Archiv für den Monat: September 2015

Klein, aber fein II: Pflichtverteidiger im Steuerstrafverfahren

© pedrolieb -Fotolia.com

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Da hat es mal wieder erst das LG richten müssen, sprich: Es war in einem Steuerstrafverfahren die Beschwerde des Angeklagten erforderlich, damit ihm ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. Vorwurf war, der Angeklagte habe als Betreiber eines Einzelunternehmens für Metallwaren durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2012 Umsatzsteuer in Höhe von 40.802,31 € nicht erklärt. Dadurch sei ein Schaden von 37.695,72 € entstanden. Die Ermittlung des Steuerschadens beruht auf Schätzungen des Finanzamtes. Grundlage der Schätzung waren Rechnungen des Angeklagten sowie Umsatzsteuervoranmeldungen.

Das AG hat die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Der LG Essen, Beschl. v. 02.09.2015 – 56 Qs 1/15 – sieht das anders:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierigkeit der Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO): Beim Steuerstrafrecht handelt es sich um Blankettstrafrecht: Die Rechtslage kann nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden. Damit ist ein Angeklagter regelmäßig überfordert, wenn er ¬wie offenbar hier — nicht über Spezialwissen verfügt. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts möglich ist, genügt nicht. Dies gilt umso mehr, als für die Berechnung der Höhe der Steuerschuld des Angeklagten ausweislich des strafrechtlichen Abschlussvermerks vom 10.04.2015 (BI. 26 d. A.) die Sondervorschrift des § 13b UStG einschlägig ist, deren Verständnis und Anwendung vertiefte Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erfordern. Dabei wird insbesondere die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage zu behandeln sein, ob das bloße Nichterfüllen von Nachweispflichten zu einer strafrechtlich beachtlichen Steuerverkürzung führen kann.

Hinzu kommt, dass die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gemäß § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden kann, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet (§ 140 Abs. 2 StPO). Denn um die Tatvorwürfe zu prüfen, sind die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung des Beweismittelordners mit den Geschäftsunterlagen erforderlich.

Zwar hat der unverteidigte Angeklagte auf seinen Antrag einen Anspruch auf Auskünfte und Abschriften aus den Akten, wenn er sich sonst nicht angemessen verteidigen könnte (§ 147 Abs. 7 StPO). Doch erscheint der Angeklagte im vorliegenden Fall nicht in der Lage, die für seine Verteidigung relevanten Teile der Akten zu benennen und in ihrer Bedeutung einzuschätzen, so dass (vollständige) Akteneinsicht durch einen Verteidiger zwingend erforderlich ist.“

Schon das „Akteneinsichtsargument“ hätte m.E. dem AG bei dem Vorwurf genügen müssen, um den Pflichtverteidiger zu bestellen.

Gutes Wetter bei Kachelmann: 635.000 € für Springer-Berichterstattung

© fotomek - Fotolia.com

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Es ist doch schön, wenn man Blogleser hat, die sich um den Bloginhalt mit kümmern, sei es durch die Einsendung von Entscheidungen, sei es durch Hinweise auf interessante Meldungen o.Ä. Und so erreicht mich gerade der Hinweis auf die Spon-Nachricht „Rekord-Schmerzensgeld: Springer muss Kachelmann mit 635.000 Euro entschädigen“ So hat gerade wohl das LG Köln entschieden. Da heißt es: Es ist die höchste Entschädigungssumme, die jemals in einem solchen Verfahren zugesprochen wurde: Wegen seiner Berichterstattung zum Kachelmann-Prozess muss Springer dem Wettermoderator 635.000 Euro zahlen. Weiterlesen dann hier. Na, das sorgt sich für gutes Wetter im Hause Kachelmann.

Schnell bloggen, hatte der Kollege geschrieben. Erledigt 🙂 .

Wie viel Augen hat ein BGH-Senat? Es bleibt bei vier Augen, oder vielleicht nur zwei Augen?

AugenIn den letzten Jahren ist in der Rechtsprechung und Literatur zum Revisionsverfahren um die Frage gestritten worden, ob denn nun ein BGH-Senta 10 Augen hat, die die Akten lesen oder doch nur (weiterhin) vier (vgl. dazu u.a. Wie viele Augen hat ein BGH-Senat: Vier Augen oder doch zehn Augen?, und aus den Blogs dazu auch: Entscheiden über Akten, die man nicht gelesen hat, oder auch: Zehnaugenprinzip).

In der Rechtsprechung des BGH ist der Zug zu der Frage m.E. abgefahren. Es mag/kein sein, dass der 2. Strafsenat von 10 Augen ausgeht, die anderen Strafsenate halten aber an dem „Vier-Augen-Prinzip“, also Vorsitzender und Berichterstatter lesen, fest. Da braucht man als Verteidiger m.E. auch gar nicht mehr groß vortragen. Es führt zu nichts, außer zu einem Zweizeiler vom Senat, wie z.B. im BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 1 StR 433/14:

„Der Senat hat zudem in gesetzmäßiger Weise über die Revisionen der Verurteilten beraten und entschieden. Ein Anspruch auf ein Verfahren nach dem sog. „Zehn-Augen-Prinzip“ besteht nicht. Vielmehr entspricht die bisherige Ausgestaltung der Beratungspraxis der Strafsenate des Bundesgerichtshofs dem Gesetz (vgl. BVerfG, NJW 1987, 2219, 2220 und NJW 2012, 2334, 2336; BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 1994 – 5 StR 15/92, NStZ 1994, 353, 354; vom 14. März 2013 – 2 StR 534/12, NStZ-RR 2013, 214; vom 26. März 2014 – 5 StR 628/13 und vom 10. Februar 2015 – 1 StR 640/14; Mosbacher NJW 2014, 124 ff. mwN).

Im Übrigen ist das Vorbringen der Beschwerdeführer, wonach nur der Vorsitzende zugleich als Berichterstatter von den Akten Kenntnis gehabt habe (Beschwerdebegründung S. 2), unzutreffend.“

Und da hatten wir dann wohl noch die Besonderheit, dass der Vorsitzende zugleich Berichterstatter war. Der Verteidiger hatte also ein „zwei-Augen-Prinzip“ vermutet/behauptet. Hat es aber nicht gegeben – sagt der Senat. Basta

„… die Drogen muss man mir unbemerkt ins Glas getan haben…“

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Die Einlassung: „Ich habe keine Drogen konsumiert, sondern die muss man mir unbemerkt in ein Getränk gemischt haben“, hört man nach einer Drogenfahrt immer wieder, und zwar sowohl im Straf-/Bußgeldverfahren, wenn es um eine Drogenfahrt nach den §§ 316 StGB, 24a Abs. 2 StVG geht, als auch beim VG, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Tagesordnung steht. Mit einer solchen Einlassung musste sich jetzt vor kurzem dann auch das VG Meiningen im VG Meiningen, Beschl. v. 14.07.2015 – 2 K 214/14 Me – befassen. Es handelte sich sicherlich um einen etwas atypischen Fall, da diese Einlassung sonst meist in Zusammenhang mit Fahrten nach Disco- und/oder Barbesuchen eine Rolle spielt, aber: Die Einlassung war nun mal in der Welt und das VG musste sich mit ihr auseinander setzen.

Das hat es getan und die von der Verwaltungsbehörde angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben. Der Beschluss des VG – sicherlich ein Einzelfall, aber immerhin – hat folgende amtliche Leitsätze:

  1. Eine die Kraftfahreignung ausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln kann nur bei einem willentlichen Konsum angenommen werden.
  2. Der Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Rauschmittelvergiftung ist ein Ausnahmetatbestand, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der daher von diesem jedenfalls glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.03.2012, 16 B 231/12).
  3. Letzte Zweifel, die weiterhin am tatsächlichen Geschehensablauf bestehen, gehen zu Lasten der Fahrerlaubnisbehörde, da sich der Nachweis eines unbewussten Drogenkonsums vom Betroffenen naturgemäß kaum vollständig führen lässt (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.12.2014, 7 K 1601/14).

„Halt die Fresse“ – damit beleidigt man einen Polizeibeamten

© Picture-Factory - Fotolia.com

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Etwas hitziger ist es im April 2014 am Karlsruher HBF zugegangen, und zwar so hitzig, dass es zu einem Strafverfahren wegen Beleidigung am AG Karlsruhe gekommen ist. Das hat dann den Angeklagten wegen Beleidigung (von zwei Polizeibeamten) in zwei Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt und dazu (nur) folgende Feststellungen getroffen:

Am 13.032014 gegen 18.20 Uhr wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten PHM M. und POK L. am Karlsruher Hauptbahnhof einer allgemeinen polizeilichen Kontrolle unterzogen. Im Zuge dessen zeigte er sich unkooperativ und sollte zur Personalienfeststellung in die Polizeiwache verbracht werden. Auf dem Weg dorthin beleidigte er den Beamten L. mit den Worten »Halt die Fresse“. Bei der anschließenden Durchsuchung auf der Wache äußerte er gegenüber den Polizeibeamten noch die Worte „Du bist eine Nummer“ und „Für sowas wie euch bezahle ich meine Steuern“. Dabei handelte der Angeklagte in der Absicht, seine Missachtung gegenüber den Polizeibeamten auszudrücken. Strafanträge wurden form- und fristgerecht gestellt.“

Dem OLG Karlsruhe hat das so nicht gereicht. Es hat mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.09.2015 – 1(8) Ss 654/14 das AG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Dem OLG reicht die bloße Mitteilungen der (beleidigenden [?]) Äußerungen nicht, sondern:

„Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Feststellungen und Darlegungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht ausreichend, den Schuldspruch – Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen – sowie die diesem zugrunde-liegende Bewertung des Tatrichters, allen drei von dem Angeklagten getätigten inkriminierten Äußerungen sei nach ihrem objektivem Erklärungsinhalt jeweils ehrverletzender Charakter beizumessen, zu tragen. Um dem Senat die ihm obliegende – eingeschränkte – revisionsrechtliche Prüfung zu ermöglichen, ob und inwieweit die vom Tatgericht vorgenommene Deutung der drei inkriminierten Äußerungen als Beleidigung jeweils den oben dargelegten Maßstäben entspricht und ob das Amtsgericht jeweils alle in Betracht kommenden und nicht fernliegenden Deutungsvarianten – und hierbei auch solche, welche dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Geltung verschaffen können – erwogen und geprüft hat, wäre es insoweit geboten gewesen, im Rahmen der Feststellung des Tatsachverhalts zu den das Tatgeschehen maßgeblichen prägenden äußeren und – soweit nach außen erkennbaren – inneren Umständen sowie zu den bestimmenden außer-textlichen Begleitumständen der inkriminierten Äußerungen nähere sowie hinreichend klare und konkrete Feststellungen zu treffen. Diesen Anforderungen wird das amtsgerichtliche Urteil in rechtsfehlerhafter Weise nicht gerecht.“

Da muss also nachgebessert werden. Eins schreibt das OLG allerdings schon mal fest:

bb) Was schließlich die auf dem Weg zur Polizeiwache gegenüber POK L getätigte Äußerung „Halt die Fresse“ angeht, ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Tatrichter der Auffassung, dass diese Äußerung, ohne dass es insoweit auf eine weitere Feststellung der näheren außertextlichen Begleitumstände sowie des konkreten Äußerungskontextes ankäme, bereits per se und ohne weiteres geeignet ist, den Adressaten in seinem ethischen, personalen und sozialen Geltungswert herabzusetzen, und damit den Straftatbestand der Beleidigung i.S.d. § 185 StGB erfüllt. Auch unter Beachtung der vom Verteidiger in dessen Revisionsbegründungsschrift vom 16.09.2014 vorgenommenen Interpretationsversuche kommt eine Deutung dieser Äußerung lediglich als unterhalb der Beleidigungsschwelle liegende, vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützte bloße Ungehörigkeit und grobe Taktlosigkeit nach Sachlage nicht in Betracht. Um das Gewicht und die Intensität der in der Äußerung liegenden Ehrverletzung bemessen und damit deren für die Rechtsfolgenentscheidung maßgeblichen Schuldumfang bestimmen zu können, wäre es allerdings auch insoweit geboten gewesen, nähere Feststellungen zu der konkreten Tatsituation sowie dem unmittelbaren kommunikativen Kontext, in der die Äußerung gegenüber POK gefallen ist, zu treffen. Da es sich nach ihrem Wortsinn offensichtlich um eine spontane und direkte Reaktion auf eine Äußerung des Polizeibeamten handelt, wäre es insbesondere erforderlich gewesen, hinreichend konkrete Feststellungen zu Art und Inhalt der der Äußerung unmittelbar vorangehenden Kommunikation zwischen dem Angeklagten und POK L. zu treffen. Dies ist rechtsfehlerhaft nicht erfolgt.“

Man darf gespannt sein, wie es nun weiter geht…. das AG wird sich jedenfalls freuen, die Situation aufdröseln zu müssen.