Archiv für den Monat: November 2010

5. Strafsenat des BGH versus 4. Strafsenat des BGH: Automatische Entlassung konventionswidrig Untergebrachter aus der SV, ja oder nein?

Der BGH berichtet gerade in einer PM über einen Beschl. des 5. Strafsenats des BGH v. 09.11.2010 – 5 StR 394/10

Gegenstand des Beschlusses des BGH ist die Frage, ob Verurteilte, die wegen vor dem 31. Januar 1998 begangener Taten seit mehr als zehn Jahren erstmals in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind, als Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland – 19359/04) ohne weitere Sachprüfung zu entlassen sind.

Diese Frage verneint der 5. (Leipziger) Strafsenat des BGH. Er setzt sich damit in Widerspruch zu einem Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09), der ein paralleles Problem bei der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung betrifft. Daher fragt er bei diesem Senat an, ob er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhält. Bei den anderen Strafsenaten fragt der 5. Strafsenat wegen grundsätzlicher Bedeutung an, ob sie seiner Rechtsauffassung zustimmen. Sollte die Anfrage keine Einigkeit unter den Strafsenaten ergeben, ist die Sache dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vorzulegen.

Also: Auf zum Großen Senat für Strafsachen….

Heute beginnt die 5. Jahreszeit – Alaaf und Helau…

Heute beginnt – zumindest im Rheinland – die sog. 5. Jahreszeit. Mal sehen, was sie an juristischen Problemen bringt.

  1. Vielleicht wieder ein Glasverbot, vgl. hier oder hier, siehe aber auch die PM des OVG Münster vom 09.11.2010, in der das Glasverbot erneut bestätigt worden ist.
  2. Oder sonstige interessante rechtliche Fragen, wozu man hier auf der Homepage http://www.karnevalsrecht.de nachlesen kann

(Feinsinniger) Unterschied… Teilschweigen kann gefährlich werden – Verweigerung der Mitwirkung zur Sachaufklärung nicht

Zur Beratung des Mandanten gehört sicherlich der Hinweis, dass aus seinem vollständigen Schweigen keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen, aus einem Teilschweigen aber ggf. schon.

In seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 3 StR 370/10 hat der BGH diese Frage jetzt abgegrenzt von dem Ziehen nachteiliger Schlüsse aus der  Wahrnehmung prozessualer Rechte. Sachverhalt und Begründung ergeben sich aus dem nachfolgenden Zitat aus der BGH-Entscheidung, die – was auch nicht so häufig ist – den GBA „einrückt“. In der Entscheidung heißt es:

„Die Beweiswürdigung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat aus der Weigerung des Angeklagten, seinen damaligen Verteidiger … von der Schweigepflicht zu entbinden, den Schluss gezogen, die Einlassung des Angeklagten, sein damaliger Verteidiger habe die von diesem im Ermittlungsverfahren abgegebene schriftliche Erklärung, es könne sein, dass sein Mandant – der Angeklagte – auch jemanden getreten habe, in seine Äußerungen hineininterpretiert und er habe die schriftliche Stellungnahme seines damaligen Verteidigers nie erhalten und auch nie mit diesem besprochen, sei unwahr (UA S. 11). Damit hat die Strafkammer gegen den Grundsatz, dass aus dem prozessualen Verhalten der Verweigerung an der Mitwirkung an der Sachaufklärung kein belastendes Indiz zum Nachteil des Angeklagten hergeleitet werden darf, und damit gegen ein Beweisverwertungsverbot verstoßen. […]

Schweigt ein Angeklagter nicht umfassend, sondern macht er zu einem bestimmten Sachverhalt eines einheitlichen Geschehens Angaben zur Sache und unterlässt insoweit lediglich die Beantwortung bestimmter Fragen, so kann dieses Schweigen (sog. Teilschweigen) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von indizieller Bedeutung sein (BGHSt 38, 302, 307). Diese Grundsätze über die Verwertbarkeit des Teilschweigens können aber nicht unbeschränkt auf die Bewertung des sonstigen prozessualen Verhaltens eines Angeklagten, der sich zur Sache einlässt, übertragen werden. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2000 (BGHSt 45, 367, 369) dürfen nachteilige Schlüsse aus der Wahrnehmung prozessualer Rechte durch einen Angeklagten jedenfalls dann nicht gezogen werden, wenn dieses Prozessverhalten nicht in einem engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt seiner Einlassung steht. […]

Nach diesen Grundsätzen war die Verwertung der Nichtentbindung von der Schweigepflicht hier unzulässig. Die schriftliche Stellungnahme des ehemaligen Verteidigers im Ermittlungsverfahren hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht zu eigen gemacht. Sie ist deshalb nicht als Einlassung des Angeklagten zu werten. Er hat sich auch nicht auf den Inhalt des mit seinem ehemaligen Verteidiger ge-führten Gesprächs und die von dem ehemaligen Verteidiger abgegebene Erklärung als ein Entlastungsmoment berufen, das geeignet gewesen wäre, eine ihm ungünstige Überzeugungsbildung zu erschüttern. Nur in diesem Fall wäre es ihm aber verwehrt gewesen zu verlangen, dass seine Weigerung, den Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, unberücksichtigt bleibt. Insoweit liegt der Fall hier anders als in BGHSt 20, 298.

Da das Beweisthema, hinsichtlich dessen der ehemalige Verteidiger von seiner Schweigepflicht entbunden werden sollte, ein vertrauliches, potentiell tatrelevantes Gespräch zwischen ihnen betraf, verstößt die nachteilige Wertung der Weigerung des Angeklagten, seinen Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, auch gegen das durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK und das Rechtsstaatsprinzip verfassungs-rechtlich verbürgte Recht des Angeklagten auf Beiziehung eines Verteidigers (BGHSt 45, 367, 370).“

Anders wäre es wohl gelaufen, wenn sich der Angeklagte die Erklärung zu eigen gemacht hätte :-).

42 „Blitzer-Freisprüche“ – die werden m.E. nicht „halten“

Habe mir dann gerade Stern-TV angesehen zu den 42 Freisprüchen des Kollegen Knöner.

Na ja, der Ansatz, das BVerfG habe in seinen beiden Beschlüssen nichts zum Blitzen aus Kostengründen gesagt, ist ja kreativ, aber ich denke mal, er wird beim OLG Hamm – zuständig ist der 3. Senat für Bußgeldsachen – nicht halten. Das OLG wird sich im Zweifel auf die beiden Entscheidungen des BVerfG vom 05.07.2010 – 2 BvR 759/10 – und vom 12.08.2010 – 2 BVr 1447/10 – zurückziehen. Die waren ja zur Ermächtigungsgrundlage mehr als eindeutig. Der 2. Senat wird seine Rechtsprechung kaum ändern. Und ich suche noch den rechtlichen Ansatz des Kollegen, der ja wohl sagen will: Wenn nicht geblitzt wird aus Verkehrssicherheitsgründen, dann ist das unzulässig und die Messung unverwertbar. Ok, hat was für sich…. Nur: Er wird dazu auch Feststellungen treffen müssen, und: Wie will man das beurteilen? Haben die Behörden da nicht auch einen Ermessensspielraum…?

Zum Verfahren: Ich denke, die StA wird in die Rechtsbeschwerde gehen (müssen). Freuen können sich die Betroffenen, bei denen das Bußgeld unter der sog. Zulassungs-/Bagatellgrenze liegt. Da muss die Rechtsbeschwerde zugelassen werden. Frage: Welcher Zulassungsgrund, wenn das OLG die anderen Fälle – die nicht zugelassen werden müssen – entscheidet. Dann noch Fortbildung des Rechts? Man sieht, interessante Fragen, die der Kollege da losgetreten hat.

Schon wieder Fortbildung: Heute Abend Stern-TV – die 42 Freisprüche von „Richter Gaspedal“ aus Herford

Der Lawblog berichtet hier über die 42 Freisprüche von Betroffenen vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung beim AG Herford (vgl. auch hier). Der Kollege, der die Urteile gemacht hat – die SZ spricht vom „Richter Gaspedal“ – ist heute Abend bei Stern-TV (vgl. hier). Kann man sich ja mal ansehen – vielleicht gibt es noch Argumente für das eigene Verfahren…