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Rechtsmittel I: Das „fehlerhafte Rechtsverständnis der Verteidigerin“, oder: „Herr lass Hirn vom Himmel regnen“.

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Heute ist Christi Himmelfahrt und damit dann auch Vatertag. Daher zunächst allen Väter und Großväter 🙂 herzliche Grüße und einen schönen Tag, ob mit oder ohne Bollerwagen. Wenn mit Bollerwagen: Immer daran denken: Abstand halten.

Und wegen des Vatertages fange ich hier heute etwas später an, aber: Normales Programm 🙂 , also drei Entscheidungen. Der Themenkreis heute: Rechtsmittel und was dazugehört.

Und den Opener macht der BGH, Beschl. v. 11.03.2020 – 4 StR 68/20. Es geht um die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des LG Bielefeld, durch das der Angeklagte u.a. wegen schwerer räuberischer Erpressung iu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Das LG hat durch Beschluss vom 11.12.2019 die rechtzeitig eingelegte Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil weder er selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle noch seine Verteidigerin einen Revisionsantrag gestellt oder die Revision begründet haben. Gegen diesen – ihr am 17.12.2019 zugestellten – Beschluss hat die Verteidigerin des Angeklagten am 24.12.2019 die Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO beantragt. Sie hat ferner zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung beantragt.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungantrag als unzulässig zurückverwiesen:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist unzulässig.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Letzteres ist nicht erfolgt. Weder das Schreiben des Angeklagten vom 19. Dezember 2019 noch der Antrag der Verteidigerin vom 24. Dezember 2019 enthält eine Begründung der Revision in der durch § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form. Eine Revisionsbegründung ist auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vorgelegt worden.

b) An der Verwerfung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist der Senat nicht ausnahmsweise aus dem in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK gewährleisteten Recht eines Angeklagten auf tatsächliche und wirksame Verteidigung als besonderer Aspekt des nach Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren (EGMR, Slg. 1999-I Nr. 27 – Van Geyseghem/Belgien, NJW 1999, 2353) gehindert. Die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geforderten Maßnahmen zur Kompensierung des hier vorliegenden Verteidigerverschuldens wurden im vorliegenden Fall ergriffen.

aa) Die Verteidigerin hat nicht, wie es ihre Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765; BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17 Rn. 2), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch beim Stellen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Nachholung dieser versäumten Handlung unterlassen. Dieses Unterlassen gründet ersichtlich auf einem fehlerhaften Rechtsverständnis der Verteidigerin über die Wirkung einer Pflichtverteidigerbestellung. Die Beiordnung als Pflichtverteidiger endet entgegen der im Wiedereinsetzungsgesuch geäußerten Auffassung der Verteidigerin nicht etwa mit Einlegung der Revision, sondern wirkt über die erste Instanz hinaus für das gesamte Verfahren und erfasst damit auch die Revisionsbegründung (so ausdrücklich nun § 143 Abs. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019, BGBl. I S. 2128); ausgenommen war bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I, 2018; S. 2571) lediglich die Revisionshauptverhandlung (zur früheren Rechtslage: Willnow in KK-StPO, 8. Aufl., § 141 StPO Rn. 10).

bb) Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat allerdings nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Verteidigers ist, einerlei ob er staatlich bestellt oder vom Mandanten ausgewählt und bezahlt wird. Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers offenkundig ist oder wenn sie davon unterrichtet werden (EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 38830/97 – Czekalla/Portugal, NJW 2003, 1229; EGMR, Urteil vom 22. März 2007 – 59519/00 . Staroszczyk/Polen, NJW 2008, 2317). So ist das Gericht an der Verwerfung eines Rechtsmittels nur gehindert und zum Eingreifen verpflichtet, wenn die eindeutige Missachtung einer reinen Formvorschrift durch den Pflichtverteidiger zur Folge hat, dass dem Betroffenen ein ihm an sich zustehendes Rechtsmittel genommen wird, ohne dass dies von einem höherrangigen Gericht bereinigt wird. Ein derartiges „offenkundiges Versagen“ macht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „positive Maßnahme seitens der zuständigen Behörden“ erforderlich, wozu beispielsweise die Aufforderung an die Pflichtverteidigerin gehört, ihren Schriftsatz zu ergänzen oder zu berichtigen (EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 38830/97 . Czekalla/Portugal, NJW 2003, 1229, 1230).

cc) Letzteren Anforderungen genügt der Verfahrensgang. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der von § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO ausdrücklich geforderten Nachholung der Revisionsbegründung als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Wiedereinsetzung um eine „reine Formvorschrift“ im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte handelt. Jedenfalls ist dem Erfordernis einer positiven Maßnahme durch die zuständige Behörde zur Beseitigung des „Versagens“ vorliegend Genüge getan: Die der Verteidigerin und dem Angeklagten zugestellte Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 7. Februar 2020 weist eindeutig auf das Fehlen der Revisionsbegründung als . einzigem . Hindernis für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs hin. Die erforderlichen Reaktionen hierauf sind nicht erfolgt.

dd) Es liegt auch keine Häufung außerordentlicher Umstände vor, die eine darüber hinaus gehende Flexibilität in der Rechtsgewährung fordert, um sicherzustellen, dass der Zugang zum Gericht nicht konventionswidrig eingeschränkt wird (EGMR, Urteil vom 1. September 2016 – 24062/13 – Marc Brauer/Deutschland, NVwZ 2018, 635, 637). Denn anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall ist der Angeklagte hier nicht psychisch krank und auch nicht in einer persönlich schwierigen Lage, die durch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und Postzustellungsprobleme gekennzeichnet war. Vorliegend befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft und ist ersichtlich zur Kommunikation mit Justizbehörden in der Lage, was sein Schreiben vom 19. Dezember 2019 als Reaktion auf die Zustellung des Beschlusses gemäß § 346 Abs. 1 StPO belegt.“

Wenn man das liest, kann man m.E. nur rufen: Herr lass Hirn vom Himmel regnen. Aber nicht für den Senat, sondern für die Verteidigerin. Und bitte: Entschuldigung für dieses „Weihnachtsgeschenk“? M.E. nicht. Denn das hat mit dem neuen Rechts nichts zu tun, sondern war schon zum alten Recht unbestritten, dass die Pflichtverteidigerbestellung für das ganze Verfahren gilt. Ich verstehe nicht, warum solche Rechtsanwälte „verteidigen“?

Und nochmals: Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags, oder: Anfänger auf Verteidigerseite

entnommen openclipart.org

Nach dem Anfänger in der Berufungskammer beim LG Braunschweig, dann zum Ausgleich 🙂 ein Anfänger – jedenfalls m.E. – auf der „anderen Seite“, nämlich als Verteidiger. Es geht mal wieder um die ausreichende Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags. Versäöumt worden ist die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Es wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der ist dann aber unzulässig, weil (mal wieder) nicht ausreichend begründet, so jedenfalls der OLG Bamberg, Beschl. v. 24.10.2017 – 3 Ss OWi 1254/17:

„Der Antrag des Betr. auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechts­beschwerde ist ebenso wie die Zulassungsrechtsbeschwerde selbst als unzulässig zu verwerfen.

1. Nachdem das Urteil vom 30.05.2017 zwar in (erlaubter) Abwesenheit des Betr., jedoch in Anwesenheit des wirksam unterbevollmächtigten Verteidigers des Betr. verkündet wurde, endete die Wochenfrist des § 341 I StPO zur Einlegung der Zulassungsrechtsbeschwerde hier gemäß §§ 73 III, 79 IV [letzter Halbs.] i.V.m. § 80 III Satz 1 OWiG ohne weiteres bereits mit Ablauf des 06.06.2017 (vgl. schon OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2006 – 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180; ferner u.a. Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 73 Rn. 26 f. u. § 79, Rn. 30a, jeweils m.w.N.), so dass die Einlegung der Rechtsbeschwerde erst am 21.06.2017 verspätet erfolgte. Dies verkennt die Verteidigung, wenn sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen und noch nach Gewährung von Akteneinsicht durch den Senat irrig von einem mit ihrem Rechtsmittel angefochtenen „Abwesenheitsurteil“ auszugehen scheint.

2. Eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die voraussetzt, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO), kommt nicht in Betracht, weil das Gesuch bereits unzulässig ist.

a) Der Antrags auf Wiedereinsetzung ist nicht nur binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 I Satz 1 StPO), vielmehr handelt es sich bei den für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlichen Angaben ebenso wie hinsichtlich ihrer Glaubhaftmachung um Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags (vgl. zuletzt nur BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 [bei juris] m.w.N.). Darzulegen und glaubhaft zu machen sind folglich auch diejenigen Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller ohne eigenes Verschulden gehindert war, die versäumte Rechtsmittelfrist einzuhalten. Dazu gehört der Vortrag eines Lebenssachverhalts, der das fehlende Verschulden an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung sonst entgegenstehen (BGH a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 45 Rn. 5, jeweils m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt das Wiedereinsetzungsgesuch allerdings schon deshalb nicht, weil die Ausführungen der Verteidigung nicht erkennen lassen, dass der Betroffene sie überhaupt mit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des AG vom 30.05.2017 beauftragt und die Verteidigung dem Betr. gegenüber dies auch zugesagt hatte, was aber für eine unverschuldete Säumnis des Betr. erste und unabdingbare Voraussetzung wäre (st.Rspr.; vgl. neben BGH a.a.O u.a. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 = NStZ-RR 2015, 145, 146; BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 4 StR 364/15 = NStZ 2017, 172 = AnwBl 2016, 73 und schon BGH, Beschl. v. 05.08.2008 – 5 StR 319/08 = NStZ-RR 2009, 375 = StraFo 2008, 431; siehe zuletzt auch schon OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 [bei juris] und BGH, Beschl. v. 13.07.2017 – 1 StR 283/17 = StraFo 2017, 418; BeckOK/Cirener StPO [27. Edit.] § 44 Rn. 24a m.w.N.).“

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung stehen in jedem Kommentar und7oder in jedem Handbuch. Man muss die Bücher aber nicht nur kaufen, sondern auch lesen/gebrauchen.

Manche lernen es nie IV, oder: Mal wieder unzulässiger Wiedereinsetzungsantrag

© Alex White - Fotolia.com

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Ich habe ja neulich mit der kleine Serie begonnen: „Manche lernen es nie…“. In die Reihe passt dann der BGH, Beschl. v. 17.08.2016 – 4 StR 321/16, in dem sich der BGH mal wieder mit den Voraussetzungen eines zulässigen Wiedereinsetzungsantrages auseinander setzetn muss. Es ist mit der Problematik so ähnlich wie mit der Begründung der Nebenklägerrevision. Immer wieder muss man dieselben Textbausteine des BGH lesen und ich frage mich: Lesen Verteidiger das nicht? Offenbar nicht bzw. nicht alle, denn sonst würden nicht so viele Wiedereinsetzungsanträge daran scheitern, dass sie nicht ausreichend bergündet worden sind. Und es handelt sich bei den vom BGH angesprochenen Fragen um Grundlagen, also nichts Besonderes. So auch im Beschl. v. 17.08.2016 – 4 StR 321/16.

Das LG hat den Angeklagten am 12.04.2016 wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von (immerhin) drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit einem am 10.06.2016 beim LG eingegangenen Verteidigerschriftsatz hat der Angeklagte unter Hinweis auf ein Versehen des Verteidigers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und Revision eingelegt. Und: Unzulässig, denn:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht vorliegen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernis-ses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Entscheidend für den Fristbeginn ist dabei der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 4 StR 320/12, NStZ 2013, 474; Beschluss vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05, NStZ 2006, 54, 55). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 4 StR 320/12, NStZ 2013, 474; Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 365/10).

Diesen Voraussetzungen wird der Wiedereinsetzungsantrag nicht gerecht. Denn er verhält sich nicht dazu, wann der Angeklagte Kenntnis davon erlangt hat, dass noch keine Revision eingelegt ist. Die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO ist auch nicht nach der Aktenlage offensichtlich. Danach wurde von Seiten des Landgerichts bereits am 3. Mai 2016 die Übersendung einer Urteilsabschrift mit Rechtskraftvermerk sowohl an den Verteidiger als auch an den Angeklagten verfügt. Diese Verfügung wurde noch am selben Tage ausgeführt. Einen Hinweis darauf, dass die Urteilsabschrift dem Angeklagten nicht zugegangen sein könnte, enthält die Akte nicht.“

Für mich nicht nachvollziehbar.

Anfängerfehler des Verteidigers, oder: (Schon wieder) unzureichend begründeter Wiedereinsetzungsantrag

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Bevor es dann nachher mit dem RVG-Rätsel ins Wochenende geht, zum Wochenausklang dann noch eine Entscheidung mit einem Anfängerfehler des Verteidigers bei der Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags (man darf ja nicht nur über „Anfängerfehler“ der Gerichte berichten. Der BGH, Beschl. v. 03.02.2016 – 4 StR 448/15 – behandelt einen ganz einfachen Sachverhalt, bei dessen Bewältigung aber immer wieder Fehler gemacht werden. Worum es geht, erschließt sich aus dem BGH, Beschluss:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses am 13. Mai 2015 in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Mai 2015, der am 21. Mai 2015 beim Landgericht einging, Revision ein. Mit Antragsschrift vom 1. Oktober 2015 beantragte der Generalbundesanwalt, die verspätet eingelegte Revision des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Der Verwerfungsantrag wurde am 8. Oktober 2015 dem Verteidiger mit Empfangsbekenntnis zugestellt und formlos an den Angeklagten abgesandt. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2015 hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger die Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist beantragt.

„1. Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten ist mangels hinreichender Begründung unzulässig.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO anzubringende und zu begründende Wiedereinsetzungsantrag muss nicht nur Angaben zur versäumten Frist und zum Hinderungsgrund, sondern auch zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Be-schlüsse vom 26. Februar 1991 – 1 StR 737/90, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 7; vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05, NStZ 2006, 54 f.; vom 22. Mai 2013 – 4 StR 121/13, NStZ 2013, 541). Maßgeblich für den Wegfall des Hindernisses und damit den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist ist die Kenntnis des Angeklagten, nicht die seines Verteidigers (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05, aaO; vom 8. De-zember 2011 – 4 StR 430/11, NStZ 2012, 276, 277). Eines entsprechenden Vortrags bedarf es selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. BGH, Be-schluss vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 430/11 aaO).

Dieser Zulässigkeitsvoraussetzung wird das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten nicht gerecht. Dem Antragsvorbringen ist lediglich zu entneh-men, dass der Verteidiger des Angeklagten, der aus der „jüngsten Lektüre“ der Stellungnahme des Generalbundesanwalts von dem verspäteten Eingang des Revisionseinlegungsschriftsatzes erfahren habe, dies anlässlich eines Besuchs in der Justizvollzugsanstalt am 4. Dezember 2015 mit dem Angeklagten besprochen habe, der sich hinsichtlich des Vortrags des Generalbundesanwalts ebenfalls überrascht gezeigt habe. Nicht mitgeteilt wird dagegen, wann der Angeklagte vom Inhalt des Verwerfungsantrags des Generalbundesanwalts Kenntnis erlangt hat, sodass nach dem Vorbringen offenbleibt, ob der Angeklagte bereits zu einem früheren Zeitpunkt von der Fristversäumung erfahren hatte. Nach Aktenlage liegt dies angesichts der am 8. Oktober 2015 veranlassten formlosen Übersendung des Verwerfungsantrags des Generalbundesanwalts an den Angeklagten nicht fern.“

Bei der Wiedereinsetzung: Aufpassen, was vorgetragen wird, oder: Schweigen kann Gold sein…..

© frogarts -Fotolia.com

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Der LG Dresden, Beschl. v. 11.09.2015 – 5 Qs 89/15 – ist für mich Anlass, noch einmal eine Problematik in Erinnerung zur rufen, bei der in Zusammenhang mit Rechtsmitteln nach einer Verwerfungsentscheidung häufig Fehler gemacht werden. Nach Verwerfung z.B. des Einspruchs im Bußgeldverfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG oder der Berufung im Strafverfahren nach § 329 Abs. 1 StPO stehen dem Betroffenen/Angeklagten als „Rechtsmittel“ die Wiedereinsetztung (§§ 74 Abs. 34 OWiG; 329 Abs. 3 StPO) oder die Rechtsbeschwerde bzw. die Revision zur Verfügung.

Und, je nachdem welches „Rechtsmittel“ gewählt wird, muss man als Verteidiger darauf achten, was bei einem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird. Denn der kann nur auf neue Tatsachen gestützt werden und nicht auf dem Gericht bereits bekannte. Dazu das LG Dresden:

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht deshalb unzulässig, weil hier dem Gericht bereits bekannte Tatsachen bloß wiederholt würden. Eine Wiedereinsetzung setzt allerdings auch im Bußgeldverfahren voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die das Amtsgericht bei der Verwerfung des Einspruchs nicht gewürdigt hat (Beschluss der Kammer vom 31.03.2009 – 5 Qs 46/08 -, Juris; für das Strafverfahren allg. Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 329, Rdnr. 42 m.w.N.). Es kann nicht Wiedereinsetzung mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden, mit der der Betroffene sein Nichterscheinen schon zuvor entschuldigt hatte und die das Gericht bei seiner Entscheidung bereits würdigen konnte. Die aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhafte Würdigung derartiger bekannter Tatsachen kann – wie vorliegend parallel erfolgt – nur mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Der Wiedereinsetzungsantrag wiederholt zwar auch die dem Amtsgericht schon bereits bekannten behaupteten Tatsachen der Erkrankung an Bronchitis und die behauptete Reiseunfähigkeit zum Hauptverhandlungstag. Dabei trägt er allerdings ergänzend vor, dass dem Betroffenen vom Arzt dringend die Rückkehr nach Hause und das Einhalten einwöchiger Bettruhe empfohlen worden war. Zudem wird die Behauptung der Reiseunfähigkeit nunmehr (erstmals) unterlegt durch die entsprechende ärztliche Bescheinigung. Dabei kann zwar ein Wiedereinsetzungsgesuch, welches keine Tatsachen enthält, die das Gericht bereits gewürdigt hat, nach verbreiteter Ansicht nicht dadurch zulässig werden, dass neue Beweismittel vorgelegt werden (OLG Koblenz, VRS 64, 211 f.). Unabhängig davon, ob das Wiedereinsetzungsgesuch deswegen zulässig ist, weil das Amtsgericht sich mit der Entschuldigung einer Reiseunfähigkeit gerade nicht auseinandergesetzt hat bzw. nicht auseinandersetzen konnte (weil der behandelnde Arzt für Nachfragen nicht rechtzeitig erreichbar war), trägt der Beschwerdeführer nunmehr ergänzend aber auch vor, ihm sei eine Woche Bettruhe empfohlen worden und macht dies durch die Bescheinigung des Arztes, dass Reiseunfähigkeit gegeben war, glaubhaft. Insofern handelt es sich um neuen, wenn auch mit dem früheren Vorbringen im Zusammenhang stehenden Tatsachenvortrag, der deswegen, weil er vom Erstgericht im Verwerfungsurteil gar nicht gewürdigt werden konnte, im Wiedereinsetzungsverfahren vorgebracht werden kann (OLG Düsseldorf, wistra 1996, 158 f.).

Geht es darum, dass der Entschuldigungsvortrag des Betroffenen/Angeklagten nicht richtig gewürdigt worden ist, dann ist nicht der Wiedereinsetzungsantrag das richtige „Rechtsmittel“ sondern die Rechtsbeschwerde/Revision, wo das mit der Verfahrensrüge geltend zu machen ist.

Dieser Unterschied ist übrigens der Grund, warum erfahrene Verteidiger, wenn der Mandant nicht erschienen ist, in der Hauptverhandlung (lieber) schweigen, wenn sie den Grund für das Ausbleiben nicht oder nicht genau kennen. Dann kann das Gericht den Vortrag des Verteidigers nicht würdigen und es stehen Wiedereinsetzung und Rechtsbeschwerde/Revision als „Rechtsmittel“ zur Verfügung.