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StPO II: Vorläufige Sicherstellung eines Mobiltelefons, oder: Unbefugte Nutzung eines Bildes bei TikTok

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Im zweiten „StPO-Posting“ dann eine AG-Entscheidung, und zwar der AG Kiel, Beschl. v. 03.07.2023- 43 Gs 3660/23, der zu den Voraussetzungen einer vorläufigen Sicherstellung eines Mobiltelefons (in der Hauptverhandlung) und zum Anfangsverdacht einer Straftat nach § 201a Abs. 2 StGB Stellung nimmt.

Das AG hat die vorläufige Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschuldigten zum Zwecke der weiteren Durchsicht entsprechend §§ 110 Abs. 3 Satz 2, 94, 98 Abs. 2 StPO aufgehoben:

„Der vom Verteidiger des Beschuldigten unter dem 29.06.2023 Antrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung über die vorläufige Sicherstellung des am 05.06.2023 im Rahmen einer Hauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel sichergestellten Mobiltelefons ist in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Mai 2017 – 2 BvQ 27/17, juris; vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669, 2671; vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410, 1411; vom 29. Januar 2002 – 2 BvR 94/01, NStZ-RR 2002, 144, 145; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 98 Rn. 23; § 110 Rn. 10). Somit ist eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherstellung zur Durchsicht geboten. Eine unmittelbare Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht, da eine Durchsicht im Sinne des § 110 StPO, der auch für elektronische Datenträger und Datenspeicher gilt, noch nicht erfolgt ist und die Mitnahme zur Durchsicht erst der Ermittlung möglicher Beweisgegenstände dient und damit noch keine Beschlagnahme ist (Meyer-Goßner, Kommentar zur Strafprozessordnung, 56. Aufl., § 110 StPO, Rn. 1, 2). Das Erfordernis für eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO ergibt sich aus dem Umstand, dass die vorläufige Sicherstellung zur Durchsicht eine der späteren Beschlagnahme vergleichbare Beschwer entfaltet und der der vorläufigen Sicherstellung Widersprechende daher ein vergleichbares Bedürfnis an einer richterlichen Überprüfung hat (Meyer-Goßner, Kommentar zur Strafprozessordnung, 56. Aufl., § 110, Rn. 10).

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung ist, wie bei der Beschlagnahme, das Vorliegen jedenfalls der Anfangsverdachts einer Straftat und die naheliegende Vermutung, dass sich auf dem Mobiltelefon Daten finden lassen, die für das weitere Verfahren als Beweismittel in Betracht kommen können.

Vorliegend fehlt es indes nach den bisherigen Ermittlungen aus Rechtsgründen am Anfangsverdacht einer durch den Beschuldigten begangenen Straftat.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel geht diese derzeit davon aus, dass der Beschuldigte in einem Livegespräch, welches er mit einem unbekannten vor dem 13.02.2023 über die Plattform „TikTok“ geführt hat, ein Bild des Geschädigten zeigte. Bei dem Bild handelt es sich um eine von dem Geschädigten von sich selbst gefertigte Aufnahme (sog. „Selfie“). Auf diesem Bild ist das Gesicht des Geschädigten mit deutlichen Verletzungen zu sehen. Diese Verletzungen soll der Beschuldigte dem Geschädigten beigefügt haben. In dem Videochat soll sich der Beschuldigte mit der Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten gebrüstet haben. Wie das von dem Geschädigten selbst hergestellte Bild in den Besitz des Beschuldigten gekommen ist, ist bislang nicht ermittelt.

Dieser Sachverhalt rechtfertigt nicht den Anfangsverdacht einer Straftat insbesondere auch nicht einer solchen nach § 201a Abs. 2 StGB. Danach wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

Unabhängig von der Frage, ob vorliegend von einer vorsätzlich unbefugten Nutzung des von dem Geschädigten selbst hergestellten Bildes, das dieser selbst auf bislang unbekannte Weise unbekannten Dritten weitergegeben haben muss, ausgegangen werden kann, woran beispielsweise dann Zweifel bestehen dürften, wenn etwa der Geschädigte selbst das Bild in den sozialen Medien frei zugänglich eingestellt hätte, fehlt es an der Eignung, dem Ansehen des Geschädigten erheblich zu schaden. Denn dazu muss die Bildaufnahme geeignet sein, das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wobei sich die ansehensschädigende Eignung jedenfalls schon nach dem Wortlaut des Absatzes 2 Satz 1 aus der Bildaufnahme selbst und nicht etwa lediglich aus den Umständen des Zugänglichmachens der Aufnahme ergeben muss. Der Umstand, dass sich der Beschuldigte im Zuge des TikTok-Chats damit gebrüstet haben soll, dass er dem Geschädigten die Verletzungen zugefügt hat, sind mithin für die Einordnung des Bildes nach § 201a Abs. 2 StGB unbeachtlich. Darüber hinaus fehlt nach allgemein gesellschaftlicher Bewertung einer Bildaufnahme von Verletzungen, die ein Opfer einer Straftat schuldlos erlitten hat in der Regel die Eignung dazu, das Opfer der Straftat verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass solchen Aufnahmen Bestürzung und ggf, Mitleid auslösen, die indes gerade nicht das Ansehen des Opfers herabsetzen.

Auf die Frage, ob darüber hinaus eine naheliegende Vermutung besteht, das auf dem Mobiltelefon für das vorliegende Verfahren relevante Beweismittel gefunden werden können, kommt es nicht mehr an. Es erscheint aber zweifelhaft, da es aus den dargelegten Gründen auf den Kontext der Bildweitergabe gerade nicht ankommt und der möglicherweise noch vorhandene Chat insoweit nicht relevant ist.“

StPO II: Nochmals – Auswertung von Laptos usw., oder: Gegenvorstellung der StA unzulässig/unbegründet

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Ich hatte heute morgen über den LG Cottbus, Beschl. v. 10.04.2019 – 22 Qs 1/19 – berichtet (vgl. dazu: StPO I: Auswertung von Laptos usw., oder: 14 Monate Dauer sind zu lang).

Dazu kann ich dann noch einen Nachtrag liefern. Der StA hat der Beschluss des LG nicht gefallen und sie hat mit einer „Gegenvorstellung nachgelegt“. Das LG dann aber auch, denn es sagt im LG Cottbus, Beschl. v. 29.05.2019 – 22 Qs 1/19 – : Die Gegenvorstellung ist unzulässig und auch unbegründet:

„1. Die Gegenvorstellung der Staatsanwaltschaft ist bereits unzulässig.

Gegenvorstellungen sind – als Ausfluss des Petitionsrechts (Art. 17 GG) – grundsätzlich statthaft gegen Entscheidungen, die das Gericht selbst wieder aufheben darf. Die auf eine einfache Beschwerde ergangene letztinstanzliche Entscheidung schließt jedoch das Beschwerdeverfahren ab und erwächst in formeller Rechtskraft. Diese Entscheidungen sind grundsätzlich nicht mehr angreifbar, da andernfalls die Rechtskraft durchbrochen wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn mit der Entscheidung grobes prozessuales Unrecht im Sinne von schwerwiegenden Verfahrensfehlern einhergeht, sie eine Grundrechtsverletzung beinhaltet oder auf einem offensichtlichen bzw. ohne weiteres erkennbaren Irrtum beruht (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, Vor § 296 Rn. 24 f.; Allgayer in: Münchner Kommentar zur StPO, 2016, § 296 Rn. 13, beck-online). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor und werden von der Staatsanwaltschaft auch nicht vorgetragen. Die Entscheidung der Kammer enthält weder offensichtliche Unrichtigkeiten noch wird durch diese erkennbar in ein Grundrecht der Beteiligten eingegriffen. Die Staatsanwaltschaft ist schon kein Grundrechtsträger, der Beschuldigte wird durch die Entscheidung der Kammer nicht beschwert. Sie kann mithin keinen neuen Grundrechtseingriff darstellen. Auch ein schwerwiegender Verfahrensfehler, wie beispielsweise die Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nicht ersichtlich.

2. Die Gegenvorstellung wäre im Übrigen auch unbegründet. Die Kammer hat bei Ihrer Verhältnismäßigkeitsabwägung sehr wohl bedacht, dass hier keine freiheitsentziehende Maßnahme zur Überprüfung stand, sondern lediglich eine in das Grundrecht nach Art. 14 GG eingreifende vorläufige, der Durchsicht von Speichermedien dienende Sicherstellung im Rahmen der noch andauernden Durchsuchung. Indes ist zur Überzeugung der Kammer auch solchen Eingriffen eine zeitliche Grenze gesetzt, die zwar nicht demselben (strengen) Maßstab wie bei freiheitsenziehenden Maßnahmen unterliegt, andererseits aber auch nicht allein mangels personeller Ausstattung der Ermittlungsbehörden ins Uferlose ausgedehnt werden kann. Die Kammer ist sich bei der solchermaßen vorzunehmenden Abwägung des mit der Durchsicht von Speichermedien erforderlichen Aufwandes durchaus bewusst gewesen. Dieser hatte hier aber keinen Einfluss auf die Dauer der Durchsicht, denn mit dieser wurde erst nach über 12 Monaten seit der Sicherstellung begonnen. Das mit der Durchsicht befasste Landeskriminalamt hat dies sinngemäß mit seiner Überlastung begründet. So habe sich die Auswertung selbst nach einer Dringlichkeitsverfügung vom 13. Dezember 2018 (11 Monate nach vorläufiger Sicherstellung) zunächst erst noch in die Abarbeitung bereits bestehender dringender Auswerteaufträge eingereiht. Erst im Februar 2019 (nach 13 Monaten) sei der „Vorgang in Bearbeitung“, der im Übrigen augenscheinlich bis heute (nach nunmehr über 16 Monaten) nicht abgeschlossen ist.

Davon ganz abgesehen kann der von der Staatsanwaltschaft nur allgemein – d.h. abstrakt und nicht auf den konkreten Einzelfall bezogen – dargestellte erhöhte Aufwand der Durchsicht und Auswertung von Speichermedien die lange Dauer in dem hier zu entscheidenden konkreten Einzelfall allein nicht rechtfertigen, weil offen bleibt, ob die den Aufwand der Datenauswertung ganz allgemein erhöhenden Gründe hier überhaupt zum Tragen gekommen sind. Vielmehr hätte es hierfür eines konkret auf den zu entscheidenden Einzelfall bezogenen Vortrags bedurft, warum und in welcher Weise sich ein erhöhter Aufwand bei der Durchsicht der Speichermedien ergeben haben soll. In Anbetracht dessen, dass hier mit der Durchsicht nach über einem Jahr überhaupt erst begonnen wurde und die Staatsanwaltschaft auch in ihrer Gegenvorstellung nichts Handgreifliches dafür vorträgt, warum die Durchsicht nach (seit Februar 2019) nunmehr weiteren 4 Monaten noch immer nicht abgeschlossen ist, geht die Kammer nach wie vor davon aus, dass die Ursachen allein in der personellen Unterbesetzung der mit der Auswertung befassten Stellen zu suchen sind. Die Kammer gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass nunmehr bereits mehr als 16 Monate seit der vorläufigen Sicherstellung und mehr als 5 Monate sei Einlegung der Beschwerde verstrichen sind.

Schließlich sind entgegen der Darstellung der Staatsanwaltschaft offenkundig auch nicht die möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen und erschöpft, um diesen Zustand der Überlastung bzw. personellen Unterbesetzung zu beheben. Eine Aufstockung des Personals sowohl in quantitativer als auch qualitativer (Sachverständige) Hinsicht erscheint der Kammer nicht nur möglich und zumutbar, sondern im Hinblick auf den von der Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenvorstellung beschriebenen deutlich zugenommenen und erhöhten Aufwand der Auswertung entsprechender Speichermedien sogar dringend geboten.

Dass entsprechende Maßnahmen – ähnlich wie auch im Bereich der Ausstattung der Gerichte -von den zuständigen Stellen nicht ergriffen werden und dies auch nicht von der Staatsanwaltschaft zu verantworten ist, ändert nichts daran, dass der mit der vorläufigen Sicherstellung verbundene Eingriff in das Eigentumsrecht des Beschuldigten – hier auch unter Berücksichtigung des etwas abgeschwächten Verdachtsgrades sowie des bisher zutage getretenen Ausmaßes der inkriminierten Handlung – nicht mehr verhältnismäßig ist.“