Archiv für den Monat: Januar 2012

Akteneinsicht: Wird da der Bock zum Gärtner gemacht?

Und gleich – um den Ausgleich herzustellen – zum AG, Wetzlar, Beschl. v. 04.01.2012 – 45 OWi 21/11 (vgl. hier) noch eine andere Akteneinsichtsentscheidung hinterher. Das AG Gießen, Beschl. v. 23.09.2011 – 5602 OWi 56/11 macht es grundsätzlich richtig, wenn es sagt:

  1. Dem Verteidiger ist im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren auch Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes zu gewähren.
  2. Der Fertigung einer Kopie steht ein Urheberecht des Herstellers der Bedienungsanleitung nicht entgegen.
  3. Allerdings: Sofern die Bedienungsanleitung z.B. Kapitel mit technischen Angaben enthalten sollte, die mit der Aufstellung, Bedienung und Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktion des Gerätes durch die Messbeamten nicht in direktem Zusammenhang stehen, kann jedoch von der Fertigung von Kopien abgesehen werden.

Mit Nr. 3 habe ich etwas Probleme, da ich dort ein Hintertürchen sehe bzw. Abgrenzungsprobleme vermute. Denn, wer entscheidet, was „technische Angaben“ sind, die „nicht in direktem Zusammenhang“ stehen? Die Verwaltungsbehörde? Macht man da nicht den Bock zum Gärtner?

Akteneinsicht? Nein. Kannst dir ja eine Bedienungsanleitung kaufen!

Vorab. Ich bin den Kollegen, die mir immer wieder (neue) Entscheidungen der Amtsgerichte zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung im Bußgelvderfahren schicken, sehr dankbar. An dieser Stelle daher ein herzliches Dankeschön.

Vor allem auch deshalb, weil damit nicht solche Knaller wie AG Wetzlar, Beschl. v. 04.01.2012 – 45 OWi 21/11 in der Versenkung verschwinden. Die Akteneinsicht wird dort abgelehnt, das AG sieht den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig an und schreibt dem Verteidiger:

Auch soweit der Verteidiger die Herausgabe der Betriebsanleitung des Geschwindigkeitsmessgeräte Riegl FG 21 P begehrt, besteht hierauf kein Anspruch. Seitens der Verteidigung darf nicht der Umfang und die Ausgestaltung des Akteninhaltes bestimmt werden. Wenn der Verteidiger die Betriebsanleitung benötigt, so kann er diese beim Regionalen Verkehrsdienst Lahn-Dill in Dillenburg einsehen oder aber diese beim Hersteller des Geschwindigkeitsmessgerätes gegebenenfalls käuflich erwerben.“

M.E. doppelt falsch. Der Antrag ist m.E. zulässig, da es sich um eine eigenständige Maßnahme der Verwaltungsbehörde handelt, der im Hinblick auf das Recht auf rechtliches Gehör auch selbständige Bedeutung zukommt. Und: Der „Kaufhinweis“ liegt m.E. völlig neben der Sache. Es kann doch nicht Aufgabe des Betroffenen sein, sich das Material zur Überprüfung des gegen ihn gemachten Vorwurfs selbst zu beschaffen. Sondern: Wenn die Messung zugrunde gelegt wird, muss ihre Überprüfbarkeit anhand des Akteninhalts möglich sein. So schafft man nur eine neue Einnahmequelle für die Hersteller der Bedienungsanleitungen.

„Handy und Gendarm“… oder es gibt sie doch: Die stille SMS

Handy und Gendarm„, so überschreibt die Süddeutsche Zeitung einen Bericht in der Ausgabe vom 05./06.01.2011 (s. dort S. 20), in der sie über das Vorgehen von Bundesbehörden berichtet, die unter Einsatz von sog. „stillen SMS“ ermitteln. Deren Zulässigkeit ist aber in der Literatur nicht unbestritten. So gehen Eisenberg/Singelnstein  in NStZ 2005, 62 ff. davon aus, dass die heimliche Ortung per sog. „stiller SMS“ – darum geht es bei diesem Verfahren – nicht auf § 100a StPO und auch nicht auf § 100g StPO gestützt werden kann (ich in meinem Handbuch, EV, Rn. 1586a und Rn. 237c übrigens auch).

Es ist dann aber ja doch interessant, wenn man aus dem Artikel in der SZ erfährt, dass trotz der rechtlichen Bedenken  in den vergangenen Jahren von den Bundesbehörden „stille SMS“ zu Ermittlungszwecken eingesetzt wurden, und zwar nicht zu knapp. Allein das BKA hat von 2006 bis 2011 mehr als 355.000 versandt, der Zoll sogar mehr als 950.000 und der Verfassungsschutz mehr als 400.00. Alles nachzulesen in einem Schreiben des Bundesministerium des Inneren vom 06.12.2011 an den Bundestagsabgeordneten Hunko, der im November 2011 nach dem Einsatz von stillen SMS gefragt hatt. Hier geht es zu dem Schreiben des Bundesinnenministerium.

Geschlossener Raum? – Nur in dem ist eine „Nacktdurchsuchung“ zulässig….

Der Leiter einer JVA und das LG Gießen streiten sich, was ein „geschlossener Raum“ im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 4 HStVollzG ist. Nur in dem ist nämlich eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung eines Strafgefangenen zulässig. Der Leiter der JVA war davon ausgegangen, dass Vorhänge oder andere Abtrennungen ausreichend seien. Anders das OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 22.11.2011 – 3 Ws 836/11:

Das Hessische Strafvollzugsgesetz gebiete, dass im konkreten Einzelfall die mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung eine Strafgefangenen in einem Raum stattfinde, dessen Türen geschlossen seien, in dem keine Mitgefangenen anwesend seien und den diese während der Durchsuchung auch nicht betreten können. Nach der entsprechenden Vorschrift dürfen keine anderen Gefangenen bei der Durchsuchung anwesend sein, um das Schamgefühl des zu Durchsuchenden zu schonen. Vorhänge oder andere Abtrennungen, die lediglich die Sicht auf die Durchsuchung verhindern, genügen nicht (anders noch OLG Celle zur wortgleichen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 3 StVollzG in NStZ 2005, 587). Das folgert das OLG mit der StVK u.a. aus dem Wortsinn. Ein geschlossener Raum setze danach voraus, dass dieser mit Türen versehen sei.

Aber: Das OLG merkt noch an, dass § 46 Abs. 3 Satz 4 HStVollzG es nicht gebiete, in der Anstalt besondere Durchsuchungsräume einzurichten oder vorzuhalten, die den genannten Anforderungen genügen. Maßgebend sei allein, dass im konkreten Einzelfall die Durchsuchung in einem Raum stattfindet, dessen Türen geschlossen sind, in dem keine Mitgefangenen anwesend sind und den diese während der Durchsuchung auch nicht betreten können. Diese „Anmerkung“ wird den Finanzminister freuen.

Schwimmen (lassen) in der Elbe – eine das Leben gefährdende Behandlung?

Die Angeklagten zwangen

an einem Septemberabend den mit Jeans, Pullover und Schuhen bekleideten 21jährigen Geschädigten in die Elbe zu steigen und sich stromabwärts treiben zu lassen. Der Geschädigte war ein guter Schwimmer, ortskundig und trotz der vorhandenen Dunkelheit räumlich orientiert. Nach etwa 700 m vermochte er an einem Buhnenkopf aus dem Wasser zu steigen und zeitnah ärztliche Hilfe zu erlangen. Er erlitt eine leichte Unterkühlung (Untertemperatur von einem Grad Celsius) und wurde über Nacht im Krankenhaus mit vorgewärmten Infusionen versorgt. Die Elbe hatte zum fraglichen Zeitpunkt eine Temperatur von 15 Grad Celsius, einen Pegelstand von 92 cm über Pegel – was Niedrigwasser entspricht – und eine Fließgeschwindigkeit von 0,81 m/s. Strudelbildungen gab es in dem betreffenden Flussabschnitt nicht…“

Das LG hat das als eine das Leben gefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB angesehen. Der BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 4 StR 455/11 – sagt dazu:

„Daraus ergibt sich nicht, dass der von dem Angeklagten erzwungene und auf Grund der eingetretenen Unterkühlung als Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zu beurteilende Aufenthalt des Geschädigten in der Elbe unter Bedingungen erfolgt ist, die dessen Leben zumindest abstrakt in Gefahr gebracht haben. Das Wasser war mit 15 Grad Celsius noch nicht so kalt, dass eine tödliche Unterkühlung zu befürchten war (vgl. LG Saarbrücken, NStZ 1983, 414). Auch Umstände, die geeignet waren, den Geschädigten in die Gefahr des Ertrinkens zu bringen, sind nicht festgestellt. In dem gleichmäßig und eher langsam fließenden Wasser war eine körperliche Überforderung des Geschädigten nicht zu befürchten. Allein aus dem Umstand, dass der Geschädigte beim Schwimmen wegen der mit Wasser vollgesogenen Kleidung mehr Kraft als erwartet aufwenden musste, kann noch keine abstrakte Lebensgefährdung abgeleitet werden. Als sich der Geschädigte ins Wasser sinken ließ und zu schwimmen begann, konnte er noch gefahrlos stehen. Panikreaktionen oder ein Orientierungsverlust waren mit Rücksicht auf die Ortskunde des Geschädigten und sein beherrschtes Reagieren offenkundig nicht zu befürchten. Andere in der konkreten Situation angelegte, aber letztlich nicht wirksam gewordene Gefahrenquellen (vgl. RG Urteil vom 8. April 1884 – II. StrafS 783/84, RGR 6, 282) sind nicht erkennbar.“

Zur Wassertiefe und zum Schiffsverkehr hatte das LG keine bzw. keine näheren Feststellungen getroffen. M.E. wäre die Frage dann ggf. anders zu beurteilen.