Vereinsrecht I: Persönliche Daten im Vereinsregister, oder: DSGVO und Datenschutz

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei vereinsrechtliche Entscheidungen, also zu einem meiner „Vorkinder“ 🙂 .

Zunächst hier der OLG Köln, Beschl. v. 03.05.2023 – 2 Wx 56/23, schon etwas älter, aber sicherlich immer mal wieder von Bedeutung. Folgender Sachverhalt:

Im Vereinsregister eines Vereins ist am 28.12.2004 eingetragen worden, dass ein Vereinsmitglied als Vorstandsvorsitzender aus dem Vorstand ausgeschieden ist. Aus dem chronologischen Auszug des Vereinsregisters, der auch die gelöschten Daten enthält, ist die ehemalige Vorstandstätigkeit des – unter Nennung seines vollständigen Namens und Geburtsdatums eingetragenen – Beteiligten ersichtlich. Es wird nun die Löschung der Angabe des Geburtsdatums verlangt und außerdem, dass die Dauer der Vorstandstätigkeit nicht mehr voraussetzungslos über das Internet verfügbar gemacht werden. Der Antrag wird zurückgewiesen. Dagegen dann die Beschwerde an das OLG Köln. Die hatte keinen Erfolg:

„In der Sache hat die Beschwerde indes keinen Erfolg. Das Registergericht hat die beantragte Löschung der persönlichen Daten des Beteiligten im Vereinsregister, insbesondere seines Geburtsdatums, zu Recht abgelehnt. Auch der mit der Beschwerde gestellte Antrag auf Löschung seiner direkt abrufbaren Daten im Vereinsregister und sein Hilfsantrag, die Verarbeitung seiner persönlichen Daten dahingehend einzuschränken, dass hierüber nur noch nach Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses im Einzelfall Auskunft erteilt werde, haben keinen Erfolg.

Für das Begehren des Beteiligten fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Ein Löschungsanspruch zugunsten des Beteiligten ergibt sich nicht aus Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 DSGVO. Denn diese Bestimmungen gelten gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. b) DSGVO nicht, soweit die Datenverarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, notwendig ist. Hier ergibt sich eine solche Verpflichtung aus § 387 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit §§ 3, 11 VRV. Soweit sich der Beteiligte auf Art. 18, 21 DSGVO stützt, dringt er damit nicht durch. Ein Widerspruchsrecht gem. Art 21 Abs. 1 DSGVO steht dem Beteiligten gem. § 79a Abs. 3 BGB nicht zu. Dementsprechend ist auch Art. 18 Abs. 1 lit. b) DSGVO nicht einschlägig, weil diese Bestimmung das Bestehen eines Widerspruchsrechts gem. Art. 21 Abs. 1 DSGVO voraussetzt, das hier aber aus vorgenannten Gründen nicht besteht (für den Fall eines im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers einer GmbH ebenso: OLG Celle, Beschluss vom 24.02.2023 – 9 W 16/23). Auch § 395 FamFG ist hier nicht einschlägig. Denn die Aufnahme des Geburtsdatums und Wohnorts des Beteiligten in das Vereinsregister war im Hinblick auf § 387 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 3 S. 3 Nr. 3 VRV nicht unzulässig im Sinne von § 395 FamFG. Die Löschung durch bloße „Rötung“ entspricht § 11 VRV.

Die Eintragung des Geburtsdatums (und des ehemaligen Wohnortes) des Beteiligten in das Vereinsregister und die Löschung des Beteiligten durch bloße „Rötung“ nach seinem Ausscheiden als Vorstandsvorsitzender verstößt nicht gegen europäisches Recht. Der Einwand des Beteiligten, dass europäisches Recht vorrangig sei und das nationale Recht verdränge, verhilft seiner Beschwerde nicht zum Erfolg, weil das europäische Recht in der DSGVO entsprechende Ausnahmen vorsieht und dem nationalen Gesetzgeber Regelungsinhalte belassen hat. Nach der Gesetzesbegründung zu § 79a BGB gilt für Eintragungen im Vereinsregister der Grundsatz der Erhaltung der Eintragung, welche den Kern des materiell-rechtlichen Publizitätsprinzips bildet. Diese wird unter anderem dadurch geschützt, dass Eintragungen gem. § 383Abs. 3FamFG nicht mit der Beschwerde anfechtbar sind. Es würde dem Kern des Grundsatzes der Publizitätswirkung widersprechen, sollten Eintragungen über einen längeren Zeitraum nicht einsehbar sein. Die Aufrechterhaltung der Leichtigkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs durch uneingeschränkt einsehbare Register ist im allgemeinen öffentlichen Interesse. Ein Widerspruch der betroffenen Person gem. Art. 21 DSGVO, der zu einer Einschränkung der Verarbeitung von Registerdaten führen könnte, wird deshalb durch § 79a Abs. 3 BGB auf der Grundlage des Art. 23 Abs. 1 lit. e) DSGVO ausgeschlossen. Auch insoweit bleibt es bei den registerrechtlichen Vorschriften über die Löschung und Berichtigung (BT-Drs. 19/4671, 111 f.; vgl. auch BeckOK-BGB/Schöpflin, 65. Ed., Stand 01.02.2023, § 79a Rn. 5). Ein Recht der betroffenen Person auf Löschung von Daten, die im Vereinsregister oder in den Registerakten gespeichert sind, kann nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO gegenüber dem registerführenden Gericht nicht geltend gemacht werden, da die Daten im Register und den Registerakten zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse gespeichert werden, sodass nach Art. 17 Abs. 3 lit. b) DSGVO ein Recht auf Löschung nicht besteht (BT-Drs. 19/4671, 111 f.; vgl. auch BeckOK-BGB/Schöpflin, 65. Ed., Stand 01.02.2023, § 79a Rn. 7). Eine Beschränkung des Rechts der betroffenen Person auf Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18 Abs. 1 DSGVO ist nicht erforderlich. Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Vereinsregister oder den Registerakten ist, auch wenn das Recht geltend gemacht wird, nach Art. 18 Abs. 2 DSGVO weiterhin uneingeschränkt möglich. Das Führen des Vereinsregisters ist ein wichtiges öffentliches Interesse (vgl. auch Erwägungsgrund 73 der DSGVO), sodass die Datenverarbeitung nicht eingeschränkt werden muss (BT-Drs. 19/4671, 111 f.; vgl. auch BeckOK-BGB/Schöpflin, 65. Ed., Stand 01.02.2023, § 79a Rn. 8).

Soweit der Beteiligte noch vorträgt, dass seine Daten nicht mehr erforderlich seien, weil er schon im Jahr 2004 aus dem Amt des Vorstandsvorsitzenden ausgeschieden sei, verhilft auch dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg. Es ist gerade Folge der uneingeschränkten Publizitätswirkung des Vereinsregisters, dass auch überholte Eintragungen aus dem Register ersichtlich sind, dieser Umstand vielmehr durch „Rötung“ gekennzeichnet wird. Hierfür spricht, dass aus dem Register nicht nur die jeweils aktuelle Situation, z.B. bezüglich der Vertretungsbefugnisse, ersichtlich sein muss, sondern auch die früher bestehenden Vertretungsbefugnisse, weil diese im Hinblick auf die Wirksamkeit von Eintragungen, Satzungsänderungen oder abgeschlossenen Rechtsgeschäften auch deutlich später noch von erheblicher Bedeutung sein können.“

Ich habe da mal eine Frage: Welcher Gegenstandswert bei der Einziehungsgebühr?

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Und dann – passend zum Mittagsposting – eine Frage zum Gegenstandswert bei der Einziehungsgebühr, und zwar:

„Frage zur Ziff. 4142 VV RVG bei Einziehung:

In 1. Instanz vor dem AG hatte die StA in der Anklage die Einziehung von 50.000,- EUR beantragt und hierzu einen dinglichen Arrest in entsprechender Höhe erwirkt. Im Urteil wurden lediglich 25.000,- EUR eingezogen. Der Beschluss über den dinglichen Arrest wird nicht angepasst.

Gegen diese Entscheidung legen die StA und ich jeweils beschränkt auf die Rechtsfolgen Berufung ein. In der Berufungshauptverhandlung beantragt die StA in ihrem Schlussantrag die Einziehung von 25.000,- EUR. Ich schließe mich dem an und beantrage darüber hinaus, den Beschluss über den dinglichen Arrest von 50.000,- EUR auf 25.000,- EUR herabzusetzen.

Welcher Wert ist nun der Gebühr 4142 VV RVG für die Berufungsinstanz zugrundezulegen? Ich habe 50.000,- EUR beantragt, das Landgericht meint hingegen 25.000,- EUR.“

Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel, oder: Keine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV

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Und dann mal wieder etwas zur Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG, und zwar der OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.03.2024 – 2 Ws 186/23 (S). Es geht um die Frage, ob ggf. bei der Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel die Gebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht. Das OLG hat die Frage verneint:

„Das Rechtsmittel ist indes unbegründet. Das Landgericht hat die Nr. 4142 VV RVG zu Recht abgesetzt.

Die Verfahrensgebühr „bei Einziehung und verwandten Maßnahmen“ entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen, die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2024 zutreffend ausgeführt hat, löst mithin nicht jede Beschlagnahme den Gebührentatbestand aus, sondern nur solche Beschlagnahmen, deren Ziel es ist, eine der genannten Rechtsfolgen zu ermöglichen und damit die Beseitigung des Gegenstandes (Vermögenswerts) herbeizuführen; bei der Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel entsteht die Gebühr hingegen nicht (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 17. Februar 2009- 2 Ws 378/08, BeckRS 2009, 8073; BeckOK-RVG/v. Seltmann/Knaudt, Nr. 4142 Rdnr. 5 mwN.).

Im zugrunde liegenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren ist es zu einer Beschlagnahme mit dem Zweck der Sicherung einer Einziehung nicht gekommen. Die angeordnete Sicherstellung von Uhren, die später dann in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Ulm (17 Js 1306/17) dem Berechtigten ausgehändigt wurden, erfolgte vielmehr aktenkundig ausdrücklich und allein deshalb, weil diese „als Beweismittel von Bedeutung sein können“ (BI. 15 d.A.). Bei dieser Sachlage ist nicht anzunehmen, dass der Antragsteller wegen der beschlagnahmten Uhren mit Blick auf eine Einziehung oder damit verwandte Maßnahme tätig geworden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 17. August 2023, Az.: 2 Ws 102/23 (S)).“

Trifft – leider – zu.

Anschaffung von Festplatten im Umfangsverfahren, oder: Wer trägt die Anschaffungskosten?

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In sog. Umfangsverfahren fallen i.d.R. erhebliche Aktenbestände an, die dann digital gespeichert werden. Es stellt sich die Frage, wer die Kosten für die Anschaffung der dazu erforderlichen Speichermedien zu tragen hat.

Dazu hat das OLG Jena im OLG Jena, Beschl. v. 27.12.2023 – 3 St 2 BJs 4/21 – Stellung genommen. Die Rechtsanwälte/Pflichtverteidiger sind in einem beim Staatsschutzsenat des OLG Jena anhängigen Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a. tätig. Sie haben beantragt, festzustellen, dass die Kosten für die. Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind. Das OLG hat dem Antrag entsprochen und festgestellt, dass die Kosten für die Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind:

„Die im Tenor genannten Auslagen sind zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens seitens der Verteidigung erforderlich.

Es handelt sich bei den in Rede stehenden Anschaffungskosten auch aus Sicht des Senats nicht um Kosten, die bereits für den allgemeinen Bürobetrieb der Strafverteidiger angefallen sind. Aufwendungen für Computer und EDV-Anlagen zählen nur insoweit zu den allgemeinen Geschäftskosten, als sie für die Unterhaltung des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwalts im Allgemeinen entstehen (OLG Hamm, Beschluss v. 6.5.2015 — 2 Ws 40/15, BeckRS 2015, 12437). Das Datenvolumen der in Rede stehenden Beweismittel ist mit ca. zwei Terabyte so groß, dass es die für die Unterhaltung des Kanzleibetriebs im Allgemeinen entstehenden Aufwendungen für Speicherbedarf übersteigen wird (vgl. OLG Celle, a.a.O.) und dies zudem für eine erhebliche Dauer.

Hinzu tritt, dass der Senat auch bekannt gegeben hatte, dass entsprechende Datenträger aufgrund des damit verbundenen Beschaffungsaufwandes seitens des Thüringer Oberlandesgerichts nicht zur Verfügung gestellt werden können, diese aber bereits zum Transfer der Daten auf die Endgeräte der Verteidigung erforderlich wären.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Mir erschließt sich allerdings nicht, warum das OLG, worauf der Senat ausdrücklich hinweist, nicht in der Lage ist/sein soll/sein will, entsprechende Datenträger selbst zur Verfügung zu stellen. So groß ist der damit verbundene Beschaffungsaufwand ja nun nicht. Man hat den Eindruck, dass sich das OLG dahinter verstecken will.

Der Kollege Urbanzyk, der mir den Beschluss übersandt hat, hatte noch angemerkt, dass der Bezirksrevisor bereits darauf hingewiesen habe, dass die Festplatten nach „Abschluss des Verfahrens“ an das OLG herauszugeben seien. Dazu ist anzumerken: Gegen ein Herausgabeverlangen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, nur ist der für die Herausgabe ins Auge gefasste Zeitpunkt m.E. zu früh bzw. zu ungenau terminiert. Denn die Festplatten bzw. die dort gespeicherten Aktenbestandteile sind Teil der Handakten des Verteidigers, auf die er auch nach „Abschluss des Verfahrens“ – meint der Bezirksrevisor „Rechtskraft“ – schon aus Haftungsgründen Zugriff haben und behalten muss. M.E. wird eine Herausgabepflicht daher erst mit Ablauf der Sechs-Jahres-Frist des § 50 Abs. 1 BRAO bestehen. Aber wer hat Interesse an sechs Jahre alten Festplatten? Die Justiz offenbar schon.

StPO III: Vorenthalten/Veruntreuen von Arbeitsentgelt, oder: War der Prokurist faktischer Geschäftsführer?

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Und dann noch der LG Chemnitz, Beschl. v. 15.02.2024 – 4 Qs 424/23. Der Beschluss ist wegen der vielen Anonymisierungen etwas schwer zu lesen, es sollte aber gehen, um das Wesentliche zu erfassen.

Die Staatsanwaltschaft führte seit 2014 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Angeschuldigten und zwei weitere (später abgetrennte) Personen wegen des Tatverdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Betruges im großen Ausmaß. Am 08.05.2020 hat sie Anklage vor dem AG wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Betruges. erhoben. Das AG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen und teils aus rechtlichen Gründen (absolute Verjährung) abgelehnt.

Dagegen hat die StA sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg. Das LG führt u.a. aus:

„Soweit es die faktische Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten pp. betrifft, ist der Staatsanwaltschaft Recht zu geben, dass dies lediglich für die Firma pp. zu prüfen war und für die Firma pp. nur für den Zeitraum nach dem 21.03.2018. Denn vom 31.08.2015 bis zum 21.03.2018 war pp. als formeller Geschäftsführer der Firma pp. im Handelsregister eingetragen.

Soweit das Amtsgericht die Beweisbarkeit einer faktischen Geschäftsführung unter Zugrunde-legung der vorgelegten Beweismittel verneint, schließt sich die Kammer diesen Ausführungen an. Soweit eine formelle Geschäftsführung vorlag, führt dies aus den unten (Ziffern 2. und 3.) dargelegten Gründen zu keinem anderen Ergebnis. Gleiches gilt für die formelle Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten  im Zeitraum 03.06.2014 bis 11.06.2015 bei der Firma pp. Der Angeschuldigte pp. war Prokurist der Firma pp.. Gemäß § 49 Absatz I HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Ausnahmen bestehen lediglich für Grundstücksgeschäfte (Absatz 2) und für höchstpersönliche Pflichten (wie z.B. die Handelsregistereintragung). Eine Prokura umfasst insbesondere die arbeitsrechtliche Vertretung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern, z.B. Abschluss, Durchführung und Beendigung eines Arbeitsvertrages (vgl. MüKo 5. Aufl., Rn. 16 ff zu § 49 HGB). Insoweit sind die Aussagen der Zeuginnen pp und pp., dass der Angeschuldigte pp. die Arbeitsverträge mit ihnen abschloss und ihnen auch die Personalausweise der Arbeiter zur Ausfertigung von Arbeitsverträgen gab, kein Indiz für eine faktische Geschäftsführung. Dass der Angeschuldigte auch Vertretungshandlungen vornahm, die sich auf grundlegende Entscheidungen über die Organisation des Unternehmens bezogen, wie z.B. Änderung der Fertigungstechnik, Einführung neuer Produkte (vgl. MüKO, a.a.O), ist nicht belegt. Die Zeugin pp. hat auch ausgesagt, dass die Meldungen für die SOKA und die BG Bau durch ein Lohnbüro erfolgt seien.

Die in der Anklageschrift genannten Tätigkeiten des Angeschuldigten pp. sind sämtlich von einer üblichen Prokura umfasst. Dies gilt insbesondere auch für die Vertretung der Geschäfts-führer bei den jeweiligen Projekten (Auftragsakquise) und auf den jeweiligen Baustellen (Organisation der Arbeiter, Stundenzettel etc.). Dass dem Angeschuldigten für seine umfangreichen Tätigkeiten in dieser Stellung auch eine Kontovollmacht erteilt wurde, ist selbstverständlich und begründet gleichfalls keinen Verdachtsmoment. Das Kontoeröffnungsformular wurde von den beiden formellen Geschäftsführern unterzeichnet,pp. wurde eine Verfügungsberechtigung und eine Bankkarte erteilt (Sonderband Vermögensabschöpfung).

Ein Prokurist ist jedoch nicht automatisch faktischer Geschäftsführer. Die Feststellungen zu dem formellen Geschäftsführer pp. beschränken sich auf seinem damaligen Wohnsitz.

Aufgrund der modernen Telekommunikation ist ein Wohnsitz im Ausland aber nicht ausreichend, eine reine „Stroh-Geschäftsführung“ zu beweisen. Auch der Umstand, dass sich der Angeschuldigte pp. dem Zeugen gegenüber als „Chef‘ der Firma pp. ausgegeben hat und vom Zeugen pp. als „stellvertretender Chef“ bezeichnet wurde, ist für sich allein kein Beweis für eine faktische Geschäftsführertätigkeit, zumal es sich bei ersterem nicht um eine Äußerung im Rechtsverkehr gehandelt haben dürfte. Der Zeuge pp. hat insoweit auch ausgesagt, dass sich pp. zwar als „Chef‘ bezeichnet habe, er – der Zeuge – jedoch später herausgefunden habe, dass pp. nur die Arbeitnehmer gestellt und abkassiert sowie die Preise mit pp. und der pp. ausgehandelt habe.

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