Archiv für den Monat: Mai 2013

Was lange währt, wird endlich gut – Fischer wird Vorsitzender beim BGH

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Wir haben ja schon einige Mal über den Konkurrentenstreit am BGH berichtet (s. unten) und die damit zusammenhängende Frage: Wird RiBGH Fischer Vorsitzender Richter am BGH?

Nun, die „Frankfurter Rundschau“ meldet, dass er es wohl wird. Die Bundesjustizministerin hat ihn (endlich) vorgeschlagen. Damit hat der Streit (auch um die Besetzung) der Senate ein Ende (vgl. auch hier bei: Streit am BGH beendet). Ob es den Präsidenten des BGH freuen wird, ist für mich eine andere Frage. Denn „sein Mann“ war Fischer ja nun nicht (mehr).

„Erlösung durch Lesen“ oder „Lesen befreit“ – nicht nur in Brasilien

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Vor einiger Zeit bin ich an verschiedenen Stellen auf Berichte über ein Vorhaben/einen Plan im brasilianischen Strafvollzug gestoßen. Dort ist ein Programm „Erlösung durch Lesen“, geplant, das sich an die Insassen von brasilianischen Gefängnissen richtet. Der Plan sieht vor, den Insassen/Inhaftierten pro  gelesenem Buch vier Tage Strafhaft zu erlassen. Die Verkürzung soll bei maximal zwölf Büchern pro Jahr greifen, so dass als ein Häftling seine Zeit im Gefängnis jährlich um maximal 48 Tage verkürzen kann. Nach der Meldung (vgl. hier und hier bei Spiegel-online) soll es sich bei den zur Verfügung gestellten Büchern um eine Auswahl aus „Klassikern der Wissenschaftsliteratur, Philosophie und Belletristik“ handeln. „Die Häftlinge haben pro Buch bis zu vier Wochen Zeit, das Werk zu lesen und einen Aufsatz zu schreiben. Die schriftlichen Abhandlungen müssen leserlich und möglichst fehlerfrei sein sowie Absätze und freie Seitenränder haben“.

Interessanter Ansatz, habe ich gedacht. Und dann vor kurzem: Warum in der Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nahe? Solche Pläne gibt es nämlich nicht nur in Brasilien, sondern inzwischen wohl auch bei uns. Denn die „WN“ vom 23.05.2013 berichtetet unter der Überschrift Lesen befreit über entsprechende Vorhaben im deutschen Strafvollzug, ggf. nämlich in der JVA Münster“ Da man ist man dann doch erstaunt, dass sich ein solcher Vorschlag/Plan/Vorhaben aus dem fernen Südamerika offensichtlich den Weg in den bundesdeutschen Strafvollzug erkämpft und hier diskutiert und ggf. dann vielleicht auch umgesetzt wird. Mal was anderes und ein anderer Ansatz.

 

PKH für einen Strafgefangenen: Wie berechnet sich der „Freibetrag“?

Bei der Gewährung von PKH spielt die Frage, welches eigene Einkommen der Antragsteller hat und wie das bei der PKH-Bewilligung zu berücksichtigen ist, eine Rolle. Mit den Fragen hat man als Strafrechtler nicht täglich/häufig zu tun, sie spielen aber z.B. eine Rolle, wenn es um Verfahren geht, in denen ein inhaftierter Mandant für ein Verfahren – z.B. auch in Strafvollzussachen – PKH beantragen will/muss. Dann ergibt sich das Problem, in welcher Höhe Arbeitseinkommen, das der Mandant erzielt, zu berücksichtigen ist, ob voll oder ob dem Mandanten zur Erhaltung des Lebensunterhalts nur eine Teil angerechnet und im Übrigen ein Freibetrag – in welcher Höhe – gewährt wird. Zu den damit zusammenhängenden Fragen verhält sich der KG, Beschl. v.  22.03.2013 – 9 W 13/13. Dieses geht davon aus, dass bei Strafgefangenen anstelle des Freibetrages für die Partei gemäß § 115 Absatz 1 Satz 3 Ziffer 2 a) ZPO nur ein Abzug in Höhe des um 10 % erhöhten Taschengeldanspruches für bedürftige Strafgefangene im Sinne von § 46 StVollzG zu berücksichtigen ist und schließt sich damit anderer obergerichtlicher Rechtsprechung an. Begründung:

Der Lebensunterhalt eines Strafgefangenen ist – im Gegensatz zum der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegenden Regelfall einer bedürftigen Partei – aber durch die Justizvollzugsanstalt sichergestellt. Der Strafgefangene braucht den größten Teil der zur Sicherung seines notwendigen Lebensunterhaltes erforderlichen Kosten nicht aufzubringen, weil er in der Justizvollzugsanstalt ausreichend versorgt wird. Eine Anrechnung des um 10 % erhöhten höchsten Regelsatzes (der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII) als Freibetrag für die Partei gemäß § 115 Absatz 1 Satz 3 Ziffer 2 a) ZPO ist daher nicht gerechtfertigt.

Stattdessen kann auf die Höhe des Taschengeldes für bedürftige Strafgefangene im Sinne von § 46 StVollzG zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift wird einem Strafgefangenen, der ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist. Dieses Taschengeld soll es dem Gefangenen ermöglichen, in einem bescheidenen Maße nach individuellen Bedürfnissen zusätzliche Dinge kaufen zu können (OLG Karlsruhe FamRZ 1998, 248 – juris Tz. 9). Er entspricht der Höhe nach dem Betrag, der nach Abzug der von der Vollzugsanstalt getragenen Kosten (wie Unterkunft und Verpflegung) zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes verbleibt und ist damit mit dem Teil des Freibetrages gemäß § 115 Absatz 1 Satz 3 Ziffer 2 a) ZPO vergleichbar, der nach Abzug entsprechender Kosten jeder anderen bedürftigen Partei frei zur Verfügung steht.

Die Erst- oder Zweitsemesterfragen nach der vollendeten Wegnahme

Auch der BGH muss sich manchmal mit Erst- oder Zweitsemesterfragen befassen, wie z.B. der Frage, wann beim Diebstahl/Raub die Wegnahme vollendet ist, wenn es um kleine Gegenstände geht.

Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte von seinem Mitangeklagten Bo. nach einem zuvor verübten Raubüberfall erneut angesprochen worden. Der Mitangeklagte verlangte vom Angeklagten, noch einmal bei einem Überfall mitzuwirken. Auf der Fahrt (zum Tatort) forderte er ihn auf, dieses Mal auch mit in den Markt hinein zu gehen. Nach Ladenschluss passten Bo. und der Angeklagte mehrere Mitarbeiter eines REWE-Markts an der Tür des Personalausgangs ab und zwangen sie unter Vorhalt von Scheinwaffen, den Markt wieder zu betreten. Sie bedrohten die Mitarbeiter und schoben sie in den Tresorraum. Dort ließ sich aber nur der äußere Tresor mit dem Wechselgeld öffnen. Für den inneren Tresor, der mit dem Papiergeld befüllt war, hatten die Mitarbeiter des Marktes keinen Schlüssel. Bo. entnahm dem äußeren Tresor mehrere Gebinde mit jeweils zehn Rollen Cent-Münzen. Danach ergriff der Angeklagte die Flucht. Bo. folgte ihm und warf unterwegs, jetzt wieder eingedenk seines Vorhabens, keine Münzen mitzunehmen, das Rollengeld im Wert von insgesamt 80 Euro noch innerhalb des Marktes weg.

Das LG hat einen vollendeten Raub angenommen. Der BGH hat das im BGH, Beschl. v.  27.03.2013 – 2 StR 115/12 – bestätigt:

„Eine vollendete Wegnahme setzt voraus, dass fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Letzteres beurteilt sich danach, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie ohne Behinderung durch den früheren Gewahrsamsinhaber ausüben kann. Für die Frage der Sachherrschaft kommt es entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Dabei macht es sowohl für die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers wie für die des Täters einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Weg-nahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (BGH, Urteil vom 21. April 1970 – 1 StR 45/70, BGHSt 23, 254, 255; BGH, Urteil vom 18. Fe-bruar 2010 – 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158).Danach hatte Bo. noch in der fremden Gewahrsamssphäre eigenen Gewahrsam begründet, indem er die Münzrollen an sich genommen und zudem als scheinbar bewaffneter Täter, der mit Gewalt drohte, die Berechtigten vom Zugriff ausgeschlossen hat.“

Die Revision hatte (also) auch wegen anderer Fragen keinen Erfolg. Lediglich die Strafe hat der BGH wegen langer Dauer des Revisionsverfahrens – das landgerichtliche Urteil datiert vom 19.11.2011 (!!!) um einen Monat „reduziert“.

Das ist doch mal eine Frage: „Prellt NRW seine Rechtsreferendare?“ – 700 € im Jahr zu wenig?

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Unter der Überschrift „Prellt NRW seine Rechtsreferendare? 700 Euro im Jahr zu wenig“ untersuchen auf LTO Andreas Schmitt und Karl Schmitt die Frage, ob in NRW den Rechtsreferendaren seit Jahren ggf. zu wenig Unterhaltsbeihilfe gezahlt wird. Da heißt es, ich zitiere:

„Mit ihren Sparplänen hat die rot-grüne Landesregierung in NRW schon die Landesbeamten gegen sich aufgebracht. Nun droht zusätzlicher Ärger mit den Rechtsreferendaren: Ihre Unterhaltsbeihilfe wird womöglich seit Jahren falsch berechnet. Um das Geld doch noch zu bekommen, werden die angehenden Volljuristen aber wohl klagen müssen, meinen Andreas und Karl Schmitt.

Als Rechtsreferendar wird man nicht reich. Gerade einmal 1.021,63 Euro brutto erhält man in NRW im Monat. Das reicht gerade so, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. In anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Nun kommt auch noch der Vorwurf auf, das Land habe die Unterhaltsbeihilfe seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 falsch berechnet. Und zwar um rund 700 Euro im Jahr zu Lasten der Referendare. Bereits bei der Umwandlung des ehemals als Beamtenverhältnis auf Widerruf ausgestalteten Rechtsverhältnisses der Rechtsreferendare in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis im Jahr 1998 standen die Sparbemühungen des Landes im Vordergrund. Umso größer ist nun der Unmut unter den Rechtsreferendaren in NRW. Im Vergleich zu den Summen bei der Beamtenbesoldung fallen die Kosten für die Rechtsreferendare zwar bescheiden aus: Im Haushaltsjahr 2013 gibt NRW für seine 6.157 Referendare 52,454 Millionen Euro aus. Allein der Verzicht auf Tariferhöhungen für die Beamten des höheren Dienstes soll hingegen 710 Millionen Euro in zwei Jahren sparen. Eine jahrelange Falschberechnung und daraus resultierende Nachzahlungen könnten den Haushalt aber zusätzlich belasten.

Referendar verklagt untätiges LBV

Hintergrund ist die Klage eines Referendars vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln. Er hatte zunächst einen Antrag auf Neuberechnung beim Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) gestellt und eine höhere Unterhaltsbeihilfe verlangt. Den Antrag lehnte das LBV umgehend ab. Über einen dagegen gerichteten Widerspruch entschied die Düsseldorfer Behörde lange Zeit nicht. Der Referendar erhob Untätigkeitsklage vor dem VG und erreichte einen Vergleich, in dem sich das LBV zu einer Zahlung von 500 Euro verpflichtete. Dies entsprach in etwa der Summe von 570 Euro für zehn Monate, die der Referendar als Nachzahlung verlangt hatte. Was Referendare in NRW verdienen, richtet sich nach dem Juristenausbildungsgesetz (JAG) NRW und einer auf dieser Grundlage erlassenen Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare. Die Unterhaltsbeihilfe beträgt „85 v.H. des höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärtergrundbetrages“, so der Wortlaut der Verordnung. Trotz dieser vermeintlich unmissverständlichen  Regelungen zieht das LBV für die Berechnung seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Anwärtergrundbeträge aus dem Besoldungsanpassungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen heran. Die liegen derzeit bei 1.201,92 Euro. Die Bemessungsgrundlage des Landes fällt damit deutlich niedriger aus als die derzeit gültige Bemessungsgrundlage im Bundesbesoldungsgesetz (1.269,68 Euro). Ein durchschnittlicher Rechtsreferendar in NRW bekommt dadurch 57 Euro brutto monatlich weniger.

Gericht nicht von der Argumentation des Landes überzeugt

In dem Verfahren vor dem VG Köln hatte das LBV argumentiert, dass das vor der Föderalismusreform in NRW geltende Bundesbesoldungsgesetz durch Landesrecht ersetzt worden sei. Da das Land inzwischen die alleinige Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung seiner Beamten habe, könne die Verweisung auf das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) nur ein Teilverweis sein und die Höhe der Anwärterbezüge nicht abschließend regeln. Diese Auslegung sei zwingend, denn auf ein nach der Föderalismusrefom durch Landesrecht ersetztes Bundesgesetz könne nicht mehr dynamisch verwiesen werden. Demgegenüber ließ das VG durchblicken, dass es die Berechnung für rechtswidrig hält. Nach Auffassung der 3. Kammer könne die Verordnung nur so verstanden werden, dass „stets der höchste Anwärtergrundbetrag in der jeweils gültigen Fassung des Bundesbesoldungsgesetzes“ gemeint sei. Da es sich bei der Unterhaltsbeihilfe gerade nicht um die Besoldung der Beamten handele, könne auch die Zuständigkeitsübertragung auf das Land an dieser Auslegung nichts ändern. Der klare Wortlaut lasse eine andere Interpretation nicht zu.

Referendare werden wohl klagen müssen

Allzu viel Hoffnung auf einen zeitnahen Finanzsegen sollten sich die angehenden Volljuristen dennoch nicht machen. Das LBV hat sich in dem Vergleich eine Widerrufsfrist von zwei Monaten einräumen lassen, die erst im Juni abläuft.  Dass es ohne rechtskräftiges Urteil zu freiwilligen Nachzahlungen kommt, ist nicht zuletzt wegen der Haushaltslage in NRW unwahrscheinlich. Das LBV wird deshalb aller Voraussicht nach von der Widerrufsmöglichkeit Gebrauch machen.  Der Weg  über das Verwaltungsgericht zum Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW scheint vorgezeichnet. Noch nicht geklärt ist außerdem, für welchen Zeitraum die Unterhaltsbeihilfe rückwirkend verlangt werden kann. Die Nähe des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses zum Beamtenrecht und dem dort herrschenden Alimentationsprinzip spricht für einen eher begrenzten Zeitraum. Wer sich mit seinen mageren Referendarbezügen lange Zeit über Wasser halten konnte, kann – nach Beamtenrecht – kaum geltend machen, nicht ausreichend alimentiert worden zu sein. Die Rechtsprechung hat daher für die Beamten den Rückwirkungszeitraum auf ca. ein Jahr begrenzt Da es um den Geldbeutel von künftigen Volljuristen geht, ist damit zu rechnen, dass nicht wenige Rechtsreferendare einen Antrag auf Neuberechnung beim LBV stellen werden. Spätestens mit einem rechtskräftigen Urteil wird das LBV Nachzahlungen nicht verweigern können. Dann aber könnte es für das Land richtig teuer werden. Zumal die Anwärtergrundbezüge im BBesG, im Gegensatz zu der Besoldung der Landesbeamten in NRW, zum 1. August 2013 nochmals erhöht werden.“

Tja, das kann teuer werden. Und Ärger kann es auch geben, zusätzlich zu dem Ärger, den die „Spitzenbeamten“ machen, die von der Besoldungserhöhung“ abgekoppelt worden sind.