Archiv für den Monat: Januar 2015

Der Fahrlehrer und sein Mobiltelefon: Yes, he can.

© Steve Young - Fotolia.com

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In den letzten Monaten hat es einiges Hin und Her in der Frage gegeben: Ist der Fahrlehrer Führer eines Kraftfahrzeuges und gilt daher für ihn der § 23 Abs. 1a StVO? Bzw. darf der Fahrlehrer während einer Schuldungsfahrt sein Mobiltelefon benutzen?. Die Frage hatten in der Vergangenheit das OLG Bamberg und das OLG Düsseldorf unterschiedlich entschieden (vgl. dazu den OLG Bamberg, Beschl. v. 24.03.2009 – 2 Ss OWi 127/09 bzw. den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.07.2013 – 1 RBs 80/13 und Der Fahrlehrer und sein Mobiltelefon – er darf…. sowie auch das AG Herne-Wanne, Urt. v. 24.11.2011 – 21 OWi-64 Js 891/11-264/11 und dazu Der Fahrlehrer und sein Mobiltelefon). Das OLG Karlsruhe hat die Frage dann im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.02.2014 – 3 (5) SsRs 607/13 – dem BGH nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG vorgelegt. Und der hat dann jetzt im BGH, Beschl. v. 23.09.2014 – 4 StR 92/14 – erst jetzt auf der Homepage des BGH veröffentlicht – entschieden: Yes, he can. Und zwar mit folgender Begründung:

  • Ein Fahrlehrer, der in der konkreten Situation nicht in die Ausbildungsfahrt eingreift, führt nach allgemeinen Kriterien – etwa im Sinne der §§ 315c, 316 StGB – das Kraftfahrzeug nicht, und zwar so lange nicht, wie er nicht vom Beifahrersitz aus in die Lenk- oder Antriebsvorgänge eingreift.
  • Aus der gegenüber einem Normalfahrzeug abweichenden technischen Ausstattung des Fahrschulwagens (zusätzliche Gas- und Bremspedale, vgl. § 5 Abs. 2 DVFahrlG) ergibt sich nichts anderes; diese erleichtert lediglich die Möglichkeiten des Fahrlehrers zum Eingreifen.
  • Auch der beherrschende Einfluss des Fahrlehrers auf die Fahrt – etwa durch sein Weisungsrecht gegenüber dem Fahrschüler – lässt ihn nicht zum Fahrzeugführer werden.
  • Soweit zum Teil die Fahrzeugführereigenschaft des Fahrlehrers aus seiner Verantwortung für die Fahrt und deren Folgen sowie aus der Pflicht, den Fahrschüler jederzeit im Auge zu behalten, hergeleitet wird (vgl. OLG Bamberg, NJW 2009, 2393; AG Cottbus, DAR 2003, 476, 477), folgt der BGH dem nicht.
  • Schließlich spricht die Existenz der Regelung des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG gegen eine Fahrzeugführereigenschaft des Fahrlehrers. Wäre der Fahrlehrer nach der gesetzgeberischen Konzeption als Fahrzeugführer anzusehen, so hätte keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Fiktion („gilt… als Führer“) bestanden (Heinrich, DAR 2009, 402, 403).

Ob es  nun sinnvoll ist, wenn der Fahrlehrer telefoniert oder simst, ist eine ganz andere Frage.

Mandat beendet? Dann gehören die Handakten i.d.R. dem Mandanten

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Heute dann mal ein „Berufsrechts-Tag“ mit zwei berufsrechtlichen Entscheidungen. Die eine ist der im BGH, Beschl. v. 01.12.2014 – AnwZ (Brfg) 29/14 – vgl. dazu bereits das Posting:“… weil wir bei Betrug keinen Spaß verstehen und schon gar nicht, wenn ein Rechtsanwalt der Betrüger ist!!!!” -, die andere ist dann jetzt das BGH, Urt. v. 03.11.2014 – AnwSt (R) 5/14 -, in dem um die Frage eines/des Zurückbehaltungsreechts an den Handakten gegangen ist. In dem Verfahren hatte der Rechtsanwalt seine Mandanten in drei Gerichtsverfahren vertreten. Nachdem der Rechtsanwalt in eine Kanzlei in K. eingetreten ist, hatte ein anderen die Vertretung der Mandanten übernommen und in deren Namen den ersten Rechtsanwalt gebeten, die ihm durch die Eheleute überlassenen und für diese erhaltenen Schriftstücke herauszugeben. Die Herausgabe ist nicht erfolgt. Das AnwG und auf der AnwGH haben den Rechtsanwalt aus Rechtsgründen freigesprochen, weil keine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe der Handakten bestehe. Die Revision der GStA hatte dann beim BGH Erfolg:

Der BGH hat eine Berufspflicht zur Herausgabe der Handakten bejaht. Diese sei zwar nicht ausdrücklich in § 50 BRAO geregelt, sei aber aus der Generalklausel des § 43 BRAO in Verbindung mit §§ 675, 667 BGB und inzidenter auch der Vorschrift des § 50 BRAO zu entnehmen. Er hat es  dahingestellt sein lassen, ob sich eine berufsrechtliche Herausgabepflicht unmittelbar aus § 43 BRAO ergibt; sie sei jedenfalls § 43 BRAO in Verbindung mit §§ 675, 667 BGB zu entnehmen. Und:

„c) Die anlasslose Zurückbehaltung der Handakten stellt auch, anders als der Anwaltsgerichtshof meint, ein gravierendes Fehlverhalten dar. Der Mandant übergibt dem Rechtsanwalt seine Unterlagen zur Besorgung des Auftrags in  dem Vertrauen, dass dieser – sein – Rechtsanwalt sich für ihn einsetzt und sich zumindest rechtmäßig verhält. Kommt es, aus welchen Gründen auch immer, zu einer Beendigung des Mandats und der Mandant verfolgt seine Rechtsangelegenheiten auf anderem Wege, etwa mit Hilfe eines anderen Rechtsanwalts weiter, kann er mit Fug und Recht erwarten, dass er seine dem früheren Bevollmächtigten ausgehändigten Originalunterlagen zurückerhält. Das Vorenthalten von Originalunterlagen kann, gerade in anhängigen Verfahren, zu einer erheblichen Schädigung des Mandanten führen. Ist der Rechtsanwalt hinsichtlich seiner Gebühren und Auslagen befriedigt, ist keinerlei Grund erkennbar, der ein solches Verhalten rechtfertigen könnte. Mit einer gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 BRAO) ist es keinesfalls vereinbar, widerspricht vielmehr in hohem Maße dem Vertrauen, dass der frühere Mandant in den Rechtsanwalt gesetzt hatte.“

 

„… weil wir bei Betrug keinen Spaß verstehen und schon gar nicht, wenn ein Rechtsanwalt der Betrüger ist!!!!“

© MK-Photo  - Fotolia.com

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Folgender Sachverhalt hat in einem amwaltsgerichtlichen Verfahren jetzt vor kurzem dem BGH beschäftigt:

„Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die Sozietät, der er angehört, vertrat drei Mandanten in einem Rechtsstreit, in welchem diese auf Räumung einer Immobilie in Anspruch genommen wurden. Der Rechtsstreit endete mit einem gerichtlichen Vergleich, in welchem sich die dortige Klägerin verpflichtete, die außergerichtlichen Kosten von zwei der drei Mandanten des Klägers zu übernehmen. Gegenüber dem vom Kläger erwirkten Kostenfestsetzungsbeschluss erklärte die Bevollmächtigte der Gegenseite die Aufrechnung. Der Kläger widersprach. Als die Bevollmächtigte der Gegenseite erklärte, an der Aufrechnung festhalten zu wollen, antwortete der Kläger mit einer E-Mail folgenden Inhalts:

„Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin, tun Sie sich doch bitte einen Gefallen und überspannen den Bogen nicht. Ihre Ausführungen im Fernkopieschreiben von soeben, 17.31 Uhr, verstehen wir als Betrugsversuch und werden Sie, sofern Sie nicht umgehend davon Abstand nehmen, bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Sie sollten schnell handeln, weil wir bei Betrug keinen Spaß verste-hen und schon gar nicht, wenn ein Rechtsanwalt der Betrüger ist!!!! Mit freundlichen Grüßen …“.

Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 sprach die Beklagte, die RAK Sachsen-Anhalt wegen Verstoßes gegen das Gebot der Sachlichkeit gemäß § 43a Abs. 3 BRAO eine missbilligende Belehrung aus. Die Klage gegen diese Verfügung ist beim AnwGH erfolglos geblieben. Der Kläger hat dann die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs. Der BGH hat die im BGH, Beschl. v. 01.12.2014 – AnwZ (Brfg) 29/14 – nicht zugelassen:

„b) Das angefochtene Urteil ist richtig.

aa) § 43a Abs. 3 BRAO verbietet ein unsachliches Verhalten bei der Be-rufsausübung des Rechtsanwalts. Unsachlich sind insbesondere herabsetzende Äußerungen, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben (§ 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO).

bb) Die Verfahrensbevollmächtigte der Gegenseite hat weder einen voll-endeten noch einen versuchten Betrug (§ 263 StGB) zum Nachteil der Mandanten des Klägers begangen. Sie hat insbesondere nicht über Tatsachen getäuscht, sondern lediglich eine Auslegung des gerichtlichen Vergleichs vorgenommen, die sich auch im Ergebnis als zutreffend erwies: Die Zwangsvollstreckung aus dem fraglichen Kostenfestsetzungsbeschluss wurde für unzulässig erklärt; die Mandanten des Klägers wurden verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses herauszugeben.

Zwar ist das Bemühen des Klägers, ein für seine Mandanten günstigeres Ergebnis zu erreichen, nicht per se zu beanstanden. Hierzu war der Kläger vielmehr aufgrund des zwischen ihm und seinen Mandanten bestehenden Anwaltsvertrages berechtigt und verpflichtet. Den objektiv falschen, nicht belegbaren Vorwurf des Betruges zu erheben, die Bezeichnung der gegnerischen Bevollmächtigten als Betrügerin und die Drohung mit einer Strafanzeige gingen jedoch weit über dieses legitime Ziel hinaus. Der Kläger hat die gegnerische Bevollmächtigte, die ihrerseits die Interessen ihrer Mandantin wahrzunehmen hatte, vielmehr persönlich angegriffen und beleidigt. Einen Anlass hierzu hatte die gegnerische Bevollmächtigte nicht gegeben. Sie hatte das Anliegen ihrer Mandantschaft vielmehr sachlich und höflich vorgebracht und erläutert.

cc) Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO wird auch weder durch mangelnde Tatsachenkenntnisse noch durch fehlerhafte Rechtsansichten gerechtfertigt oder entschuldigt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass entgegen der Annahme des Anwaltsgerichtshofs nicht er, sondern eine Rechtsanwältin U. F. den Gerichtstermin wahrgenommen und den Vergleich geschlossen habe, belegt dies die umfänglich beschriebenen Fehlvorstellungen, denen der Kläger deshalb unter-legen sein will, nicht nachvollziehbar. Unabhängig hiervon hätte der Kläger ge-rade dann, wenn er nicht auf dem neuesten Stand der Angelegenheit war und seine diesbezügliche Unwissenheit auch nicht durch Rücksprache mit der bes-ser unterrichteten Terminsvertreterin beheben wollte, Anlass zu größerer Zurückhaltung gehabt.

dd) Die Beklagte hat schließlich nicht gegen das Übermaßverbot versto-ßen. Sie hat trotz des erheblichen Fehlverhaltens des Klägers von einer Rüge nach § 74 BRAO abgesehen und sich auf das vergleichsweise milde Mittel der missbilligenden Belehrung entsprechend § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO beschränkt.“

Netter Umgangston da in Sachsen-Anhalt 🙂 .

Pflichtverteidiger: Gesamtbetrachtung muss sein…

ParagrafenVom AG Backnang bekomme ich derzeit immer wieder Entscheidungen zur Pflichtverteidigerbestellung, auf die ich dann doch hinweisen möchte. Sie sind nämlich in meinen Augen wohl abgewogen und huldigen nicht dem Mainstream. So auch die AG Backnang, Verf. v. 02.12.2014 – 2 Ds 95 Js 81545/13 mit dem Leitsatz:

„Auch bei einer Strafdrohung unterhalb eines Jahres liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers nach einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung geboten erscheint.“

Und eingeflossen in die Entscheidungen sind folgende Umstände:

  • Drohen einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe,
  • aufgrund der Umstände eine besonders sorgfältige Würdigung der Einlassungen und Aussagen der Zeugen erforderlich, womit die Angeschuldigte alleine überfordert wäre.
  • wirksame Verteidigung nur mit umfassender Akteneinsicht möglich.

Geldstrafe – Pflichtverteidiger? – Nein, auch nicht bei drohendem Bewährungswiderruf, oder: Ein Teufelkreis

© pedrolieb -Fotolia.com

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Im Moment hängen in meinem Blogordner eine ganze Reihe von Entscheidungen, die sich mit Pflichtverteidigungsfragen befassen. Darunter war auch der LG Kleve, Beschl. v. 14.11.2014 – 120 Qs 96/14 -, der sich mit der Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers befasst, wenn Widerruf von Strafaussetzung in einem anderen Verfahren droht. Insoweit an sich nichts Besonderes, aber: Beim LG Kleve drohte im Verfahren, in dem es um die Bestellung ging, wohl nur eine Geldstrafe, in dem anderen Verfahren stand aber der Widerruf von einer mehr als einjährigen Jugendstrafe im Raum. Das Kleve meint: Pflichtverteidiger? Nein, denn:

Die Vorschriften der StPO über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält. Für die Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, kommt es deshalb zunächst auf das Gewicht der Rechtsfolgen an, die in dem betreffenden Verfahren, in dem sich der Beschuldigte verteidigen muss, zu erwarten sind, gegebenenfalls auf die zu erwartende Gesamtstrafe unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen. Darüber hinaus ist auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Beschuldigte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf. Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Beschuldigten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann. Diese „Berücksichtigung” bedeutet aber keinen starren Schematismus. Ein geringfügiges Delikt wird nicht allein deshalb zur schweren Tat im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO, weil die Strafe später voraussichtlich in einem anderen Verfahren in eine Gesamtstrafenbildung von mehr als 1 Jahr einzubeziehen sein wird. So hat z.B. das LG Frankfurt a.M. die Notwendigkeit der Verteidigung in einem Fall verneint, in dem es nur um eine Geldstrafe wegen Schwarzfahrens ging, obwohl die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe mit einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr in Betracht kam (LG Frankfurt a.M., NStZ-RR 2011, 183). Es bedarf deshalb der Prüfung im Einzelfall, ob die weiteren Folgen auch anderer Verfahren das Gewicht des vorliegend abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 – 2 Ws 37/12, NStZ-RR 2012, 214; ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.10.2000 – 2 Ws 282/00, NStZ-RR 2001, 52: Straferwartung von 6 Monaten + Widerruf von 6 Monaten reicht alleine nicht; keine starre Grenze; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls).

Hinzu kommt Folgendes: Die Prüfung des Bewährungswiderrufs ist ein eigenständiges Verfahren (ggf. vor einem anderen Gericht), in dem unter Umständen eine separate Pflichtverteidigerbestellung erfolgen kann (vgl. LR-Lüderssen/Jahn, 26. Aufl., § 140 Rn. 125). Ist dort eine hohe Strafe zur Bewährung ausgesetzt, so wird der Verurteilte bereits vom dortigen Gericht über die Besonderheiten der Strafaussetzung belehrt worden sein; auch wird ihm dann im dortigen Ausgangsverfahren sein damaliger Verteidiger bereits über die möglichen Rechtsmittel und die Folgen der Aussetzung zur Bewährung unterrichtet haben. Kommt es im neuen Verfahren nur zu einer Geldstrafe, so ist dort eine Prüfung der Voraussetzungen des § 56 StGB mit einer eingehenden Kriminalprognose nicht erforderlich. Die Wiederholungsgefahr wird vielmehr schwerpunktmäßig und eigenständig durch das Gericht erfolgen, das für die Frage des Bewährungswiderrufs zuständig ist.“

Ich habe erheblich Bedenken, ob das so richtig ist. Denn:

  • M.E. ist die Entscheidung des LG inkonsequent. Denn geht man davon aus, dass für die Frage der „Schwere der Tat“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO die sog. „Gesamtstraferwartung“ eine Rolle spielt, dann kann man m.E. kaum darauf abstellen, dass im Ablassverfahren nur eine Geldstrafe zu erwarten ist. Denn damit lässt man die schwerere Strafe des anderen Verfahrens – hier ein Jahr und drei Monate – im Grunde doch außen vor, berücksichtigt sie also eigentlich nicht. Damit kommt es in diesen Fällen mit der Argumentation zu einem Zirkelschluss.
  • Auch der Verweis auf das Vollstreckungsverfahren trägt kaum bzw. erst recht nicht. Denn mit der wird der Angeschuldigte in einen Teufelskreis getrieben. Die Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren wird unter Hinweis auf die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren abgelehnt. Im Strafvollstreckungsverfahren wird aber leider noch immer i.d.R. die Bestellung eines Pflichtverteidigers verweigert, weil die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO wegen der bloß analogen Anwendung der Vorschrift besonders eng auszulegen seien. Ergebnis: Es wird weder im Erkenntnisverfahren noch im Vollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt und dass bei einer Gesamtstraferwartung von einem Jahr und mehr.

Aber vielleicht ist ja gerade das Ergebnis gewollt.