hier, da die Klägerin bereits auf der 1. Stufe des alten Systems verwarnt worden war. Ein erneutes Ergreifen der Maßnahme der 1. Stufe – jetzt die Ermahnung – war nach alledem nicht erforderlich (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.06.2015 – 11 CS 15.814 -, […] Rn. 9 sowie entsprechend zur Zulässigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis <3. Stufe> ohne vorherige erneute Verwarnung <2. Stufe> VG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2015 – 5 K 3762/15 -, […] Rn. 18 f.).“