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….eine „Sanktionsschere“ ist [war] bei diesem Verfahrensablauf nicht zu erkennen“…. Stimmt!

In Zusammenhang mit der Absprache-/Verständigungsregelung hat der Begriff der „Sanktionsschere“ in der Diskussion erheblich an Bedeutung zugenommen. Über Sanktionsscheren ist zwar auch schon früher immer wieder berichtet worden und sie waren auch schon Gegenstand der (obergerichtlichen) Rechtsprechung, aber nach Inkrafttreten der Regelung des § 257c StPO stehen sie m.E. noch mehr im Focus. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Gerichte nach § 257c Abs. 3 StPO gehalten sind, beim Zustandekommen einer Verständigung eine Strafunter- und Strafobergrenze anzugeben. Und da gehen die Vorstellungen,w as mindestens an Strafe zu verhängen ist und höchstens verhängt werden sollte, eben schon mal zwischen Gericht und Verteidigung auseinander .

Nun kann man sicherlich in vielen Fällen darüber diskutieren, ob eine Sanktionsschere vorgelegen hat oder nicht((vgl. dazu auch hier). In dem dem BGH, Beschl. v. 07.02.2102 – 5 StR 432/11– zugrundeliegenden Verfahren konnte man es – nach dem mitgeteilten Sachverhalt – m.E. aber nicht. Der BGH führt dazu aus:

„1. Die Verfahrensrügen der Angeklagten H. und W. wegen „Verletzung der §§ 46, 257c, 265 IV StPO, Art. 103 I GG; Art. 6 I EMRK i.V.m. § 337 StPO“ (Rügen Nr. 2) sind schon deshalb unbegründet, weil seitens des Landgerichts – entgegen den Revisionsvorbringen – kein Vorschlag hinsichtlich der Festlegung von Mindeststrafen oder eines Strafrahmens erfolgt ist. Nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden zum Ablauf der Prozessverständigung hat lediglich der Sitzungsstaatsanwalt seine Vorstellungen über die Höhe der möglichen Mindestfreiheitsstrafen in das Gespräch eingeführt. Nachdem die Verteidiger den Vorschlag der Staatsanwaltschaft abgelehnt hatten, hat der Vorsitzende das von der Verteidigung bekundete Interesse an „bewährungsfähigen Strafen“ in Übereinstimmung mit den beteiligten Richtern abschlägig beantwortet. Ein von den Revisionen behauptetes Drohen mit einer „Sanktionsschere“ ist bei diesem Verfahrensablauf nicht zu erkennen.“

Mich wundert, dass der BGH nicht eine stärkere Formulierung gewählt hat, wie z.B. „… Sanktionsschere lag fern...“

Keine Geheimgespräche zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft – Karten müssen auf den Tisch

Folgende Verfahrenskonstellation führt im BGH, Beschl. v. 29.11.2011 – 1 StR 287/11 zu einem „Hinweis“ des BGH für die neue Hauptverhandlung, in der erneut über einen Raubversuch zu verhandeln ist, nachdem der BGH den Freispruch des LG aufgehoben hat:

Der BGH geht von folgenden Ausführungen im LG-Urteil aus:

„Der Verteidiger habe vor Abgabe der Erklärung auf Gespräche mit der Staatsanwaltschaft verwiesen, „in die das Gericht bewusst nicht einbezogen … und über deren Inhalt … Stillschweigen vereinbart worden sei“. Der Angeklagte wolle bald aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Zumal, da der Staatsanwalt (in der Hauptverhandlung) erklärt habe, nach der bisherigen Beweisauf-nahme komme nur eine Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zu gefährlicher Kör-perverletzung in Betracht, sei, so folgert die Strafkammer, insgesamt eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft „eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt“ habe. Es liege daher nicht fern, dass der Angeklagte, um das Verfahren gegen sich entsprechend zu beenden, wahrheitswidrig die genannten Angaben gemacht habe. „

Hierzu bemerkt der 1. Strafsenat:

„(1) Verständigungen können außerhalb der Hauptverhandlung vorbereitet werden, jedoch ist dann hierüber Transparenz in der Hauptverhandlung herzustellen. Das Transparenzgebot kennzeichnet das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt (vgl. zusammenfassend auch Niemöl-ler/Schlothauer/Weider, Verständigung im Strafverfahren D Rn. 49 ff. mwN, auch aus den Gesetzgebungsmaterialien), wie sich aus einer Reihe von Be-stimmungen über hieraus erwachsende Pflichten des Gerichts ergibt (vgl. § 202a Satz 2 StPO, § 212 StPO, § 243 Abs. 4 StPO, § 257c Abs. 3 StPO, § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO, § 273 Abs. 1a StPO).
Eine spezielle gesetzliche Regelung für nur zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Rahmen des (Zwischen- oder) Hauptverfahrens außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche, die letztlich das Ziel haben, die Hauptverhandlung abzukürzen, gibt es nicht. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung mit anderen Verfahrensbetei-ligten (naheliegend häufig der Verteidigung) geführte Gespräche aktenkundig zu machen (§ 160b Satz 2 StPO), besonders sorgfältig, wenn eine Verständigung i.S.d. § 257c angestrebt wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 160b Rn. 8).
All dies spricht dafür, dass auch derartige Gespräche offen zu legen sind, zumal das Gericht sonst nach solchen Gesprächen abgegebene Erklärungen des Angeklagten nicht auf umfassender Grundlage würdigen könnte. Dies würde im Übrigen in besonderem Maße gelten, wenn solche Gespräche bei einer gegen mehrere Angeklagte geführten Hauptverhandlung nur mit der Verteidigung eines Angeklagten geführt würden, dessen anschließende Aussagen dann die übrigen Angeklagten belasten (vgl. BGHSt 52, 78, 83; 48, 161, 168). „

Also: Karten auf den Tisch.

Nachsatz: Überschrift war zunächst: „…Verteidigung und Angeklagtem“ – was natürlich Quatsch war; das kommt dabei heraus, wenn man so früh postet :-). Ich habe es auf den Hinweis des Kollegen dann jetzt richtig gestellt :-).

Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger…

Ergänzend führt der BGH im BGH, Beschl. v.20.12.2011 – 3 StR 426/11 aus:

„Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger, der Angeklagte könne im Falle einer geständigen Einlassung mit einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung rechnen, hat nicht zu einer Bindung der Strafkammer geführt. Eine solche ergibt sich erst aus einer Verständigung nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO, nicht jedoch aus den verschiedenen, zuvor möglichen Formen der Kommunikation des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten (§§ 202a, 212, 257b StPO).
Auch ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahin, dass von der Einschätzung der Bewährungsfrage nicht abgewichen wird, solange kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – 3 StR 39/11, NJW 2011, 3463), konnte durch dieses erkennbar im Rahmen der Terminsvorbereitung geführte Telefonat nicht entstehen.“

Man fragt sich natürlich: Warum wird dann angerufen und was soll ein solcher Hinweis?

Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch beim „Deal“?

Nach der Neuregelung der Absprachepraxis in § 257c StPO wird unterschieden zwischen der Verständigung i.S. der StPO und dem sog. (unzulässigen) Deal. Unter ersterem versteht man eine Verständigung i.S. der StPO, bei der die gesetzlichen Vorgaben und Regeln eingehalten worden sind, unter letzterem eine Verständigung, die den gesetzlichen Vorgaben nicht entspricht. Fraglich und umstritten ist, ob auf den Deal auch die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO  Anwendung findet. Mit der Frage setzt sich der OLG Celle, Beschl. v. 27.19.2011 –1 Ws 381/11 – auseinander. Die Ausführungen des OLG sind zwar „nicht tragend“, lassen aber die Auffassung des Senats deutlich erkennen:

Inwieweit die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Verständigungen „praeter legem“ Anwendung findet, ist umstritten und derzeit obergerichtlich nicht entschieden (ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschl. v. 27. Oktober 2010, 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473). Für zulässig erachtet hat der BGH die Rücknahme einer Revision, die am Tage der Verkündung gegen ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil eingelegt wurde, binnen einer Stunde nach deren Einlegung (Beschl. vom 14. April 2010, 1 StR 64/10, BGHSt 55, 82). In den Entscheidungsgründen wird allerdings ausdrücklich betont, dass dies keine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften sei, weil für den Angeklagten bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Rechtsmittels eine andere Entscheidungssituation gegeben sei als bei einer in der Hauptverhandlung u.U. vorschnell abgegebenen Verzichtserklärung.

Vereinzelt wird vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nur auf die Fälle einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO bzw. solche Verständigungen, die zumindest die „Essentialia“ der Verständigungsordnung wahren, beschränkt sei, um die Rechtsunsicherheit nicht unnötig zu beeinträchtigen. So seien schon zuvor Verständigungen, die nicht gesetzlichen bzw. höchstrichterlichen Anforderungen genügten, für insgesamt unbeachtlich gehalten worden (Bittmann, wistra 2009, 414; ders. NStZ-RR 2011, 102ff.).

Diese Rechtsauffassung ist jedoch nur schwer mit der Entstehungsgeschichte der Norm des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO in Einklang zu bringen. Noch vor der gesetzlichen Regelung hatte der Große Senat für Strafsachen beim BGH am 3. März 2005 (BGHSt 50, 40) entschieden, dass ein Rechtsmittelverzicht nach unzulässigen Urteilsabsprachen, die eben einen solchen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand haben, unwirksam ist, wenn der Angeklagte zuvor nicht qualifiziert belehrt wurde. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren diese qualifizierte Belehrung nach der Vorgabe des BGH als ausreichend erachtet wurde (Regierungsentwurf, BT-Drs 16/12310; Bundesratsentwurf, BT-Drs 16/4197), entschied sich der Gesetzgeber letztlich auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs 16/13095) für die gänzliche Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in der Form des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO. Zweck dieser Regelung war eine Ausdehnung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auf alle Urteile, denen eine Verständigung vorausging, nicht hingegen eine Einschränkung gegenüber der früheren Rechtsprechung.

Deswegen wird mit guter Begründung vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO erst Recht auf solche Absprachen bzw. Verständigungen Anwendung finden muss, die den gesetzlichen Vorgaben des § 257c StPO nicht entsprechen und die es in dieser Form eigentlich gar nicht geben dürfte (so Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S. C 55f; Jahn/Müller, NJW 2009, 2625, 2630 m.w.N.)

Mich überzeugt es. Mal sehen, was andere Revisionsgerichte mit der Frage machen.

Welchen Sinn hat eine Erörterung im Strafverfahren?

Allmählich bekommen die Regelungen zur Verständigung (§ 257c StPO) aber auch die sie begleitenden Vorschriften, wie z.B. die §§ 160b, 202a, 212 oder § 243 Abs. 4 StPO Konturen durch die Rechtsprechung. So gerade mal wieder § 243 Abs. 4 StPO.

Das OLG Celle, Beschl. v.30.08.2011 – 32 Ss 87/11 setzt sich mit dem Sinn und Zweck der dort normierten Mitteilungspflicht auseinander und der Frage: was passiert, wenn die Pflicht nicht erfüllt worden ist. Das OLG sagt, dazu:

  1. Der Zweck der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO besteht in der Sicherung der Transparenz des Verständigungsverfahrens und der Gewährleistung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Die Pflicht bezweckt nicht die Unterrichtung des Angeklagten über das Bestehen der gesetzlichen Möglicheit der Verfahrensverständigung als solche.
  2. Die Verletzung der Pflicht aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO begründet keinen absoluten, sondern lediglich einen relativen Revisionsgrund.
  3. Der Angeklagte hat kein subjektives Recht auf Information über die gesetzliche Möglichkeit der Urteilsabsprache. Ein nicht auf eine Verständigung (§ 257 c StPO) zurückgehendes Urteil kann nicht darauf beruhen, dass der Angeklagte durch den Vorsitzenden über diese Möglichkeit nicht unterrichtet worden ist.“

Ähnlich vor kurzem ja auch schon der BGH.