Archiv für den Monat: Juli 2012

Wann liegt eine nicht geringe Menge von Nitrazepam vor – für „Btm-Verteidiger“ wichtig

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Machen wir noch mal was zu den Betäubungsmitteln, und zwar den OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.0.2012 – 2 Ss 154/12, der sich mit dem Besitz einer nicht geringen Menge von bei Erwerb noch nicht in der Positivliste enthaltenen Betäubungsmitteln befasst. Dazu das OLG mit folgenden Leitsätzen:

1. Wer Betäubungsmittel besitzt, die erst nach deren Erwerb in die Anlagen zum BtMG aufgenommen wurden, macht sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes strafbar, wenn er zum Zeitpunkt des Besitzes keine Erlaubnis hat.

2. Dagegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes in nicht geringer Menge aus, wenn zum Zeitpunkt des Erwerbs keine Erlaubnispflicht nach § 3 Abs. 1 BtMG bestand.

Interessant ist der Beschluss darüber hinaus, weil das OLG – in einem obiter dictum – davon ausgeht, dass bei Nitrazepam eine nicht geringe Menge ab einem Wirkstoffgehalt von 2,4 g vorliegt. Dazu gibt es bisher nichts.

Wie wird das Ermessen bei der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtmG richtig ausgeübt?

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Für diejenigen, die häufig(er) in Btm-Sachen verteidigen, ist die Vorschrift des § 35 BtMG keine „unbekannte Größe“. Aber auch die haben sicherlich an dem OLG Naumburg, Beschl. v. 11.07.2012 – 1 VAs 433/12, den mir der Kollege Siebers übersandt hat (vgl. der Kollege dazu selbst auch hier). Das OLG macht noch mal Ausführungen zur Ausübung des der StA eingeräumten Ermessens.

Daraus folgt, dass bei der Ermessensausübung die Tatschuld nicht herangezogen werden darf. Ebenso wenig darf die Zurückstellung grundsätzlich wegen einer ungünstigen Sozialprognose versagt werden, da die Bestimmung des §. 35 BtMG gerade dann zur Anwendung kommen soll, wenn die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht vorliegen und auch „Risikopatienten(vgl. OLG Hamburg StV 1998,390 f. ; OLG Zweibrücken StV 2000, 157f.) eine Therapiechance eröffnen soll. Auch die Anforderungen an die Therapiefähigkeit dürfen nichtüberspannt. werden (vgl. OLG Hamm NStZ 1982 485), denn der Gefahr, dass ein Therapieversuch scheitert, war sich der Gesetzgeber bewusst. Ihr soll mit der Möglichkeit der raschen. Fortsetzung der Vollstreckung (§ 35 Abs.5. BtMG.). und. Inhaftnahme (§ 35 Abs. 7.BtMG) begegnet werden. Eine Zurückstellung. kann daher allein dann nicht verantwortet werden, wenn im Einzelfall Erkenntnisse vorliegen, welche die Therapie von vornherein als völlig oder nahezu aussichtslos erscheinen lassen, namentlich wenn ein vernünftiger Zweifel. an der fehlenden Therapieaussicht ausgeschlossen ist. Dann müssen aber die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Erwägungen und Tatsachen im Ablehnungsbescheid mitgeteilt werden (vgl. OLG Karlsruhe StV 1983, 112f.). Hierzu genügen die wesentlichen Faktoren und typischen Erscheinungsformen der Betäubungsmittelabhängigkeit, insbesondere die charakterliche. Labilität, die Drogenkarriere, Häufigkeit der Vorstrafen und zunehmende Rückfallgeschwindigkeit nicht (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., § 35 Rn. 154f.).

Diesen Vorgaben wird der Ablehnungsbescheid nicht gerecht: Insbesondere. steht die Erwägung, der Antragsteller sei nach einer bereits im Jahr 2004 erfolgten Zurückstellung nach § 35 BtMG hinsichtlich der mit Urteil des Landgerichts Halle vom 03. Februar 2003 (28 KLs 502 19529/02 (26/02)) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der nach der durchgeführten Therapie gewährten Reststrafenaussetzung zur Be­währung erneut und mehrfach straffällig geworden, dem Zweck des § 35 BtMG entgegen. Diese Begründung der Ablehnung berücksichtigt nicht, dass der Weg aus der Drogensucht regelmäßig mit gescheiterten Therapieversuchen und Rückfällen in kriminelle Verhaltensweisen verbunden ist, weshalb diese einer erneuten Zurückstellung nicht entgegenstehen (vgl. OLG Hamm StV 2010, 147f.; OLG Karlsruhe StraFo 2008, 42ff.). Der Weg aus der Sucht verläuft nicht gradlinig nach einem festen Therapieplan, sondern ist ein langes prozesshaftes Geschehen, in dem es darum geht, Rückfälle therapeutisch zu verarbeiten, drogenfreie Intervalle zu vergrößern und Erfolge in kleineren Schritten anzustreben (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, a.a.O., Rn. 207).

Die Erwägung vor-dem Hintergrund, dass der Antragsteller „seit 1994 wiederholt und regel­mäßig massiv straffällig geworden [ist], er sich weder durch Verurteilungen von weiterem strafbarem Verhalten abhalten lassen [hat], noch das in ihn gesetzte Vertrauen durch Strafaussetzungen zur Bewährung jemals [hat] rechtfertigen können“, müsse seine Zusage, sich erneut einer Therapie unterziehen zu wollen, als reines Zweckverhalten gewertet werden; dies umso mehr, da „die dem Vollstreckungsverfahren zugrundeliegende Verurteilung erneut auf szenetypischer Beschaffungskriminalität beruht“, lässt zum einer die Tatsachen für den aktuelle Schluss auf die fehlende Therapiebereitschaft vermissen und berücksichtigt zum anderen die vom-Antragsteller gezeigten. Bemühungen zur Überwindung seiner Drogensucht nicht, wie sie etwa in der Bescheinigung der Suchtgruppenteilnahme der Justizvoll­zugsanstaltBurg .vom 07. Dezember 201.1 erkennbar werden.Sie stellt vielmehr ermessensfehlerhaft auf die nach Ansieht des Generalstaatsanwalts fehlende positive Sozialprognose ab.

Versicherungsbetrug – Hehlerei?

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Sachverhalt: Der Angeklagte kauft von einem italienischen Staatsangehörigen  für 3.000 Euro dessen Pkw Mercedes Diesel 200 S an, den dieser erst im Februar 2008 für 37.500 Euro erworben hatte. Nach der Übergabe des Pkws in Dortmund am 3. März 2011 veräußert der Angeklagte das Fahrzeug mit „beträchtlichem Gewinn“. Wie zuvor besprochen, sollte S. den bei der A. gegen Diebstahl versicherten Pkw als gestohlen melden und sich die Versicherungssumme auszahlen lassen. Am 10. Mai 2011 zeigte S. bei der Polizei in P. /Italien bewusst wahrheitswidrig einen Diebstahl seines Fahrzeugs an. Das LG verurteilt wegen Hehlerei (§ 259 StGB).

Der BGH, Beschl. v.06.06.2012 –  StR 144/12 – sagt: Nein , geht nicht, denn:

b) § 259 Abs. 1 StGB setzt eine Vortat voraus, die zu einer rechtswidrigen Besitzlage an der als Hehlereigegenstand in Betracht kommenden Sache geführt hat. Ein Versicherungsnehmer, der eine ihm gehörende versicherte Sache verkauft, um anschließend einen Versicherungsbetrug zu begehen, schafft keine rechtswidrige Besitzlage, weil er trotz seiner kriminellen Absichten auch weiterhin als Berechtigter verfügt. Der in dem Verkauf liegende Versicherungsmissbrauch gemäß § 265 Abs. 1 StGB (Überlassen) ist daher keine taugliche Vortat für eine Hehlerei an der versicherten Sache (BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 203/11, Rn. 8; Beschluss vom 22. Februar 2005 – 4 StR 453/04, NStZ 2005, 447, 448; Beschluss vom 23. Juli 2008 – 5 StR 295/08; Stree/Hecker in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 259 Rn. 9).

Haben die BGH-Strafsenate keine Lust an Gebührenfragen?

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Es ist sicherlich hilfreich für Verteidiger, Gerichte und Staatsanwälte, dass der BGH seine Rechtsprechung auf seiner Homepage online stellt. Nur manchmal frage ich mich: Lieber BGH, was soll mir dieser Beschluss sagen? Das ist immer dann der Fall, wenn sich aus den „Begründung“ nicht entnehmen lässt, was nun eigentlich entschieden worden ist und warum. Beispiel dafür sind die „OU-Beschlüsse“ des BGH, also Verwerfungen nach § 349 Abs. 2 StPO, in denen i.d.R. keine weitere Begründung enthalten ist oder nur auf die zutreffende Stellungnahme des GBA verwiesen wird.

In die Kategorie gehören – leider – häufig auch die Beschlüsse des BGH, in den nach den §§ 42, 51 RVG eine Pauschgebühr festgestellt/festgesetzt wird. Auch die sind – wenn überhaupt – meist äußerst knapp begründet. Das finde ich als Gebührenrechtler natürlich nicht gut. Denn ich wäre über das ein oder andere Wort des BGH zu Streitfragen bei diesen Vorschriften froh.

Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 19.06.2012 –   5 StR 307/10 (alt: 5 StR 263/08) zur Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG:

Dem Wahlverteidiger der Verurteilten L. steht für dessen Tätigkeit im Revisionsverfahren eine Pauschgebühr in Höhe von 2.200 € zu.
G r ü n d e
Der Wahlverteidiger hat die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. November 2007 begründet sowie am 24. Juni und 9. Juli 2009 an der Revisionshauptverhandlung teilgenommen.
Gemäß § 42 Abs. 1 RVG war eine Pauschgebühr für die Tätigkeit im Revisionsverfahren festzustellen, welche aufgrund der Schwierigkeit des Verfahrens in Höhe von 2.200 € festzusetzen war.“

Man sieht der BGH hüllt sich in Schweigen. Dabei hätte ich u.a. folgende Fragen:

  1. Warum war das Verfahren schwierig? OK, 5 StR 263/08 war zumindest nicht einfach.
  2. Welche Kriterien haben ggf. sonst noch eine Rolle gespielt?
  3. War  das Verfahren aber so schwierig, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar waren? Warum?
  4. Wie komm der BGH auf die Feststellung der 2.000 €? Die Pauschgebühr nach § 42 ist nach dessen Abs. 1 Satz 4 RVG doch auf das Doppelte der Wahlanwaltshöchstgebühr begrenzt. Die dürfte hier, da der BGH ja nur eine Pauschgebühr für die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung festsetzt/-stellt (Nr. 4132, 4133 VV RVG) und auch nur festsetzen/-stellen kann – alles andere bleibt beim zuständigen OLG – 470 € bzw. 587,50 € betragen haben. Also Pauschgebühr nach § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG maximal: 940 € oder 1175 €. Wieso dann aber 2.000 €. Gilt das § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht für den BGH? M.E. ist der Beschluss an dieser Stelle schlicht falsch.

Also Fragen über Fragen, auf die der Beschluss Antworten schuldig bleibt. Warum? Manchmal hat man den Eindruck, dass die BGH-Senate an diesen „Gebührengeschichten“ keine Lust haben und sich deshalb so knapp fassen. Aber richtig sollte es schon sein (Mitlesende Verteidiger: Was Recht ist, muss Recht bleiben, auch wenn es der Kasse weh tut).

Vorverlegen/Nachverlegen – passen die Schöffen?

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Den Anspruch des Angeklagten auf den „richtigen“ = den gesetzlichen Richter schützt § 338 Nr. 1 StPO. Erfasst wird davon auch der „richtige“ Schöffe. In der Revision wird das Recht mit der Besetzungsrüge geltend gemacht. Mit einer solchen befasst sich der BGH, Beschl. v. 03.07.2012 – 4 StR 66/12). Dort ging es um einen sog. außerplanmäßigen Sitzungstag als vor bzw. nachverlegten ordentlichen Sitzungstag. Ob das eine oder das andere hat auf die Auswahl/Hinzuziehung der Schöffen für den Tag Bedeutung. Hier hatte der Vorsitzende seine Entscheidung geändert: Aus Nachverlegung wurde Vorverlegung, was in der Revision als „willkürlich“ beanstandet worden ist. Dazu der BGH, Beschl.:

Maßstab für die revisionsgerichtliche Überprüfung ist insofern Willkür (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 2 StR 21/05, BGHSt 50, 132, 137 mwN).

„Die Entscheidung des Vorsitzenden, den ersten Hauptverhandlungstag vom 30. September 2011 nicht mehr als den nachverlegten ordentlichen Sitzungstag vom 29. September 2011, sondern als den vorverlegten ordentlichen Sitzungstag vom 4. Oktober 2011 heranzuziehen, ist nicht zu beanstanden. Denn die Zuordnung eines außerplanmäßigen Sitzungstages als vor- oder nach-verlegter ordentlicher Sitzungstag ist durch den Vorsitzenden nach denselben Regeln abänderbar wie die Verlegung eines „normalen“ Sitzungstages. Sie wird hier durch die insbesondere im Vermerk des Vorsitzenden vom 15. September 2011 und die von ihm im Hauptverhandlungstermin vom 30. September 2011 dargelegten Gründe getragen.

Die Sache war schon im Hinblick darauf in besonderer Weise eilbedürftig, dass sich die Angeklagten, bei denen die Anwendung von Jugendstrafrecht zumindest in Betracht kam, in Untersuchungshaft befanden und für den 14. Oktober 2011 die Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO anstand. Der Termin für den Beginn der Hauptverhandlung am 30. September 2011 wurde nach Absprache mit den Verteidigern angesetzt; ein anderer Termin war vor der Haftprüfung „nicht möglich“. Dies beruhte ersichtlich – jedenfalls wurde von den Verteidigern in der Revision nichts anderes vorgetragen – auf der Terminslage eines oder der Verteidiger der Angeklagten, denn die Jugendkammer war am 4. Oktober erst ab 12 Uhr mit einem Fortsetzungstermin in anderer Sache be-fasst; der 29. September wurde erst mit einem anderen Termin belegt, nachdem der Vorsitzende den Beginn der Hauptverhandlung auf den 30. September 2011 bestimmt hatte.

Vor diesem Hintergrund liegt jedenfalls eine unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbare Entziehung des gesetzlichen Richters durch die Heranziehung der für den ordentlichen Sitzungstag vom 4. Oktober 2011 vorgesehenen Schöffen nicht vor, wenn der Vorsitzende – wie hier – dem von der Rechtsprechung mehrfach hervorgehobenen Grundsatz, dass die Verlegung eines ordentlichen gegenüber der Bestimmung eines außerordentlichen Sitzungstages Vorrang hat (vgl. dazu BGH aaO S. 134), dadurch Rechnung trägt, dass er – wie im Hinweis des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 14. Juli 2010 (1 StR 123/10, NStZ-RR 2010, 312, 313) vorgeschlagen – einen „ordentlichen Sitzungstag, wenn dieser zufällig bereits durch einen  Fortsetzungstermin belegt ist, verlegt“, anstatt einen außerordentlichen Sitzungstag anzuberaumen (so BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 2 StR 21/05, BGHSt 50, 132, 136).

Also: Beurteilungsspielraum