Archiv für den Monat: Juli 2012

„Das erinnert mich an SS-Methoden“ – noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.

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Das Amtsgericht verurteilt den Angeklagten wegen Beleidigung auf der Grundlage folgender Feststellungen:

Der Angeklagte wurde durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen A und B angesprochen und darum gebeten, sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde. Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS. Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: „dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin“, woraufhin der Angeklagte entgegnete: „Nein, das sage ich nicht“.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die beim OLG Frankfurt Erfolg hatte: Das OLG geht im OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.03.2012 – 2 Ss 329/11 – zwar von einer Beleidigung aus, sieht diese aber über § 193 StGB gedeckt:

 Jedoch kommt dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zugute. Denn die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Ehrschutzes einerseits und des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG führt im vorliegenden Fall zu einem Überwiegen der Meinungsfreiheit. Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts geht in Fällen, in denen sich die Äußerung als Kundgabe einer durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinung darstellt, die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, und zwar auch dann, wenn starke, eindringliche und sinnfällige Schlagworte benutzt werden oder scharfe, polemisch formulierte und übersteigerte Äußerungen vorliegen, auch wenn die Kritik anders hätte ausfallen können (BVerfGE 54, 129, 138 [BVerfG 13.05.1980 – 1 BvR 103/77]; BVerfG, NJW 1992, 2815 [BVerfG 05.03.1992 – 1 BvR 1770/91]; Senat, 2 Ss 282/05). Bei der Beurteilung der Schwere der Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist es von entscheidender Bedeutung, ob die verantwortlichen Beamten persönlich angegriffen werden oder ob sich die scharfe Kritik gegen die angewendete Maßnahme richtete und die Ehrverletzung sich erst mittelbar daraus ergab, dass die Kritik an der Maßnahme auch einen unausgesprochenen Vorwurf an die Verantwortlichen enthielt (BVerfG, NJW 1992, 2815 [BVerfG 05.03.1992 – 1 BvR 1770/91]) Eine solche mittelbare Beeinträchtigung der Ehre vermag im öffentlichen Meinungskampf regelmäßig geringeres Gewicht zu beanspruchen, wenn die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht (BVerfG, ebenda). Schließlich ist es mit der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit als Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses unvereinbar, wenn die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung im Wesentlichen danach beurteilt wird, ob die kritisierte Maßnahme der öffentlichen Gewalt rechtmäßig oder rechtswidrig war, da anderenfalls das von Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, die geltenden Gesetze einer Kritik zu unterziehen, nicht mehr gewährleistet wäre (BVerfG, ebenda).

Nach diesen Maßstäben kann das Urteil des Amtsgerichts Kassel keinen Bestand haben. Insbesondere kommt es nicht maßgeblich darauf an, inwieweit die Personenkontrolle zur Identitätsfeststellung nach den Normen des BPolG rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete. Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung kann außer in Fällen der Formalbeleidigung zwar dann erreicht sein, wenn die Äußerung in ihrem objektiven Sinn und den konkreten Begleitumständen nach nicht mehr als ein Beitrag zur Auseinandersetzung in der Sache zu verstehen ist, sondern eine Diffamierung oder persönliche Herabsetzung der betroffenen Personen bezweckt wird, mithin eine Form der Schmähkritik vorliegt (BVerfGE 93, 266, BVerfG, NJW 2009, 3016). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Dies zeigt sich zum einen bereits in der deutlichen Distanzierung von einer persönlichen Herabsetzung auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle bzw. ob er ihn als Nazi bezeichnen wolle. Der Angeklagte hat dabei gezeigt, dass er deutlich zwischen der sachlichen Kritik am Vorgehen des Beamten und der persönlichen Diffamierung abzugrenzen vermag. Dass die mittelbar durch die Kritik an der Sache bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen in den Hintergrund drängen ließe, ist nicht ersichtlich.

Eregbnis: Freispruch

Änderungen/Ergänzungen des § 153a StPO – (mal wieder) Opferschutz

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Mal wieder etwas aus der Ecke: Was gibt es Neues aus Berlin? Über meinen Jurion-Newsletter bin ich auf die Meldung des Bundestages vom 28.06.2012 gestoßen. Danach hat der Bundestag -bei Enthaltung der Linksfraktion und der Grünen am 28.06.2012 einen Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 17/1466) zur Stärkung der Täterverantwortung in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 17/10164) beschlossen.

Die gesetzlichen Neuregelungen zielen (natürlich/mal wieder) auf einen besseren Opferschutz vor allem bei häuslicher Gewalt. Beschuldigte oder Verwarnte können künftig über staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Weisungen Programmen zugewiesen werden, in denen sie sich mit ihren Taten auseinandersetzen und lernen, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu kontrollieren. Den Beschuldigten kann bei vorläufiger Einstellung des Verfahrens die Teilnahme an einem bis zu einjährigen Programm auferlegt werden. Geändert worden sind u.a. § 153a StPO und das StGB.

In § 153a StPO ist eine neue Nr. 6 eingefügt worden – die Einstellung ist in Zukunft auch unter der Auflage möglich,  „6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder“. In dem Fall kann dann das Verfahren bis zu einem Jahr eingestellt werden (§ 153a Abs. 3 S. 1 StPO neu).

Damit korrespondiert eine Änderung in § 59a StGB. Dort ist jetzt in einer neuen Nr. 5 geregelt, dass als Weisung auch aufgegeben werden kann, „„5. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.“

Strafzumessung – Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld

In meinen Augen haben viele Revisionen beim BGH Erfolg im Hinblick auf Strafzumessungsfehler. In dem Bereich werden vom BGH landgerichtliche Urteile häufig aufgehoben und zur Reparatur zurückgeschickt. das gilt insbesondere auch für den Teilbereich der Verurteilungen auf der Grundlage des JGG, wo häufig nicht beachtet wird, dass auch, wenn die Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt wird, sie gem. § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten zu bemessen ist. So auch der BGH, Beschl. v. 15.05.2012 – 2 StR 54/12:

Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und wegen schädlicher Neigungen und Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich gehalten. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der verhängten Jugendstrafe begründet hat. Die Höhe der Jugendstrafe bemisst sich, auch wenn sie wegen der Schwe

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re der Schuld verhängt wird, gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1995 – 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10; Eisenberg, JGG, 15. Aufl., § 18 Rn. 13, 20 ff.). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Die Urteilsgründe stellen im Wesentlichen auf das in der Tat zum Aus-druck gekommene Unrecht ab und teilen Zumessungserwägungen mit, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Sie erwähnen lediglich am Ende der Strafzumessungserwägungen den Erziehungsgedanken eher formelhaft. Den noch bestehenden Erziehungsbedarf des Angeklagten substantiiert die Jugendkammer unter Hinweis auf seine strafrechtlichen Vorbelastungen, ohne die Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten näher abzuwägen. Insbesondere stellt die Jugendkammer nicht dar, warum trotz der festgestellten positiven Entwicklungsansätze (UA S. 7, 27) dem vorrangigen Erziehungsgedanken nur durch Verbüßung einer derart langen Jugendstrafe Rechnung getragen werden kann.

Mit Ergänzungsrichter wäre sicher besser gewesen – Umfangsverfahren Däbritz überraschend dann doch zu Ende

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Beim LG Münster war das sog. Däbritz-Verfahren anhängig, in dem es um den angeblichen „Rufmord“ einer ehemaligen Professorin der UKM gegenüber den Uni-Kliniken Münster ging. Das Verfahren stand jetzt auf der Kippe: Der Vorsitzende Richter am LG geht in einigen Tagen in Ruhestand und es war ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen einen medizinischen Sachverständigen in der Welt. Diesem hat die Kammer stattgegeben, so dass sie nun ohne Sachverständigen dastand und damit das Verfahren nicht mehr vor dem Ausscheiden des Vorsitzenden beendet werden konnte; eine Ergänzungsrichter war nicht bestellt.

Nun ist das Verfahren aber doch noch zu Ende gegangen. Man hat sich „geeinigt“ (vgl. u.a. hier). Die angeklagte Professorin und ihr Lebensgefährte, der nach seiner Einlassung die fraglichen Schreiben ohne Wissen seiner Lebensgefährtin geschrieben haben will, zahlen jeweils 7.500 €. Damit haben sich die Angeklagten, was mich überrascht, doch noch auf eine Verständigung eingelassen. Denn eine solche war bereits zu Anfang des Verfahrens vom Gericht und Verteidigung in Aussicht genommen worden, letztlich aber am Widerstand der Angeklagten – so die damaligen Presseberichte – gescheitert.

Ende gut, alles gut? Die Frage wird man ohne Kenntnis der Akten nicht abschließend beantworten können. Es bleibt zumindest die Frage, warum eigentlich in einem solchen Verfahren, in dem sich m.E. eine längere Verfahrensdauer von Anfang abgezeichnet hat, nicht einen Ergänzungsrichter beizieht, wenn das Ende der Dienstzeit des Vorsitzenden vor der Tür steht. Dann wäre die Kammer kaum unter den Druck gekommen, unter dem sie jetzt wohl stand: Völlige Neuauflage des Verfahrens.

Das beim Raub offen mitgeführte Messer…

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Gestern war eine ganze Reihe von Entscheidungen des 3. Strafsenats des BGH auf der HP des BGH eingestellt, die sich mit materiell-rechtlichen Fragen befasst haben. Eine war der BGH, Beschl. v. 08.05.2012 – 3 StR 97/12 -, in dem der BGH eine Verurteilung wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung aufgehoben hat., weil die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht ausreichend dargelegt waren:

a) Nach den Feststellungen begaben sich der mit einem Brotmesser bewaffnete Angeklagte und der frühere Mitangeklagte B. , der einen ungelade-nen Revolver mit sich führte, entsprechend dem gemeinsamen Tatplan in eine Spielhalle. Dort forderte B. die Spielhallenaufsicht unter Vorhalt des Revol-vers zur Übergabe von Geld auf, woraufhin sie aus Angst den zum Öffnen der Kasse erforderlichen Code eingab und begann, Scheine aus der Kasse her-auszugeben. Währenddessen hielt sich der Angeklagte mit dem Messer, das die Spielhallenaufsicht wahrnahm, im Eingangsbereich auf und bewachte die Tür. Da B. die Herausgabe des Geldes nicht hinreichend schnell ging, entnahm er der Kasse selbst weiteres Geld. Anschließend verließen der Angeklag-te und B. die Spielhalle.

b) Diese Feststellungen belegen nicht die Verwendung eines anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, die allein in dem Einsatz des Messers, aber nicht des ungeladenen Revolvers gelegen haben könnte (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 – 1 StR 429/99, BGHSt 45, 249, 250 f.).

aa) Eine Waffe oder – wie hier – ein Messer als ein anderes gefährliches Werkzeug wird nur dann im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendet, wenn es der Täter als Raubmittel oder Mittel der räuberischen Erpressung zweckgerichtet einsetzt, das Opfer die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben mittels des gefährlichen Werkzeugs wahrnimmt und somit in die entsprechende qualifizierte Zwangslage versetzt wird (BGH, Beschluss vom 8. November 2011 – 3 StR 316/11, StV 2012, 153 mwN). Kein Verwenden ist dagegen das bloße Mitsichführen, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn es offen geschieht (BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 9 mwN).

bb) Die Feststellungen ergeben nicht, dass das Messer verwendet wurde, indem der Angeklagte und B. – zumindest durch schlüssiges Verhalten – mit seinem Einsatz drohten. Die Urteilsgründe teilen über den Umstand hinaus, dass die Spielhallenaufsicht das Messer sah, nicht mit, ob und wie es der Angeklagte hielt bzw. der Spielhallenaufsicht präsentierte. Die Urteilsgründe bele-gen damit lediglich ein offenes Mitsichführen, das die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt.

Ist schon alles schwierig :-).