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…“eine Revision hätte zu 99 % keine Erfolgsaussichten“, so berät der erste Verteidiger

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Der erste Verteidiger berät den Angeklagten dahin, “ „eine Revision hätte zu 99 % keine Erfolgsaussichten“. Wohl deshalb stimmt der Angeklagte der Nichteinlegung der Revision zu. Es kommt zum Verteidigerwechsel. Die neue Verteidiger sieht die Rechtslage offenbar anders. Sie legt Revision eine (begründet mit der allgemeinen Sachrüge) und beantragt Wiedereinsetzung. Der BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 3 StR 194/12 – stellt das fest, was ständige Rechtsprechung der Obergerichte ist: Derjenige, der bewusst ein Rechtsmittel nicht einlegt, ist nicht „verhindert“ i.S. der §§ 44 ff. StPO. Er hat nichts „versäumt“, sondern er hat – ggf. mit (guten) Gründen – von der Möglichkeit des Rechtsmittels keinen Gebrauch gemacht. Wenn die Entscheidung dann später reut, kann man das nicht mit der Wiedereinsetzung reparieren. Damit kann man auch nicht eine ggf. falsche Beratung des Verteidigers wieder wett machen, denn – so der BGH:

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Angeklagten gleichwohl nicht bewilligt werden, weil seine letztgenannte Erklärung jedenfalls belegt, dass er sich nach Beratung durch seinen ersten Verteidiger zunächst bewusst gegen die Einlegung der Revision entschieden hatte; wer aber von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, ist nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO „verhindert, eine Frist einzuhalten“ (BGH, Beschluss vom 10. August 2000 – 4 StR 304/00, NStZ 2001, 160; Beschluss vom 23. September 1997 – 4 StR 454/97, NStZ-RR 1998, 109; KK-Maul, 6. Aufl., § 44 Rn. 17 mwN). Das gilt auch dann, wenn ein Angeklagter – wie hier vom Beschwerdeführer behauptet – nach Beratung durch seinen Verteidiger die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels möglicherweise falsch einschätzt (BGH, Beschluss vom 10. August 2000 – 4 StR 304/00, NStZ 2001, 160; Beschluss vom 16. Mai 2000 – 4 StR 147/00, BGHR StPO § 44 Anwendungsbereich 2; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 44 Rn. 5).“

Sich-Verbergen in der Bewährungszeit – Verschulden bei der Wiedereinsetzung

Dem bulgarischen Verurteilten wird im Bewährungsbeschluss aufgegeben, unverzüglich festen Wohnsitz zu nehmen und seine Anschrift der Kammer innerhalb von drei Tagen mitzuteilen. Dem kommt er nicht nach, sein Verteidiger teilt, als dem Verurteilten Schriftstücke nicht zugestellt werden können, mit, dass auch ihm eine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt ist. Das LG widerruft dann die Bewährung und stellt öffentlich zu. Der Verurteilte wird festgenommen und legt (verspätet) Beschwerde ein.

Der OLG Köln, Beschl. v. 30.01.2012 – 2 Ws 76/12 – erörtert u.a. die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (von Amts wegen) und verneint sie.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist, da jedenfalls die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss innerhalb der Wochenfrist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die frühestens mit der Verkündung des Sicherungshaftbefehls am 26.12.2011 zu laufen begonnen hatte, beim Landgericht eingegangen ist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen gem. § 45 Abs. 2 S. 3 StPO gewährt werden könnte. Hierfür liegt indes die Voraussetzung fehlenden Verschuldens des Verurteilten an der Fristversäumung gem. § 44 StPO nicht vor. Wer sich in der Bewährungszeit verborgen hält, insbesondere auch entgegen einer richterlich erteilten Weisung seinen Aufenthaltsort nicht angibt, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen (BGHSt 26, 127; SenE vom 7.10.2009 – 2 Ws 479/09 – ; Meyer-Goßner, § 44 Rdn. 14 m.w.N.). ……

Wird man n.E. wegen des Auflagen-/Weisungsverstoßes sicherlich mittragen können. Gefragt habe ich mich nur: Musste der Verteidiger eigentlich mitteilen, dass er die ladungsfähige Anschrift auch nicht kennt?

Krach beim OLG Hamm?

Nun ja, nicht gleich Krach, aber mal wieder eine Innendivergenz zwischen dem 2. und dem 3. Senat für Strafsachen. Und zwar in der Frage, ob das Fehlen des zu einem Rechtsmittelschreiben gehörenden Briefumschlags im Fall der Verspätung zur Wiedereinsetzung führt. Der 2. Strafsenat hatte das vor einiger zeit bejaht, der 3. Strafsenat sieht das jetzt in OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2012 – III-3 Ws 9/12 anders:

„Der Auffassung des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm (NStZ-RR 2009, 112) und des Oberlandesgerichts Brandenburg (NZV 2006, 316), wonach in den Fällen, in denen sich ein auf einen Tag innerhalb der der Rechtsmittelfrist datiertes, aber erst nach dem Fristablauf eingegangenes Rechtsmittelschreiben, indes kein dazugehöriger Briefumschlag bei den Akten befindet und das Rechtsmittelschreiben bei Aufgabe zur Post an dem Tage seiner Datierung oder unmittelbar danach unter Zugrundelegung normaler Postlaufzeiten noch rechtzeitig hätte eingehen müssen, allein wegen des bloßen Fehlens eines Briefumschlages in den Akten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein soll, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das bloße Fehlen eines zu dem Rechtsmittelschreiben gehörenden Briefumschlages kann für sich genommen schon allein deshalb kein Anlass für die Wiedereinsetzung von Amts wegen sein, weil grundsätzlich nicht auszuschließen ist, dass ein Briefumschlag niemals existiert hat (z. B. im Falle einer persönlichen Abgabe des Schriftstückes an der Gerichtspforte oder in der Briefannahmestelle des Gerichts); es kann allenfalls Anlass für einen Hinweis an den Betroffenen auf die Fristversäumung sein, der dem Betroffenen Gelegenheit gibt, zur Art und zu den näheren Umständen der Übermittlung des Schriftstückes vorzutragen.“

Aufgepasst! Wahl des Rechtsmittels versäumt – keine Wiedereinsetzung

Allen (hoffentlich :-)) bekannt ist die Möglichkeit, zunächst nur unbestimmt „Rechtsmittel“ einzulegen und dieses dann erst nach Zustellung des schriftlich begründeten Urteils als Berufung oder Revision zu bestimmen. Wird diese Wahl verpasst, gibt es dagegen nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sondern das Rechtsmittel wird als Berufung behandelt.

So weit, so gut. Es stellt sich nur die Frage, ob das auch im JGG-Verfahren gilt, oder ob dort wegen der eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeit etwas anderes gilt. So hatte beim OLG Hamm ein Verteidiger argumentiert. Das OLG sah es anders und hat in OLG Hamm, Beschl. v. 22.11.2011 – III 3 RVs 101/11 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Peinlich, peinlich – zumindest ergänzen hätte man können…

Durch die Blume formuliert der 3. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 29.09.2011 – 3 StR 295/11 – zum „Verfahrensrecht des LG“, das den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahl verurteilt hatte. Wenn man den Beschluss zweimal liest, merkt man m.E. , was der BGH vom Vorgehen des LG hält: Nicht so ganz viel:

Punkt 1: Zulässigkeit

„1. Die Revisionen der Angeklagten sind zulässig. Der Senat ist an den Beschluss des Landgerichts vom 1. Juni 2011, ihnen nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, trotz der fehlenden Zuständigkeit des Landgerichts für diese Entscheidung (§ 46 Abs. 1 StPO) und trotz der unzureichenden Begründung der zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses schweigenden Anträge ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung gebunden (BGH, Be-schluss vom 24. August 1978 – 4 StR 400/78; RG, Beschluss vom 24. September 1907 – 1678/07, RGSt 40, 271 ff.).“

Punkt 2: Abgekürztes Urteil

2. Das Urteil des Landgerichts, das nur in abgekürzter Form gemäß § 267 Abs. 4 StPO vorliegt, hat keinen Bestand.
a) Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Das Urteil ist auf die Sachrüge mit den Feststellungen aufzuheben, weil die vorliegenden nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO abgekürzten Urteilsgründe keine genügende revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen. In der Beweiswürdigung ist unter Ziffer III. der Urteilsgründe lediglich ausgeführt: ‚Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den geständigen, schlüssigen und widerspruchsfreien Einlassungen der Angeklagten sowie den Angaben der ausweislich des Sitzungsprotokolls vernommenen Zeugen. Eine weitere Beweiswürdigung erübrigt sich im Hinblick auf die Rechtskraft des Urteils‘ (UA S. 11). Das genügt nicht, um zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei ist.“
Dem schließt sich der Senat an.
b) Eine Rückgabe der Akten an das Landgericht zur Ergänzung der Urteilsgründe kommt nicht in Betracht. Die Frist zur Ergänzung nach § 267 Abs. 4 Satz 4, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO ist abgelaufen. Sie beginnt regelmäßig unabhängig vom Zeitpunkt des Erlasses der die Wiedereinsetzung gewährenden Entscheidung im Falle einer Beschlussfassung durch das zuständige Revisionsgericht mit dem Eingang der Akten bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht, weil nur so gewährleistet ist, dass dem Richter die zur sorgfältigen Absetzung des nicht rechtskräftigen, revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegenden Urteils erforderliche Zeit tatsächlich zur Verfügung steht (BGH, Be-schluss vom 10. September 2008 – 2 StR 134/08, BGHSt 52, 349, 352). Gewährt indessen das für die Ergänzung zuständige Gericht unter Verstoß gegen § 46 Abs. 1 StPO Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision, beginnt die Frist nach § 267 Abs. 4 Satz 4, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO (aus-nahmsweise) bereits mit Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses, da das Gericht zugleich Kenntnis über die Voraussetzungen einer Ergänzung erlangt. Die folglich am 1. Juni 2011 angelaufene Frist ist verstrichen.

Punkt 3: Und dann gibt es auch noch eine Segelanweisung:

3. Der Senat sieht Anlass für folgende Hinweise:
a) Den vom Landgericht trotz Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ergänzten Urteilsgründen lassen sich nicht alle Tatsachen entnehmen, die die gesetzlichen Merkmale der abgeurteilten Straftaten belegen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug.-
b) Der neue Tatrichter wird sich unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) mit der Frage einer Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu befassen haben. Aufgrund der Feststellungen des Landgerichts, die beiden Angeklagten hätten die abgeurteilten Taten began-gen, um ihren Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren, drängte sich die Prüfung des § 64 StGB auf.

In meinen Augen wirklich peinlich, denn zumindest hätte der Kammer die Idee kommen können, nach Gewährung von Wiedereinsetzung das Urteil zu ergänzen. Denn dafür war die Kammer zuständig, nicht der BGH 🙂 :-).