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42 „Blitzer-Freisprüche“ – die werden m.E. nicht „halten“

Habe mir dann gerade Stern-TV angesehen zu den 42 Freisprüchen des Kollegen Knöner.

Na ja, der Ansatz, das BVerfG habe in seinen beiden Beschlüssen nichts zum Blitzen aus Kostengründen gesagt, ist ja kreativ, aber ich denke mal, er wird beim OLG Hamm – zuständig ist der 3. Senat für Bußgeldsachen – nicht halten. Das OLG wird sich im Zweifel auf die beiden Entscheidungen des BVerfG vom 05.07.2010 – 2 BvR 759/10 – und vom 12.08.2010 – 2 BVr 1447/10 – zurückziehen. Die waren ja zur Ermächtigungsgrundlage mehr als eindeutig. Der 2. Senat wird seine Rechtsprechung kaum ändern. Und ich suche noch den rechtlichen Ansatz des Kollegen, der ja wohl sagen will: Wenn nicht geblitzt wird aus Verkehrssicherheitsgründen, dann ist das unzulässig und die Messung unverwertbar. Ok, hat was für sich…. Nur: Er wird dazu auch Feststellungen treffen müssen, und: Wie will man das beurteilen? Haben die Behörden da nicht auch einen Ermessensspielraum…?

Zum Verfahren: Ich denke, die StA wird in die Rechtsbeschwerde gehen (müssen). Freuen können sich die Betroffenen, bei denen das Bußgeld unter der sog. Zulassungs-/Bagatellgrenze liegt. Da muss die Rechtsbeschwerde zugelassen werden. Frage: Welcher Zulassungsgrund, wenn das OLG die anderen Fälle – die nicht zugelassen werden müssen – entscheidet. Dann noch Fortbildung des Rechts? Man sieht, interessante Fragen, die der Kollege da losgetreten hat.

Hat das Kosteninteresse jetzt noch etwas mit der Beiordnung des Pflichtverteidigers zu tun? Ja, aber…

Durch das 2. OpferRRG ist § 142 Abs. 1 StPO geändert worden. Der beizuordnende Pflichtverteidiger muss jetzt nicht mehr „ortsansässig“ sein. Ein kleiner (hoffentlich :-)) Wermutstropfen hat aber die Freude über diese Neuregelung beeiträchtigt. Nach der Gesetzesbegründung ist nämlich das „Kosteninteresse“ immer auch noch ein Punkt, der bei der Auswahl des Pflichtverteidigers von Bedeutung sein kann. Ich hatte befürchtet, dass über diese Formulierung durch die „Hintertür“ das Kosteninteresse und die damit zusammenhängende Frage der „Ortsansässigkeit“ letztlich doch wieder eine Bedeutung bekommen, die sie nach der Intention des Gesetzgebers nicht mehr haben sollten.

Diese Sorge wird jetzt ein wenig gemildert durch die Entscheidung des OLG Oldenburg v. 21.04.2010 – 1 Ws 194/10 in der sich das OLG mit der Frage der kostenneutralen Auswechslung und des Verzichts des „neuen Pflichtverteidigers“ auf Gebühren auseinandersetzt. Die Richtigkeit der Ausführungen dazu und die Frage, ob man sich dem anschließen kann, lasse ich mal dahinstehen. Interessant ist, dass das OLG in dem Zusammenhang aber auch zu den Kriterien des § 142 Abs. 1 StPO n.F. Stellung nimmt und ausführt:

Seit der Neufassung von § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. Opferrechtsreformgesetz ist zudem die frühere gesetzliche Anordnung der vorrangigen Bestellung eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwaltes als solche entfallen. Den im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat – gerade auch unter Kostengesichtspunkten – geäußerten Bedenken (vgl. BTDrucksache 16/12812, S. 10) hat der Gesetzgeber keine Rechnung getragen.
Die Entfernung des Anwaltssitzes vom Gerichtsort bleibt aber gleichwohl einer der Gesichtspunkte, die bei der im Rahmen der Auswahlentscheidung des Vorsitzenden gebotenen Abwägung zu berücksichtigen sind, vgl. BTDrucksache 16/12098 S. 20, 21.“

Stimmt, und weiter:

Eine solche Entfernung kann mithin auch nach der jetzigen Rechtslage im Einzelfall den Verfahrensablauf in einer Weise beeinträchtigen, dass dies der Bestellung des auswärtigen Rechtsanwaltes entgegensteht. Dergleichen wird hier vom Strafkammervorsitzenden aber nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. „

Da kann man nur sagen: Uff, Glück gehabt, dass da das Wort Einzelfall auftaucht und das OLG m.E. damit zu erkennen gibt, dass für den Senat das Kosteninteresse wohl nicht im Vordergund steht. Was nach der Gesetzesbegründung auch richtig ist.

BGH: Hilfe bei der Auslegung der Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO

Die Entscheidung des BGH v. 18.08.2009, 4 StR 280/09, könnte Argumentationhilfe zur Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. OpferRRG geben. Die Entscheidung ist noch zur alten Fassung des § 142 StPO ergangen. der BGH führt aus:

“ Es erscheint nicht unbedenklich, dass die Jugendkammer ihre Entscheidung, dem Angeklagten nicht den von  ihm gewünschten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen, auf dessen Belastung mit Terminswahrnehmungen aus anderweitig übernommenen Mandatsverpflichtungen gestützt hat, ohne zuvor die Verfügbarkeit für die im  vorliegenden Verfahren in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine mit ihm geklärt zu haben. Im Übrigen kann das von § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO geschützte Kosteninteresse nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei erheblichen Tatvorwürfen im Rahmen der gebotenen Abwägung aller Umstände hinter dem Interesse des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zurücktreten (vgl. dazu BGHSt 43, 153, 155 f.; zur Maßgeblichkeit der Entfernung zwischen Gerichtsort und dem Sitz des Rechtsanwalts; vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 142 Rdn. 12 m.w.N.). „

Man wird sagen/argumentieren können: Wenn das schon zur alten Fassung gilt, dann erst Recht zur neuen, in der die Problematik der Ortsansässigkeit keine Rolle mehr spielt. Die Entscheidung kann ein Riegel sein, um die Hintertür zu schließen, durch die die Ortsansässigkeit sonst auf einmal doch wieder Bedeutung erlangt: Eben über das Kosteninteresse = die hohen Fartkosten des weit weg ansässigen Rechtsanwalts.

Interessant ist die Entscheidung aber auch deshalb, weil der BGH die Ausfürhungen im Rahmen einer unzulässig begründeten Verfahrensrüge macht. Das ist an sich nicht üblich, zeigt aber m.E. deutlich,w as er vom Verhalten der Vorinstanzen hält (vgl. dazu StRR 2009, 106; 2009, 344).