Archiv für den Monat: Februar 2016

BGH zum Rückwärtsfahren: Wenn der andere steht, kein Anscheinsbeweis

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Der BGH hat im BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 zum Rückwärtsfahren entschieden. Es ging um eine in der Praxis sicherlich häufigere Konstellation, nämlich einen sog. Parkplatzunfall auf dem (öffentlichen) Parkplatz eines Baumarktes. Der Kläger hatte dort mit seinem PKW rückwärts aus einer Parkbucht ausgeparkt. Es kam zu einem Zusammenstoß in der zwischen zwei Parkbuchtreihen befindlichen
Gasse mit dem PKW des Beklagten, der ebenfalls rückwärts aus einer gegenüberliegenden Parkbucht herausfuhr. Vorgerichtlich hat die Kfz-Versicherung des Beklagtes die von ihr anerkannten Schadenspositionen des Klägers im Umfang von 50 % reguliert. Der Kläger beanspruchte aber eine Erstattung von 100 %. Der Kläger hatte behauptet, sein Fahrzeug habe nach dem Ausparken bereits in Fahrtrichtung gestanden, als der Beklagte mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren sei. Die Beklagten haben behauptet, beide Fahrzeuge hätten sich im Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung befunden. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision hatte beim BGH Erfolg.

Anders als AG und LG geht der BGH davon aus, dass hier der Anscheinsbeweis, der sich auf § 9 Abs. 5 STVO gründet, hier nicht gegen den Kläger spricht. Nach umfangreicheren Ausführungen zum Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren führt der BGH dazu zu dem vorliegenden Verkehrsgeschehen aus:

„bb) Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen ist die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrenden auf einem Parkplatz nicht zu beanstanden, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers stattgefunden hat. Die geforderte Typizität liegt aber regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass – wie hier – vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte (hier: Beklagter zu 1) mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren ist. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat. Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht (vgl. OLG Hamm, NZV 2013, 123; König, aaO, § 8 StVO Rn. 31a mwN). Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Ver-pflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können (vgl. oben unter 3a). Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.“

Den Rest bitte selber lesen. 🙂

Ich habe da mal eine Frage: Zeugenbeistand an zwei Tagen, nur eine Gebühr?

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Heute dann mal etwas nicht so ganz Alltägliches, und zwar aus dem (Gebühren)Recht des Zeugenbeistandes. Der Kollege fragte:

„Hallo,
ich wurde als Zeugenbeistand beigeordnet. Die Vernehmung erstreckte sich über zwei Verhandlungstage.

Nun soll lediglich einmal die Gebühr nach VV 4301 Nr. 4 gezahlt werden. Der Bezirksrevisor bezieht sich auf OLG Düsseldorf II-1 Ws 109/12, 1Ws 109/12. Ist dies korrekt oder ist die Gebühr zweimal in Ansatz zu bringen?“

Kurze Frage, kurze Antwort?

Heiko „stalkt/nervt“

Heiko Maas

Heiko Maas

Ich war in dieser Woche zwei Tage unterwegs. Dann hänge ich mit dem Sichten des Materials immer ein wenig hinterher und bin dann froh, dass es Facebook gibt. Da kann man dann sehen, was „Freunde“ geteilt haben und was ggf. wichtig/interessant war. Über eine solche geteilte Meldung aus Beck-Aktuell des „Freundes“ W. Stahl – ja es ist „DER“ Stahl – bin ich auf die Nachricht einer vom BMJV geplanten Gesetzesänderung gestoßen. In der Meldung heißt es:

„Bundesjustizminister will Stalking-Tatbestand verschärfen

Um Stalking-Opfer besser zu schützen, plant Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine Verschärfung des Stalking-Tatbestandes (§ 238 StGB). Ein Referentenentwurf sieht dazu vor, dass es für die Strafbarkeit künftig ausreichen soll, wenn Handlungen des Täters objektiv geeignet sind, beim Opfer Beeinträchtigungen hervorzurufen. Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) begrüßt dies laut einer Pressemitteilung ihres Ministeriums. Ein besserer Schutz von Stalking-Opfern sei längst überfällig.

Nachweis schwerwiegender Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung soll künftig nicht mehr erforderlich sein

Bisher sieht § 238 StGB vor, dass das Opfer schwerwiegende Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung nachweisen muss, bevor dem Täter strafrechtliche Konsequenzen drohen. In vielen Fällen könnten es sich Stalking-Opfer aus beruflichen oder finanziellen Gründen aber nicht leisten, einfach die Wohnung zu wechseln oder das Lebensumfeld zu ändern. Das sei der Grund, warum viele Strafanzeigen letztlich nicht zur Anklage führten, so Kühne-Hörmann. Der Stalking-Tatbestand müsse an die Lebenswirklichkeit angepasst werden.  

Kühne-Hörmann: Anpassung des Tatbestands längst überfällig  

Kühne-Hörmann zeigt sich in Anbetracht der Pläne des Bundesjustizministers optimistisch, Schwächen des Tatbestands jetzt zu korrigieren. „In dem wir die Voraussetzungen für die Strafbarkeit behutsam ändern, behandeln wir alle Opfer von Stalking gleich. Eine Strafbarkeit, die letztlich von der Gemütsstärke des Opfers abhängt, ist aus Opferschutz- und Präventionsgesichtspunkten schlicht unzureichend.“ Sie moniert allerdings, dass Maas die Gesetzesverschärfung nicht zügiger auf den Weg gebracht hat. Sie erinnert unter andrem daran, dass Hessen bereits im Mai 2014 bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht hatte. Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums befindet sich nun in der Ressortabstimmung.“

Also, man merkt m.E., dass die Legislaturperiode im BT allmählich in ihr letztes Jahr geht. Es kommen die ganzen Leichen aus dem Keller, die man da noch liegen hat. Darunter dann auch die Änderung des § 238 StGB (vgl. hier). Ob die angekündigte Änderung nun eine gleückliche Lösung ist, wage ich zu bezweifeln. Aber, wenn das stimmt, was dort angekündigt ist (und es muss stimmen, denn es hat wohl auch in der BILD gestanden – vgl. hier), dann bekommen wir dort ggf.eine sehr weite Vorschrift. Denn wenn „Stalker bereits dann verurteilt werden können, wenn ihr Verhalten „geeignet ist“, die Lebensgestaltung des Opfers „schwerwiegend zu beeinträchtigen“, dann zählen dazu in der Tat bereits u.a. „die beharrliche Suche räumlicher Nähe oder die Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail.“ Und ab wann ist es dann „schwerwiegend“ und ab wann „geeignet, wenn es so im neuen Gesetz steht? Schon der erste Anruf, die erste Mail? Oder erst der wie vielte Anruf, die wie vielte Mail.

An den Referentenentwurf kommt man leider nicht ran (jedenfalls habe ich ihn nicht gefunden). Aber immerhin „Ein Sprecher des Justizministeriums bestätigte am Samstag auf dpa-Anfrage lediglich, dass ein Referentenentwurf zu dem Thema am Freitag in die Ressortabstimmung gegangen sei. Zu Einzelheiten wollte sich der Sprecher aber nicht äußern.“

Zustellungsvollmacht/rechtsgeschäftliche Vollmacht, oder: Aufgepasst Herr/Frau Verteidiger(in)

© frogarts -Fotolia.com

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Starten wir heute dann mal mit nicht ganz so schwerer Kost, ist ja schließlich Wochenende 🙂 , na ja, noch nicht ganz. Und da passt mir der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2015 – 2 (7) SsBs 467/15 – ganz gut. Er behandelt u.a. eine Zustellungs-/Vollmachtsproblematik im Bußgeldverfahren. Die Fragen sind ja in der Praxis, da es häufig um die Verjährungsproblematik geht, von Bedeutung. Hier ging es allerdings nicht um Verjährung, sondern um die wirksame Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils. Eine Zustellungsvollmacht befand sich nicht in der Akte. Das OLG ist aber dennoch von einer wirksamen Zustellung ausgegangen, denn:

a) Das Urteil wurde durch die (bloße) Zustellung an die Verteidigerin unter dem Gesichtspunkt der Bevollmächtigung wirksam zugestellt (§ 343 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), obwohl sich bei den Akten keine Vollmacht befindet (§ 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG; vgl. auch § 51 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz OWiG). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Wirksamkeit einer Zustellung an den Verteidiger nicht nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Vollmacht (Vollmachtsurkunde bei den Akten), sondern auch bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht in Betracht kommen kann. Die rechtsgeschäftliche Vollmacht kann allerdings nicht durch das bloße Tätigwerden des Verteidigers als solches angenommen werden (BGHSt 41, 303; BGH NStZ-RR 2009, 144). Stattdessen ist auch in diesen Fällen aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz des Betroffenen ein urkundlicher Nachweis zu fordern (KG Berlin VRS 125, 230; OLG Brandenburg VRS 117, 305; BayObLG NJW 2004, 1263; vgl. auch BGH StraFo 2010, 339). Vorliegend wurde zwar auch nach der bewirkten Zustellung keine Vollmacht nachgereicht. Dies war jedoch ausnahmsweise entbehrlich, da das von der Verteidigerin unterzeichnete Empfangsbekenntnis den Zusatz „Ich bin zur Entgegennahme legitimiert und habe heute erhalten“ enthielt; eine solche ausdrückliche Erklärung war zum Nachweis der erforderlichen rechtsgeschäftlichen Vollmacht ausreichend (KG Berlin a.a.O.; BayObLG a.a.O.).

Ungeachtet der Wirksamkeit einer solchen Zustellung ist es aus Gründen der Rechtssicherheit aus Sicht des Senats vorzugswürdig, an den Verteidiger nur dann zuzustellen, wenn sich eine schriftliche Vollmacht bei den Akten befindet (§ 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Dies entspricht nach den Erkenntnissen des Senats im Übrigen auch der Praxis der anderen Bußgeldabteilungen des Amtsgerichts Freiburg sowie auch sonstiger Amtsgerichte.“

Da kann man nur sagen: Aufgepasst Herr/Frau Verteidiger.

Aber: Erfolg hatte die Rechtsbeschwerde dennoch. Denn: Das Urteil war erst nahc Ablauf der sog. Fertigstellungsfrist unterschrieben worden. Das ändert nichts an der Wirksamkeit der Zustellung,

„Ungeachtet des Verstoßes gegen die Fertigstellungsfrist (vgl. auch § 338 Nr. 7 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) verhindert demgegenüber die fehlende Unterschrift bei einer dem Empfänger zugestellten mit der Urschrift des Urteils übereinstimmenden Ausfertigung, woran zu Zweifeln kein Anlass besteht, nicht, dass die Rechtswirksamkeit der Zustellung berührt wird; es handelt sich nämlich nicht um einen Mangel der Zustellung, sondern des Urteils selbst (BGHSt 46, 204; BGH NStZ-RR 2003, 85; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 345 Rn. 5a; aA LR-Franke, a.a.O., § 345 Rn. 6).“

aber:

a) Das Urteil ist aufgrund der Sachrüge aufzuheben, da es erst nach Ablauf der Fertigstellungsfrist unterschrieben wurde (vgl. oben II. 2. b). Eine zu diesem Zeitpunkt erfolgte Unterschrift entfaltet keine rechtliche Bedeutung, sodass es dem Fall des Fehlens der Unterschrift gleichsteht. Demzufolge liegt lediglich ein Urteilsentwurf vor, zumal die fehlende Unterschrift nach ganz überwiegender Auffassung (vgl. oben II. 2. b), der sich der Senat anschließt, ohnehin nicht mehr nachgeholt werden konnte. Das Fehlen der richterlichen Unterschrift ist dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 250 m.w.N.).“

„Schönes“ Durcheinander beim AG Freiburg…..

Leivtecmessung – Kabellänge passt nicht: AG Jülich stellt alle – alten und neuen – Verfahren ein….

© Kathrin39 Fotolia.com

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Ein Blog lebt u.a. auch von der Kommunikation. Daher bin ich immer dankbar über Nachrichten, die mich von Kollegen erreichen, entweder mit aktuellen Entscheidungen, die sie erstritten haben, oder mit sonstigen Schmankerln. Und eine solche Nachricht habe ich gestern von dem Kollegen Ramón Jumpertz aus Jülich erhalten, der mir mitteilt:

„….weiß nicht ob es Sie interessiert, aber alle Verfahren sind auch beim AG Jülich wegen der Kabellänge nach dem eingeholten Gutachten eingestellt worden. 

Heute habe ich jetzt auch erfahren, dass die Verfahren eingestellt werden sollen, deren Messung nach Austausch des Kabels erfolgt sind, sofern noch keine neue Eichung erfolgt ist. Dank dem vorletzten Absatz des Gutachtens….. „

Das in Bezug genommene Gutachten ist eins des Dipl.InG Roland Blandt – also auch kein „Fuzzy“ -, in dem es an der Stelle heißt:

„Zusätzlich bestätigt eine fotogrammaterische Auswertung hinreichend genau und plausibel die Messentfernungen des Tatfahrzeuges in den Beweisfotos und der daraus resultierenden Geschwindigkeit.

Die seit dem 22.05.2015 bekannt gewordene Verwendung unzulässig langer Verbindungskabel zwischen Bedieneinneil und Recheneinheit stellt nach Aussage der PTB einen Verstoß gegen die Festlegungen der Bauartzulassung dar.

Zudem kann nach bisher geführten Schriftwechseln zwischen Sachverständigen und der PTB seitens der Zulassungsbehörde nicht ausgeschlossen werden. dass es bei der Verwendung eines Kabels mit einer formal nicht korrekten Kabellange > 3 m in der Vergangenheit zu einer unzulässigen Beeinflussung des Messgerätes gekommen sein kann.

Aus Sachverständiger Sicht verbleiben daher technisch Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung

Hohenahr, 27.09.2015″

Vielleicht hilft es ja. Nicht nur am Niederrhein…. 🙂