Archiv für den Monat: Februar 2011

Pflichtverteidiger aufgepasst: Bei Nichterscheinen drohen Kosten

§ 145 Abs. 4 StPO wird häufig übersehen. So auch in dem Verfahren, dass dem Beschl. des OLG Köln v. 24.11.2010 – 2 Ws 763/10 zugrunde gelegen hat. Der Rechtsanwalt war zunächst Wahlverteidiger, legt dann das Mandat nieder, wird Pflichtverteidiger, was er übersieht und erscheint dann nicht zur Hauptverhandlung.

Das OLG Köln sagt: Die Kostentragungspflicht entfällt bei notwendiger Verteidigung nicht etwas deshalb, weil der Verteidiger das Wahlmandat niedergelegt hat. In einem Fall notwendiger Verteidigung dürfe der Pflichtverteidiger ohne Entpflichtung durch das Gericht der Verhandlung auch dann nicht fernbleiben, wenn er sein Wahlmandat zuvor niedergelegt hat. Verkenne ein als Wahlverteidiger bestellter Rechtsanwalt, der sein Mandat niedergelegt hat, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger, und erscheint er daraufhin nicht zur Verhandlung, sodass nicht verhandelt werden kann, so seien ihm die hierdurch entstandenen Kosten aufzuerlegen. Durch sein Verhalten mache er seine Entpflichtung und die Bestellung eines neuen Verteidigers erforderlich, sodass eine Fortführung der Verhandlung mit ihm selbst als Verteidiger zu einem späteren Termin am selben Tag nicht in Betracht komme. Seine Entpflichtung sei aus Gründen der Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten geboten.

Beweisantrag: Beiziehung einer anderen Ermittlungsakte

Einem auf die Glaubhaftigkeit des Hauptbelastungszeugen abzielender Beweisantrag auf Beiziehung einer (anderen) Ermittlungsakte ist grundsätzlich nachzukommen, so der BGH, Beschl. v. 09.11.2010 – 3 StR 290/10.

Der BGH führt aus, dass ein Beschluss, mit dem die Beiziehung einer Ermittlungsakte aus einem anderen Verfahren abgelehnt wird, dann rechtsfehlerhaft ist, wenn es das Ziel der Beiziehung ist zu beweisen, dass der Hauptbelastungszeuge in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei zu einem Freispruch führende Falschbeschuldigungen getätigt hat und das Gericht die Beiziehung mit der Begründung ablehnt, dass dem weiteren Akteninhalt aus tatsächlichen Gründen keine verfahrensrelevante Behauptung zukomme, da es nicht möglich sei, in einem anderen Verfahren getätigte Angaben inzident zu überprüfen und zu verifizieren. Da es insoweit bei dem angebotenen Beweis um die Glaubhaftigkeit eines Zeugen geht, sieht der BGH grds. die Aufklärungspflicht tangiert. Das Beruhen des Urteils auf einem solchen Fehler sei indes ausgeschlossen, wenn sich die Beweisbehauptung bereits an zahlreichen verfahrensinzidenten Stellen selbst findet und so Gegenstand der Überzeugungsbildung geworden sei.

Notwehr: Einsatz lebensgefährlicher Mittel

Im Rahmen der Notwehr (§ 32 StGB) ist auch der Einsatz lebensgefährlicher Verteidigungsmittel zulässig, so OLG Koblenz, Beschl. v. 17.01.2011 – 2 Ss 234/10.

Nach dieser Entscheidung des OLG darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, welches er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Dabei sei auch der Einsatz lebensgefährlicher Mittel erlaubt, wenn weniger gefährliche Mittel nicht zur Verfügung stehen oder deren Verteidigungswirkung zweifelhaft sei. Sei der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Angegriffenen unbekannt, so sei aber nach der Auseinandersetzungslage zu verlangen, dass er den Einsatz der Waffe androhe, ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt.

Urteilsgründe: Eine 233 Seiten lange Tabelle mag ich nicht

Der BGH hat im Urt. v. 02.11.2010 – 1 StR 579/09 moniert, dass die Ausfuhr von Betäubungsmitteln in den Urteilsgründen in einer 233 Seiten langen, allgemeinen und unnummerierten Tabelle dokumentiert worden war. Das sei im Rahmen eines Strafverfahrens wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unzulässig. Das Gericht dürfe in den Urteilsgründen die einzelnen Versendungen nicht in einer Tabelle angeben, die sich über 233 Seiten der Urteilsgründe erstreckt und pro Seite in der Regel mehr als 20 Zeilen aufweist, wenn die einzelnen Fälle lediglich allgemein nach dem Aussteller des jeweiligen Rezepts und daran anschließend alphabetisch nach dem Namen des jeweiligen Bestellers aufgezählt werden und im Übrigen eine Nummerierung gänzlich fehle. In diesem Fall sei die tateinheitliche Begehungsweise im Einzelnen nicht nachvollziehbar.

Verfahrensverzögerung – zwar berücksichtigt, Urteil war aber trotzdem aufzuheben

Man stutzt, wenn man die Entscheidung des BGH v. 21.12.2010 – 2 StR 344/10 liest. Das LG hat zugunsten des Angeklagten eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angenommen und kompensiert. Aber: Der BGH hebt das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin dennoch auf und begründet das wie folgt:

„Als rechtsfehlerhaft erweist sich aber, dass das Landgericht in der zwischenzeitlichen Nichtverfolgung und dem dadurch eingetretenen Stillstand im Ermittlungsverfahren einen zu kompensierenden Verstoß gegen den aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, Art. 20 GG resultierenden Anspruch auf zügige Verfahrensdurchführung (vgl. BGHSt 52, 124, 129) gesehen hat. Der Gesetzgeber hat in § 154 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft ermächtigt, in Durchbrechung des Legalitätsprinzips aus Opportunitätsgründen auf die weitere Verfolgung (vorläufig) zu verzichten (vgl. hierzu Rieß aaO; BT-Drs. 8/976 S. 40). Macht die Staatsanwaltschaft von dieser Möglichkeit aus verfahrensökonomischen Gründen Gebrauch und nimmt sie das Verfahren später in zulässiger Weise wieder auf, kann die hierdurch bewirkte Verzögerung jedenfalls nicht ohne weiteres den Vorwurf der Rechtsstaatswidrigkeit begründen.

c) Durch die ihm somit zu Unrecht gewährte Vollstreckungsanrechnung ist der Angeklagte zwar nicht beschwert, weshalb der Ausspruch über die Kompensation bestehen bleiben muss (vgl. BGHSt 54, 135, 138; BGHR StGB § 46 Abs. 2, Verfahrensverzögerung 20). Der Senat vermag aber nicht auszuschließen, dass sich der Fehler im Rahmen des Strafausspruchs zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgewirkt hat…“

Also eine Art positive Doppelverwertung: Kompensation bleibt bestehen, aber Strafausspruch muss noch einmal überprüft werden.