Waffengleichheit

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, Im Recht der Pflichtverteidigung sieht § 140 Abs. 2 StPO sich als Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers die „Unfähigkeit der Selbstverteidigung“ vor. Als „Untergrund“  hat sich der Begriff der sog. „Waffengleichheit“ etabliert. Davon spricht die Rechtsprechung u.a. immer, wenn einer von mehreren Angeklagten einen Verteidiger hat, ein anderer aber noch nicht und ggf. die Gefahr besteht, dass diese Angeklagten sich gegenseitig belasten. So auch die Konstellation im LG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2015 – 3 Qs 51/15:

„Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 StPO liegt zwar ersichtlich nicht vor. Allerdings ist dem Angeklagten gemäß § 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger unter anderem auch dann beizuordnen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, belasten. Dahingehend bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit einer jeweiligen, Einzelfallprüfung (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., 2015, § 140 Rn. 30,31; LG Verden, Beschluss vom 04.03.2014, 1 Qs 36/14). Vorliegend liegt den Anklagen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Angeklagten T und S , welcher von Rechtsanwalt M verteidigt wird, derselbe tatsächliche Lebenssachverhalt zugrunde. Beide Angeklagten sollen insbesondere auf den Zeugen H. zeitgleich eingeschlagen haben. Aufgrund der räumlichen, zeitlichen und personellen Nähe der bei beiden angeklagten Tat besteht zumindest die nicht fernliegende Möglichkeit, dass der verteidigte Mitangeklagte S in einer gemeinsamen Hauptverhandlung den Tatvorwurf betreffend eine den Angeklagten T belastende Aussage machen könnte. Bislang haben die Angeklagten T und S keine Angaben zur Sache gemacht. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass nach dem angeklagten Sachverhalt aufgrund der mehreren beteiligten Personen Änderungen des bisherigen Aussageverhaltens nicht nur der Mitangeklagten, sondern auch von Zeugen möglich erscheinen und gegebenenfalls für einzelne Handlungen Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. Aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens heraus ist es daher erforderlich, dem Angeklagten T. einen Pflichtverteidiger zu bestellen, um seine Fähigkeit, sich zu verteidigen und auf eventuelle belastende Angaben insbesondere des Mitangeklagten S. angemessen reagieren zu können, sicherzustellen.“

7 Gedanken zu „Waffengleichheit

  1. T.H., RiLG

    Erstaunlich, dass man in einem derart offensichtlichen Fall der notwendigen Verteidigung eine Beschwerdekammer bemühen muss.

  2. Purist

    War wohl wieder einer dieser unfähigen Amtsrichter am Werk, womöglich noch Proberichter.

    Da der wahre Sachverstand bekanntermaßen erst am LG anfängt, könnte man die Amtsgerichte eigentlich genausogut abschaffen.

  3. T.H., RiLG

    In der Tat könnte man bei vielen Entscheidungen sowohl der AG als auch der LG meinen, dass die Verfasser die Pflichtverteidigergebühren aus eigener Tasche zahlen müssen. Dabei gehört § 140 nun wahrlich nicht zu den schwierigsten Vorschriften der StPO.

  4. Leser

    @ T.H.

    Ohne Ihren Kollegen vom Amtsgericht zu nahe treten zu wollen, glaube ich, dass da noch andere als fiskalische Interessen im Spiel sind. Immerhin ist naheliegend, dass die Wahrheitsfindung nicht gerade befürdert wird, wenn mehrere Verteidiger mitwirken (Stichwort „Sockelverteidigung“). Ohne Beiordnung hält man also möglicherweise Arbeit fern. Und was schert den RiAG die Berufung, falls die Ablehnung des § 140 II StPO wie im vorliegenden Fall nicht „hält“?

  5. Leser

    Korrektur: streiche Berufung, meinte Beschwerde. Versuchen, den 2. Verteidiger rauszuhalten, kann er es ja.

  6. T.H., RiLG

    @Leser

    Ich war einige Jahre Amtsrichter und fand in dieser Zeit (fast) nichts nerviger als Angeklagte ohne Anwalt oder mit unfähigem Anwalt. Ich kann mich noch an eine Schöffensache erinnern, in der ich dem Zivilisten auf der Verteidigerbank mühevoll erklären musste, warum bei 2 Kilo Gras kein Strafbefehl erlassen werden kann. DAS macht zusätzliche Arbeit, nicht die Beiordnung. Ich war daher immer recht großzügig, was Verteidigerbestellungen betrifft, und die Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise waren durchaus positiv.

    Und ein bisschen „jucken“ sollte es einen schon, wenn man sich Beschwerden fängt. Zum einen führt ein schlechter Ruf bei der Beschwerdekammer in allen Bereichen zu einer erhöhten Anzahl von Aufhebungen, und zum anderen kann man sich durch nicht vertretbare Ablehnungen von Beiordnungsanträgen schon vor der HV recht nachhaltig die Verhandlungsatmosphäre versauen.

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