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Zusätzliche Verfahrensgebühr in den Beratungsfällen, oder: Falsches vom KG

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Als erste Entscheidung der neuen Zeitrechnung – nach den 10.000 Entscheidungen der ersten 11 Jahre 🙂 – heute am Gebührenfreitag der KG, Beschl. v. 25.10.2019 1 Ws 86/19, den mir der Kollege K. Zaborowski hat zu kommen lassen, mit der Anmerkung, er sei über den Beschluss zum Teil „irritiert“. Bin ich auch, denn er ist m.E. im zweiten Teil betreffend die Nr. 4142 VV RVG falsch.

Der Kollege war Pflichtverteidiger des ehemaligen Angeklagten. Neben anderen Pflichtverteidigergebühren und – auslagen hat er die Festsetzung eines Längenzuschlags nach Nr. 4116 VV RVG sowie einer zusätzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung dieser beiden Gebühren abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Kollegen hat das LG zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kollege mit seiner Beschwerde. Die Einzelrichterin des Senats hat die Sache auf den Senat übertragen. Und der macht eine zweigeteilte Entscheidung: Wegen des Längenzuschlags hat der Kollege Erfolg, wegen der Nr. 4142 VV RVG nicht.

Zum Längenzuschlag stelle ich hier aus Platzgründen nur den Leitsatz ein. Der lautet:

„Ein im Protokoll der Hauptverhandlung enthaltener Vermerk, ab wann der Verteidiger vor Aufruf anwesend war, wie z.B. – „anwesend seit …Uhr“, entfaltet keine formelle Beweiskraft im Sinne von § 274 StPO, da er sich nicht auf Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst erstreckt). Er erbringt jedoch einen Anscheinsbeweis dafür, dass der Rechtsanwalt (erst) zu dem angegebenen Zeitpunkt verhandlungsbereit im Sitzungssaal erschienen ist. Dieser Anscheinsbeweis kann aber grundsätzlich durch einen substantiierten und schlüssigen Vortrag des Rechtsanwalts erschüttert werden.“

Die falschen Ausführungen zur Nr. 4142 VV RVG gibt es dann im Volltext:

„b) Dem Rechtsanwalt steht jedoch keine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG zu, da die von ihm vorgetragene Tätigkeit, nämlich das Anstellen von Nachforschungen hinsichtlich der technischen Geräte zur Überprüfung des insoweit angegebenen Wertes sowie die Prüfung des Facebook Profils des Zeugen auf Fotos von technischem Equipment: um gegebenenfalls nachweisen zu können, dass sich die Geräte auch noch nach dem Tatzeitpunkt im Besitz des Zeugen befanden, Teil der allgemeinen Verteidigertätigkeit war und bereits durch die Gebühr nach § 4112 VV RVG vergütet wird. Soweit der Rechtsanwalt vorträgt, er habe seinen Mandanten darauf hingewiesen und entsprechend beraten, dass im Falle einer Verurteilung eine Einziehung des Wertersatzes gemäß § 73c StGB in Höhe der vermeintlichen Tatbeute von 3.383,00 € in Betracht komme, war diese Beratung nach Aktenlage nicht geboten. Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr nicht aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2008 – 1 Ws 123/08 Burhoff in Gerold /Schmidt, RVG 24. Auflage, Nr. 4142 VV RVG Rdnr. 12). Weder hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag nach § 73c StGB gestellt, noch hat das Gericht zu irgendeinem Zeitpunkt den Angeklagten darauf hingewiesen, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB in Betracht komme. Das Gericht wäre aber, wenn es eine Maßnahme nach § 73c StGB in Betracht gezogen hätte, verpflichtet gewesen, einen derartigen rechtlichen Hinweis zu erteilen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 27., Juni 2018 – 2 OLG 6 Ss 28/18 -), so dass der Angeklagte seine Verteidigung darauf hätte einrichten und sein Verteidiger ihn entsprechend hätte beraten können. Tatsächlich war eine Maßnahme nach § 73c StGB zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Strafverfahrens (vgl. Fromm, JurBüro 2019, 59), so dass eine entsprechende Beratung nicht geboten war.“

Die Ausführungen des KG zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG sind – ich wiederhole – falsch. Sie entsprechen aber leider einer Tendenz in der Rechtsprechung, die m.E. von fiskalischen Überlegungen getragen ist. Die Rechtsprechung hat nämlich erkannt, dass die Verschärfung des Rechts der Vermögensabschöpfung in den §§ 73 ff. StGB zum 1.7.2017 zu einer Zunahme von Tätigkeiten des Rechtsanwalts in diesem Bereich geführt hat und damit auch vermehrt Gebühren nach Nr. 4142 VV RVG anfallen (können). Das kann zu erheblichen Gebührenbeträgen führen, dem man versucht entgegen zu steuern, indem man darauf abstellt, ob eine „Beratung geboten“ war; ob eine Einziehung in Betracht komme könne, reiche nicht aus. Damit wird man aber der anwaltlichen Tätigkeit (mal wieder) nicht gerecht. Man lässt den Verteidiger arbeiten/beraten und ggf. auch haften, ohne ihn für seine Tätigkeit zu entlohnen. Ich erinnere dazu nur an die hier ebenfalls veröffentlichten Entscheidungen verschiedener Instanzgerichte (vgl. LG Amberg RVGreport 2019, 354; RVGreport 2019, 431; AG Mainz, RVGreport 2019, 141; RVGreport 2019, 424). Das KG greift zur Untermauerung seiner These in die Mottenkiste seiner Entscheidungen zurück, nämlich auf den die Entscheidung RVGreport 2009, 74 = AGS 2009, 224 = StRR 2008, 478. Ich habe schon damals ausgeführt, dass die Entscheidung falsch ist/war. Dabei bleibt es. Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem vom KG angeführten Zitat aus Gerold/Schmidt/Burhoff. Daraus lässt sich vielmehr genau das Gegenteil ableiten.

Ich wiederhole daher nochmal: In den Fällen der Beratung des Mandanten durch den Rechtsanwalt im Hinblick auf Einziehung und verwandte Maßnahmen kann es für den Anfall der Nr. 4142 VV RVG nur darauf ankommen, ob eine Einziehung in Betracht kommen kann. Und das kann doch nicht davon abhängen, ob Staatsanwaltschaft und/oder Gericht die Maßnahme in Erwägung gezogen haben. Denn anwaltliche Beratung hat unabhängig davon zu erfolgen, wie die Ermittlungsbehörde vorzugehen beabsichtigt bzw., ob das Gericht die Möglichkeit der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB sieht. Und Einziehung droht bei Tatbeute immer, so dass der Rechtsanwalt insoweit immer zu belehren hat. Dass der Mandant dann ggf. später – wie hier – frei gesprochen wird, hat darauf keinen Einfluss. Denn auch in den Fällen droht zumindest die Einziehung, wenn es zur Verurteilung kommt und wird dann im Zweifel auch ein gerichtlicher Hinweis erfolgen. die Gebühr Nr. 4142 VV RVG ist dann aber nach der Anm. 3 zur Nr. 4142 VV RVG längst entstanden. Denn der Verteidiger musste hier spätestens dann belehren/beraten, als er feststellte, dass die vermeintliche Raubbeute in der Anklageschrift konkretisiert und deren Wert beziffert war. Das sind mehr als deutliche Anzeichen, dass im Fall der Verurteilung die Einziehung des entsprechenden Wertes nach § 73c StGB drohen würde. Damit hat sich das KG in meinen Augen nur unzureichend auseinander gesetzt. Es ist zu hoffen, dass der Kollege dem Senat Gelegenheit gibt, seine Auffassung im Rahmen einer Gegenvorstellung noch einmal zu überdenken.