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Wiedereinsetzung: Das fehlende Rechtsmittelmerkblatt – Nachfragen ist ggf. erforderlich

Die unterbliebene Aushändigung eines Merkblatts über Rechtsmittel durch das Gericht rechtfertigt nach Ansicht des OLG Köln, Beschl. v. 06.12.20110 – 2 Ws 790/10 nicht ohne Weiteres die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

Das OLG ist davon ausgegangen, dass der Protokollvermerk über die erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht nur die Belehrung als solche beweise, sondern auch deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Zwar entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass ein nicht anwaltlich vertretener, rechtsunkundiger Angeklagter ergänzend durch die Aushändigung eines Merkblatts zu belehren sei, sofern es sich um eine schwierige Belehrung handele. Wenn der Angeklagte die Belehrung missverstehe und deshalb das Rechtsmittel nicht frist- oder formgerecht einlegt, könne das ein Verschulden ausschließen. Ein solcher Fall des Missverständnisses liege allerdings nicht vor, wenn der Angeklagte lediglich vergesse, bei welchem Gericht er das Rechtsmittel einlegen muss. Hierzu hätte er bei Gericht nachfragen können.

Schuster bleib bei deinen Leisten…

denkt man, wenn man die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH v. 14.10.2010 – 5 StR 418/10 liest. In der Sache hatte der Angeklagte in einem Missbrauchsprozess – dem 70-jährigen Angeklagten wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs seiner Enkelin gemacht – einen Fachanwalt für Familienrecht mit seiner Verteidigung beauftragt (hatte seinen Grund sicherlich in dem familiären Hintergrund der Tat :-). Der Angeklagte wird dann zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Fachanwalt für Familienrecht legt Revision ein, die allerdings dann wegen fehlender Revisionsbegründung verworfen weil. Im Wiedereinsetzungsbeschluss des BGH heißt es zum Wiedereinsetzungsverfahren:

„Sein Pflichtverteidiger, Fachanwalt für Familienrecht N. , hat hiergegen am 1. April 2010 rechtzeitig das Rechtsmittel der Revision erhoben, „aber keine Revisionsbegründung zustande gebracht“ (eidesstattliche Versicherung vom 26. August 2010, S. 2). Der Pflichtverteidiger hat nach Verwerfung der Revision dem Angeklagten und dessen Ehefrau erklärt, dass es dabei nicht bleiben werde, weil die Verwerfung des Rechtsmittels nicht vom Angeklagten, sondern von ihm zu vertreten sei. In den folgenden Wochen hat der Pflichtverteidiger den Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt, weil es ihm aus persönlichen Gründen so schlecht gegangen ist, dass er kaum noch arbeiten konnte (eidesstattliche Versicherung aaO S. 3).“

Da ist also manches schief gelaufen. Der erste Fehler sicherlich der des Angeklagten, der es aber nicht wissen muss, dass man mit einer Strafverteidigung wohl i.d.R. keinen Fachanwalt für Familienrecht beauftragen sollte. Der zweite Fehler m.E. dann der, dass der Fachanwalt für Familienrecht das Mandat angenommen hat, obwohl er offenbar von Strafrecht keine Ahnung hatte. Er hätte es wissen müssen. Schuster bleib bei deinen Leisten, oder: Warum gibt es denn Fachanwaltschaften (womit natürlich nicht gesagt ist, dass jeder Fachanwalt eine „Revisionsbegründung zsutande bringt“.

Das Vertrauen in die Deutsche Post ist beim BGH grenzenlos :-)

Der BGH hat in einer Zivilsache (vgl. Beschl. v. 21.10.2010 – IX ZB 37/10) entschieden, dass eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte müsse ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschl. v. 20. Mai 2009 – IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379 Rn. 8 m.w.N.).

Na ja, beruhigt mich. Ich bekomme meine Post nämlich meist verspätet.

„Butter bei die Fische“ – oder: Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nach einer Verständigung

Man merkt deutlich, dass die Neuregelung der Verständigung in der Praxis und damit auch beim BGH angekommen ist. Ein Beispiel ist u.a. der Beschl. des BGH v. 19.10.2010 – 1 StR 510/10, in dem es um eine Wiedereinsetzung gegen eine versäumte Revisionseinlegung geht. Der BGH führt zur Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags aus:

a) Der Angeklagte hat keine Tatsachen behauptet, die ihn – ohne sein Verschulden – an der Wahrnehmung der Revisionseinlegungsfrist gehindert haben können. Er beruft sich lediglich darauf, dass sein früherer Verteidiger aus ihm unbekannten Gründen keine Revision eingelegt habe, obwohl er ihn ausdrücklich darum gebeten habe. Er behauptet jedoch nicht, dass dieser ihm die Einlegung des Rechtsmittels auch zugesagt hat. Auf entsprechende Darlegungen kann im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2003 – 3 StR 142/03, BGHR StPO § 44 Verschulden 8); denn das Urteil beruht auf einer Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten (§ 257c StPO).

Das Gericht hatte einen Strafrahmen für die Gesamtfreiheitsstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und drei Monaten angegeben. Der glaubhaft geständige Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Unter diesen Umständen konnte der Angeklagte nicht darauf vertrauen, dass sein Verteidiger Revision einlegen würde (vgl. BGH aaO; auch Senatsbeschluss vom 8. März 2001 – 1 StR 18/01).“

Also: Mehr 🙂 vortragen ist die Devise.

Der (einmal un)zuverlässige Kanzleibote

Der BGH hat sich in seinem (zivilverfahrensrechtlichen) Beschluss mit dem Kanzleiboten und der Frage der Wiedereinsetzung befasst, wenn dieser eine Fristversäumung verschuldet hat (vgl. Beschl. v. 21.09.2010 – VIII ZB 14/09).

Danach ist einer Partei grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine geschulte und zuverlässige Kanzleikraft ihres Prozessbevollmächtigten einen fristwahrenden Schriftsatz versehentlich beim falschen Gericht einwirft. Ist glaubhaft gemacht, dass sich die Kanzleikraft als zuverlässig erwiesen hat, indem sie während ihrer einjährigen Tätigkeit bisher alle Botengänge einschließlich der Überbringung von Post zu Gerichten und Behörden fehlerfrei ausgeführt hat, so ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Dies gilt erst Recht, wenn der Anwalt die Kanzleikraft vor Ausführung des Botengangs zudem nochmals ausdrücklich auf den fristwahrenden Schriftsatz für das spezielle Gericht hingewiesen hat. Einer darüber hinausgehenden Glaubhaftmachung für eine regelmäßige Überwachung des Boten durch den Prozessbevollmächtigten bedarf es für die Wiedereinsetzung daher nicht.

Betrifft zwar ein Zivilverfahren, kann aber auch im Strafverfahren von Bedeutung sein/werden.