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„Burhoff argumentiert nicht „systemkonform“, sondern „systemwidrig“? Ja, richtig gelesen. Das ist der Vorwurf/Vorhalt, den ich mir vom Einzelrichter/von der Einzelrichterin des KG im KG, Beschl. v. 02.10.2015 – 1 ARs 26/13 – in einer Gebührensache betreffend eine Pauschgebühr nach § 51 RVG habe machen lassen müssen bzw. der aus dem Beschluss abzuleiten ist. Ausgangspunkt ist ein beim LG Berlin anhängig gewesenes Umfangsverfahren, nach dessen Abschluss die Verteidigerin eines Angeklagten eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt hatte. Sie hatte ihren Antrag auf die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG beschränkt und jeweils eine über die Wahlanwaltshöchstegbühren hinausgehende Pauschgebühr verlangt. Das KG hat eine Pauschgebühr gewährt, diese aber auf die Wahlanwaltshöchstgebühr (nach altem Recht) beschränkt.
In dem Zusammenhang hat das KG dann ausgeteilt, und zwar bei der Frage der Kompensation. Da geht es darum, ob auch bei einem auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkten Pauschgebührenantrag stets im Wege der Gesamtschau zu prüfen ist, ob die dem Verteidiger für seine Tätigkeit im gesamten Verfahren gewährte Regelvergütung insgesamt noch zumutbar ist oder ob ihm wegen besonderer Schwierigkeiten in einem Verfahrensabschnitt mit der dafür vorgesehenen Gebühr ein ungerechtfertigtes Sonderopfer abverlangt wird. Das KG bejaht die Kompensation:
„Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Die Zulässigkeit einer Kompensation im Wege der Gesamtschau ist nicht „systemwidrig“ (so aber Burhoff StRR 2012, 458, 459), sondern im Gegenteil systemkonform. Bereits nach dem früheren Recht (§ 99 BRAGO) konnte dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren „oder für einzelne Teile des Verfahrens“ auf Antrag eine Pauschvergütung bewilligt werden. Auch in letzterem Fall war nach einhelliger Meinung auf eine Gesamtschau aller von dem Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten abzustellen. Wird der Rechtsanwalt nämlich, wie es der Regelfall ist, für das ganze Verfahren bestellt und in Anspruch genommen, lässt sich die Frage, ob dem Rechtsanwalt mit der gesetzlichen Vergütung ein Sonderopfer für besondere Erschwernisse in einzelnen Teilen des Verfahrens abverlangt würde, nur dann zuverlässig beurteilen, wenn man nicht nur diese einzelnen Verfahrensteile, sondern die gesamte Inanspruchnahme des Rechtsanwalts in den Blick nimmt. An diesem Grundgedanken hat sich nichts dadurch geändert, dass nunmehr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für das ganze Verfahren „oder für einzelne Verfahrensabschnitte“ auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen ist. Dies gilt umso mehr als der Gesetzgeber, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG NJW 2007, 3420), die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem zusätzlichen Merkmal der Unzumutbarkeit abhängig gemacht hat, welches den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 RVG zugleich einschränken und den Ausnahmecharakter dieser Regelung zum Ausdruck bringen soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 291). Die Pauschgebühr soll dem Rechtsanwalt keinen zusätzlichen Gewinn bringen, sondern lediglich besondere Härten ausgleichen (vgl. Hartmann, Kostengesetze 45. Aufl., § 51 RVG Rdn. 2).“
Na ja, mir ist ja in Zusammenhang mit dem RVG und Anwaltsgebühren schon viel vorgeworfen worden, aber, dass ich „systemwidrig“ argumentiere, noch nicht. Und dann schon gar nicht dann, wenn m.E. derjenige, der den Vorwurf erhebt, selbst „systemwidrig“ handelt 🙂 , wenn er die Kompensation zulässt. Denn aus der Gesetzesbegründung zu § 51 RVG (BT-Drucks. 15/1971 S. 201) folgt eindeutig, dass es bei der verfahrensabschnittsweisen Beantragung einer Pauschgebühr bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 51 RVG immer auch nur auf diesen Verfahrensabschnitt und die in ihm erbrachten Tätigkeiten ankommen kann. Alles andere führt dazu, dass „Birnen mit Äpfeln“ verglichen werden, bzw.: Man negiert (auch) den Willen des Pflichtverteidigers, der sich mit den gesetzlichen Gebühren für andere Verfahrensabschnitte zufrieden gibt und sie als zumutbar ansieht. Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom KG in dem Zusammenhang bemühten Entscheidung des BVerfG NJW 2007, 3420. Denn deren Grundsätze sind bei einer verfahrensabschnittsweise beantragen Pauschgebühr auf den Verfahrensabschnitt zu beschränken, der auf dem Prüfstand stand.
Aber so weit, so gut. Ich bin mir im Übrigen darüber im Klaren, dass ich das KG nicht überzeugen kann. Wer kann schon ein OLG von einer einmal gefassten Meinung abbringen? 🙂 Damit muss ich leben. Das KG muss aber m.E. damit leben, dass ihm nun selbst vorgehalten wird, „systemwidrig“ zu entscheiden. Die antragstellende Rechtsanwälting muss schließlich mit und von der gewährten Pauschgebühr leben, auch das wird sie wahrscheinlich überleben. Womit sie aber an sich nicht leben müssen sollte ist, dass über ihren Antrag offenbar erst nach gut zwei Jahren entschieden worden ist. Das lässt sich m.E. unschwer aus dem Aktenzeichen „1 ARs 26/13“ erkennen. Warum es so lange gedauert hat, erschließt sich aus dem vorliegenden Beschluss nicht. Aber vielleicht hat das KG ja so lange gebraucht, um zu erkennen, was nach seiner Ansicht „systemkonform“ oder aber „systemwidrig“ ist. M.E. ist das aber ganz einfach.