Schlagwort-Archive: Verständigung

Vorsicht bei der Absprache – es gibt kein instanzübergreifendes Verwertungsverbot

Bei der Absprache/Verständigung ist im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten, die dieser im Rahmen seines Geständnisses macht, besondere Vorsicht geboten, wenn es um die Frage geht, ob diese ggf. in späteren Verfahrensabschnitten gegen ihn verwendet werden können. Also z.B., wenn der Angeklagte gegen ein ihn verurteilendes Urteil Berufung einlegt. Greift dann § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO?

Das OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.02.2012 – 1 St OLG Ss 292/11 sagt: Nein. Es gibt kein  instanzübergreifendes und vom Loslösungstatbestand unabhängiges allgemeines Beweisverwertungsverbot. § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO erfasst nur die in Satz 1 und 2 der Vorschrift geregelten Fälle.  Das Geständnis kann also verwertet werden.

Lesenswert der Beschluss, auch wegen der revisionsrechtlichen Fragen.

Und schon wieder: Fernwirkung der Absprache

Nachdem der BGH in der ersten Zeit nach Inkrafttreten der Verständigungsregelung im August 2009 den neuen Vorschriften eine Kontur gegeben hat, beschäftigt er sich derzeit in verstärktem Maße mit den Fernwirkungen der Absprache/Verständigung (vgl. z.B. auch hier). Dabei geht es meist um die Konstellation, dass von mehreren an einer Tat beteiligten Tätern einer oder einige einer Verständigung zugestimmt haben, andere jedoch nicht. Gegenüber letzteren werden dann die Angaben derjenigen verwendet, mit denen eine Verständigung zustande gekommen ist. So auch in BGH, Beschl. v. 06.03.2102 -1 StR 17/12. Dann ist immer auf die Beweiswürdigung zu achten:

„Die Revision trägt in diesem Zusammenhang zutreffend vor, dass sich im Verlauf der Hauptverhandlung beide Angeklagte S. nach entsprechenden Gesprächen mit einem vom Gericht für den Fall von Geständnissen genannten Strafrahmen einverstanden erklärten (§ 257c StPO) und noch vor der Abtrennung des Verfahrens gegen K. S. Erklärungen zur Sache abgaben. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten demgegenüber eine Verständigung abgelehnt.
c) Es ist jedenfalls in der Regel geboten, in die Würdigung einer entscheidungserheblichen Aussage eines Tatbeteiligten eine vorangegangene oder im Raum stehende Verständigung in dem gegen ihn wegen desselben Tatkomplexes durchgeführten Verfahren – gleichgültig, ob es Teil des Verfah-rens gegen den Angeklagten oder formal eigenständig ist – erkennbar einzube-ziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 StR 349/11; Beschluss vom 9. Februar 2012 – 1 StR 438/11; Beschluss vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 f. mwN) und nachvollziehbar zu behandeln, ob der Tatbeteiligte im Blick auf die ihn betreffende Verständigung irrig glauben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn besser als eine wahre Aussage zu dessen Gunsten (BGH aaO). Gründe des Einzelfalls, die derartige Erörterungen hier gleichwohl entbehrlich erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.“

„Fernwirkung“ einer „informellen Absprache“?

Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der auf der Homepage des BGH nicht eine Entscheidung veröffentlicht wird, die sich mit der Verständigung/Absprache befasst. Das zeigt, welche praktische Bedeutung die (Neu)Regelung hat. Zu diesem Kreis gehört auch der BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 1 StR 349/11, der die Auswirkungen einer sog. „informellen Absprache“ mit einem Belastungszeugen behandelt. Das LG hatte den Angeklagten als Mitglied einer Bande wegen Diebstahls verurteilt und die Verurteilung auch auf Aussagen von Bandenmitglieder gestützt, die in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig verurteilt worden waren. Dort war es zu informellen Absprachen gekommen. Der Angeklagte hatte geltend gemacht, dass die Aussagen aus dem anderen Verfahren nicht verwertbar waren und das Urteil aus dem anderen Verfahren nicht hätte verlesen werden dürfen. Der BGH hat beides als zulässig angesehen.

Genauer Hinsehen/Prüfen – so das BVerfG zur Prüfungspflicht beim „behaupteten Deal“…

Ds BVerfG meldet sich gerade mit seiner PM Nr. 19/2012 zum BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 – 2 BvR 1464/11, mit dem eine Entscheidung des OLG Dresden betreffend die Prüfung des Zustandeskommens eines „Deals“ im Strafverfahren durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben worden ist.

Hier dann zunächst mal nur der Text der PM – die Entscheidung muss man sich dann mal in Ruhe durchlesen:

„Der Beschwerdeführer wurde auf der Grundlage seines Geständnisses vom Amtsgericht wegen diverser Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer auf Rechtsmittel. Der Beschwerdeführer legte später Berufung gegen das Urteil ein und machte die Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts geltend, weil die Verurteilung auf einer Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten beruhe. Weder Hauptverhandlungsprotokoll noch Urteil enthalten einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache oder die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei. Im Protokoll ist lediglich vermerkt, dass die Hauptverhandlung vor der Einlassung des Beschwerdeführers für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen wurde, dessen Inhalt und Verlauf von den Verfahrensbeteiligten jedoch unterschiedlich geschildert wird. Während nach der schriftlichen Erklärung der Verteidigerin des Beschwerdeführers im Ergebnis eine Verständigung auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten bei gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls getroffen worden sei, erklärte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der von ihr eingeholten dienstlichen Stellungnahme, es habe kein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß gegeben; ihr sei es vor allem um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen, während der Beschwerdeführer in erster Linie eine Aufhebung des Haftbefehls habe erreichen wollen. Dem Vorsitzenden des Schöffengerichts war nach seiner dienstlichen Erklärung der Vorgang nicht mehr genau erinnerlich.

Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig, weil es das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam hielt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll die von § 273 Abs. 1a StPO geforderten Angaben nicht enthalte, sei seine Beweiskraft entfallen. Im Freibeweisverfahren habe der Beschwerdeführer aufgrund der sich widersprechenden Erklärungen der Verteidigerin und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Nachweis einer Verständigung nicht zur Überzeugung des Senats führen können.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil er den Beschwerdeführer in seinem Prozessgrundrecht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts weicht in einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Weise von den Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab. Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte es schon im Hinblick auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bedurft, die einerseits primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt haben will, andererseits aber in der Hauptverhandlung selbst die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, da nach der widerspruchsfreien Erklärung der Verteidigerin die Gespräche im Sitzungssaal fortgesetzt worden sein sollen.

Darüber hinaus hätten verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers gewertet werden dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts auf einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht beruht.“

Liest sich aber hier schon „unschön“:

„…auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft…“

Karten auf den Tisch – wie geht man mit einer Absprache in einem anderen Verfahren um?

 Die Umsetzung der (neuen) Vorschriften zur Verständigungsregelung (§§ 257c, 160, 202, 212 StPO) ist noch voll im Gang. Das zeigt deutlich dir doch verhältnismäßig große Zahl von Entscheidungen zu dem Bereich. Dazu gehört auch der BGH, Beschl. v. 09.02.2012 – 1 StR 4398/11, der sich – noch einmal – mit der Frage der Befangenheit des Gerichts in Zusammenhang mit Verständigungsgesprächen, die mit anderen Verfahrensbeteiligten äußert, und zwar wie folgt:

„Die Grundsätze der genannten Rechtsprechung zur Offenlegung von Verständigungsgesprächen sind auf Fälle der vorliegenden Art nur übertragbar, soweit es um die Sicherung bestmöglicher Wahrheitsfindung geht. Sie können nicht in gleicher Weise gelten, soweit es, unabhängig von der Wahrheitsfindung, um die Vermeidung des Anscheins geht, der Richter sei nicht gegenüber allen Angeklagten gleich unvoreingenommen und unparteiisch.

(1) Bei einer Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte können im Grundsatz Verständigungsgespräche mit allen Angeklagten (bzw. deren Verteidigern) zugleich durchgeführt werden. Werden sie nicht mit allen Angeklagten geführt, besteht Anlass, dem genannten Anschein gegenüber den nicht an den Gesprächen beteiligten Angeklagten durch alsbaldige Offenlegung der Gespräche in der Hauptverhandlung entgegenzuwirken. Gleichzeitige Gespräche mit den Angeklagten einer laufenden Hauptverhandlung und Angeklagten einer künftigen oder auch parallelen Hauptverhandlung sind dagegen schon wegen des nicht gleichen Verfahrensstandes und des damit naheliegend verbundenen nicht gleichen Kenntnisstandes der Beteiligten kaum sinnvoll. Ein einheitlicher Kenntnisstand fehlt auch in Fällen, bei denen dieselben (Berufs-)Richter mitwirken, jedenfalls den in die Gespräche ebenfalls einzubeziehenden Schöffen, die bei noch nicht terminierten Sachen sogar noch nicht einmal feststehen. Daher kann ein „verständiger“, zumal anwaltlich beratener Angeklagter eines anderen Verfahrens, anders als möglicherweise ein Mitangeklagter desselben Verfahrens, allein daraus, dass solche Gespräche ohne ihn stattgefunden haben, nicht die Besorgnis ableiten, der Richter sei ihm gegenüber in irgend einer Weise voreingenommen.

 (2)Dies ändert nichts an der Notwendigkeit, auch in solchen Fällen in die Würdigung einer entscheidungserheblichen (Zeugen-)Aussage eines Tatbeteiligten eine vorangegangene Verständigung in dem gegen ihn wegen derselben Tat durchgeführten Verfahren einzubeziehen (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11 Rn. 14 mwN). Dies beruht nicht auf der Sorge, er könne dabei in irgendeiner Weise zu künftiger Falschbelastung anderer Tatverdächtiger aufgefordert worden sein. Es geht vielmehr um etwaige Anhaltspunkte dafür, ob er im Blick auf eine vorangegangene oder im Raum stehende Verständigung in seinem Verfahren irrig glauben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn besser als eine wahre Aussage zu dessen Gunsten.

Da die Möglichkeit eines solchen Irrtums nicht davon abhängt, ob die Verfahren gegen ihn und den jetzigen Angeklagten verbunden sind oder waren oder getrennt wurden, ist eine gebotene Würdigung von Verständigungsgesprächen mit dem Zeugen von derartigen Fragen unabhängig. Was zu würdigen ist, ist auch in die Hauptverhandlung einzuführen. Geht es um Verständigungsgespräche in einer anderen, sei es auch unter Mitwirkung derselben Richter durchgeführten Hauptverhandlung, kann dies nicht in Anwendung von § 243 Abs. 4 StPO geschehen. Soweit es um die Klärung etwaiger Fehlvorstellungen des Zeugen geht, wird dies vielmehr sinnvollerweise vor allem durch dessen Befragung geschehen. Ohne dass es hier darauf ankäme, könnte es dabei zweckmäßig sein, ihm Vorhalte aus dem einschlägigen Teil der Niederschrift der gegen ihn geführten Hauptverhandlung (§ 273 Abs. 1a StPO) zu machen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07 Rn. 14, StV 2008, 60, insoweit in BGHSt 52, 78, 81 nicht abgedruckt), sodass es die Vorbereitung der Vernehmung fördern könnte, wenn das Gericht den Verfahrensbeteiligten schon vorab entsprechende Ablichtungen überlässt.“

Also: Die Karten müssen auf den Tisch, aber aus einem anderen Verfahren und dort geführten Gesprächen lässt sich nur schwer Honig für das eigene Verfahren sauegn….