Archiv für den Monat: Februar 2011

Wochenspiegel für die 7. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten:

  1. Traditionsgemäß über Kachelmann, hier, hier, hier und hier und hier.
  2. In der Tat wird manchmal die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe als Freispruch angesehen, was aber nicht der Fall ist.
  3. Strafverfahren wegen Abofalle?
  4. Das Urteil im Winnenden-Verfahren war auch ein Thema.
  5. Damit hatte der Kollege RiBGH Fischer sicherlich nicht gerechnet: Ein Schlag ins Gesicht.
  6. Der Kampf um die Erstattung von Kopierkosten im Strafverfahren, immer wieder und immer wieder auch ein wenig lächerlich.
  7. Kritik des DAV an der Rechtsprechung einiger Gerichte zur Sicherungsverwahrung.
  8. Das gepixelte Bild eines Straftäters darf in Presseberichten veröffentlicht werden.
  9. Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern.

Zustellung wirksam? Genaues Hingucken kann sich lohnen

Revisionsbegründungsfrist oder eine sonstige Frist versäumt? Dann ist Holland in Not und der/die Schuldige wird gesucht, um einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen. Manchmal ist das aber gar nicht notwendig, weil häufig übersehen wird, dass die Zustellung des anzufechtenden Entscheidung nicht wirksam war. Z.B. weil ihr keine wirksame Zustellungsanordnung zugrunde gelegen hat.

Ein schönes Beispiel ist BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 420/10. Da hatte der Angeklagte zwei in unterschiedlichen Kanzleien tätige Verteidiger, die unabhängig von einander Revision eingelegt hatte. Der Vorsitzende hatte zur Zustellung nur verfügt „an Verteidiger“. Dem BGH reichte das nicht:

„Die Zustellung vom 1. Februar 2010 ist unwirksam, weil sie auf keiner wirksamen Zustellungsanordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) beruht. Die Anordnung, „an Verteidiger“ zuzustellen, konnte die mit der Zustellung betraute Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) dahin verstehen, es sei nur an einen Verteidiger zuzustellen, es ist aber unklar, an welchen. Dies begründet den Anschein, der Zustellungsempfänger sei nicht durch den allein hierfür zuständigen Vorsitzenden bestimmt, sondern durch die Geschäftsstelle. Ein Fall, in dem eine nur allgemein gehaltene Zustellungsanordnung deshalb wirksam wäre, weil am Zustellungsempfänger kein Zweifel besteht, liegt, wie der Verfahrensgang belegt, hier nicht vor (vgl. zu alledem auch OLG Celle Nds. Rpfl. 1984, 173 f m.w.N.).“

Sanktionsschere: Wann öffnet sie sich?

Ich hatte ja heute morgen bereits überden BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 berichtet und die Auffassung des BGH zur Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dargestellt. Die Entscheidung des BGH ist noch aus einem weiteren Punkt von Interesse.

Der 1. Strafsenat hat nämlich noch einmal zur sog. Sanktionsschere Stellung genommen. Nicht dazu, was das ist. Das dürfte seit der Entscheidung des BGH in BGHSt 50, 40 allgemein bekannt sein. Nein, sondern zu der Frage, ob man mathematisch berechnen kann, ob sich die Sanktionsschere geöffnet hat. Das wird – war auch nicht anders zu erwarten – vom 1. Strafsenat verneint. Er führt aus, dass eine ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion zwar nicht das vertretbare Maß überschreiten dürfe, so dass der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird. Entsprechend dürfe das Ergebnis des Strafnachlasses im Hinblick auf ein Geständnis nicht unterhalb der Grenze dessen liegen, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann. Dabei legt der BGH großen Wert auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche, und zwar hinsichtlich beider Alternativen (mit und ohne Geständnis).

Einer mathematischen Berechnung erteilt er eine Absage, und zwar sowohl hinsichtlich des Rabatts als auch hinsichtlich des Aufschlags. Beides wird von Meyer-Goßner anders gesehen, der nur einen Rabatt von bis zu 20-30 % als zulässsig ansieht und davon ausgeht, dass eine Strafe ohne Geständnis in der Regel maximal ein zusätzliches Drittel über der im Rahmen der Verständigungsgespräche genannten Strafobergrenze liegen dürfe. Mit der Entscheidung wird die „Berechenbarkeit“ einer Kammer/einer Entscheidung noch schwieriger.

Verständigung: Kein neuer „Quasi-absoluter-Revisionsgrund“

Die neue Verständigungsregelung in § 257c StPO und die sie flankierenden Vorschriften beschäftigen den BGH; das merkt man an der doch recht großen Zahl von veröffentlichten Entscheidungen. Der BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 liegt zeitlich schon etwas zurück, ist aber doch einen Bericht wert. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Hier will ich zunächst den verfahrensrechlichen Aspekt aufgreifen, die andere Frage werde ich in einem gesonderten Beitrag behandeln.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Betruges (Verkauf von nicht zum Verzehr bestimmten Fleisch) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision hat der Angeklagte u.a. einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO geltend gemacht. Dazu hatte er sich auf folgende Verfahrensvorgänge bezogen: Die Vorsitzende der Strafkammer hatte nach Anklageerhebung mit Anklageschrift vom 30. 8. 2007 im Mai 2009 während eines Telefongesprächs und erneut im Oktober oder Anfang November 2009, als der Verteidiger beim Gericht Akteneinsicht nahm, diesem gegenüber für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, als Strafobergrenze angeboten, wozu der sachbearbeitende Staatsanwalt der Vorsitzenden zuvor seine Zustimmung signalisiert hatte. Der Angeklagte, der von seinem Verteidiger über die Anfragen der Strafkammervorsitzenden unterrichtet wurde, lehnte die Ablegung eines Geständnisses ab. Eine zu erwartende Strafhöhe für den Fall einer Verhandlung ohne Geständnis nannte die Strafkammervorsitzende nicht. Das Angebot einer Verständigung seitens der Strafkammervorsitzenden wurde in der Hauptverhandlung nicht erwähnt. Im Protokoll ist lediglich am Ende – zutreffend – vermerkt, dass eine Verständigung nicht stattfand. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Der BGH hat zur Rüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 SPO ausgeführt: Ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO führt nicht zu der unwiderlegbaren Vermutung dahin, dass bei einer Verletzung der Norm eine Beeinflussung des Urteilsspruchs dadurch nie ausgeschlossen werden kann. D.h. also: Es kommt auf das Beruhen an (§ 337 StPO). Und das hat der BGH verneint, weil er asgeschlossen hat, dass sich der Angeklagte im Fall der Mitteilung der Bemühungen der Vorsitzenden vielleicht doch noch eines anderen besonnen und ein Geständnis abgelegt htte. Der immer anwaltlich beratene Angeklagte habe geständige Einlassungen mit Bestimmtheit abgelehnt. Die grundsätzliche Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung sei ihm bekannt gewesen. Die Strafkammer habe hierzu – offensichtlich zu Recht – keine Möglichkeit mehr gesehen, sonst hätte sie in der Hauptverhandlung den in § 257c Abs. 3 StPO gewiesenen Weg beschritten.

Der Angeklagte hatte außerdem in seiner Revision darauf hingewiesen, dass die Nennung einer Strafobergrenze bzw. eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) im Falle der Ablegung eines Geständnisses, auch wenn die Verständigung scheitere, am Ende eines dann streitig durchgeführten Verfahrens im Falle einer Verurteilung zwingend Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe habe. Diese Orientierungsfunktion der Nennung einer Strafobergrenze sei nicht zum Tragen gekommen, da die übrigen Mitglieder der erkennen-den Strafkammer über die Anfrage der Vorsitzenden nicht informiert gewesen seien. Abgesehen davon, dass nach Auffassung des BGH die behauptete fehlende Unterrichtung der übrigen Angehörigen des Gerichts seitens der Vorsitzenden über ihren Vorstoß unter Nennung einer Strafobergrenze schon nicht erwiesen war, kommt nach Auffassung des BGH einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den Raum gestellten Strafrahmen für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung i.d.R. keine Bedeutung mehr zu. Dies gelte ebenso für eine in diesem Zusammenhang genannte zu erwartende Strafe für den Fall einer Verurteilung ohne ein Geständnis. Zwingend seien Äußerungen des Gerichts zu Letzterem allerdings nicht und sie seien meist auch nicht zweckmäßig.