Archiv für den Monat: September 2012

Verständigung – ja oder nein? Frage: Was sagt das Protokoll?

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Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte wird vom AG verurteilt. Er legt Berufung ein. Das LG verwirft die Berufung als unzulässig, weil der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet habe. Der Angeklagte wendet dagegen ein, dass eine Verständigung stattgefunden habe. Daher sei ein Rechtsmittelverzicht unwirksam. In dem Protokoll der Hauptverhandlung ist u. a. vermerkt, dass eine Erörterung i. S. d. §§ 202 a, 212 StPO mit dem Ziel einer Verständigung über Fortgang und/oder Ergebnis des Verfahrens nie stattgefunden habe. Ferner ist darin festgehalten, dass nach Urteilsverkündung der Angeklagte, die Verteidigerin und der Vertreter der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet haben.

Das OLG Zweibrücken hebt im OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.o7. 2012 – 1 Ws 169/12 – auf und verweist zur Sachaufklärung zurück mit der Begründung:.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Germersheim vom 14. März 2012 nicht bewiesen, dass eine solche Verständigung nicht stattgefunden hat. Das Verhandlungsprotokoll enthält weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1 a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1 a Satz 3 StPO. Damit entfällt insoweit die dem Verhandlungsprotokoll gemäß § 274 StPO zukommende Beweiskraft. Das Verhandlungsprotokoll enthält ausschließlich Erklärungen gemäß §§ 202 a, 212 StPO. Diese Erklärungen schließen nicht aus, dass eine Verständigung in der Hauptverhandlung i. S. v. § 257 c StPO stattgefunden hat. Insofern hätte das Landgericht im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären müssen. Diese Sachaufklärung ist nunmehr u. a. durch Einholung dienstlicher Erklärungen der Verfahrensbeteiligten erster Instanz nachzuholen.

Tja, auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

„…da die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen nicht den Mindestanforderungen entsprechen..“

Das OLG Düsseldorf hat jetzt eine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von BtM aufgehoben, „da die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen nicht den Mindestanforderungen entsprechen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an die Urteilsgründe zu stellen sind.“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.08.2012 – III 2 RVs 124/12).

Die amtsgerichtlichen Feststellungen sind schon deshalb nicht geeignet, den Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von. Betäubungsmitteln im genannten Sinne zu tragen, weil bereits nicht dargestellt wird, dass bei der Durchsuchung des Angeklagten im Polizeipräsidium Duisburg überhaupt Rauschgift gefunden worden ist. Vielmehr beschränken sich die Urteilsgründe auf die bloße Feststellung, dass ein „Pack mit 0,49 Gramm netto“ vorgefunden worden sei. Zwar ist sowohl dem Tenor der angefochtenen Entscheidung als auch den darin enthaltenen Ausführungen zur rechtlichen Würdigung der abgeurteilten Tat zu entnehmen, dass das Amtsgericht offenbar davon überzeugt war, dass bei der Durchsuchung des Angeklagten Betäubungsmittel gefunden worden sind. Es kann jedoch bei der Darstellung des aufgrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) festgestellten Sachverhalts nicht dem Revisionsgericht überlassen bleiben, anhand eines Abgleichs der Urteilsgründe mit dem Schuldspruch die tatrichterliche Bewertung im Einzelfall zu ermitteln (BGH NStZ – RR 2008, 83, 84).

Selbst wenn jedoch mit dem Amtsgericht auch ohne nähere Feststellungen davon ausgegangen werden könnte, dass sich der Angeklagte bei seiner polizeilichen Durchsuchung am 14. Oktober 2011 im Besitz von Betäubungsmitteln befunden hat, wäre die amtsrichterliche Sachverhaltsdarstellung nicht frei von Rechtsfehlern, da es auch in diesem Fall noch an der Feststellung fehlt, welches Betäubungsmittel der Angeklagte mit sich geführt hat. Zwar hat das Amtsgericht zur Person, des Angeklagten festgestellt, dass er seit etwa zehn Jahren Heroin konsumiert; zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 21. August 2012 jedoch darauf hingewiesen, dass dies keineswegs zwingend den Schluss zulässt, „dass es sich bei dem inkriminierten Rauschgift ebenfalls um Heroin und nicht etwa Kokain oder gar — die weiche Droge — Marihuana handelte“. Die mithin fehlenden Feststellungen zur Art des beim Angeklagten vorgefundenen Rauschgifts sind aber schon deshalb nicht entbehrlich, weil die einzelnen Betäubungsmittel wegen ihrer unterschiedlichen Wirkungen auf die jeweiligen Konsumenten auch unabhängig von ihrer Menge und ihrem Wirkstoffgehalt in ihrer Gefährlichkeit teilweise erheblich voneinander abweichen. Diese unterschiedliche Gefährlichkeit ist ein wesentliches Element von Unrecht und Schuld eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und hat daher nicht nur im Rahmen der Strafzumessung eine eigenständige Bedeutung (vgl. BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 6, 8, 12 und 19; BGH NJW 1994, 1885, 1886; BGH NStZ 1991, 591, jeweils m. w. N.), sondern ist auch für den ,Schuldspruch als solchen relevant, dem daher beim Fehlen entsprechender Feststellungen der Boden entzogen werden kann (vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz, 3. Auflage, Rn. 783 f. vor §§ 29 ff. BtMG).

Von der Art wird es viel Urteile geben. Eine Einladung zur Sprungrevision.

Gefesselt auf die Beerdigung der Mutter?

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Der Leitsatz des OLG Hamm, Beschl. v. 31.07.2012 – III – 1 Vollz (Ws) 278/12 – kommt verhältnismäßig harmlos daher, der sachverhalt ist aber schon von Gewicht.

„Die Fesselung eines im Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB Untergebrachten im Rahmen einer Ausführung kann auf § 18 Abs. 3 MRVG NW i.V.m. § 5 Abs. 2 MRVG NW als Rechtsgrundlage gestützt werden.

Für Lockerungsmaßnahmen erlaubt § 18 Abs. 3 MRVG NW ihre Verbindung mit Auflagen und Weisungen. Die Aufzählung in § 18 Abs. 3 MRVG NW ist nur beispielhaft und nicht abschließend. Eine Fesselung kann eine zulässige Auflage sein.“

In der Sache ging es um den Wunsch des Betroffenen, an der „Beerdigung seiner Mutter  teilnehmen zu können. Dies wurde ihm durch die Maßregelvollzugsein­richtung ermöglicht, die allerdings auf einer Fesselung (sog. halbe Hamburger Fes­selung, bei der ein Fuß und eine Hand mit einer Kette verbunden werden, was bei geschickter Kleidung kaum sichtbar ist) bestand. Neben der Beerdigung konnte der Betroffene auch das anschließende familiäre Beisammensein aufsuchen. Anlass für die Fesselungsentscheidung war, dass die Maßregelvollzugseinrichtung vor dem Hintergrund des Krankheitsbildes, insbesondere der Kontrollschwäche, Erregbarkeit und Neigung zu dysfunktionalem, teilweise ungesteuertem Verhalten einen erhöhten Sicherungsbedarf sah. Noch am 17.06.2011 hatte der Betroffene im Rahmen einer BPK in einer Frustrationssituation gleich zu Anfang so reagiert, dass er unvermittelt aufsprang, die beteiligten Mitarbeiter verbal attackierte, seinem Stuhl einen heftigen Stoß versetzte und Türen knallend den Raum verließ.“
Da schluckt man schon, wenn man das liest. Gefesselt zur Beerdigung der Mutter? Nun das OLG hat aufrgund des Krankheitsbildes diese Entscheidung der StVK gehalten:

Die Auflage war für Sicherheit auch unerlässlich. Bei dem Betroffenen besteht ein Krankheitsbild, aufgrund dessen er zu hoher Impulshaftigkeit, Kontrollschwächen und Erregbarkeit neigt. Ein solches Verhalten hatte sich erst wenige Tage vor der Ausfüh­rung des Betroffenen im Rahmen der BPK vom 17.06.2011 gezeigt. Auch wenn es dabei nicht zur Gewaltanwendung gegen Menschen gekommen ist, so bestand doch angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen, angesichts der von ihm begange­nen Anlasstaten und angesichts des Umstandes, dass sich bei einer solchen Ausfüh­rung, noch dazu in einer solchen Sondersituation, wie der Beerdigung der eigenen Mutter, nicht vorhersehbare Anreize für plötzliche Impulsdurchbrüche ergeben könnten, welche schließlich doch zu einer Schädigung anderer Menschen oder zur Flucht des Betroffenen hätten führen können. Angesichts der zu gewärtigenden Plötzlichkeit und Heftigkeit solcher Impulsdurchbrüche ist es – unter dem hier zu Grunde zu legenden Maßstab des § 115 Abs. 5 StVollzG – nicht als ermessensfeh­lerhaft zu beanstanden, wenn die Maßregelvollzugseinrichtung die Sicherheit nicht schon durch die die Ausführung begleitende Person gewahrt sieht, sondern nur durch eine zusätzliche Fesselung. Warum die Annahme lebensfremd sein sollte, dass der Betroffene die Beerdigung seiner Mutter zur Flucht nutzen könnte (wie der Betroffene meint), erschließt sich bei dieser Sachlage nicht.

Strafzumessung II: Jugendstrafe – das unbekannte Wesen?

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Wenn man sich so die Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessung anschaut, dann stellt man schnell fest, dass die LG mit der ordnungsgemäßen Begründung von Jugendstrafen offenbar große Probleme habe. Denn viele LG-Urteile aus dem Bereich werden vom BGH aufgehoben. So auch im BGH, Beschl. v.14.08.2012 – 5 StR 318/12. An dem Urteil des LG Zwickau passte dem BGH aber auch gar nichts:

  • „…Maßgebend ist vielmehr, ob sich der einzelne Heranwachsende noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet. Für die Gleichstellung eines heranwachsenden Täters mit einem Jugendlichen ist deshalb entscheidend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind; ob er das Bild eines noch nicht 18-Jährigen bietet,ist demgegenüber nicht ausschlaggebend (BGH aaO und Urteil vom 29. Mai 2002 – 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8).

Diesen Maßstab hat die Jugendkammer nicht berücksichtigt. Darüber hinaus hat sie bei der Beurteilung der Reife des Angeklagten ausschließlich auf seine äußerlich verselbständigte Lebensführung abgestellt, ohne deren indizielle Bedeutung für seine „sittliche und geistige Entwicklung“ (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) hinreichend deutlich darzulegen.::“

  • „..aa) Das Landgericht bejaht zum einen schädliche Neigungen des Angeklagten (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG). Es stützt diese Beurteilung alleine auf den Umstand, dass „infolge der mangelnden Wirkung dreier Sanktionen innerhalb eines Zeitraums von nur 1 ½ Jahren – die letzte sogar noch etwa einen Monat vor der Tat – “ von „nachhaltigen Persönlichkeitsdefiziten“ aus-zugehen sei, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten begründeten (UA S. 16). Ohne Mitteilung der näheren Umstände der Taten lassen indes weder die verhängten Sanktionen (in zwei Fällen Arbeitsleistungen, in einem Fall eine geringfügige Geldstrafe) noch die mitgeteilten Bezeichnungen der Taten (in einem Fall Beihilfe zur Sachbeschädigung, in zwei Fällen Diebstahl) ohne Weiteres den Schluss auf Anlage- oder Entwicklungsschäden zu, die so schwer sind, dass deren Be-seitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht wer-den kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).
  • „..bb) Zum anderen stützt das Landgericht die Verhängung einer Jugendstrafe auch auf den Gesichtspunkt der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 2. Alt. JGG), die jedenfalls in ihrem Ausmaß nicht ausreichend belegt ist. 

 Seine Begründung, dass die Verhängung der Jugendstrafe „unter Beachtung des einschlägigen Strafrahmens nach allgemeinem Strafrecht gemäß § 30a BtMG“ erforderlich sei (UA S. 16), ist rechtsfehlerhaft. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. …“

Ist schon erstaunlich.

Strafzumessung: Die Strafe war offenbar auch dem GBA zu hoch, dem BGH allerdings nicht

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Da ist mal wieder eine Entscheidung des BGH, die der Behauptung entgegensteht, der GBA beantrage immer nur die Verwerfung der Revisionen des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO oder lege nur zu Lasten des Angeklagten Revision ein. Das BGH, Urt. v. 02.08.2012 – 3 StR 132/12 beweist das Gegenteil.

Das LG hatte den  wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtete sich die Revision des Angeklagten. Er und – wie sich aus dem Beschluss ergibt – der GBA waren von Strafzumessungsfehlern ausgegangen. Daher auch verfahrensrechtlich der Abschluss des Verfahrens mit einem Urteil; da ein Antrag nach § 349 Abs. 2 StPo nicht vorlag, konnte der BGH nicht durch Beschluss verwerfen.

Denn verworfen hat der BGH. Er hat die Strafzumessung anders gesehen als Angeklagter und GBA. Dazu:

2. Nach diesen Maßstäben ist ein revisionsrechtlich bedeutsamer Fehler der Strafbemessung hier nicht ersichtlich.

a) Zunächst ist mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der Urteils-gründe nicht zu besorgen, dass das Landgericht innerhalb des nach zweifacher Milderung gewählten Strafrahmens ausschließlich für den Angeklagten spre-chende Gesichtspunkte erwogen und gleichwohl eine im oberen Bereich des Strafrahmens angesiedelte Strafe verhängt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 2 StR 463/02, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 23). Vielmehr hat das Landgericht auch gegen den Angeklagten sprechende Umstände festgestellt, diese aber ersichtlich lediglich nicht als bestimmend im Sin-ne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO angesehen und daher in den schriftlichen Urteilsgründen bei der Strafzumessung nicht angeführt. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung, es habe besondere Umstände zu seinen Lasten nicht feststellen können. Hinzuweisen ist etwa auf folgende Gesichtspunkte, die im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB gegen den Angeklagten sprechen: So nahm das Opfer den Angeklagten unmittelbar nach dessen Einreise aus Brasilien in seine Wohnung auf, gewährte ihm mehrere Wochen lang Unterkunft und führte mit ihm eine Liebesbeziehung. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Opfer stach der Angeklagte mehrfach auf dieses ein, brachte ihm dabei (min-destens) drei Stichverletzungen in den Hals bei und fügte dem nunmehr am Boden Liegenden mit einem Zimmermannshammer fünfzehn Kopfverletzungen zu, die zu trümmerartigen Brüchen des Hirnschädels und zum Tode führten. Diese besonderen Tatmodalitäten zu Lasten des Angeklagten zu berücksichti-gen, begegnet hier keinen rechtlichen Bedenken, da auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich ist, so dass für eine straf-schärfende Verwertung der Handlungsintensität Raum bleibt, wenn auch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615, 616).

b) Danach besteht entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kein Widerspruch zwischen der verhängten Freiheitsstrafe und der tatrichterli-chen Bewertung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände. Namentlich kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, dass Strafschärfungsgründe gänzlich fehlten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 2 StR 463/02, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 23) oder diese dem Landgericht bei der Strafzumessung völlig aus dem Blick geraten wären.

3 StR 132/12

vom

2. August 2012