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Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, oder: Geschäftsmäßige Sterbehilfe

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In die 10. KW/2020 starte ich heute mit dem BVerfG, Urt. v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., also der Entscheidung des BVerfG zur (geschäftsmäßigen) Sterbehilfe.

Darüber ist ja in den vergangenen Tagen schon an vielen Stellen berichtet worden. Ich will hier auf dieses Urteil aber auch der Vollständigkeit halber hinweisen, allerdings nur mit den (amtlichen) Leitsätzen des BVerfG:

1. a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

2. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.

3a) Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen.

b) Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen.

4. Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.

5. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.

6. Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.

Verkehrsrecht I: Alleinrennen, oder: Ist die Regelung wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig?

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Heute dann mal wieder ein Tag mit verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Und da weise ich zunächst hin auf den AG Villingen-Schwenningen, Beschluss vom 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19. Bei diesem Beschluss handelt es sich um einen Vorlagebeschluss des AG an das BVerfG. Das AG möchte eine Entscheidung des BVerfG darüber, ob § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar und deshalb gültig ist.

In dem beim AG anhängigen Verfahren legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten u.a. einen Verstoß gegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 stGB zur Last, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Am 31.5.2019 um 23:42 Uhr sollte der Angeschuldigte durch eine Funkstreife des Polizeireviers Villingen im Bereich der Konstanzer Straße in 78048 Villingen-Schwenningen einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen werden. Nachdem der Angeschuldigte bemerkt hatte, dass ihm eine polizeiliche Kontrolle drohte, beschleunigte er das von ihm genutzte Fahrzeug Marke BMW x1, amtliches Kennzeichen X, um sich der Kontrolle zu entziehen. Infolgedessen nahm der Funkstreifenwagen des Polizeireviers Villingen die Verfolgung des Angeschuldigten auf. Dem Angeschuldigten kam es während der anschließenden Verfolgungsfahrt durchgehend darauf an, unter Berücksichtigung der Verkehrslage und der Motorisierung eines Fahrzeugs möglichst schnell zu fahren, um auf diese Weise die ihn verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. So erreichte der Angeschuldigte im Rahmen der Verfolgungsfahrt in Richtung 78089 Unterkirnach – teils innerhalb geschlossener Ortschaften – Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h. An Kreuzungen und Einmündungen auf seiner Fahrtstrecke verringerte der Angeschuldigte seine Geschwindigkeit nicht. Nur mit Mühe gelang es dem verfolgenden Streifenwagen, den Angeschuldigten aufgrund dessen Geschwindigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Auf seiner Fahrtstrecke überfuhr der Angeschuldigte – jeweils im Bereich Berliner Straße/Am Krebsgarten – im Rahmen der Verfolgungsfahrt ferner nacheinander insgesamt vier Lichtzeichenanlagen, die jeweils bereits seit über einer Sekunde Rotlicht anzeigten.

Im Bereich der Kreuzung Am Krebsgarten/Lahrer Straße kollidierte der Angeschuldigte im Rahmen seiner Fluchtfahrt aufgrund überhöhter Geschwindigkeit mit einem dort befindlichen Verkehrsteiler. Hierdurch entstand an diesem ein Sachschaden i.H.v. 272,33 €. Obwohl der Angeschuldigte dies bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt auf der Lahrer Straße fort. Er hatte auch nicht vor, zu einem späteren Zeitpunkt Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen.

Der Angeschuldigte besitzt – wie er weiß – keine gültige Fahrerlaubnis. Daneben stand er – was er jedenfalls hätte erkennen können und zumindest billigend in Kauf nahm – zum Zeitpunkt vorbezeichneter Verfolgungsfahrt unter dem Einfluss von Rauschgift. Eine am 1.6.2019 um 1:05 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgende Werte: 79,1 ng/ml Kokain und 494 ng/ml Benzoylecgonin.

Der Angeschuldigte konnte am 31.5.2019 gegen 23:45 Uhr festgenommen werden. Die Verfolgungsfahrt zog sich damit über einen Zeitraum von 3-4 Minuten hin.

Durch die Tat hat sich der Angeschuldigte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.“

Das AG geht davon aus, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu unbestimmt ist und damit gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Man darf gespannt sein, wie das BVerfG – wann? – entscheiden wird. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung hat ja auch schon einige Male die OLG beschäftigt (vgl. z.B. KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

Für den Verteidiger heißt es m.E.: In den „Alleinrennenfällen“ wird man nun bis zur Entscheidung des BVerfG Aussetzung beantragen müssen.

P.S.: Da der Beschluss des AG sehr umfangreich ist, habe ich ihn hier nicht – auch nicht auszugsweise eingestellt. Er steht aber im Volltext auf der Homepage.

Verbotenes Rennen: Verfassungmäßigkeit und Tatbestandsvoraussetzungen, oder: Das meint das KG

Ich mache heute dann mal einen Tag mit Enntscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag. Die erste, der KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19), hat mit der Kollege Kroll aus Berlin geschickt. Es geht man wieder um den (neuen) § 315d StGB (warum eigentlich so häufig Berlin [?]).

Das KG nimmt zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift und zu den Tatbestandsvoraussetzungen Stellung. Es bejaht die Verfassungmäßigkeit – bitte selbst nachlesen – und führt im Übrigen u.a. aus:

„a) Die amtsgerichtlichen Feststellungen sind bereits im Hinblick auf das Fahren des Angeklagten mit nicht angepasster Geschwindigkeit zum Teil widersprüchlich.

Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt (vgl. Pegel, -a.a.O., Rn. 24; Jansen, NZV 2019, 285 m.w.N.). Die Regelung knüpft insoweit an § 3 Abs. 1 StVO an (vgl. Hecker, a.a.O., Rn. 8; ders. Jus 2019, 596).  Gemeint ist mithin ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist (vgl. Pegel, a.a.O., Rn. 24; Kulhanek in BeckOK StGB 43. Edition, § 315d Rn. 35). Darüber hinaus richtet ich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeuges (vgl. Pegel, a.a.O., Rn. 24).

Soweit es die Fahrt durch die Kurve Schönholzer Straße/Grabbeallee, in der das Fahrzeug „nach außen getragen“ wurde, und die Weiterfahrt des Angeklagten — nach zwischenzeitlicher Verminderung seiner Geschwindigkeit – auf der Grabbeallee mit mindestens 89 km/h betrifft, ist das Amtsgericht zwar in zutreffender Weise zu der Feststellung .gelangt, dass der Angeklagte mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren ist.. In Bezug auf die Geschwindigkeit im Bereich Breite Straße/Wollankstraße/Schönholzer Straße erweisen sich die Feststellungen. des Amtsgerichts unter Berücksichtigung der Maßstäbe aber als widersprüchlich.

Der Umstand, dass es sich hierbei um den Beginn der Nachfahrt durch die Zeugen PM T. und POM P. handelt, die aufgrund seiner überhöhten Geschwindigkeit die Verfolgung des Angeklagten aufgenommen haben, •fügt sich insoweit nicht schlüssig in die Schilderung des weiteren Geschehensablaufes ein, wonach der Angeklagte ohne eine zwischenzeitliche Reduzierung seiner Geschwindigkeit nach mehreren Überholmanövern auf der Schönholzer Straße beschleunigt und  sodann mit mindestens 55 km/h in die Kurve Schönholzer Straße/Grabbeallee gefahren sei. Denn die Angabe, dass eine für die Zeugen sichtbare Beschleunigung stattgefunden hat, die dazu führt, dass der Angeklagte in der Folge eine Geschwindigkeit von (mindestens) 55 km/h erreicht hat, legt nahe, dass er zuvor mit  einer geringeren, 50 km/h unterschreitenden Geschwindigkeit gefahren ist.

b) Darüber hinaus tragen die Feststellungen ein grob verkehrswidriges und rücksichtloses Verhalten des Angeklagten nicht.

(1) Da die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung – auch wenn sie erheblich ist – nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. I Nr. 3 StGB erfasst sein soll (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2018 – 1 Ws 23/18 juris; BT-Drs. 18/12964, §. 5; Kulhanek JA 2018, 561), muss sich der Täter darüber hinaus grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegen. Beide Tatbestandsmerkmale sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BT-Drs. 18/12964, §. 5; Pegel, a.a.O., Rn. 25; Heger in Lackner/Kühl, StGB 29. Aufl., § 315d Rn. 5; Kulhanek in BeckOK StGB, a.a.O., Rn. 36).

Danach handelt der Täter grob verkehrswidrig, wenn er einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Mai 2007 – (3) 1 Ss 103/07 (46/07) – und Urteil vom 9. Oktober 2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) -, beide bei jur.is). Es muss mithin ein objektiv besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und die Verkehrssicherheit vorliegen (König in Leipziger Kommentar, StGB 12. Aufl., § 315c Rn. 133 m.w.N.; Kulhanek in BeckOK StGB, a.a.O.).

Rücksichtslos handelt demgegenüber, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Mai 2007, a.a.O.; Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 82). Die Annahme rücksichtslosen Verhaltens kann nicht allein mit dem objektiven Geschehensablauf begründet werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. Oktober 2012, a.a.O.), sondern verlangt ein sich aus zusätzlichen Umständen ergebendes Defizit, das — geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit – weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem — häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit — begangenen Verkehrsverstoß innewohnt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Mai 2007, a.a.O., und vom 27. Oktober 2005 – (3 ) 1 Ss 318/05 (83/05) —, juris; Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 85). Maßgeblich ist die konkrete Verkehrssituation unter Einschluss• der Vorstellungs- und Motivlage des Täters (Pegel, a.a.O., § 315c Rn. 85). Auch aus der grob fahrlässigen Begehung zweier Verkehrsverstöße kann nicht ohne Weiteres auf das Vorliegen von Rücksichtslosigkeit geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. Oktober 2012, a.a.O.).

Die Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit müssen jeweils kumulativ vorliegen (vgl. Hecker in Schönke-Schröder, StGB 30. Aufl., § 315c Rn. 26 m.w.N.), sodass es nicht ausreichend ist, wenn der Angeklagte einzelne Verkehrsverstöße jeweils nur grob verkehrswidrig und andere rücksichtslos begeht.

(2) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe zeigt sich, dass die Feststellungen nicht die Einschätzung des Amtsgerichts tragen, der Angeklagte habe sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos verhalten……“

BVerfG: Diebstahl oder Hehlerei, oder: Wahlfeststellung verfassungsgemäß

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In die 31. KW. starte ich dann heute mit etwas schwerer Kost, nämlich mit dem BVerfG, Beschl. v. 05.07.2019 – 2 BvR 167/18. Das ist die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung.

Das LG hatte die Angeklagten alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) oder gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 259 Abs. 1, § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 19 beziehungsweise 15 Fällen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Revision gegen dieses Urteil hatte der BGH mit BGH, Urt. 25.10.2017 – 2 StR 495/12 – verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, mit der geltend gemacht worden ist, dass die echte Wahlfeststellung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße, weil die Verurteilung in der Wahlfeststellungssituation nicht auf einer gesetzlichen, sondern auf einer dritten, ungeschriebenen Norm beruhe. Des Weiteren verletze die gesetzesalternative Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet angesehen und dazu im Wesentlichen folgende Kernaussagen getroffen.

  • Die Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot. Denn: Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze bestimmen in dieser besonderen Beweissituation die Voraussetzungen, unter denen das Tatgericht trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel eine Verurteilung auszusprechen hat. Die Regeln zur Wahlfeststellung dienen nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist; sie ermöglichen ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken.
  • In der Wahlfeststellungssituation kommt auch keine außergesetzliche Norm zur Anwendung. Der Angeklagte wird ausschließlich wegen der Verletzung alternativ in Betracht kommender – gesetzlich bestimmter – Einzelstraftatbestände (wahldeutig) verurteilt.
  • Die ungleichartige Wahlfeststellung verletzt nicht den von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Grundsatz „nulla poena sine lege“, der das Gebot der Gesetzesbestimmtheit auch auf die Strafandrohung erstreckt. Das Tatgericht entnimmt Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.
  • Die gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen trägt der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung hinreichend Rechnung. Denn: Zwar kann dem Angeklagten in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen, insoweit ein eindeutiger Tat- und Schuldnachweis nicht geführt werden. Andererseits steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht hat. Zweifelhaft ist nicht, ob sich der Angeklagte nach einem bestimmten Tatbestand strafbar gemacht hat, sondern aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts, welches Strafgesetz verletzt ist.
  • Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage zur Vermeidung der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Tatfeststellung und ein eindeutiger Tatnachweis nicht möglich sind. Die Möglichkeit einer Wahlfeststellung darf nicht dazu führen, dass die weitere Aufklärung des Tatsachenstoffs unterbleibt.

Das Vorstehende beruht(e) auf der PM des BVerfG. Die Einzelheiten bitte im Beschluss des BVerfG selbst nachlesen.

Neuregelung strafprozessualer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen verfassungsgemäß

Das BVerfG meldet gerade mit seiner PM 77/2011 u den 2008 in Kraft getretenen Ermittlungsmaßnahmen, dass die Neuregelung verfassungsgemäß sind (vgl. Beschl. v. 12.10.2011 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08):

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem heute veröffentlichten Beschluss entschieden, dass die Neuregelung bzw. Änderung einzelner Vorschriften der Strafprozessordnung durch Art. 1 und 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Mit der Neufassung des § 100a StPO wurde der in Absatz 2 enthaltene Katalog der Anlasstaten, die Voraussetzung für eine Telekommunikationsüberwachung sind, systematisch neu geordnet; 19 Straftatbestände wurden gestrichen und mehr als 30 Straftatbestände neu aufgenommen. Ferner wurden in § 100a Abs. 4 StPO Vorkehrungen zum Schutz privater Lebensgestaltung geschaffen. Beim Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass aus der Telekommunikationsüberwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Daraus gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. In § 101 Abs. 4 bis 6 StPO wird die Benachrichtigung der von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen Betroffenen neu geregelt. Die Vorschriften enthalten mehrere Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen die Benachrichtigung der betroffenen Personen unterbleiben oder zurückgestellt werden darf. § 101 Abs. 6 Satz 3 StPO bestimmt, dass das Gericht dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen kann, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch künftig nicht eintreten werden. Die Neuregelung des § 160a StPO erfasst Ermittlungsmaßnahmen, in die Berufsgeheimnisträger als nicht einer Straftat Verdächtige einbezogen werden, und differenziert zwischen bestimmten Berufsgruppen. In Absatz 1 wird ein umfassender Schutz der Vertraulichkeit der berufs- und funktionsbezogenen Kommunikation mit Geistlichen, Strafverteidigern, Abgeordneten und seit dem 1. Februar 2011 auch mit Rechtsanwälten gewährleistet. Hinsichtlich aller Informationen, über die diesen Berufsgeheimnisträgern nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde, gilt ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot. Für alle anderen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Berufsgeheimnisträger, wie z. B. Ärzte, Steuerberater oder Pressevertreter, sieht Absatz 2 dagegen vor, dass die Ermittlungsbehörden im Einzelfall nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen das Bestehen eines Beweiserhebungs- und -verwertungsverbots zu prüfen haben.

Die Beschwerdeführer in den miteinander verbundenen Verfahren erheben im Wesentlichen folgende Rügen: Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sei – im Hinblick auf die Begrenzung der Benachrichtigungspflicht nach § 101 Abs. 6 Satz 3 StPO – wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot bereits formell verfassungswidrig. Durch die Erweiterung des Straftatenkataloges des § 100a Abs. 2 StPO werde das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis ausgehöhlt. Außerdem verletze die Regelung in § 100a Abs. 4 StPO das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da sie den Kernbereich privater Lebensgestaltung nur für den Fall schütze, dass die Telekommunikationsüberwachung ausschließlich aus diesem Bereich Erkenntnisse bringe. Ferner verstoße die Ausgestaltung der Benachrichtigungspflicht und ihrer Ausnahmen in § 101 Abs. 4 bis 6 StPO gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Einige der Beschwerdeführer, die als Ärzte bzw. publizistisch tätig sind, halten die Differenzierung zwischen den Berufsgruppen in § 160a Abs. 1 und 2 StPO für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. Ferner sehen sie sich dadurch, dass sie von der in Absatz 1 privilegierten Gruppe der Berufsgeheimnisträger ausgeschlossen werden, in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit verletzt. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot noch verletzen die angegriffenen strafprozessualen Vorschriften die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Weiterlesen