Archiv für den Monat: Februar 2016

Auch wer ein Hörgerät trägt/schlecht hört, kann/darf Auto fahren….

entnommen wikimedia.org By photo taken by Udo Schröter - Own work

entnommen wikimedia.org
By photo taken by Udo Schröter – Own work

Nicht nur für ggf. mitlesende Senioren ist der VG Neustadt/NW, Beschl. v. 28.01.2016 – 3 L 4/16.NW – interessant. Es geht in ihm um die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem 85 Jahre alten Fahrerlaubnisinhaber. Der war bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin und hatte u.a. die Umstellung seiner im Jahre 1962 erworbenen Fahrerlaubnis Klasse 3 in die neuen Führerscheinklassen AM+A2+A+BE+C1E+L beantragt. Eine Mitarbeiterin der Fahrerlaubnisbehörde stellte fest, dass der Antragsteller ein Hörgerät trug. Sie fragte den Antragsteller, ob er mit dem Hörgerät gut zurechtkomme, was der Antragsteller bejahte. Dennoch wurde der Antragsteller formlos zur Vorlage eines ärztlichen Attestes darüber aufgefordert, dass der Antragsteller aufgrund des Hörgerätes ausreichend hört. Die vorgelegten Atteste, die das bescheinigten reichten der Fahreralubnisbehörde nicht. Sie ordnete dann gegenüber dem Antragsteller die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung an und führte aus, Einschränkungen des Hörvermögens könnten zur Einschränkung der Fahreignung führen. Mit Schreiben vom 10. 12. 2015 bat die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller dann um Gutachtensvorlage bis zum 18. 12. 2015, ansonsten werde gemäß § 11 Abs. 8 FeV i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis entzogen und der Sofortvollzug angeordnet werde. Mit Bescheid vom 21. 12. 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis Klasse 3. Dagegen dann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das VG hat dem statt gegeben. Die Gutachtensanordnung war materiell rechtswidrig, weil keine Tatsachen vorliegen, die klärungsbedürftige Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers aufwerfen.

„Hiervon ausgehend erweist sich die Gutachtensanforderung vom 9. Oktober 2015 gegenüber dem Antragsteller als materiell rechtswidrig. Es bestanden zum damaligen Zeitpunkt – wie im Übrigen auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – keine tatsächlichen hinreichenden Anhaltspunkte, die bei vernünftiger Einschätzung hier die ernsthafte Besorgnis begründeten, dass beim Antragsteller ein körperlicher Mangel i. S. der Nr. 2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt, der Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen vermochte.

Die von der Antragsgegnerin in der Gutachtensanordnung vom 9. Oktober 2015 angeführten Tatsachen, nämlich eine ohrenärztlich attestierte Schwerhörigkeit mit einem Verlust von 56 % des rechten und 100 % des linken Hörvermögens, weswegen der Antragsteller ein Hörgerät trägt, vermögen die auf § 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV gestützte Gutachtensanforderung nicht zu rechtfertigen. So besteht nach Nr. 2 der Anlage 4 zu §§ 1, 13 und 14 FeV bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit (Hörverlust von 60 % und mehr) ein- oder beidseitig sowie bei Gehörlosigkeit ein- oder beidseitig eine Fahreignung für Fahrerlaubnisinhaber sowohl der Gruppe 1 als auch der Gruppe 2, wenn nicht gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel (z. B. Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen) vorliegen. Damit gelten selbst eine hochgradige Schwerhörigkeit oder gar Gehörlosigkeit nicht als Mangel, der generell und allein für das Führen von Fahrzeugen ungeeignet macht (s. a. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115, gültig ab 1. Mai 2014, Seite 13 ff., dort Ziffer 3.2). Die Orientierung im motorisierten Straßenverkehr erfolgt überwiegend über das optische System, da verkehrsrelevante Informationen maßgeblich über visuelle Signale vermittelt werden. (s. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a. a. O.). Da durch eine vorhandene Hörminderung eine Steigerung anderer sensorischer Leistungen erreicht werden kann, sind hörgeminderte oder gehörlose Fahrer in der Lage, durch besondere Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit sicher am Straßenverkehr teilzunehmen (s. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a. a. O.).

Nach dem vom Antragsteller der Antragsgegnerin am 17. September 2015 auf deren Aufforderung vom 14. September 2015 vorgelegten ärztlichen Attest des HNO-Arztes Dr. ….., bei dem sich der Antragsteller in regelmäßiger ambulanter Behandlung befindet, wird durch die hörprothetische Versorgung bei dem bei dem Antragsteller vorliegenden prozentualen Hörverlust nach Bönninghaus und Röser (rechts 56, links 100) eine normale Diskrimination und ein altersnormales Hörvermögen erreicht.

Dass bei dem Antragsteller neben der bei ihm fachärztlich attestierten Beeinträchtigung der Hörleistung, wegen der er ein Hörgerät trägt, gleichzeitig andere schwerwiegende gesundheitliche Mängel vorliegen, ist nicht ersichtlich und auch von der Antragsgegnerin nicht ansatzweise behauptet. Auch das Auftreten des Antragstellers in den Räumen der Antragsgegnerin anlässlich seines Antrags auf Umstellung seiner alten Fahrerlaubnis Klasse 3 (graue Führerschein-Urkunde) in eine Fahrerlaubnis der aktuellen Klassen AM+A2+A+BE+C1E+L am 14. Juli 2015 sowie auch seine weiteren Vorsprachen bei der Antragsgegnerin im September 2015 war nach Aktenlage völlig unauffällig. Anzeichen für das gleichzeitige Vorliegen weiterer gesundheitlicher Mängel neben der Beeinträchtigung der Hörleistung des Antragstellers sind dem Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte nicht zu entnehmen und auch von der Antragsgegnerin nicht vorgetragen worden. Es liegt daher nahe, dass die Antragsgegnerin allein auf Grund des Alters des Antragstellers eine weitere Untersuchung angeordnet hat.

Im Übrigen geht auch die Antragsgegnerin davon aus, dass lediglich das Vorliegen einer hochgradigen Schwerhörigkeit für sich allein nicht bereits die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 in Frage stellt.“

Was lernen wir daraus: Gehe nie zu deinem Herrn, wenn er dich nicht ruft 🙂 .

Ich habe da mal eine Frage: „Verwarngeldangebot“ angenommen – zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG?

© AllebaziB - Fotolia

© AllebaziB – Fotolia

Die zusätzlichen Gebühren Nr. 4141 VV RVG und die Nr. 5115 VV RVG beschäftigen die Praxis sehr. Das merke ich an den vielen Fragen, die zu der Problematik kommen. Häufig sperrt sich die Staatskasse, aber noch viel häufiger die RSV. Zu dem Porblemkreis hat mich dann in vergangenen Woche folgende Frage eines Kollegen erreicht:

„5115 VV? RV sagt nein: Verkehrsunfall beim Einparken. Mdt. bestreitet Zusammenstoß und lehnt Verwarnungsgeld ab. Darauf Verteidigungsanzeige, AE-Gesuch, AE, Antrag auf Verfahrenseinstellung durch mich.
Hierauf „Verwarngeldangebot“ durch Verw.beh. über 30 € wg. §1 II, 49 StVO;§ 24StVG; 1.5 BKat. Mit Mdt. erörtert und entschieden, das Angebot anzunehmen.
5115 VV gilt auch im Verwarnungsverfahren. Liegt hier ein Anwendungsfall vor? Durch die Annahme des Verwarnungsgeldes ist ein Bußgeldverfahren verhindert worden.“

Wer hat eine Idee?

Das acht Monate lang „vergessene HV-Protokoll“, oder: Die unverhältnismäßige U-Haft

© Thomas Jansa - Fotolia.com

© Thomas Jansa – Fotolia.com

Rechtsmittelverfahren dauern häufig lang, was für den inhaftierten Angeklagten mehr als misslich ist. Wird doch in der Zeit i.d.R. U-Haft weiter vollstreckt. Und die besondere Haftprüfung nach den §§ 120 ff. StPO, die sonst die Instanzgerichte schon zur Beschleunigung tribet (zumindest treiben sollte) gibt es nicht. Er wird nun allein am Verhältnismäßigkietsgrundsatz geprüft. Und den hat das KG in folgender Konstellation verletzt gesehen:

„Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juli 2014 seit dem 12. August 2014 in Untersuchungshaft. Am 23. Februar 2015 verurteilte das Landgericht Berlin ihn nach neuntägiger, gegen weitere vier Angeklagte geführter Hauptverhandlung zu einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. …..

Am 13. April 2015 wurde das schriftliche Urteil abgesetzt. Am 3. Juni 2015 wurde die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls vermerkt. Dabei wurde versehentlich übersehen, dass zwei Protokollteile nicht von den Urkundsbeamtinnen unterzeichnet waren. Am 8. Juni 2015 wurde das Urteil zugestellt. Bis zum 17. Juli 2015 verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Revisionsbegründungen des Angeklagten Y. und eines Mitangeklagten an die Staatsanwaltschaft. Nachdem ein weiterer Mitangeklagter zunächst am 5. August 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beantragt, die Revision jedoch am 12. August 2015 zurückgenommen hatte, wurden die Akten am 14. August 2015 der Staatsanwaltschaft zur Zustellung der Revisionsbegründungen zugeleitet, wo sie am 17. August 2015 eingingen.

In der Folgezeit wurden die Akten der Vollstreckungsabteilung zur Einleitung der Vollstreckung gegen drei rechtskräftig verurteilte Mitangeklagte übersandt, sodann hat die Staatsanwaltschaft die Akten auf Anforderung vom 27. August 2015 zur Fertigung von Kopien für die Bearbeitung von offenen Kostenfestsetzungsanträgen und dann erneut am 7. September 2015 zur Bearbeitung des am 3. September 2015 eingegangenen Haftprüfungsantrags des Angeklagten dem Landgericht zurückgereicht. Die nach Rückkehr der Akten am 25. September 2015 begonnene Anfertigung der Revisionsgegenerklärung konnte der zuständige Abteilungsleiter erst am 12. Oktober 2015 abschließen, weil der Angeklagte zwischenzeitlich Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung vom 18. September 2015 eingelegt hatte und das Landgericht daraufhin die Akten erneut für etwa eine Woche benötigte, um Kopien für einen Haftbeschwerdeband anzufertigen. Nach Zustellung der Revisionsgegenerklärung an das Landgericht und Rückkehr der Akten am 16. Oktober 2015 wurde bei der Staatsanwaltschaft die Unvollständigkeit des Protokolls bemerkt. Seit dem 21. Oktober 2015 befinden sich die Akten wieder beim Landgericht zur Nachholung der Unterschriften und erneuten Zustellung des Urteils. Wegen der Erkrankung einer dafür benötigten Protokollführerin wird dies frühestens am 28. Oktober 2015 veranlasst werden; ein Verhinderungsvermerk soll erst im Fall der Fortdauer der Erkrankung angebracht werden.“

Sicherlich nicht alltäglich, aber sicherlich „unschön“. Das KG hat dann im KG, Beschl. v. 03.11.2015 – 3 Ws 532/15 – aufgehoben. Gründe/Begründung u.a.:

  • Mit dem Beschleunigungsgrundsatz „ist es nicht zu vereinbaren, dass das Urteil acht Monate nach Verkündung bzw. über sechs Monate nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe wegen der Verletzung der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 273 Abs. 4 StPO noch nicht wirksam zugestellt war (vgl. dazu BGH, NStZ 2014, 420, 421). Auch bei größtmöglicher Beschleunigung wird eine Vorlage an den Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der zu beachtenden Fristen und Verfahrensschritte nicht vor Mitte Dezember 2015 möglich sein (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Februar 2007 – 1 Ws 31/07 –, juris Rn. 13, wo eine sieben Monaten nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unterbliebene Vorlage an das Revisionsgericht beanstandet wurde). Die erstinstanzlich verhängte Freiheitsstrafe von nur 18 Monaten wird durch Anrechnung der dann bereits seit 16 Monaten andauernden Untersuchungshaft weitgehend verbüßt und eine sinnvolle Gestaltung des Strafvollzugs in der verbleibenden Zeit kaum mehr möglich sein. Auch eine Anschlussvollstreckung nach dem etwaigen Widerruf der Reststrafenaussetzung erscheint damit ausgeschlossen.“
  • Bereits die (vermeintliche) Fertigstellung des Protokolls erst 14 Wochen nach Urteilsverkündung wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss in Haftsachen das Protokoll parallel mit den schriftlichen Urteilsgründen erstellt werden. Die Anfertigung eines – wie hier – nicht außergewöhnlich umfangreichen Protokolls darf grundsätzlich nicht länger dauern als die Niederschrift des Urteils (BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).
  • Auch für die erst fünf Wochen nach dem (vermeintlichen) Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeführte Zustellung an die Staatsanwaltschaft lässt sich weder den Akten noch den dienstlichen Stellungnahmen ein ausreichender Grund entnehmen (vgl. die in BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339 und NStZ 2005, 456, 457 beanstandeten Verzögerungen von fünf Wochen bzw. eineinhalb Monaten). Der vom Vorsitzenden als Verfahrensbesonderheit hervorgehobene, ohnehin erst nach vier Wochen eingegangene Wiedereinsetzungsantrag des Mitangeklagten musste vom Landgericht nicht inhaltlich geprüft werden (§ 46 Abs. 1 StPO). Soweit die Geschäftsstellenverwalterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auf eine zwischenzeitliche personelle Unterbesetzung der Geschäftsstelle hinweist, handelt es sich um einen Umstand aus dem Verantwortungsbereich der Justiz, dem die Gerichtsverwaltung gegebenenfalls durch geeignete organisatorische Maßnahmen hätte begegnen müssen (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2781/10 –, juris Rn. 17; NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).“

Anklage wegen Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt – gar nicht so einfach

© M. Schuppich - Fotolia.com

© M. Schuppich – Fotolia.com

So ganz häufig ist es ja nicht, dass Verfahren von den (Instanz)Gerichten nicht eröffnet werden. Und wenn, dann lassen das die Staatsanwaltschaften nicht auf sich sitzen und legen sofortige Beschwerde ein. So auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen einen Nichteröffnungsbeschluss des OLG Bielefeld. Damit hatte sie dann aber kein Glück. Das OLG Hamm hat die im OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2015 – 3 Ws 269/15 – verworfen.

Es ging um eine Anklage mit dem Vorwurf des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt pp. Dem Angeklagten wurde „vorgeworfen, in der Zeit vom 1. September 2002 bis zum 31. Juli 2008 in I, F und anderen Orten in 23 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt sowie in weiteren 48 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in Tateinheit mit Nichtabführung von Arbeitgeberbeträgen (§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB) begangen zu haben.“ Im Anklagesatz sind dazu die einzelnen Fälle in einer von 1 bis 71 durchnummerierten Tabelle dargestellt gewesen. Unter der Überschrift „Arbeitnehmer“ findet sich in sämtlichen Fällen jeweils der Eintrag „diverse Arbeitnehmer“. Diesen „diversen Arbeitnehmern“ werden dann jeweils der Monat der Tatzeit, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil für diesen Monat sowie die addierte Gesamtsumme aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zugeordnet.

Das reichte dem LG und auch dem OLG nicht zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage:

„Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld wird den zuvor dargelegten Anforderungen nicht gerecht, da ihre Mängel die Umgrenzungs- und nicht die Informationsfunktion betreffen.

Bei dem Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur dadurch gewahrt, dass die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten, nämlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht, bezeichnet werden (OLG Celle, Beschluss vom 03. Juli 2013 – 1 Ws 123/13 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 Ws 271-274/11 -, juris). Eine solche Darlegung eines konkreten Tatzeitraums, dem bestimmte Personen zugeordnet werden, stellt die in der Anklageschrift vorgenommene Zuordnung von „diversen Arbeitnehmern“ zu den jeweiligen Tatzeiträumen jedoch nicht dar. Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Anforderungen wäre insoweit jeweils erforderlich gewesen, dass der Tatzeitpunkt, der jeweilige Arbeitnehmer und der jeweilige Sozialversicherungsträger konkret benannt werden, was indes nicht erfolgt ist. Das Landgericht hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass die erforderliche Individualisierung der Arbeitnehmer – um die angeklagten Taten von anderen, vergleichbaren Taten abgrenzen zu können – nicht erfolgt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2015 Bezug genommen.

Ergänzend wird daneben darauf hingewiesen, dass der Senat die Ansicht des Landgerichts teilt, dass es fernliegend erscheint, dass allein die C die allein zuständige Einzugsstelle gewesen ist. Auch insoweit dürfte die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht werden, da die korrekte Zuordnung zu konkret benannten Sozialversicherungsträgern demnach zumindest zweifelhaft erscheint.“

Das „Kleine Einmaleins“ der ordnungsgemäßen Bezugnahme – man sollte es beherrschen…

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

entnommen wikimedia.org
Urheber Photo: Andreas Praefcke

So ganz viel – erfolgversprechende – Möglichkeiten, im Bußgeldverfahren mit der Rechtsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, gibt es ja leider nicht (mehr). Aber, wenn es um die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, das von dem Verkehrsverstoß gefretigt worden ist, geht, dann stehen die Chancen nicht schlecht. Da werden dann doch häuifg/viele Fehler gemacht, die zur Aufhebung führen und damit Zeitgewinn bringen. Und das vor allem dann, wenn man an einen Amtsrichter „gerät“, der das „Kleine Einmal Eins“ der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht beherrscht.

So der Amtsrichter in Berlin, der das dem KG, Beschl. v. 22.09.2015 – 3 Ws (B) 484/15 – zugrundeliegende Urteil abgesetzt hatte. Das passte nun gar nicht:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weist in ihrer Stellungnahme zu dem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass das Urteil hinsichtlich der Feststellung zu der Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Tatrichter die Betroffene anhand der Fotos und der Aufzeichnungen der Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlage als Führerin des maßgeblichen Fahrzeugs erkannt. Die bloße Darlegung jedoch, dass das Gericht die Fotos und Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung eingeführt habe, stellt keine prozessordnungsgemäße Verweisung dar. Denn die Absicht, wegen der Einzelheiten des Inhalts auf die Lichtbilder Bezug zu nehmen, kommt damit nicht deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2014 — 3 Ws (B) 550/14 —). Der Tatrichter muss insoweit ausdrücklich auf die in der Akte befindlichen Lichtbilder gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nehmen. Lediglich dann werden diese zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsmittelgericht kann sie aus eigener Anschauung würdigen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 267 Rdn. 10) und ist daher in der Lage zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich sind (vgl. BGH NZV 1996, 157 mit weit. Nachw.),

Wenn der Tatrichter jedoch — wie vorliegend — von der erleichternden Verweisung auf die In Augenschein genommenen Fotos und Aufzeichnungen gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen hat, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten sowie die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung der Lichtbilder die Prüfung ermöglicht wird, ob diese zu Identifizierung generell geeignet sind (vgl. BGH a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, weil lediglich mitgeteilt wird, dass der Tatrichter die Betroffene anhand der Frisur und der Gesichtsform eindeutig wiedererkannt habe. Das Urteil kann daher, ohne dass es auf das weitere Beschwerdevorbringen ankommt, keinen Bestand haben.“

Ich bin dann immer wieder erstaunt, wenn ich solche Aufhebungen lese. Nicht über die Aufhebung, die ist klassich. Nein, über das AG-Urteil. Denn die Grundsatzentscheidung des BGH (BGHSt 41, 376) ist aus 1995 – da sollten sich die Grundsätze der Entscheidung doch allmählich herum gesprochen haben. Oder?