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Mit der Vollmacht kann man verteidigen

Mit der Vollmacht kann man verteidigen. Das ist kein Geheimnis, sondern u.a. gerade der Grund für die sog. „Vollmachtsverweigerung“. Es macht auch schon Sinn, die Vollmacht auf einen Verteidiger zu beschränken. Das kann, wie der OLG Celle, Beschl. v. 30.08.2011 – 311 SsRs 126/11 – zeigt, Auswirkungen haben. Denn:

„Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger liegt nicht vor, wenn die Zustellung ausdrücklich an die Kanzlei als solche und ohne jeden namentlichen Hinweis auf den bevollmächtigten Verteidiger erfolgt ist.“

Interessant der Beschluss dann auch im weiteren Teil, wenn es um die Heilung eines solchen Zustellungsmangels geht. Denn dazu sagt das OLG Celle:

Ein solcher Zustellungsmangel wird nicht durch die formlose Übersendung des Bußgeldbescheides an den Betroffenen in Verbindung mit der Unterrichtung über die an den Verteidiger veranlasste Zustellung geheilt.“

Das hat vor einiger Zeit das OLG Saarbrücken anders gesehen.

Achtung: Richtig zugestellt? Zustellungsfragen – immer von Bedeutung…

Die mit der Wirksamkeit von Zustellungen zusammenhängenden Fragen sind immer von Bedeutung. Denn die Wirksamkeit der Zustellung ist z.B. Voraussetzung für den Erlass von Zwangsmaßnahmen oder für den Beginn des Laufs von Rechtsmittelfristen. Daher hier jetzt der Hinweis auf zwei Entscheidungen aus neuerer Zeit:

1. OLG Rostock, Beschl. v. 04.05.2011 – I Ws 101/11:

  • Da eine ordnungsgemäß erstellte Postzustellungsurkunde die Korrektheit der (Ersatz) Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung als Voraussetzung des Erlasses eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO belegt, ist – soll dies entkräftet werden – der volle Beweis dahin zu führen, dass der Angeklagte anderweitig Wohnung nicht nur im melderechtlichen Sinne genommen hatte.

2. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2011 14 B 515/11

  • Eine mehrmonatige Inhaftierung bewirkt grundsätzlich, dass die vor der Inhaftierung bewohnte Wohnung nicht mehr als solche angesehen und dort nicht mehr nach den §§ 178, 180 der Zivilprozessordnung – ZPO – zugestellt werden kann.

Der Briefschlitz im Mehrfamilienhaus

Manchmal haben zivilverfahrensrechtliche Entscheidungen auch Auswirkungen auf das Straf- bzw. Bußgeldverfahren. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn es um Zustellungsfragen geht. So daher auch der BGH, Urt. v. 16.06.2011 – III ZR 342/09, in dem es um die Frage der Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ging. Die Frage kann im Bereich der Problematik: Frist versäumt und/oder Wiedereinsetzung erforderlich oder nicht, Bedeutung erlangen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall heißt es zur Zustellung:

In dem Haus B. Straße 8 hatten außer der Beklagten noch zwei weitere Parteien eine Wohnung beziehungsweise Geschäftsräume. In der Außentür des Hauses befand sich ein einzelner Briefschlitz, in den die Post für alle drei Parteien eingeworfen wurde. Da innen ein Behältnis nicht angebracht war, fielen die Sendungen hinter der Tür auf den Boden des Hausflurs. Die Beklagte macht geltend, sie habe am 3. September 2007 ihre Geschäftsräume dort aufgegeben und ihren Sitz an einen neuen Standort verlegt. Ihr Vorstand habe bereits am 29. August 2007 die Schilder mit ihrem Namen an der Hauseingangstür und am Briefeinwurf abmontiert. Sie ist deshalb der Auffassung, der Vollstreckungsbescheid sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.“

Der BGH befasst sich in Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit der Ersatzzustellung (§ 178 ff. ZPO) zunächst mit dem Begriff der „Wohnung“ oder des „Geschäftsraums“. Dazu heißt es:

„Die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (z.B. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2009 – IX ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn. 15 und vom 2. Juli 2008 – IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7 und Urteil vom 19. März 1998 – VII ZR 172/97, ZIP 1998, 862, 863). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Dies ergibt sich aus dem unmissverständlichen Wortlaut der §§ 178 bis 181 ZPO, nach dem nur in der Wohnung beziehungsweise den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden kann, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht.“

In einer Segelanweisung definiert/erläutert er dann den Begriff „Geschäftslokal“ näher.

In einem zweiten Schritt setzt er sich dann mit der Art der Zustellung auseinander. Dazu heißt es:

Die Wirksamkeit der Zustellung scheiterte, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht daran, dass der Vollstreckungsbescheid in den in der Außentür des Hauses B. Straße 8 befindlichen Briefschlitz eingeworfen wurde, obgleich es sich um eine von drei Parteien gemeinschaftlich genutzte Vorrichtung handelte und sich auf der Innenseite der Tür keine geschlossene Auffangvorrichtung für die eingeworfene Post befand. Der gemeinsame Briefschlitz in der Haustür eines Mehrparteienhauses ist jedenfalls dann eine „ähnliche Vorrichtung“ im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO, die eine Zustellung ermöglicht, wenn, wie hier, in dem betreffenden Gebäude lediglich drei Parteien wohnen beziehungsweise Geschäftsräume unterhalten, der Zustellungsadressat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf erhält und – etwa aufgrund einer entsprechenden Beschriftung – eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten möglich ist.“

Die Frage ist in der Rechtsprechung bislang nicht ganz eindeutig gesehen worden.

Genaues Hinschauen kann sich lohnen und Rechtsmittel retten

Manchmal haben OLG-Beschlüsse ja auch etwas Gutes. Sie können nämlich daran erinnern, dass es sich lohnen kann, mal genauer hinzuschauen. Das gilt gerade für Fristen/Fristabläufe und Zustellungsfragen. Da können OLG-Richter richtige Künstler sein. Den Schluss kann man aus dem OLG Bamberg, Beschl. v. 18.04.2011 – 2 Ss Owi 243/11 ziehen.

Der Fall: In der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens ist der Betroffene nicht anwesend. Für ihn tritt Rechtsanwalt N. in Untervollmacht für den Verteidiger R auf. Zwar verfügte der Unterbevollmächtigte über eine schriftliche Untervollmacht, allerdings lag dem AG eine gemäß § 73 Abs. 3 OWiG erforderliche, zur Vertretung berechtigende schriftliche Vollmacht für Rechtsanwalt R nicht vor. Sie wurde erst später an das Amtsgericht überrsandt. Der Einspruch des Betroffenen wird verworfen. Frage: Wann beginnt die Rechtsbeschwerdefrist?

Nun, das OLG sagt: Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bzw. des Zulassungsantrags gegen ein Urteil in Abwesenheit des Betroffenen beginnt erst mit der Zustellung des Urteils, wenn in der Hauptverhandlung für den den abwesenden Betroffenen vertretenden Verteidiger nicht eine schriftliche Vertretungsvollmacht vorliegt. Hintergrund dieser Entscheidung ist § 79 Abs. 4 OWiG, der durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz geändert worden ist. Während früher bei in Abwesenheit verkündeten Urteilen die Rechtsbeschwerdefrist für den Betroffen immer erst mit der Zustellung begonnen hat, ist das jetzt nur noch der Fall, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht durch einen vertretungsberechtigten Verteidiger vertreten worden ist. Ansonsten beginnt die Rechtsbeschwerdefrist mit der Verkündung des Urteils. Hier lag keine Vollmacht vor, also späterer Fristbeginn…

Und: Hinsichtlich der Zustellung des Urteils ist darauf zu achten, dass diese, um wirksam zu sein, vom Richter angeordnet worden sein muss. Eine nur durch die Geschäftsstelle veranlasste Zustellung ist unwirksam und führt nicht zum Fristbeginn. War hier auch der Fall.

Solche Finessen 🙂 können Rechtsmittel retten.

Zustellung wirksam? Genaues Hingucken kann sich lohnen

Revisionsbegründungsfrist oder eine sonstige Frist versäumt? Dann ist Holland in Not und der/die Schuldige wird gesucht, um einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen. Manchmal ist das aber gar nicht notwendig, weil häufig übersehen wird, dass die Zustellung des anzufechtenden Entscheidung nicht wirksam war. Z.B. weil ihr keine wirksame Zustellungsanordnung zugrunde gelegen hat.

Ein schönes Beispiel ist BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 420/10. Da hatte der Angeklagte zwei in unterschiedlichen Kanzleien tätige Verteidiger, die unabhängig von einander Revision eingelegt hatte. Der Vorsitzende hatte zur Zustellung nur verfügt „an Verteidiger“. Dem BGH reichte das nicht:

„Die Zustellung vom 1. Februar 2010 ist unwirksam, weil sie auf keiner wirksamen Zustellungsanordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) beruht. Die Anordnung, „an Verteidiger“ zuzustellen, konnte die mit der Zustellung betraute Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) dahin verstehen, es sei nur an einen Verteidiger zuzustellen, es ist aber unklar, an welchen. Dies begründet den Anschein, der Zustellungsempfänger sei nicht durch den allein hierfür zuständigen Vorsitzenden bestimmt, sondern durch die Geschäftsstelle. Ein Fall, in dem eine nur allgemein gehaltene Zustellungsanordnung deshalb wirksam wäre, weil am Zustellungsempfänger kein Zweifel besteht, liegt, wie der Verfahrensgang belegt, hier nicht vor (vgl. zu alledem auch OLG Celle Nds. Rpfl. 1984, 173 f m.w.N.).“