Schlagwort-Archive: Wiedereinsetzung

Das beA kann keine Umlaute/Sonderzeichen lesen, oder: Die Anwaltskammern informieren nicht über die Folgen

© Paul – Fotolia.com

Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich vor einigen Tagen die Überschrift zu einer Meldung gelesen habe: „Das beA kann kein deutsch“. Mein erster Gedanke: Was ist da denn schon wieder los?

Und nach dem Lesen der ganzen Meldung dann: Nach dem Theater um die Einführung des beA und das häufige Nichtfunktionieren, nun das: Das beA kann wirklich kein deutsch bzw. es kann zumindest keine Umlaute und/oder Sonderzeichen in Dateibezeichnungen lesen.  Und das hatte für den Kläger in einem finanzgerichtlichen Verfahren fatale Folgen: Er hatte deshalb und weil es nach dem Versenden dann auch keine Fehlermeldung gibt, eine Frist beim BFH versäumt. Der hat aber dann im BFH, Beschl. v. 05.06.2019 – IX B 121/18, der erst jetzt veröffentlicht worden ist, Wiedereinsetzung gewährt:

„1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) versäumt, weil die elektronisch übermittelte Datei mit der Begründung nicht fristgerecht beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Dem Kläger ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Er hat die versäumte Handlung innerhalb der dafür geltenden Frist nachgeholt. Die Fristversäumung war unverschuldet. Die für die Beurteilung des Verschuldens maßgeblichen Tatsachen sind gerichtsbekannt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers versandte den Begründungsschriftsatz rechtzeitig aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) und nutzte dafür die von der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verfügung gestellte Webanwendung. Zur Bezeichnung der versandten Datei verwendete der Prozessbevollmächtigte offenbar (ohne dies zu wissen) technisch nicht zulässige Zeichen (Umlaute und Sonderzeichen). Die Nachricht wurde deshalb vom zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs nicht dem BFH zugestellt, sondern in ein Verzeichnis für „korrupte“ Nachrichten verschoben. Auf diesen Server hat der BFH keinen Zugriff; der BFH ist von dem Vorgang auch nicht benachrichtigt worden, so dass ein Hinweis nach § 52a Abs. 6 FGO nicht erteilt werden konnte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhielt die Mitteilung, seine Nachricht sei erfolgreich versandt und zugegangen. Auch er konnte nicht erkennen, dass die Nachricht angehalten und dem BFH nicht zugegangen war. In Hinweisen der örtlichen Anwaltskammern wird zwar darauf hingewiesen, dass Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnungen zu vermeiden seien. Es wird aber nicht erläutert, welche Folgen die Verwendung haben kann.“

Noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen.

Wenn man das allerdings liest, fragt man sich, welche Könner das BeA eigentlich programmiert haben? Könner“ können es m.E. nicht gewesen sein. Der eigentliche Skandal für mich: Die Anwaltskammern weisen zwar offenbar darauf hin, dass Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnungen zu vermeiden sind. Sie weisen aber nicht darauf hin, was passiert, wenn man es dennoch tut. Jetzt weiß man es. Dre Kläger beim BFH hätte allerdings fast teures Lehrgeld bezahlt.

Rechtsmittel III: Wiedereinsetzung, oder: Nachlieferungsbefugnis

© Stefan Rajewski Fotolia .com

Und das Schlusslicht des Tages bildet der KG, Beschl. v. 21.01.2019 – 3 Ws (B) 25/19 – zur Problematik des Fristbeginns für die Begründung des Rechtsmittels bei gewährter Wiedereinsetzung. Dazu das KG, das dem Betroffenen wegen eines Verteidigerverschuldens Wiedereinsetzung gewährt hat:

„Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewirkt, dass die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde  nach §§ 345 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG erst mit Zustellung dieses Beschlusses beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017  – 4 StR 487/16 – juris; BGHSt 30, 335; Senat, Beschluss vom 15. Januar 2019 – (3) 121 Ss 206/18 (1/19) -; KG, Beschluss vom 13. März 1997 – (4) 1 Ss 59/97 (28/97) – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. März 2017 – 2 OLG 4 Ss 138/16 – juris). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Rechtsmittelbegründung bereits vorliegt (vgl. BGH NJW 2002, 1436).“

Kann also noch „nachgeliefert“ werden.

Dauerbrenner Wiedereinsetzung, oder: Wie oft denn noch?

© Alex White – Fotolia.com

Und zum Schluss des Tages dann mal wieder ein Dauerbrenner in Sachen Wiedereinsetzung (§§ 44 ff. StPO), enthalten im BGH, Beschl. v. 02.04.2019 – 3 StR 63/19. Warum und wieso Dauerbrenner ergibt sich aus dem Beschluss:

„Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Wohnungseinbruchsdiebstahl in fünf Fällen, davon in zwei Fällen versucht“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 26.220 € angeordnet, davon in Höhe von 1.350 € gesamtschuldnerisch haftend. Gegen das am 21. September 2018 verkündete Urteil hat der Angeklagte mit einem am 24. September 2018 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt. Nach Urteilszustellung an seinen Verteidiger am 14. November 2018 hat der Angeklagte seine Revision durch einen am 23. Januar 2019 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist als unzulässig zu verwerfen.
a) Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Verteidiger vorgetragen:
Nach Zustellung des Urteils habe er ein Telefongespräch mit dem Angeklagten geführt, in dem er diesen fälschlich dahin verstanden habe, dass die Revision nicht weiterverfolgt werden solle. Am 22. Januar 2019 habe ihn der Angeklagte telefonisch kontaktiert und ihm mitgeteilt, die Revision hätte „doch fortgeführt“ werden sollen. Dem Missverständnis bei dem ersten Telefonat liege offensichtlich ein Fehler seinerseits – des Verteidigers – zugrunde.
b) Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Ein zulässiger Wiedereinsetzungsantrag liegt nicht vor. Gemäß § 45 Abs. 1 StPO ist der Antrag binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Demgemäß muss der Antrag Angaben nicht nur über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund, sondern auch über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 3 StR 482/18 -, juris; BGH NStZ-RR 2015, 145 mwN; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 45 Rn. 5). Dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht (BGH NStZ 2013, 474).
Entgegen diesen Anforderungen lässt sich dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnehmen, wann der Angeklagte davon Kenntnis erlangt hat, dass die eingelegte Revision durch seinen Verteidiger nicht begründet wurde. Zwar hat dieser mitgeteilt, am Tag vor Abfassung des Wiedereinsetzungsantrags durch einen Anruf des Angeklagten davon erfahren zu haben, dass er die Revision – anders als von ihm aufgrund eines auf seiner Seite liegenden sprachlichen Missverständnisses angenommen – doch hätte begründen sollen. Dies beinhaltet aber nicht den Vortrag, dass der Angeklagte erst bei diesem Telefonat von der unterlassenen Rechtsmittelbegründung Kenntnis erlangt haben kann. Denn in diesem Fall wäre der Grund seines Anrufs nicht nachvollziehbar. Ein solcher Anruf ist nur dann plausibel, wenn entweder der Angeklagte entgegen früherer Entschließung nunmehr und nach Verstreichen der Revisionsbegründungsfrist das Rechtsmittel doch weiterverfolgt wissen wollte, oder aber ihm in irgendeiner Weise bekannt wurde, dass das Rechtsmittel absprachewidrig nicht begründet wurde. Wann eine solche Kenntnisnahme erfolgt sein soll, ist indessen im Wiedereinsetzungsantrag nicht mitgeteilt. Daher kann das Revisionsgericht auch nicht prüfen, ob der Antrag binnen der gesetzlichen Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO angebracht wurde.“
Dem schließt sich der Senat an.“

Zusammenspiel von Wiedereinsetzung und Verfolgungsverjährung, oder: Rechtskraft des Bußgeldbescheides?

© Andrey – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.04.2019 – 1 Rb 7 Ss 39/19. Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren mit dem Vorwurf des fahrlässigen Rotlichtverstoßes. Es geht in dem Beschluss um das Zusammenspiel von Verfolgungsverjährung und Wiedereinsetzung.

Das AG hatte die Betroffene verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Kollegen S. Kabus aus Bad Saulgau, die beim OLG Erfolg hatte. Das OLG sagt: Es ist/war Verfolgungsverjährung eingetreten:

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.

Hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Geschehens war bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, als das Amtsgericht mit der Sache befasst wurde.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ereignete sich der verfahrensgegenständliche Vorfall am 07.12.2017, so dass die dreimonatige Verjährungsfrist (§§ 31 OWiG, 26 Abs. 3 StVG. 24 StVO) bei Erlass des Bußgeldbescheides durch die Stadt Karlsruhe am 08.02.2018 noch nicht abgelaufen war. Der Erlass des innerhalb von zwei Wochen zugestellten Bußgeldbescheides bewirkte die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG) und hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Verjährungsfrist von drei auf sechs Monate zur Folge. Anschließend ereignete sich nichts mehr, was eine erneute Unterbrechung der bis 07.08.2018 laufenden Verjährung zur Folge gehabt hätte. Als die Akten am 10.10.2018 bei dem Amtsgericht Karlsruhe eingingen, war daher bereits Verfolgungsverjährung eingetreten.

b) Auf Grund der von der Verwaltungsbehörde mit Verfügung vom 16.05.2018 gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, begann die Verfolgungsverjährung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft nicht von Neuem, weil der Bußgeldbescheid wegen des rechtzeitigen Einspruchs des Betroffenen zu diesem Zeitpunkt nicht in Rechtskraft erwachsen und die Verfolgungsverjährung nicht abgelaufen war.

Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweisverfahrens zugänglichen Akteninhalts wurde der am 08.02.2018 erlassene Bußgeldbescheid dem Betroffenen am 14.02.2018 zugestellt. Der den Einspruch des Betroffenen enthaltene Verteidigerschriftsatz ging unstreitig am 19.02.2018 und somit innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist bei der Verwaltungsbehörde ein. Weil der Einspruchsschriftsatz jedoch aus ungeklärten Gründen nicht zur Verfahrensakte gelangte, leitete der zuständige Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde – in der irrigen Vorstellung, der Bußgeldbescheid habe Rechtskraft erlangt – die Vollstreckung ein. Nachdem der Verteidiger hiergegen unter Hinweis auf die rechtzeitige Einlegung des Einspruchs interveniert hatte, gewährte die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen am 16.05.2018 von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen hierfür (§§ 51 Abs. 1 OWiG, 44 Abs. 1 StPO) angesichts des form- und fristgerecht eingelegten Einspruchs nicht vorlagen.

Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die – für das Rechtsbeschwerdegericht nach §§ 52 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 2 StPO in ihren Wirkungen rechtlich bindende (vgl. OLG Braunschweig NJW 1973, 2119) – Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dazu führen kann, dass mit dem Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses die Verfolgungsverjährung neu beginnt (OLG Hamm NJW 1972.2097; OLG Stuttgart MDR 1986, 608; KK-OWiG/Ellbogen, 5. Auflage, OWiG, § 31 Rn. 37; Göhler/Gürtler, OWiG, 7. Auflage, Vor § 31 Rn. 2b). Diese Wirkung kann der Wiedereinsetzung aber nur dann zukommen, wenn der Bußgeldbescheid vor ihrer Gewährung und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich schon Rechtskraft erlangt hatte (OLG Braunschweig NJW 1973, 2119; Göhler/Gürtler, a.a.O.). Denn mit der Rechtskraft wird die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit blockiert, so dass die Rechtskraft das Weiterlaufen der Verfolgungsverjährung ebenso hindert wie ihre Vollendung (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Braunschweig, a.a.O.). Lässt die Wiedereinsetzung die Wirkung der Rechtskraft – für die Zukunft – entfallen, so beginnt mit deren Wegfall mithin nicht nur die Verfolgung erneut, sondern auch die Verfolgungsverjährung.

Weil der Bußgeldbescheid im vorliegenden Fall jedoch nicht in Rechtskraft erwachsen war, konnte die Wiedereinsetzung diese auch nicht beseitigen. Die Wirkung der Wiedereinsetzung erschöpfte sich hier vielmehr in der Feststellung, dass der Bußgeldbescheid mit dem Einspruch weiterhin anfechtbar sei (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 46 Rn. 11). Letztlich kam der Wiedereinsetzung daher im vorliegenden Fall rein deklaratorische Bedeutung zu, weil sie nur den Rechtszustand bestätigte, der für den Betroffenen im Zeitpunkt ihrer Gewährung am 16.05.2018 ohnehin bestand, weil der Einspruch form- und fristgerecht eingelegt worden war (OLG Braunschweig, a.a.O.). Da hier mangels eingetretener Rechtskraft auch der Ablauf der Verfolgungsverjährung nicht blockiert war, konnte die Wiedereinsetzung deren Blockade nicht beseitigen und infolgedessen auch nicht den Neubeginn der Verfolgungsverjährung bewirken. Weil der Bußgeldbescheid nicht in Rechtskraft erwachsen war, lief die Verfolgungsverjährung vielmehr weiter, ohne in irgendeiner Weise von der rein dekiaratorischen Wirkung der Wiedereinsetzung beeinflusst zu werden (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.).

Nähme man dagegen an, die unanfechtbare (§§ 51 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 2 StPO) Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die auch von Amts wegen ohne entsprechenden Antrag erfolgen kann, würde stets auch dann den Lauf der Verfolgungsverjährung neu beginnen lassen, wenn der Bußgeldbescheid noch nicht in Rechtskraft erwachen ist, so hätte es die Verwaltungsbehörde darüber hinaus – zumindest theoretisch und von Fallgestaltungen offensichtlicher Willkür abgesehen – in der Hand, den Lauf der gesetzlichen Verjährungsfristen nach eigenem Gutdünken zu verlängern. Dies liefe dem auf Wiederherstellung oder Erhaltung des gestörten Rechtsfriedens gerichteten Zweck der Verfolgungsverjährung (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, a.a.O., § 31 Rn. 2) zuwider, deren Lauf nach der gesetzlichen Regelungskonzeption nur durch die in §§ 32 und 33 OWiG abschließend aufgeführten Ereignisse (vgl. Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Auflage, § 33 Rn. 6) zum Ruhen gebracht oder unterbrochen werden kann.

Da die Taten vor Erlass des angefochtenen Urteils bereits verjährt waren, lag ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindemis bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor. Der Senat hebt das amtsgerichtliche Urteil daher auf und stellt das Verfahren nach § 206a StPO ein (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – 5 StR 263/10).

Keine Wiedereinsetzung zur Heilung von Mängeln einer Verfahrensrüge, oder: Na ja

© eyetronic Fotolia.com

Die 21. KW. eröffne ich mit einer sog. „Na-ja-Entscheidung“, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 11.04.2019 – 1 StR 91/18, in dem der BGH zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags zur Heilung eines Mangels einer Verfahrensrüge Stellung genommen hat.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Der Angeklagte hat mit der Revision gegen dieses Urteil fristgerecht die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gerügt. Das von ihm angebrachte Befangenheitsgesuch hat er aber nicht vollständig vorgetragen, da eine Seite fehlt. Nach Kenntnisnahme der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, in der auf diesen Mangel hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung beantragt und die fehlende Seite nachgereicht.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückgewiesen:

„b) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst von Verteidigern nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1987 – 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46 und vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01 Rn. 2; vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 6 und vom 24. Oktober 2018 – 2 StR 578/16, NStZ-RR 2019, 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.

Es handelt sich zum einen nicht um einen Übersendungsfehler. Die 215 Seiten umfassende Revisionsbegründungsschrift ist durchgehend nummeriert, alle Seiten sind lückenlos fristgerecht eingereicht worden. Es liegt zum anderen auch kein Fall vor, in dem wegen nicht gewährter Akteneinsicht Verfahrensrügen nicht fristgerecht erhoben werden konnten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/07, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom 27. August 2008 – 2 StR 260/08, NStZ 2009, 173, 174 und vom 4. Februar 2010 – 3 StR 555/09 Rn. 2). Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe Akteneinsicht in Form einer pdf-Datei erhalten, hieraus den Ablehnungsantrag in die Revisionsbegründung kopiert und nicht bemerkt, dass die betreffende Seite in der Datei gefehlt habe. Dies stellt jedoch keinen Sachverhalt dar, der ihn wegen fehlender Aktenkenntnis an der formgerechten Erhebung gehindert hätte. Dies gilt schon deswegen, weil es sich um einen von ihm selbst gestellten Antrag handelt und zudem auch keine Bemühungen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 1990 – 4 StR 663/89, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 5; vom 8. April 1992 – 2 StR 119/92, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7; vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 514/97, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12 und vom 15. Februar 2011 – 4 StR 36/11 Rn. 2) um vollständige Akteneinsicht angestellt bzw. dargelegt worden sind. Soweit im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird, dass die Erhebung der vollständigen Rüge durch Umstände gehindert worden sei, die der Verteidigung nicht zuzurechnen seien, kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden. Das Nichtbemerken des Fehlens einer Seite stellt keinen Umstand dar, in dem es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren.“

Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das richtig ist. Denn es handelt sich ja nicht um den klassischen Fall der Nachbesserung einer Verfahrensrüge, weil z.B. Vortrag vergessen worden ist. Denn es war hier ja wohl ausreichend vorgetragen, es fehelt lediglich eine Seite aus dem gestellten Ablehnungsantrag.

Aber: Was soll das Überlegen? Denn:

„c) Im Übrigen hätte die erhobene Rüge, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg. Die Behandlung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin als unzulässig begegnet keinen Bedenken. Die in dem Beschluss dargelegten Umstände wie Verfahrensstand, Zeitpunkt der Anbringung und der Verweis auf die völlige Ungeeignetheit der Begründung rechtfertigen die Behandlung als in Verschleppungsabsicht gestellt, § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2009 – 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 f.; vom 22. Februar 2013 – 2 ARs 377/12 und vom 7. Juli 2015 – 3 StR 66/15, StV 2016, 271, 272). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die abgelehnte Richterin ihr eigenes Verhalten beurteilt hätte.“