Archiv für den Monat: Februar 2011

Strafzumessung – Ohne Not an Straftaten beteiligt

An sich ein alter Hut, dass dem Angeklagten in der Regel in der Strafzumessung nicht vorgehalten werden darf, dass er ohne Not straffällig geworden ist. Aber man findet diese oder entsprechende Formulierungen immer wieder in Urteilen. So auch in der dem BGH-Beschl. v. 21.10.2010 – 4 StR 610/10 zugrundeliegenden landgerichtlichen Entscheidung, in der es hieß:

Bei der Zumessung der Einzelstrafen hat das Landgericht neben anderen Erwägungen zu Lasten des Angeklagten gewertet, „dass er sich – ohne erkennbare finanzielle Not – an Taten der mittleren bis Schwerkriminalität beteiligt hat“.

Geht nicht, sagt der BGH:

„Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Vorhandensein einer für Motivation und Zielsetzung mitbestimmenden finanziellen Notlage wirkt in der Regel zu Gunsten des Täters. Das Fehlen eines solchen möglichen Strafmilderungsgrundes darf nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 1995 – 4 StR 233/95, StV 1995, 584, und vom 9. November 2010 – 4 StR 532/10; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 46 Rn. 57d mwN).“

Muss an sich nicht sein, dass man das vom BGH vorgehalten bekommt.

Gammelfleisch und Üble Nachrede – was hat das miteinander zu tun?

Nun, ja, auf den ersten Blick ist man schnell geneigt zu sagen: Gar nichts hat das miteinander zu tun. Des Besseren wird man belehrt, wenn an sich mit dem Beschl. des OLG Oldenburg v. 24.01.2011 – 1 Ss 69/10 befasst. Da liest man wohin es führen kann. Aber das OLG sagt auch:

„Die den Tatbestand der Üblen Nachrede erfüllende Weitergabe von eidesstattlichen Versicherungen, in denen von einem fleischverarbeitenden Betrieb u. a. wegen Hygienemängeln betriebsbedingt gekündigte und hiergegen vor dem Arbeitsgericht klagende Arbeitnehmer die Verarbeitung von übelriechendem Fleisch schildern, durch den örtlichen Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG an einen Rundfunkreporter kann wegen Wahrung berechtigter Interessen straflos sein.“

Eins vor und eins zurück – im Ergebnis aber keinen Erfolg

Die Entscheidung des BGH v. 21.12.2010 –  3 StR 462/10 ist revisionsrechtlich in zweierlei Hinsicht interessant. Einmal, weil sie Stellung nimmt zum Umfang der Vortrags betreffend der Ablehnung eines Beweisantrages; insoweit sollte man als Verteidiger schon wissen, dass man auch vortragen muss, dass der Antrag in der Hauptverhandlung gestellt wurde. Zum anderen nimmt der Beschluss zur Erforderlichkeit von weiterem Vortrag Stellung, wenn es um die Unerreichbarkeit eines Beweismittels geht. Einmal für den Verteidiger, einmal gegen ihn, im Ergebnis aber: kein Erfolg.

Der BGH führt aus:

„Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Die Rüge, das Landgericht habe den Antrag auf Vernehmung des Zeugen M. rechtsfehlerhaft abgelehnt, weil es zu Unrecht von der Unerreichbarkeit des Zeugen ausgegangen sei, bleibt ohne Erfolg.

1. Die Rüge einer Verletzung des Beweisantragsrechts scheitert daran, dass nicht vorgetragen wird, ob der außerhalb der Hauptverhandlung schriftlich gestellte Beweisantrag auch in der Hauptverhandlung vorgebracht worden ist; denn nur dann wäre er auch als solcher zu behandeln mit der Folge einer Überprüfung seiner Ablehnung an den Vorgaben von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. In Ermangelung eines entsprechenden Vortrags ist die Beweisantragsrüge unzulässig.

Soweit der Generalbundesanwalt die Rüge auch deshalb für unzulässig hält, weil der Beschwerdeführer die Bemühungen der Polizei, den Zeugen zu erreichen, nicht mitgeteilt hat, gilt Folgendes: Diese Umstände, die gegebenenfalls den von der Revision behaupteten Rechtsfehler widerlegen könnten, muss der Beschwerdeführer im Rahmen der Rüge einer Verletzung des Beweisantragsrechts nicht vortragen (noch offen gelassen in BGH, Urteil vom 4. August 1992 – 1 StR 246/92, NStZ 1993, 50). Grundlage der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist der die Beweiserhebung ablehnende Beschluss, in dem die Voraussetzungen der Unerreichbarkeit des Zeugen darzulegen sind (vgl. BGH aaO; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 43b).“

Die Krux mit § 238 Abs. 2 StPO – oder: Wird er übersehen, tritt irreparabler Schaden ein

Eine, wenn nicht die für die Revision wesentliche Vorschrift ist § 238 Abs. 2 StPO – also die Beanstandung einer Maßnahme des Vorsitzenden, um den für die Revisionsrüge des § 338 Nr. 8 StPO erforderlichen Gerichtsbeschluss herbeizuführen.

Man kann es kurz und knapp fassen: Ohne Beanstandung kein Beschluss und damit keine in dem Punkt erfolgreiche Revision. Das macht (mal wieder) der Beschl. des BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 422/10 deutlich, in dem es um ein Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) ging. Es waren die Maßnahmen des Vorsitzenden, die damit zusammenhingen, nicht beanstandet worden, damit hatten die darauf gestützten Revisionsrügen keinen Erfolg.

Der Beschluss ist zudem auch noch aus einem anderen Grund interessant. Man sollte ja meinen, dass ein Selbstlesevefahren nur in Betracht kommt, wenn der Angeklagte auch lesen kann. Muss er aber nicht können. Und: Der BGH führt aus, wie man Selbstleseverfahren gestalten kann.

Man versteht es nicht…

jedenfalls ich nicht – es wird sicherlich wieder den ein oder anderen Kommentator geben, der es versteht: Wie kann man als Gericht im Strafverfahren den Eröffnungsbeschluss vergessen oder übersehen, dass nicht eröffnet worden ist und das dann nicht noch in der Hauptverhandlung nachholen/reparieren?

Wird nicht eröffnet, besteht ein Verfahrenshindernis, das von Amts wegen zu beachten ist und auch beachtet wird. Zu meiner Checkliste beim OLG hat daher u.a. auch der Punkt „Eröffnungsbeschluss“ gehört. Man kann dazu übrigens im Moment trefflich nachlesen im Beschl. des BGH v. 11.01.2011 – 3 StR 484/10.