Archiv für den Monat: Januar 2016

Starkes Bremsen bei grüner LZA, oder: Nicht immer haftet der Auffahrende allein…..

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Nach dem „Quasiauffahrunfall“ im OLG Düseldorf, Urt. v. 27.10.2015 – I-1 U 46/15 (dazu Abbiegen auf die Gegenfahrbahn – Wenden oder Linksabbiegen?, oder: Quasiauffahrunfall) hier dann jetzt ein „richtiger“ Auffahrunfall, und zwar eine „klassische Situation“: Auffahren nach Bremsen bei grüner Lichtzeichenanlage. Das LG Saarbrücken, Urt. v. 20.11.2015 – 13 S 67/15 – geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Klägerin und die Erstbeklagte standen mit ihren Fahrzeugen hintereinander in einer Reihe von insgesamt vier Fahrzeugen vor einer roten Ampel in der ppp. Straße im Kreuzungsbereich zur ppp. Straße. Die Erstbeklagte hielt an dritter Stelle, die Klägerin an vierter Stelle. Nachdem die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte, fuhren die Fahrzeuge los. Nachdem die ersten beiden Fahrzeuge bereits in die ampelgeregelte Kreuzung eingefahren waren, bremste die Erstbeklagte ihr Fahrzeug noch vor dem Kreuzungsbereich ab, weil sie von rechts kommend die Zeugin ppp. mit ihrem Fahrrad auf dem dortigen Fuß- und Radweg sah und die Befürchtung hatte, die Zeugin ppp. würde die Straße queren. Die Klägerin fuhr auf das Beklagtenfahrzeug auf.“

Und dazu dann das LG in seiner dem Grunde nach nicht überraschenden Entscheidung:

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist der Erstrichter davon ausgegangen, dass die Erstbeklagte gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen habe. Auch dies ist zutreffend.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO darf der Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Voraussetzung ist danach zum einen, dass der Vorausfahrende deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat (vgl. KG, VersR 2002, 1571; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rn. 11). Zum anderen muss nachgewiesen sein, dass kein zwingender Grund für ein entsprechendes Bremsmanöver vorlag. Ein zwingender Grund setzt dabei eine plötzlich drohende ernste Gefahr für Rechtsgüter und Interessen voraus, die dem Schutzobjekt der Vorschrift (Sachen und Personen) mindestens gleichwertig sind (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1988, 138; Saarl. OLG, Zfs 2003, 118; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, jeweils m.w.N.).

b) Dass die Erstbeklagte im Streitfall deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat, hat das Erstgericht zutreffend feststellt. Dies wird auch von den Beklagten nicht in Abrede gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten lag auch kein zwingender Grund für ein starkes Abbremsen vor. Denn von der Zeugin ppp. ging – wie der Erstrichter ebenfalls zutreffend festgestellt hat – keine plötzliche Gefahr aus, die ein starkes Abbremsen rechtfertigte.

Nach der Darstellung der Zeugin ppp., der das Erstgericht gefolgt ist und deren Glaubhaftigkeit von der Berufung ebenso wenig in Zweifel gezogen wird wie die Glaubwürdigkeit der Zeugin, hatte sich die Zeugin mit ihrem Rad dem Fußgänger-/Radübergang nur langsam genähert und war gerade dabei, auf dem Bürgersteig anzuhalten, als die Erstbeklagte stark abbremste. …..

3. Auch die Klägerin trifft ein Mitverschulden an dem Unfall.

a) Zwar ist der gegen die Klägerin als Auffahrende sprechende Anscheinsbeweis im Hinblick auf den nachgewiesenen Verstoß der Erstbeklagten gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO erschüttert (Kammer, st. Rspr.; vgl. zuletzt Hinweisbeschluss vom 21. Mai 2013 – 13 S 72/13; ebenso KG, VerkMitt 1983, Nr. 15, S. 13; OLG Köln, MDR 1995, 577; OLG-?Report 1995, 286; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668).

b) Die Klägerin hat aber nachweislich gegen die Pflichten aus § 3 Abs. 1, Satz 4, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 1 StVO verstoßen. Zwar ist beim Anfahren bei Grün die Pflicht zur Einhaltung des Mindestabstands nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO außer Kraft gesetzt. Dies geht allerdings einher mit der Pflicht zu besonderer Aufmerksamkeit und erhöhter Bremsbereitschaft (vgl. KG, NZV 2013, 80; Hentschel aaO § 4 StVO Rn. 9 m.w.N.). Dass die Klägerin hiergegen verstoßen hat, hat der Erstrichter in tatsächlicher Hinsicht festgestellt. Dies wird von der Berufung nicht mit konkreten Tatsachen angegriffen.

4. Die Berufung der Klägerin wendet sich aber zu Recht gegen die durch das Amtsgericht getroffene Haftungsverteilung. Zwar trifft den Auffahrenden in der Regel die überwiegende Haftung. Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Vorausfahrenden – wie hier – ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO zur Last fällt. In diesem Fall kommt eine Mithaftung des Vorausfahrenden in Betracht, die umso größer ist, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein starkes Abbremsen ist (vgl. KG, MDR 2006, 1404; OLG Hamm, Schaden-?Praxis 2014, 186). Nach diesen Grundsätzen hält die Kammer vorliegend eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angezeigt. Denn die Erstbeklagte hat mit ihrem überraschenden und verkehrswidrigen Abbremsen die maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt. Dies gilt insbesondere, weil die Klägerin davon ausgehen durfte, dass auch die Erstbeklagte während der Grünphase der Ampel zügig weiterfahren würde, nachdem bereits die ersten beiden Fahrzeuge über die Ampel gefahren waren und auch die Erstbeklagte beim Umschalten der Ampel auf Grün „normal“ angefahren war. Gegenüber diesem schwerwiegenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO fällt das Mitverschulden der Klägerin vergleichsweise gering aus (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG, NZV 2004, 526; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668; LG München, DAR 2005, 690).

Abbiegen auf die Gegenfahrbahn – Wenden oder Linksabbiegen?, oder: Quasiauffahrunfall

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Mit einem in der Praxis m.E. nicht so ganz seltenen Fahrmanöver und einem darauf beruhenen Verkehrsunfall hatte sich das OLG Düsseldorf im OLG Düseldorf, Urt. v. 27.10.2015 – I-1 U 46/15 – zu befassen. Dem Unfallgeschehen war ein Fahrverhalten des Beklagten als Fahrer eines Pkw vorausgegangen, im Zuge dessen er sein Fahrzeug auf der L 239 in XXX „wenden“ wollte, um ein in seiner Fahrtrichtung linksseitig, also auf der  anderen Straßenseite gelegenes Gartengelände der Zeugin XXX aufzusuchen. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieses Fahrmanövers durch Geschwindigkeitsreduzierung und Linkseinordnen ist dann der durch den Zeugen XXX gesteuerte Lastkraftwagen der Klägerin gegen das Heck des durch den Beklagten zum Wenden vorbereitete Pkw Daewoo geprallt. Die Parteien haben dann darum gestritten, ob es es sich beim dem Fahrmanöver des Beklagten um ein von diesem eingeleitetes Wendemanöver mit Haftung des Beklagten gehandelt hat oder um einen gewöhnlichen Auffahrunfall mit der Rechtsfolge einer vollen Haftung der Klägerin.

Das OLG hat sich für „Wenden“ entschieden:

1. Der Schutzbereich des § 9 Abs. 5 StVO, der die strengen Sorgfaltspflichten des wendenden Verkehrsteilnehmers zum Gegenstand hat, erfasst nicht nur die Verkehrsteilnehmer auf der Fahrspur für die Gegenrichtung, die im Zuge der beabsichtigten Richtungsänderung überquert werden soll. Da der Wendende den Verkehr aus beiden Richtungen vorher vorbeilassen muss, folgt daraus zwangsläufig, dass sich der vorgeschriebene Gefährdungsausschluss auch auf den nachfolgenden Verkehr bezieht. Die Einzelheiten des vorliegenden Falles verdeutlichen die Gefährlichkeit eines Wendemanövers, dass auf der freien Strecke einer zweispurigen Landstraße mit einer dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h eingeleitet werden soll: Der Pkw Daewoo, der sich zunächst mit dem nachfolgenden klägerischen Lkw im fließenden Verkehr befunden hatte, wurde durch die spontane Fahrtverzögerung mit der nachfolgenden Notwendigkeit des Abwartens des Gegenverkehrs für den aufrückenden Beklagten zu 2. zu einem plötzlichen Frontalhindernis, dem er nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte – wenn auch die Entstehung der Heckkollision mitursächlich auf die Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes zurückzuführen war.

2. Das Wenden ist das Umdrehen des Fahrzeugs in die Gegenrichtung auf derselben Straße – und zwar gleichviel, wie und zu welchem Zweck (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 50 mit Hinweis auf BGH NZV 2002, 376 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Entgegen dem Argumentationsansatz der Beklagten kann der einheitliche Wendevorgang nicht dergestalt in Einzelphasen aufgeteilt werden, dass die Vorbereitung der Richtungsänderung – so wie durch die Zeugin XXX und den Beklagten zu 2. mit der Fahrtverlangsamung entlang der Mittellinie bei gleichzeitiger Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers geschildert – rechtlich nur als Beginn eines Abbiegevorganges im Sinne des § 9 Abs. 1 StVO einzuordnen ist.

a) Denn das Gefahrenpotential des beabsichtigten Wendevorganges setzt bereits mit dessen Vorbereitung – im vorliegenden Fall mit einer deutlichen Reduzierung der Fahrtgeschwindigkeit auf einer Landstraße – ein. Richtig ist zwar, dass das Wenden sich aus zumindest einem Abbiegevorgang, möglicherweise sogar aus mehreren Abbiegevorgängen, zusammensetzt, für welche die Regeln des 9 Abs. 1 bis Abs. 4 StVO unmittelbar anwendbar sind (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 58). Das bedeutet andererseits nicht, dass für jede Phase des Wendevorganges unterschiedliche Sorgfaltsanforderungen Berücksichtigung finden müssen – und zwar abhängig davon, ob etwa ein Wendevorgang erst durch eine entsprechende Einordnung gemäß § 9 Abs. 1 StVO vorbereitet wird oder ob weitergehend der Fahrer im Zuge der Durchführung der beabsichtigten Richtungsänderung bereits die abbiegetypische Schrägstellung eingenommen hat.

b) Es würde dem typischen Gefahrenpotential eines Wendevorganges nicht gerecht, wenn man, wie von den Beklagten postuliert, die Vorbereitung der Richtungsänderung allein im Hinblick auf die Einhaltung der Sorgfaltsanforderung des 9 Abs. 1 StVO würdigen würde, hingegen der in § 9 Abs. 5 StVO verlangte Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer erst für den Zeitpunkt maßgeblich sein soll, zu welchem der Fahrer die Schrägstellung quer zum bevorrechtigten fließenden Geradeausverkehr erreicht hat. Im Vergleich dazu ist etwa das Abbiegen als Ganzes zu sehen, es beginnt daher bereits mit der Rückschaupflicht, dem Blinken und Einordnen, nicht erst mit dem Bogenfahren (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 16). Entsprechendes gilt für einen Wendevorgang, der bezüglich der Einhaltung der strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO ebenfalls als ganzheitlicher Vorgang gewürdigt werden muss…..“

Haftungsverteilung dann aber 50 : 50.

Nachtrag: Der vollständige Abruf der Entscheidung kann sich heute (09.01.2016) ggf. leider etwas schwieriger gestalten. Die Domain Burhoff.de ist derzeit immer wieder down. Der Support beim Provider Domainbox funktioniert am Wochenende nicht. Keine Angst: Der Umzug wird vorbereitet. ich werde kündigen.

Ich habe da mal eine Frage: Owi im Ausland – welche Gebühren?

© AllebaziB - Fotolia

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Die Reihe „RVG-Rätsel“ oder: „Ich habe da mal eine Frage…“ eröffne ich dann für 2016 mit folgender Frage, die – wenn ich es richtig gesehen habe – von einem RA-Kollegen stammt, der bei einer/für eine RSV tätig ist (ich sage jetzt nicht wo 🙂 ). Er hatte folgendes Problem:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

ich möchte Ihnen eine gebührenrechtliche Frage stellen und würde mich freuen, wenn Sie mir da weiterhelfen könnten:

Der Mandant hat eine Owi (Geschwindigkeit) in Frankreich begangen und wird dort auch von französischen Anwälten vertreten. In Deutschland hat er jetzt einen Korrespondenzanwalt beauftragt, der den Schriftverkehr mit den französischen Kollegen führt. Welche Gebühren kann der deutsche Rechtsanwalt nach dem RVG abrechnen? Muss er sich auf die VV5200 verweisen lassen?“

Und? Lösung?

Ein Papierkorb neben dem Sammelbriefkasten im Mehrfamilienhaus ==> Wiedereinsetzung

entnommen wikimedia.org Urheber unknown

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Fristversäumung ist immer schlecht 🙂 , egal ob durch den Betroffenen/Beschuldigten oder ggf. auch durch den Verteidiger. Und wenn es zur Fristversäumung gekommen ist, dann stellt sich immer auch die Frage der Wiedereinsetzung. Über die Frage hat das AG Dortmund im AG Dortmund, Beschl. v. 09.12.2015 – 732 OWi 441_15 [b] – entschieden.

Ergangen ist die Entscheidung im Bußgeldverfahren. Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger gegen einen Bußgeldbescheid der Stadt Dortmund am 10.09.2015 Einspruch eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Begründung: Der Bußgeldbescheid vom 21.07.2015 ist dem Betroffenen erst am 04.09.2015 zugegangen sei. Die Stadt Dortmund hat Wiedereinsetzung verweigert, das AG hat sie dann gewährt.

„Gemäß §§ 46 Abs. I OWiG, 37 Abs. I StPO in Verbindung mit § 180 ZPO ist eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten zulässig, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung oder in dem Gerichtsraum nicht angetroffen wird und auch die Übergabe an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner in der Wohnung bzw. an eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person nicht möglich ist.

Das Gericht hält die Einlegung in eine gemeinschaftliche Vorrichtung mehrerer Bewohner für ausreichend, wenn es sich dabei offensichtlich um eine Vorrichtung handelt, durch die der Adressat typischerweise seine Post erhält, da er damit zu erkennen gibt, dass er dem in der Regel überschaubaren Kreis von Mitbenutzern hinreichendes Vertrauen entgegenbringt (hierzu Münchner Kommentar, 4. Auflage 2013, § 180 Rdnr. 4).

Das Gericht geht damit von einer wirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides am 23.07.2015 aus.

Der Betroffene hat allerdings nachgewiesen, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung des Einspruchs im Sinne von § 44 StPO einzuhalten.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Bereitstellung und Ausgestaltung einer Vorrichtung zum Postempfang grundsätzlich in der Einflusssphäre und der Eigenverantwortung des Betroffenen liegt. Allerdings ist eine großzügige Anwendung des § 44 StPO im Interesse der materiellen Gerechtigkeit geboten (Meier-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Auflage, 2015, § 44 Rdnr. 11). Der Betroffene hat eidesstattlich versichert, dass er in einem Mehrfamilienhaus wohnt, das über einen Sammelbriefkasten verfügt. Neben dem Sammelbriefkasten befindet sich ein Papierkorb, wo die Hausbewohner die Möglichkeit haben, offensichtliche Werbung von Postsendung zu trennen und diese in den Papiereimer zu entsorgen. Die Gestaltung dieser Gegebenheiten in dem Mietshaus, in dem der Betroffene die Wohnung gemietet hat, liegt damit außerhalb seiner Einflussmöglichkeiten. Der Vermieter hat den Mietparteien lediglich diese Art des Briefkastens zur Verfügung gestellt.

Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Betroffenen auf Grund dieser Gestaltung des Zugangs der Post Briefsendungen in der Vergangenheit nicht erreicht haben und er deswegen gehalten ist, vom Vermieter Abhilfe zu schaffen. Vielmehr hält das Gericht den Umstand, dass der Benachrichtigungsschein offensichtlich im Papiereimer gelandet- ist, für einen unglücklichen Umstand, der dem Betroffenen nicht anzulasten ist. Folglich war dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.“

Glück gehabt.

„Passt schon“, geht nicht, oder: So kann man auch in der Revision noch verteidigen

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Seit Inkrafttreten des 1. JuMoG am 01.09.2004 sieht § 354 StPO in Abs. 1a die eigene Sachentscheidung des Revisionsgericht vor, wenn das tatrichterliche Urteil zwar einen Strafzumessungsfehler enthält, aber „die verhängte Rechtsfolge angemessen ist“. Also verkürzt: Zwar rechtlich falsch, aber „passt schon“. Davon machen die Revisionsgerichte gern Gebrauch, denn es erspart – was der Sinn dieser Vorschrift ist – eine Zurückverweisung und Neuverhandlung. Aber das klappt nicht immer, und zwar dann nicht, wenn neue Tatsachen vorliegen, die der Anwendung dieser Regelung entgegenstehen. Dazu hat ja 2007 auch bereits das BVerfG Stellung genommen.

Ein schönes Beispiel, wann diese Vorgehensweise „nicht klappt“, enthält der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2015 – 2 RVs 121/15. Da ist der Angeklagte wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt worden. Die Strafzumessung ist/war teilweise fehelerhaft:

„Bei der konkreten Zumessung der Einzelstrafen hat das Landgericht auf die bei der Verneinung minder schwerer Fälle angeführten Gesichtspunkte generell Bezug genommen und dabei nicht ausschließbar normale Umstände strafschärfend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. So ist eine gewöhnliche Fälle des Wohnungseinbruchdiebstahls überschießende Planungstätigkeit nicht festgestellt worden. Erst recht konnte bei der konkreten Strafzumessung nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden, dass es sich nicht um Spontantaten handelte. Dass die Taten „trotz bestehender sozialer Bindungen“ begangen wurden, ist kein anerkannter Strafschärfungsgrund.“

Aber:

„…Der Senat hat erwogen, gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO von der Aufhebung des Strafausspruchs abzusehen, weil die verhängte Rechtsfolge jedenfalls angemessen ist. Dazu ist dem Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Das Vorbringen des Angeklagten, er habe sich nach der Berufungshauptverhandlung schriftlich bei den Tatopfern entschuldigt, steht der Anwendung des § 354 Abs. la Satz 1 StPO entgegen: Dieser ungeklärte Strafzumessungssachverhalt ist zwar nicht bestimmend. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, dass das neue Tatgericht den noch festzustellenden Umstand zugunsten des Angeklagten berücksichtigen und dies sich jedenfalls bei der Gesamtstrafe auswirken würde.

Bei dieser Sachlage ist der Senat gehalten, von einer eigenen Sachentscheidung abzusehen und nach § 354 Abs. 2 zu verfahren (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977, 2979)….“

Sollte man als Verteidiger im Auge haben, um sich für den Mandanten gegen die Verwerfung durch das Revisionsgericht „wehren“ zu können.