Und heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar dreimal vom BGH.
Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 – zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die erschlichene Beschäftigung als Arzt einen Vermögenschaden i.S. Sinn des § 263 StGB darstellen kann.
Das LG hat den Angeklagten u.a. (nur) wegen Urkundenfälschung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG, hatte sich der Angeklagte, der nie Medizin studiert hat, erfolgreich auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes beworben, wobei er eine gefälschte Studienbescheinigung vorlegte. Der DRK-Kreisverband schloss mit der Stadt später einen zuvor von dem Angeklagten auf Seiten des DRK ausgehandelten Vertrag über die Durchführung von COVID-19-Tests, zur Bereitstellung von zwei Personen (Arzt/Ärztin und geeignetes medizinisches Fachpersonal), zur Einsatzplanung und Durchführung der Testungen usw. Für die dadurch entstehenden Personal- und Materialkosten zahlte die Stadt dem DRK eine pauschale Vergütung von zuletzt 210 EUR pro Stunde. Zur Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen beauftragte das DRK den Angeklagten. Der Angeklagte organisierte in der Folgezeit die Durchführung der Testungen und verpflichtete die hierzu erforderlichen Mitarbeiter. Nur in Einzelfällen nahm der Angeklagte auch selbst Abstriche vor. Seine gleichwohl als „Arztleistungen“ bezeichneten Aufwände rechnete der Angeklagte gegenüber dem DRK-Kreisverband ab, der insgesamt mindestens 500.000 EUR an den Angeklagten überwies. Später wurde eine weitere Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen. Danach verpflichtete sich das DRK, der Stadt einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt, dem DRK für die Gestellung des Arztes eine monatliche Pauschale von 6.300 EUR zu zahlen, die neben die bisherigen Zahlungen treten sollte. Als Arzt wurde der Angeklagte eingesetzt.
Die StA hat Revision eingelegt, mit der sie die nicht erfolgte Verurteilung wegen Betruges gerügt hat. Die Revision war erfolgreich:
„Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, weil es am Eintritt eines Vermögensschadens fehle, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 ? 4 StR 396/21, wistra 2022, 471; Beschluss vom 29. Januar 2013 – 2 StR 422/12, NStZ 2013, 711, 712; Beschluss vom 23. Februar 1982 – 5 StR 685/81, BGHSt 30, 388, 389; Beschluss vom 18. Juli 1961 – 1 StR 606/60, BGHSt 16, 220, 222; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 263 Rn. 111 mwN). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – 3 StR 221/18, NStZ 2020, 291, 293 Rn. 29; Urteil vom 12. März 1996 ? 1 StR 702/95, BGHSt 45, 1, 13; Urteil vom 4. Mai 1962 – 4 StR 71/62, BGHSt 17, 254, 255).
b) Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Wertung, es sei weder dem von dem Angeklagten über seine Arzteigenschaft getäuschten DRK, noch der insoweit durch den Angeklagten getäuschten Stadt H. ein Vermögensschaden entstanden, auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht nachvollziehbar; dies gilt jedenfalls, soweit es die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 betrifft.
aa) Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt H. ausdrücklich dazu, ihr einen Arzt zu stellen, ohne entsprechend objektiv leistungsfähig zu sein, weil der dafür vorgesehene Angeklagte kein Arzt war. Als Gegenleistung sollte ein Betrag in Höhe von monatlich 6.300 € entrichtet werden. In Umsetzung dieser Vereinbarung verpflichtete sich der Angeklagte gegenüber dem DRK, als Arzt bei der Stadt H. tätig zu werden, ohne über die hierzu erforderliche und – soweit ersichtlich – vertraglich geschuldete berufliche Qualifikation zu verfügen. Bei dieser Sachlage liegt die Annahme eines Negativsaldos sowohl zum Nachteil des DRK wie auch der Stadt H. nahe. Abweichendes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine bestimmte Eingrenzung der auf dieser Vertragsgrundlage geschuldeten Tätigkeiten ist den Urteilsfeststellungen, die den Vereinbarungsinhalt nur auszugsweise wiedergeben, nicht zu entnehmen. Vielmehr deutet der in den Urteilsgründen wiedergegebene Vereinbarungstext darauf hin, dass das vom Angeklagten zu erfüllende Leistungsspektrum offen gestaltet war und daher auch Tätigkeiten erfasste, die nur von einem Arzt ausgeübt werden konnten. Zweck der Vereinbarung war es aus Sicht der Stadt H. , durch die Mitarbeit des Angeklagten die (einzige) Ärztin des Gesundheitsamtes im Bereich des Infektionsschutzes zu entlasten. Die dem DRK von der Stadt H. zugesagte Vergütung orientierte sich dabei ausdrücklich an den für die Anstellung eines Arztes anfallenden Kosten. Dafür, dass vom Vertragsinhalt wenigstens auch ärztliche Leistungen erfasst waren, spricht zudem die von der Strafkammer festgestellte Vertragspraxis, soweit sie zwischen den Parteien in Vollzug der Vereinbarung vom 30. September 2020 „gelebt“ wurde. Danach erbrachte der Angeklagte jedenfalls auf einem Teilgebiet auch Leistungen, die einem Arzt vorbehalten waren, nämlich die von ihm verfasste fachärztliche Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin. Soweit das Landgericht dieser Tätigkeit jeden Indizwert für die vertraglich geschuldeten Leistungen abspricht, ist dies nicht nachvollziehbar.
Gleiches gilt für die tatgerichtliche Feststellung, allen Beteiligten sei bei Abschluss der Ergänzungsvereinbarung „klar“ gewesen, dass der Angeklagte von der Stadt „weiterhin ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung und nicht für medizinische Leistungen“ habe eingesetzt werden sollen. Insoweit kann nicht nachvollzogen werden, dass und auf welche Weise diese – in einem auf die Gestellung eines Arztes gerichteten Vertrag objektiv nicht naheliegende – Beschränkung auf nicht medizinische Leistungen Eingang in die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 gefunden haben könnte. Die Annahme, dass der Angeklagte allein das bisher von ihm erbrachte Leistungsspektrum fortführen sollte, stünde im Übrigen in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass diese Ergänzungsvereinbarung vor dem Hintergrund eines bei der Stadt bestehenden Bedarfs an zusätzlichem medizinischen Sachverstand geschlossen wurde und noch während der Laufzeit der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem DRK und der Stadt vom 14. Juli 2020 wirksam werden sollte.
bb) Darauf, ob bei der tatsächlichen Ausführung der Verträge von dem Angeklagten auch auf der Grundlage der Ergänzungsvereinbarung ab dem 1. Oktober 2020 weiterhin nur solche Leistungen abgefordert worden sein mögen, für die es keiner Approbation als Arzt bedurfte, kommt es für die Frage des Eingehungsbetruges nicht an. Ebenfalls rechtlich ohne Belang ist eine etwaige Anfechtbarkeit der zwischen dem DRK und der Stadt H. abgeschlossenen, zuvor durch den Angeklagten ausgehandelten Ergänzungsvereinbarung nach § 123 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 160; Beschluss vom 16. Juli 1970 – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300, 302 mwN). Denn die Anfechtungsmöglichkeit setzte die Kenntnis von der fehlenden Approbation des Angeklagten voraus. Diese Kenntnis sollte sowohl der Stadt H. als auch dem DRK gerade verborgen bleiben und die Feststellungen legen ? obschon sie sich nicht dazu verhalten, ob die Vergütungen im Voraus oder erst am Monatsende zu zahlen waren ? nahe, dass bei Vertragsschluss jedenfalls ungewiss war, ob die getäuschten Vergütungspflichtigen (DRK und Stadt) sie vor Erbringung ihrer Gegenleistungen erlangen würden.
cc) Schließlich kann den Urteilsgründen – auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs – kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Angeklagte eine vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht hätte, die die nach den Urteilsfeststellungen zusätzlich, neben der Vergütung der für den Aufbau und Durchführung des Testzentrums sowie der Durchführung der Corona-Tests geschuldete Pauschale von 6.300 bzw. 6.000 € gerechtfertigt hätte. Vielmehr führte der Angeklagte „weiterhin“ die bereits zuvor von ihm erbrachten Tätigkeiten (Testabstriche, Organisation und Vornahme von Reihentestungen, Kontaktnachverfolgung) aus.
dd) Die tatgerichtliche Annahme, dass auch nach Abschluss der Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 ein Vermögensschaden weder beim DRK noch bei der Stadt H. eingetreten ist, liegt danach fern und hätte einer ins Einzelnen gehenden Erörterung bedurft, an der es fehlt. Angesichts der insgesamt unzureichenden Feststellungen zu den Vertragsgestaltungen im Einzelnen sowie der lückenhaften Beweiserwägungen zu dem ? objektiven ? Wert der vom Angeklagten erbrachten Leistungen vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“