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Strafzumessung: Bei der Vergewaltigung ist eine längere intime Beziehung kein Strafmilderungsgrund

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Das BGH, Urt. v. 20.04.2016 – 5 StR 37/16 – befasst sich mit der Strafzumessung bei einer Vergewaltigung. Der BGH hat auf die Revision der StA den Strafausspruch aufgehoben. Begründung:

„2. Das Landgericht hat die für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Die Tat weiche in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt wesentlich vom Regeltatbild des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB „nach unten ab“. Der Angeklagte und die Nebenklägerin hätten seit längerem eine intime Beziehung geführt. Vor der Tat sei es vier- bis fünfmal zum Analverkehr gekommen. Zwar habe die Nebenklägerin dabei jeweils zum Ausdruck gebracht, dass sie den Analverkehr nicht wolle, diese Sexualpraktik aber dann doch über sich ergehen lassen. Wegen dieses Verhaltens sei die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt worden, „noch einen Schritt weiter zu gehen“ und den Analverkehr nicht nur gegen den verbalen, sondern auch gegen den körperlichen Widerstand der Nebenklägerin durchzusetzen.

3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Nichtanwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB trotz Erfüllung eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB begegnet nur dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe hierfür streiten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 1998 – 1 StR 116/98, NStZ-RR 1998, 299; Urteil vom 25. Februar 2009 – 2 StR 554/08, NStZ-RR 2009, 203). Dies hat das Landgericht verkannt, indem es der durch die Verwirklichung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB begründeten Regelwirkung lediglich die Erwägung zu einer womöglich verminderten „Hemmschwelle“ des Angeklagten gegenübergestellt hat. Es bestehen schon Bedenken, ob dieser Gesichtspunkt für sich genommen eine ausschlaggebende Entlastung des Angeklagten begründen könnte. Das bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Tat ausweislich der Äußerung des Angeklagten, die Nebenklägerin „verdiene“ die Vergewaltigung, Bestrafungscharakter aufweist. Bereits dies schließt es aus, früher gepflogene, von der Nebenklägerin überdies stets abgelehnte Sexualpraktiken strafmildernd in Ansatz zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 3 StR 242/07, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 19). Darüber hinaus hat das Landgericht die weiteren den Angeklagten schwer belastenden Umstände (gewichtige Gewaltausübung, besondere Demütigung der Nebenklägerin, Durchführung des Analverkehrs bis zum Samenerguss, Traumatisierung der Nebenklägerin) nicht wie geboten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt.“

Aussage-gegen-Aussage bei der Vergewaltigung: Einmal glauben, einmal nicht, geht nicht

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Die Beweiswürdigung in der sog. Aussage-gegen-Aussage-Konstelaation ist nicht einfach. Es finden sich dazu in der Rechtsprechung des BGH eine Menge Entscheidungen, in denen der BGH die landgerichtliche Beweiswürdigung als feherhaft rügt. So auch im BGH, Beschl. v. 28.07.2015 4 StR 132/15. Das LG hatte den Angeklagten wegen einer im Oktober 2011 begangenen Vergewaltigung und vorsätzlichen Körperverletzung verurteilt. Der Angeklagte hatte die Vorwürfe bestritten. Ihre Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen hat die Strafkammer auf die Angaben der Geschädigten, die sie als glaubhaft bewertet hat, gestützt. Im Verlauf ihrer Vernehmungen hat sie von weiteren Vergewaltigungen berichte. Bei den Erwägungen zur Strafrahmenwahl ist die Strafkammer, die das Verfahren hinsichtlich des Anklagevorwurfs einer weiteren im November oder Dezember 2011 begangenen Vergewaltigung in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat, davon aus gegangen, dass sexuelle Übergriffe des Angeklagten auf dieGe-schädigte über die ausgeurteilte Tat hinaus zwar möglich aber nicht sicher feststellbar seien. Nach Auffassung des LG spricht der Umstand, dass die Geschädigte abweichend von den Feststellungen von weiteren Vergewaltigungen berichtet habe, deren Anzahl zwischen drei und vier geschwankt habe, „nicht gegen die Glaubhaftigkeit der ersten geschilderten und festgestellten Vergewaltigung im Oktober 2011“. Dazu der BGH:

„Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Erwägungen der Strafkammer eine nachvollziehbare Begründung für die unterschiedliche Bewertung der Verlässlichkeit der Angaben der Geschädigten zu der Tat im Oktober 2011 einerseits und den weiteren Vergewaltigungsvorwürfen andererseits vermissen lassen.

In einer Konstellation, in welcher – wie hier – „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen, muss sich der Tatrichter bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR 427/14, NStZ-RR 2015, 86; Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119). Glaubt das Gericht einen Teil der Aussage des Belastungszeugen, obwohl es ihm in anderen Teilen nicht folgt, bedarf dies regelmäßig einer besonderen Begründung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2013 – 1 StR 206/13 Rn. 19; Urteil vom 20. Februar 2014 – 3 StR 289/13 Rn. 14, insoweit in NStZ 2014, 600 nicht abgedruckt; Beschluss vom 24. Juni 2003 – 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332 f.).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Während die Strafkammer die Bekundungen der Geschädigten zu den weiteren Vergewaltigungen für den sicheren Nachweis entsprechender Übergriffe des Angeklagten auf die Geschädigte nicht als ausreichend erachtet hat, hält sie die Angaben der Geschädigten zu der abgeurteilten Tat im Oktober 2011 für uneingeschränkt glaubhaft. Diese differenzierende Bewertung der Glaubhaftigkeit einzelner Aussageteile hätte einer näheren Begründung bedurft, die das angefochtene Urteil in Gänze vermissen lässt. In diesem Zusammenhang wäre das Landgericht gehalten gewesen, auch die Angaben, welche die Geschädigte in ihren polizeilichen Vernehmungen am 1. und 14. März 2012 sowie in der Hauptverhandlung zu den weiteren Vergewaltigungen durch den Angeklagten gemacht hat, inhaltlich mitzuteilen und auf dieser Grundlage nachvollziehbar darzutun, aus welchen Erwägungen es die Schilderung der Tat im Oktober 2011 – abweichend von der Bewertung der die weiteren Vergewaltigungsvor-würfe betreffenden Aussageteile – als tragfähige Grundlage für eine sichere tatgerichtliche Feststellung des Tatgeschehens angesehen hat.“

„Vergewaltigung“ setzt u.a. „Gewalt“ voraus

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Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung i.S. von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert die Feststellung der Anwendung von „Gewalt“. Und die Feststellung hat der BGH im BGH, Beschl. v. 30.09.2015 – 5 StR 199/15 – vermisst. Das LG hatte wegen Vergewaltigung veurteilt. Dazu hatte es folgende Feststellungen getroffen: „Nach den Feststellungen übernachtete der damals 14- bis 15-jährige Geschädigte zwischen Juli 2001 und Frühjahr 2002 in der Wohnung des Angeklagten. Dieser „erzwang“ den vollendeten Oralverkehr, „indem er sich auf den Jungen setzte, mit der Hand seinen Mund öffnete und sein Glied einführte. Der Angeklagte kam zum Samenerguss im Mund des Jungen, der das Ejakulat schlucken musste“ (UA S. 5).“

Diese Sachdarstellung belegt nach Auufassung des BGH

„…..nicht, dass der Angeklagte den Geschädigten zur Duldung des Oralverkehrs im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Gewalt genötigt hat. Ob das Setzen des Angeklagten auf das Tatopfer und das Öffnen dessen Mundes zur Überwindung erwarteten Widerstandes erfolgten, ist nicht ausdrücklich festgestellt. Gleiches gilt für einen körperlich oder verbal geäußerten entgegenstehenden Willen des Geschädigten. Dies versteht sich hier angesichts des Alters des Geschädigten und des Umstands, dass der Angeklagte schon zuvor über einen längeren Zeitraum – ohne Einsatz von Gewalt – sexuelle Handlungen an diesem vorgenommen haben soll, nicht von selbst.“

Na ja, kann man m.E. auch anders sehen….

Der Diebstahl nach einer Vergewaltigung ist kein Raub…

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„Der Diebstahl nach einer Vergewaltigung ist kein Raub…“. Das ist die Kern- bzw. die auf den Punkt gebrachte Aussage des BGH, Beschl. v. 28.07.2015 – 2 StR 109/15. Das LG hatte den Angeklagten wegen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub und Körperverletzung zu  verurteilt. Grundlage war ein Tatgeschehen, bei dem der Angeklagte mit der Nebenklägerin gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen hatte. Anschließend entwendete der Angeklagte u.a. das Mobiltelefon der Nebenklägerin. Das LG ist davon ausgegangen, dass die Tat eine Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sei. Die Wegnahme des Mobiltelefons und des Tablets hat es als einen tateinheitlich begangenen Raub gewertet.

Der BGH hebt auf:

„Der Raubtatbestand erfordert eine finale Verknüpfung zwischen dem Nötigungsmittel und der Wegnahme fremder Sachen. Daher genügt es nicht, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels nicht zum Zweck der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss, dem Opfer eine Handlung abzunötigen, erst nach der Gewaltanwendung fasst. Zwar kann ein Raub auch vorliegen, wenn die Gewaltanwendung zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Wegnahme als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkt, der Täter diese Situation erkennt und bewusst zum Zweck der Wegnahme ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124; Urteil vom 27. Mai 1982 – 4 StR 181/82, NStZ 1982, 380, 381). Jedoch ist eine solche konkludente Drohung den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.“

2. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung aussagekräftige Beweise für die Annahme eines Raubs gefunden werden können. Er ändert deshalb den Schuldspruch dahin ab, dass hinsichtlich der Wegnahme von Sachen der Nebenklägerin durch den Angeklagten nur Diebstahl vorliegt. Dieser bildet gegenüber der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung eine rechtlich selbständige Handlung, weil er auf einem neuen Tatentschluss beruht und – anders als der vom Landgericht aufgrund derselben qualifizierten Nötigungshandlung angenommene Raub – im objektiven Tatgeschehen nicht mit der vorangegangenen Tat verknüpft ist. Besondere Umstände, aus denen sich eine natürliche Handlungseinheit ergeben könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.“

Strafzumessung: Milderungsgründe bei der ehelichen Vergewaltigung

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Ich habe länger kein Posting mehr zur Strafzumessung gebracht – die Schluss Redaktion am neuen Handbuch, Nachsorge, war dann doch aufwendiger als erwartet – aber heute kann ich dann ein Beispiel aus meinem Blog-Ordner, das schon etwas älter ist, bringen. Es geht um die Strafzumessung bei der ehelichen Vergewaltigung.

Das LG hatte den angeklagten Ehemann u.a. wegen Vergewaltigung zu einer Gesamt(freiheits)strafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Grundlage waren folgende Feststellungen des LG: Es „bestanden zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau schon kurz nach der Eheschließung erhebliche Streitigkeiten, aufgrund derer diese dem Angeklagten alsbald mitteilte, sie wolle sich dauerhaft wieder von ihm trennen. Es kam, ausgehend von dem Vorwurf des Angeklagten, seine Ehefrau habe einen Liebhaber, in der noch gemeinsam bewohnten Wohnung zu einer Auseinandersetzung. In deren Verlauf schlug der Angeklagte seiner Ehefrau mehrfach mit den Fäusten auf den Kopf und die schützend erhobenen Arme, fasste sie fest am Hals und rammte sein Knie so heftig in deren Bauch, dass sie zusammensackte. Kurze Zeit später schlug er weiter auf sie ein, so dass sie im Bereich der Küche auf den Boden fiel. Mit den Worten, er werde sich nunmehr „sein eheliches Recht“ nehmen, zog er der sich wehrenden Frau die Jogginghose und den Slip bis zu den Fußgelenken herunter, legte sich auf sie und steckte ihr gegen den heftigen Widerstand zumindest einen Finger für mehrere Sekunden in die Scheide und stieß dabei jedenfalls zweimal nach. Dabei äußerte er: „Mag Dein Neuer es denn auch so?“ Dann zog der Angeklagte den Finger wieder aus der Scheide und fragte: „Oder steht Dein Neuer eher darauf?“, was die Zeugin dahingehend verstand, als wollte der Angeklagte den Finger nun anal bei ihr einführen. In diesem Moment schrie die gemeinsame halbjährige Tochter, worauf der Angeklagte von seiner Frau abließ und zu dem Kind lief. Diese konnte daraufhin die Wohnung verlassen und zu den Nachbarn laufen.

Dazu die Strafzumessungserwägungen des BGH im BGH, Beschl. v. 21.07.2015 – 3 StR 217/15:

Das Landgericht hat hierfür aus dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte das Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch gleichwohl eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht kommen, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt werden (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2004 – 4 StR 2/04, juris Rn. 5). Ob solche gewichtigen Milderungsgründe vorlagen, hat das Landgericht nicht erörtert, obwohl sich dies hier aufgedrängt hat: Es handelte sich um eine Beziehungstat zwischen Eheleuten, bei der der Angeklagte lediglich kurzzeitig mit dem Finger in die Scheide seiner Frau eingedrungen war. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer – hätte sie diese Überlegungen angestellt – eine geringere Freiheitsstrafe verhängt hätte.“

Na ja, mal so, mal so.