Keine Wiedereinsetzung zur Heilung von Mängeln einer Verfahrensrüge, oder: Na ja

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Die 21. KW. eröffne ich mit einer sog. „Na-ja-Entscheidung“, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 11.04.2019 – 1 StR 91/18, in dem der BGH zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags zur Heilung eines Mangels einer Verfahrensrüge Stellung genommen hat.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Der Angeklagte hat mit der Revision gegen dieses Urteil fristgerecht die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gerügt. Das von ihm angebrachte Befangenheitsgesuch hat er aber nicht vollständig vorgetragen, da eine Seite fehlt. Nach Kenntnisnahme der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, in der auf diesen Mangel hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung beantragt und die fehlende Seite nachgereicht.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückgewiesen:

„b) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst von Verteidigern nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1987 – 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46 und vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01 Rn. 2; vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 6 und vom 24. Oktober 2018 – 2 StR 578/16, NStZ-RR 2019, 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.

Es handelt sich zum einen nicht um einen Übersendungsfehler. Die 215 Seiten umfassende Revisionsbegründungsschrift ist durchgehend nummeriert, alle Seiten sind lückenlos fristgerecht eingereicht worden. Es liegt zum anderen auch kein Fall vor, in dem wegen nicht gewährter Akteneinsicht Verfahrensrügen nicht fristgerecht erhoben werden konnten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/07, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom 27. August 2008 – 2 StR 260/08, NStZ 2009, 173, 174 und vom 4. Februar 2010 – 3 StR 555/09 Rn. 2). Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe Akteneinsicht in Form einer pdf-Datei erhalten, hieraus den Ablehnungsantrag in die Revisionsbegründung kopiert und nicht bemerkt, dass die betreffende Seite in der Datei gefehlt habe. Dies stellt jedoch keinen Sachverhalt dar, der ihn wegen fehlender Aktenkenntnis an der formgerechten Erhebung gehindert hätte. Dies gilt schon deswegen, weil es sich um einen von ihm selbst gestellten Antrag handelt und zudem auch keine Bemühungen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 1990 – 4 StR 663/89, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 5; vom 8. April 1992 – 2 StR 119/92, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7; vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 514/97, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12 und vom 15. Februar 2011 – 4 StR 36/11 Rn. 2) um vollständige Akteneinsicht angestellt bzw. dargelegt worden sind. Soweit im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird, dass die Erhebung der vollständigen Rüge durch Umstände gehindert worden sei, die der Verteidigung nicht zuzurechnen seien, kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden. Das Nichtbemerken des Fehlens einer Seite stellt keinen Umstand dar, in dem es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren.“

Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das richtig ist. Denn es handelt sich ja nicht um den klassischen Fall der Nachbesserung einer Verfahrensrüge, weil z.B. Vortrag vergessen worden ist. Denn es war hier ja wohl ausreichend vorgetragen, es fehelt lediglich eine Seite aus dem gestellten Ablehnungsantrag.

Aber: Was soll das Überlegen? Denn:

„c) Im Übrigen hätte die erhobene Rüge, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg. Die Behandlung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin als unzulässig begegnet keinen Bedenken. Die in dem Beschluss dargelegten Umstände wie Verfahrensstand, Zeitpunkt der Anbringung und der Verweis auf die völlige Ungeeignetheit der Begründung rechtfertigen die Behandlung als in Verschleppungsabsicht gestellt, § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2009 – 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 f.; vom 22. Februar 2013 – 2 ARs 377/12 und vom 7. Juli 2015 – 3 StR 66/15, StV 2016, 271, 272). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die abgelehnte Richterin ihr eigenes Verhalten beurteilt hätte.“

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