Schlagwort-Archive: Wahlanwaltsgebühren

Was wird von den „Pflichtigebühren“ angerechnet?, oder: Alles wird angerechnet

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und heute dann noch zum Wochenausklang RVG- bzw. Kostenentscheidungen.

Zunächst stelle ich den LG Koblenz, Beschl. v. 07.11.2022 – 9 Qs 74/22 – vor, der sich noch einmal mit der Frage der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren im Rahmen der Kostenerstattung befasst.

Die Staatsanwaltschaft hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Diebsstahls in sechs Fällen angeklagt. Der Kollege Herzog aus Koblenz, der mir den Beschluss geschickt hat, ist der Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das AG hat die Angeklagte – nach Einstellung des Verfahrens gern. § 154 Abs. 2 StPO im Übrigen – wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und Diebstahls unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren versuchten Diebstahls wurde sie darüber hinaus zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Auf die Berufung der Angeklagten hat das LG diese wegen Diebstahls in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und der Urkundenfälschung in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurde einem damals weiteren Mitangeklagten und der Angeklagten auferlegt – dieser jedoch mit Ausnahme ihrer notwendigen Auslagen, die der Staatskasse auferlegt wurden.

Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Kollege die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren für die erste und zweite Instanz in Höhe von 4.817,54 EUR beantragt. Die Kostenfestsetzung erfolgte antragsgemäß, der festgesetzte Betrag wurde angewiesen. Mit einem weiteren Kostenfestsetzungsantrag hat der Kollege dann beantragt, zusätzlich für das Berufungsverfahren Wahlverteidigergebühren in Höhe von 233,24 EUR (insgesamt 919,87 EUR abzüglich der bereits festgesetzten und ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung für die zweite Instanz in Höhe von 686,63 EUR) festzusetzen. Zugleich legte er eine Abtretungsvereinbarung vor.

Die Bezirksrevisorin beim LG hat beantragt, die Gebühren und Auslagen auf 0,00 EUR festzusetzen, da infolge einer Anrechnung der bereits vom Verteidiger bezogenen Pflichtverteidigervergütung für das Verfahren erster und zweiter Instanz nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG kein festzusetzender Betrag mehr verbleibe. Der Kollege hat hierzu gemeint, die Bezirksrevisorin verstehe die von ihr selbst in Bezug genommene Rechtsprechung und Literatur völlig falsch, die Wahlverteidigervergütung sei höher, als die gezahlte Pflichtverteidigervergütung zuzüglich der beantragten Differenz zur Wahlverteidigervergütung. Das AG hat den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Die ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung sei auf die Wahlanwaltsvergütung anzurechnen. Insoweit werde alleine auf den gesamten Erstattungsbetrag abgestellt, den der Verteidiger aus der Staatskasse erhalten habe – unabhängig davon, für welche Verfahrensabschnitte er diesen Betrag erhalten habe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Kollegen hatte beim LG keinen Erfolg:

„Zu Recht hat das Amtsgericht Koblenz den Antrag des weiteren Beteiligten auf Festsetzung einer Wahiverteidigervergütung zurückgewiesen.

Die mit dem Kostenfestsetzungsantrag geltend gemachte Vergütung für den Berufungsrechtszug ist tatsächlich angefallen, jedoch ist von dem geltend gemachten Betrag in Höhe von noch 233,24 Euro die dem Verteidiger bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Abzug zu bringen. Da diese die geltend gemachte Wahlverteidigervergütung um ein Vielfaches übersteigt, war die aus-zuzahlende Vergütung im Ergebnis auf 0,00 Euro festzusetzen.

Zwar war der Verteidiger der Verurteilten zum Pflichtverteidiger bestellt und auch im Berufungsrechtszug als solcher tätig, doch ist wegen der Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 2 Satz 1 RVG es möglich, anstatt der dem Verteidiger zustehenden Pflichtverteidigergebühren für das Verfahren zweiter Instanz für letzteres Wahlverteidigergebühren auf Grundlage der vom Landgericht Koblenz getroffenen Kostengrundentscheidung zu Lasten der Staatskasse abzurechnen.

Denn nach § 52 Abs. 1 1. Halbsatz RVG kann auch der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, wenn und soweit dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 RVG).

Dies ist hier geschehen.

Der dem Verurteilten gerichtlich beigeordnete Verteidiger hat auf Grundlage der Kostengrundentscheidung des Landgerichts Koblenz mit seinem Kostenfestsetzungsantrag – nach Abtretung eines vermeintlich bestehenden Anspruchs des Verurteilten – eine Wahlverteidigervergütung beansprucht und hiermit das sich aus § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RVG ergebende Wahlrecht ausgeübt.

In § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG ist allerdings weiter geregelt, dass der Anspruch des Verteidigers gegen den Beschuldigten insoweit entfällt, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat.

Hier hat die Staatskasse bereits eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 4.817,54 Euro an den Verteidiger ausgezahlt, die die nunmehr geltend gemachte Wahlverteidigervergütung übersteigen.

Die durch diese Regelung erfolgte Verrechnung der Vergütungsansprüche hat ihren sachlichen Grund in dem Umstand, dass es sich bei der an den Pflichtverteidiger gezahlte Vergütung um Kosten des Verfahrens handelt, die der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat und hinsichtlich derer ein Zahlungsanspruch der Staatskasse gegen den Beschuldigten besteht (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021, § 52 Rdnr. 15 m. w. N.). Durch die Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG wird mithin lediglich eine ansonsten erforderliche ausdrückliche Aufrechnungserklärung der Staatskasse obsolet.“

Die Entscheidung ist zutreffend und entspricht der inzwischen h.M. in der Rechtsprechun, von der ein Teil auch auf meiner Homepage steht. Wegen der genauen Fundstellen verweise ich auf die Entscheidungen zu § 52 RVG und auf die Kommentierung zu § 52 RVG im RVG-Kommentar.

Erst Pflichtverteidiger-, dann Wahlanwaltsgebühren, oder: Gesamtanrechnung, ohne „Rosinentheorie“

Bild von forwimuwi73 auf Pixabay

Heute ist zwar Karfreitag und damit Feiertag, ich will dann aber doch – wie immer am Freitag – zur RVG-Thematik posten. Aber, da Feiertag ist, gib es nur eine RVG-Entscheidung und die auch später als üblich.

Hier dann also der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.01.2021 – III-2 Ws 267/20. Nach dem Sachverhalt war Rechtsanwalt war in dem Loveparade-Verfahren als einer der Pflichtverteidiger des früheren Angeklagten bestellt. Das LG hat dann ja das Verfahren gegen den früheren Angeklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und angeordnet, dass die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last fallen.

Der Rechtsanwalt hat als Pflichtverteidiger Terminsgebühren in Höhe von 60.928 EUR (netto) aus der Staatskasse erhalten. Ferner ist ihm anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (Nr. 4100, 4104, 4112 VV RVG) gemäß § 51 RVG eine Pauschgebühr in Höhe von 70.000 EUR (netto) bewilligt und ausgezahlt worden.

Aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten hat der Rechtsanwalt dann als Differenzgebühr eines Wahlverteidigers für 182 Verhandlungstage zusätzliche Terminsgebühren von jeweils 304 EUR (netto), d. h. rechnerisch insgesamt 55.328 EUR (netto) zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet. Ferner hat er für den letzten Verhandlungstag, den er nicht als Pflichtverteidiger abgerechnet hat, aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten einen Betrag von 560 EUR (netto) als Terminsgebühr eines Wahlverteidigers sowie Auslagen zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet. Die Rechtspflegerin des LG hat antragsgemäß gegen die Staatskasse festgesetzt. Gegen diesen Festsetzungsbeschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatskasse, nach deren Auffassung der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht besteht, da die Pflichtverteidigergebühren insgesamt anzurechnen seien. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

“ 1. Dem früheren Angeklagten B. stand aus der dem Grunde nach getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung der Strafkammer (§ 467 Abs. 1 StPO) der Höhe nach kein Anspruch auf Erstattung von Wahlverteidigergebühren gegen die Staatskasse zu, da die insgesamt gezahlten Pflichtverteidigergebühren die Wahlverteidigergebühren (weit) übersteigen. Demgemäß kann der Zessionar Rechtsanwalt A. den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht aus abgetretenem Recht herleiten.

Ein gegen die Staatskasse gerichteter Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten B. konnte nur in dem Umfang bestehen, in dem Rechtsanwalt A. als Pflichtverteidiger von dem Mandanten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen konnte. Der Anspruch gegen den Mandanten ist indes nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG insoweit entfallen, als die Staatskasse Gebühren an den Pflichtverteidiger gezahlt hat.

Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten nicht mehr erhalten soll als ein Wahlverteidiger (vgl. OLG Jena Rpfleger 2010, 107 = BeckRS 2009, 86298; Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017, § 52 Rdn. 30; Kroiß in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, § 52 Rdn. 30). Anzurechnen sind alle aus der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch eine Pauschgebühr nach § 51 RVG zählt (vgl. OLG Köln JurBüro 2002, 595 = Rpfleger 2003, 97; Burhoff in: Gerold/ Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 52 Rdn. 15).

Um den Zweck des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG zu erreichen, dass ein Beschuldigter insgesamt nicht mehr als die Gebühren eines Wahlverteidigers schuldet, sind die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren in vollem Umfang anzurechnen (vgl. OLG Hamburg Rpfleger 1999, 413 = JurBüro 2000, 205; OLG Köln BeckRS 2014, 17497). Bei der Regelung, dass der Anspruch gegen den Beschuldigten insoweit entfällt, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat, bezieht sich das Wort „insoweit“ nicht auf die Gebührenart (z.B. Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Pauschgebühr), sondern auf den Umfang der von der Staatskasse geleisteten Zahlungen. Bei der Anrechnung der gezahlten Gebühren ist nicht nach Gebührenarten, Angelegenheiten im Sinne des § 17 Nr. 10 RVG oder Verfahrensabschnitten zu differenzieren.

Die von den Beteiligten erörterte Regelung des § 58 Abs. 3 RVG ist hier nicht einschlägig. Denn sie betrifft die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen, die der Pflichtverteidiger von dem Mandanten oder Dritten (z.B. Familienangehörigen, Rechtsschutzversicherung) erhalten hat. Zahlungen der Staatskasse fallen nicht darunter (vgl. statt vieler: Volpert in: Burhoff/Volpert a.a.O. § 58 Rdn. 6).

Daher ist vorliegend ohne Belang, dass § 58 Abs. 3 RVG durch das 2. KostRMoG mit Wirkung ab 1. August 2013 dahin geändert worden ist, dass bei der Anrechnung nicht mehr auf Verfahrensabschnitte, sondern auf Angelegenheiten abzustellen ist. Die Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG ist unverändert geblieben. Mangels Regelungslücke besteht auch weder Anlass noch Raum, die Regelung des § 58 Abs. 3 RVG im Rahmen des  52 Abs. 1 Satz 2 RVG analog anzuwenden.

2. Der Pflichtverteidiger hat folgende Pflichtverteidigergebühren (netto) aus der Staatskasse erhalten (Gebührensätze nach VV RVG in der bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Fassung):

Pauschgebühr 70.000 Euro
(anstelle Nr. 4100, 4104, 4112 VV RVG)
Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG 181 x 256 Euro 46.336 Euro
Längenzuschlag Nr. 4116 VV RVG 106 x 128 Euro 13.568 Euro
Längenzuschlag Nr. 4117 VV RVG 4 x 256 Euro 1.024 Euro
Summe 130.928 Euro.

Bei den Terminsgebühren eines Wahlverteidigers hat der Pflichtverteidiger 182 x 304 Euro = 55.328 Euro zusätzlich sowie 560 Euro für den letzten Verhandlungstag in Ansatz gebracht, so dass sich insgesamt Terminsgebühren in Höhe von 116.816 Euro netto (60.928 Euro + 55.328 Euro + 560 Euro) ergeben.

Die Differenz bei der Anzahl der Verhandlungstage (181 bzw. 182) erklärt sich daraus, dass die Rechtspflegerin die Terminsgebühr für den aufgehobenen Hauptverhandlungstermin vom 30. Januar 2018 bei den Pflichtverteidigergebühren abgesetzt hat, bei den Wahlverteidigergebühren jedoch nicht. Eine Begründung für diese unterschiedliche Handhabung enthält der angefochtene Beschluss nicht.

Anzumerken ist, dass sich für die 110 Verhandlungstage, bei denen die zu den Terminsgebühren eines Pflichtverteidigers gehörenden Längenzuschläge nach Nr. 4116 bzw. 4117 VV RVG angefallen sind, nach der von dem Pflichtverteidiger gewählten Berechnungsmethode (je Verhandlungstag 304 Euro zusätzlich) insgesamt Terminsgebühren ergeben, welche die zulässige Höchstgebühr eines Wahlverteidigers (560 Euro) mit 688 Euro bzw. 816 Euro deutlich überschreiten. Dass die Rechtspflegerin gleichwohl die angemeldeten zusätzlichen Terminsgebühren ungekürzt gegen die Staatskasse festgesetzt hat, kann nicht nachvollzogen werden. Abgesehen davon hätte der Pflichtverteidiger bereits bei der Antragstellung erkennen müssen, dass er bei seiner Berechnungsmethode die Längenzuschläge, die allein bei den Terminsgebühren eines Pflichtverteidigers vorgesehen sind und sich erheblich auf die Gebührendifferenz auswirken, nicht berücksichtigt hat. In die Vergleichsberechnung können die Terminsgebühren eines Wahlverteidigers maximal mit dem zulässigen Höchstbetrag (560 Euro) eingestellt werden. Einschließlich des letzten Verhandlungstages ergeben sich somit 183 x 560 Euro = 102.480 Euro (netto).

Auch ohne Bestimmung nach § 14 RVG sollen die Grund- und Verfahrensgebühren eines Wahlverteidigers rechnerisch ebenfalls mit dem zulässigen Höchstbetrag in die folgende Vergleichsberechnung einbezogen werden:

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 360 Euro
Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG 290 Euro
Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG 320 Euro
Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG 183 x 560 Euro 102.480 Euro
Summe 103.450 Euro.

Die gezahlten Pflichtverteidigergebühren von 130.928 Euro überschreiten mithin die Wahlverteidigergebühren deutlich, so dass nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG kein Zahlungsanspruch gegen den Mandanten und demzufolge kein Erstattungs-anspruch gegen die Staatskasse besteht.

Etwas anderes hätte sich selbst im Falle einer an die Stelle der Grund- und Verfahrensgebühren tretenden Pauschgebühr eines Wahlverteidigers (§ 42 RVG) nicht ergeben. Denn anders als die nach oben nicht begrenzte Pauschgebühr eines Pflichtverteidigers (§ 51 RVG) darf die Pauschgebühr eines Wahlverteidigers das Doppelte der für seine Gebühren geltenden Höchstbeträge nicht übersteigen, so dass hier anstelle der Grund- und Verfahrensgebühren maximal eine Pauschgebühr von 1.940 Euro (netto) erreichbar gewesen wäre.

Es kommt jedenfalls nicht in Betracht, die jeweils vorteilhaften Elemente aus dem Gebührenrecht des Pflichtverteidigers und des Wahlverteidigers im Sinne einer Meistbegünstigung („Rosinentheorie“) miteinander zu kombinieren. Vielmehr sind die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG insgesamt auf den Gebührenanspruch des Wahlverteidigers anzurechnen.“

Pauschgebühr, oder: Bemessung auf das Doppelte der Wahlanwaltsgebühren?

© Smileus – Fotolia.com

Heute ist „Money-Day“. Den eröffne ich mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 10.09.2018 – 1 Str 7/18, den mir der Kollege Breu aus Hamburg vor einiger Zeit geschickt hat. Das OLG hat ihm für seine Tätigkeiten als Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr nach § 51 RVG bewilligt, ja, man ist erstaunt. Das OLG führt u.a. aus:

„Nach den Ausführungen des Pflichtverteidigers, die durch die Stellungnahme der Vorsitzenden der VII. Großen Strafkammer des Landgericht Lübeck dem Grunde nach bestätigt werden, war die Sache besonders umfangreich, so dass insoweit die gesetzlichen Gebühren eines Pflichtverteidigers unzumutbar sind und anstelle der gesetzlichen Grundgebühr Nr. 4100 VV-RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV-RVG und der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer Nr. 4112 VV-RVG eine Pauschvergütung bewilligt wird.

Hinsichtlich der Höhe der Pauschgebühr normiert § 51 RVG zwar keine gesetzliche Obergrenze. Daher darf diese die gesetzlichen Rahmenhöchstgebühren eines Wahlverteidigers grundsätzlich auch überschreiten. Die Höchstgebühr eines Wahlverteidigers hat aber in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in der Regel die obere Grenze der Pauschgebühr nach § 51 RVG gebildet (vgl. OLG Hamm NJW 2007, 311; OLG Karlsruhe Rechtspfleger 2005, 694).

Im vorliegenden Fall ist die Tätigkeit des Pflichtverteidigers außerhalb und zur Vorbereitung der Hauptverhandlung aber derart umfangreich, dass deren Vergütung auch mit den Rahmenhöchstgebühren eines Wahlverteidigers grob unangemessen wäre. Daher ist hier von der Regelgrenze abzuweichen, so dass hinsichtlich der Grundgebühr sowie der Verfahrensgebühren Pauschgebühren in Höhe des Doppelten der Höchstgebühren eines Wahlverteidigers festgesetzt werden. Dabei berücksichtigt der Senat insbesondere den erheblichen Aktenumfang, die schwierige Rechtslage und die lange Verfahrensdauer.

Dagegen ist nicht erkennbar, dass auch die Hautverhandlungstermine selbst Besonderheiten aufwiesen. Die bis fünf Stunden dauernden Hauptverhandlungstermine dauerten mit längstens 3.46 Stunden und sonst immer weniger als 3.00 Stunden, z. T. nur 11 Minuten, unterdurchschnittlich lange, und auch die Hauptverhandlungstermine von über fünf bzw. acht Stunden Dauer zum Teil dauerten überwiegend nur wenige Minuten länger als der Gebührensprung und waren damit verhältnismäßig kurz, so dass die Differenz zwischen den damals und heute geltenden Gebührensätzen für die Terminstage durch deren kurze Dauer ausgeglichen wird.

Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheint es deshalb angemessen, anstelle der Sätze für einen Pflichtverteidiger bei den Grund- und den Verfahrensgebühren jeweils das Doppelte der Höchstgebühren für einen Wahlverteidiger zu bewilligen….“

Leider mal wieder keine Verfahrenstatsachen und/oder eine Aufzählung der vom Kollegen erbrachten Tätigkeiten, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die vom OLG bewilligte Pauschgebühr von 1.640 € unter Berücksichtigung der erbrachten Tätigkeiten tatsächlich, wie das OLG meint, angemessen ist.

Im Übrigen: Nicht zutreffend ist es, wenn das OLG davon ausgehen sollte, dass bereits die Bejahung von „besonderem Umfang“ zur „Unzumutbarkeit“ der gesetzlichen Gebühren führt. Zumindest ist unsauber formuliert, wenn das OLG ausführt: „war die Sache besonders umfangreich, so dass insoweit die gesetzlichen Gebühren eines Pflichtverteidigers unzumutbar sind“. Das wäre schön, wenn allein das Vorliegen von „besonderem Umfang“ oder „besonderer Schwierigkeit“ automatisch dazu führen würde, dass die gesetzlichen als unzumutbar anzusehen wären und dann eine Pauschgebühr zu bewilligen wäre. Das ist aber nach h.M. nicht der Fall, sondern es ist danach immer auch noch zu prüfen, ob eben wegen des „besonderen Umfangs“ oder der „besonderen Schwierigkeit“ von „Unzumutbarkeit“ auszugehen ist (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 RVG Rn 25 ff. m.w.N.).

Und: Auf den ersten Blick meint man, das OLG gehe davon aus, dass das Doppelte der Wahlanwaltshöchstgebühren die Grenze (auch) für eine Pauschgebühr des Pflichtverteidigers nach § 51 RVG ist. Das ist aber nicht der Fall. Die für den Wahlanwalt geltende Grenze (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG) ist nämlich auf den Pflichtverteidiger und dessen Pauschgebühr nach § 51 RVG nicht übertragbar (OLG Stuttgart RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 = AGS 2008, 390). Das OLG München hat das zwar vor kurzem zwar anders gesehen (vgl. OLG RVGreport 2017, 291). Die Auffassung ist jedoch falsch und mit dem RVG nicht vereinbar. Das OLG Schleswig scheint es aber letztlich so wie das OLG Stuttgart zu sehen. Dafür spricht, dass das OLG zu der streitigen Frage kein Wort verliert, was sonst aber erforderlich und auch zu erwarten gewesen wäre.

<<Werbemodus an>>: Vieles zur Pauschgebühr nach § 51 RVG findet man in „Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage, 2017“. Bestellen kann man das Werk hier. Und aufgepasst: Von dem Werk gibt es derzeit Mängelexemplare, die nur 89,90 € kosten. Ein Kauf, der sich mit Sicherheit „lohnt“. <<Werbemodus aus>>

LG Detmold: Die Pflichtverteidigergebühren sind nicht die untere Grenze für die Wahlanwaltsgebühren, oder: Nicht überraschend?

© hati – Fotolia.com

Ich hatte vor einiger Zeit über den den AG Köthen, Beschl. v. 22.11.2016 – 13 OWi 31/16 – berichtet (vgl. hier RVG II: AG Köthen, oder: Sind die Pflichtverteidigergebühren die untere Grenze für die Wahlanwaltsgebühren?). Ich hatte damals darauf hingewiesen, dass sich m.E. die Auffassung des AG, dass die Höhe der Pflichtverteidigergebühren im Fall der Kostenerstattung aus der Staatskasse die untere Grenze für die dem Wahlanwalt zu erstattenden Gebühren bildet, kaum durchsetzen wird.

Heute kann ich dazu dann über den LG Detmold, Beschl. v.15.05.2018 – 23 Qs 36 Js 536/16, der genau das bestätigt. Es geht um die Festsetzung der Terminsgebühr für die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren. Dazu das LG:

„2.2. Hauptkriterium für die Höhe der Terminsgebühr ist die Dauer der Hauptverhandlung [vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03. Dezember 2009 – 2 Ws 270/09; Beschluss vom 24. Januar 2008 – 4 Ws 528/07, jeweils m. w. Nachweisen]. Als durchschnittliche Dauer einer Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht wird dabei ein Zeitraum von 2 bis 3 Stunden angenommen [vgl. Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Auflage 2017, VV Vorb. 4 Rn.34 m. w. Nachweisen]. Mit lediglich 10 Minuten Dauer blieb der nahezu pünktlich begonnene Hauptverhandlungstermin vom 09. November 2016 dahinter ganz deutlich zurück. Auch war der anwaltliche Aufwand gering. Da der Angeklagte nicht erschien, war eine Verhandlung zur Sache nicht möglich. Schließlich war die Angelegenheit auch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besonders schwierig, so dass auch die Vorbereitung des Verteidigers auf den Termin als nicht erheblich einzuschätzen ist. Bei einer Gesamtschau der vorstehend genannten Umstände erscheint daher auch der Kammer die Festsetzung der Mindestgebühr in Höhe von 80 Euro als gerechtfertigt und angemessen.

2.3. Die Auffassung des Amtsgerichts Lemgo, dem Wahlverteidiger stehe unabhängig von den vorstehend genannten Kriterien jedenfalls die Pauschalgebühr des gesetzlich bestellten Verteidigers zu, teilt die Kammer nicht. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Wahlverteidiger im Kostenfestsetzungsverfahren nicht schlechter gestellt werden dürfe als ein Pflichtverteidiger, besteht nicht [vgl. LG Düsseldorf, Beschluss vom 02. Februar 2011 – 4 Qs 12/11]. Während der vom Gericht bestellte gesetzliche Verteidiger nach § 55 RVG einen Honoraranspruch gegen die Staatskasse geltend macht, besitzt der Wahlverteidiger einen Honoraranspruch gegen seinen Mandanten. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Kosten dieser als notwendige Auslagen nach §§ 464a Abs. 2 Nr. 2, 91 Abs. 2 ZPO von der Staatskasse erstattet bekommt. Eine wirtschaftliche Schlechterstellung des Wahlverteidigers ist damit nicht verbunden. Eine etwaige Differenz des von ihm geltend gemachten Honoraranspruchs zu dem von der Staatskasse dem Angeklagten als notwendig erstatteten Auslagen muss der Wahlverteidiger im Rahmen des Mandatsverhältnisses geltend machen.“

Mich überrascht die Entscheidung nicht.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich jetzt noch eine Pauschgebühr beantragen?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

© haru_natsu_kobo – Fotolia.com

Unsere Gebührenfrage am Freitag (vgl. Ich habe da mal eine Frage: Kann ich jetzt noch eine Pauschgebühr beantragen? ist ohne Reaktion/Antwort geblieben. Was ist los? Alle das schöne Wetter genossen oder interessiert die Pauschgebühr nicht (mehr), was ich verstehen kann, wenn ich sehe, wie die OLG teilweise damit umgehen? Dabei wäre m.E. die Antwort gar nicht schwer gewesen. Denn es gibt zu der Frage bereits eines OLG-Entscheidung, auf die sich das im Fall der Kollegin zuständige OLG sicherlich gern stürzen wird; aber da man das nie weiß, habe ich ihr dennoch geraten, den Antrag zu stellen.

Entschieden ist die Problematik vor einiger Zeit bereits vom OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.01.2013 – 2 AR 51/12. Das OLG sagt, dass, wenn der Pflichtverteidiger eines freigesprochenen Angeklagten gem. §§ 52 Abs. 1 und 2, 14 RVG die Festsetzung der Gebühren eines Wahlverteidigers gegen die Staatskasse beantragt hat und ist diesem Antrag entsprochen worden ist, ein danach gem. § 51 RVG gestellter Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr unzulässig ist. Begründet wird das damit, dass der Pflichtverteidiger eine dreifache Wahlmöglichkeit habe:

  • Gemäß § 52 Abs. 1 und 2 RVG kann er die Gebühren eines Wahlverteidigers im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen.
  • Erscheinen die Rahmengebühren als unzumutbar, kann der Pflichtverteidiger ebenso wie ein Wahlverteidiger anstelle ihrer Festsetzung gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 RVG einen Pauschgebührenantrag gemäß § 42 Abs. 1 RVG stellen, wenn die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 und 2 RVG vorliegen.
  • Der Pflichtverteidiger kann aber auch einen Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG stellen.

Und daraus schließt das OLG:

„…Es liegt auf der Hand, dass einem Verteidiger, dem eine Pauschgebühr gemäß § 51 RVG bewilligt worden ist, nicht auch noch eine Pauschgebühr gemäß § 42 RVG zugesprochen werden kann. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall. Ferner ist ein Antrag auf Feststellung einer Pauschgebühr gemäß § 42 RVG unzulässig, wenn über einen Antrag auf Festsetzung der Wahlverteidigergebühren abschließend entschieden ist (Thüringer OLG Rpfleger 2008, 98 und 2011, 177f.; OLG Celle StraFo 2008, 398; OLG Bamberg DAR 2011, 237). Schließlich besteht nach Ansicht des Senats keine Möglichkeit der Bewilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG, wenn dem Antrag die Bestimmung und antragsgemäße Festsetzung der Wahlverteidigergebühren gemäß §§ 52, 14 RVG vorangegangen ist. Denn wenn der Verteidiger gemäß § 14 RVG nach eigenem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch die für die Bewilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG maßgeblichen Kriterien, Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts, an erster Stelle gehören, die für angemessen erachteten Gebühren verbindlich bestimmt hat, ist kein Raum mehr für die Annahme, diese Gebühren seien für ihn unzumutbar.“

M.E. ist das so nicht zutreffend. Das OLG zieht die Rechtsprechung zu § 42 RVG heran – der Pauschgebühr für den Wahlanwalt. Ich habe dazu schon in meiner Besprechung der Entscheidung im RVGreport Stellung genommen und zitiere das mal einfach:

„..Anders ist die Rechtslage bei § 51 RVG (s. oben 1). Die nach dieser Vorschrift gewährte Pauschgebühr ist nicht eine im Grunde dem Angeklagten zustehende, sondern eine eigenständig dem Pflichtverteidiger zustehende Gebühr, die die Staatskasse grundsätzlich neben den Wahlanwaltsgebühren an den RA/Pflichtverteidiger des frei gesprochenen Angeklagten zu zahlen hat. In dem Zusammenhang spielt dann auch – und das dürfte der Grund für die Entscheidung des OLG Karlsruhe sein – dass das System der Kostenerstattung in § 52 Abs. 1 RVG durch § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG so ausgebildet ist, dass u.a. im Fall des Freispruchs die Staatskasse nicht doppelt in Anspruch genommen wird (vgl. auch dazu Burhoff/Volpert, a.a.O.), nämlich einmal vom ehemaligen Angeklagten über § 52 Abs. 1 RVG und einmal über § 45 RVG vom Pflichtverteidiger wegen seiner gesetzlichen Gebühren. Hier hilft es m.E. aber nicht, wenn das OLG den Pauschgebührantrag von vornherein als unzulässig anzusehen und damit den Pflichtverteidiger – wie hier – teilweise seiner Kosten zu beschneiden. Vielmehr wäre hier der richtige Weg über § 58 Abs. 3 RVG einzuschlagen gewesen, indem nämlich die angemessene Pauschgebühr gewährt worden wäre und im Festsetzungsverfahren darauf dann die ggf. von der Staatskasse gezahlten Gebühren angerechnet worden wären. Der Beschluss des OLG krankt auch ein wenig daran, dass er nicht mitteilt, ob der freigesprochene Angeklagten seinen Kostenerstattungsanspruch an den Pflichtverteidiger abgetreten hatte und ob ggf. von diesem zur Vermeidung einer doppelten Inanspruchnahme der Staatskasse ein Verzicht auf die Pflichtverteidigergebühren verlangt worden ist (vgl. dazu Burhoff/Volpert, § 52 Rn. 28).“§

Daher: Ein Versuch ist ein Pauschgebührantrag wert. Nur ein Versuch macht klug. Kostet ja auch nichts 🙂 .