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StPO I: Beweisverwertung + Verlesungsfragen, oder: Auch die StA „kann“ keine Verfahrensrügen

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Ich stelle heute StPO-Entscheidungen vor, und zwar alle drei zur Verfahrensrüge.

Den Opener macht das BGH, Urt. v. 13.03.2024 – 5 StR 273/23. Das LG hatte den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Mit ihren Verfahrensrügen ist die Staatsanwaltschaft allerdings gescheitert:

„1. Die Verfahrensrügen dringen allerdings nicht durch, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen und daher unzulässig sind.

a) Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22, NStZ-RR 2023, 284 mwN). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen und unterschiedslos für jeden Beschwerdeführer, sei es der Angeklagte, der Nebenkläger oder – wie hier – die Staatsanwaltschaft.

b) Die Staatsanwaltschaft wird dem für keine der erhobenen Verfahrensbeanstandungen gerecht.

aa) Soweit sie eine Verletzung des § 261 StPO rügt, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen habe, die bei der Durchsuchung des am Tattag vom Angeklagten genutzten Autos aufgefundenen Beweise (rund 65 Gramm Kokain, ein Mobiltelefon des Angeklagten) seien nicht verwertbar, beschränkt sich ihr Revisionsvortrag darauf, die Urteilsgründe auszugsweise wiederzugeben und in Bezug zu nehmen. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Wird beanstandet, das Tatgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des Richtervorbehalts nach § 105 Abs. 1 StPO angenommen, weil das Ergebnis der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer Tataufklärung und dem Individualinteresse des Betroffenen an der Wahrung seiner Rechtsgüter den Angeklagten rechtsfehlerhaft begünstige, müssen jedenfalls alle Polizeiberichte und andere Unterlagen vorgelegt werden, die mit der Durchsuchungsmaßnahme im Zusammenhang stehen. Denn nur auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes prüfen, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich oder gar willkürlich begangen wurde. Dies wiederum ist aber für die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes von entscheidender Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 6 StR 319/21, NStZ 2022, 125; Beschluss vom 5. April 2022 – 3 StR 16/22, NJW 2022, 2126, 2128).

Dementsprechend hätte die Revision sowohl den in den Urteilsgründen erwähnten polizeilichen Einsatzplan zum Tattag und die Ergebnisse der am gleichen Tag durchgeführten Observation des Angeklagten als auch den Durchsuchungsbericht mitteilen müssen. Das Gleiche gilt für die – ebenfalls in den Urteilsgründen in Bezug genommene – gegen den gesondert verfolgten Bruder des Angeklagten gerichtete richterliche Anordnung zur Durchsuchung der Gartenparzelle nebst Kraftfahrzeugen. Denn auch daraus könnten sich Umstände ergeben, die bei der Prüfung eines Beweisverwertungsverbots vom Senat heranzuziehen gewesen wären.

Daran ändert auch nichts, dass das Landgericht in den Urteilsgründen rechtlich nicht gebotene Ausführungen zu Verfahrensstoff gemacht hat, der für ein Verwertungsverbot relevant sein kann. Zwar können zur Ergänzung der Verfahrensrüge die Urteilsausführungen herangezogen werden, da das Revisionsgericht die Urteilsgründe bei einer umfassend erhobenen Sachrüge ohnehin zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 – 4 StR 524/17; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 344 Rn. 21a). Der Umstand, dass die Urteilsgründe Ausführungen dazu enthalten, warum die Beweise aus der Durchsuchung des Autos aus Sicht der Strafkammer nicht erhoben oder verwertet werden durften, befreit den Beschwerdeführer aber nicht von der Verpflichtung zu einem geordneten Vortrag der den geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dies folgt schon daraus, dass Ausführungen zu Verfahrensvorgängen im Urteil rechtlich nicht geboten sind und die vollständige Wiedergabe der maßgeblichen Verfahrensvorgänge in den Urteilsgründen mithin nicht gewährleistet ist. Zudem sind Feststellungen des Tatgerichts für das Revisionsgericht nicht bindend; vielmehr ist seine tatsächliche Sicht der Verfahrensvorgänge die allein maßgebliche (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, NStZ 2019, 107, 108).

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft eine Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rügt, weil das Landgericht ihren Antrag auf Verlesung dreier Gutachten über DNA-Spurentreffer abgelehnt hat, teilt sie – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – zahlreiche Unterlagen nicht mit, die in dem Beweisantrag und dem Ablehnungsbeschluss aufgeführt sind. Insbesondere werden die Gutachten zu den Spurentreffern und der Beschluss des Amtsgerichts Kiel nicht vorgetragen.“

Ähnlich im BGH, Urt. 30.04.2024 – 1 StR 426/23:

„b) Die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe zu Unrecht den Inhalt einer im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunde im Urteil nicht erörtert. Sie teilt aber weder den Inhalt der von der Verteidigung herbeigeführten Entscheidung des Gerichts (§ 238 Abs. 2 StPO) über die Selbstleseanordnung noch eine gegen diese Entscheidung erhobene Gegenvorstellung und die Entscheidung hierüber mit. Vortrag hierzu war nicht etwa, wie die Revision meint, deswegen entbehrlich, weil die Rüge nicht die Durchführung des Selbstleseverfahrens, sondern die Frage der gebotenen Verwertung einer durch das Selbstleseverfahren eingeführten Urkunde betraf. Die Verwertung setzt die ordnungsgemäße Anordnung und Durchführung des Selbstleseverfahrens voraus.

Man sieht: Auch für die Staatsanwaltschaft sind Verfahrensrügen „schwierig“ 🙂 .

Verfahrensrüge III: Stoßrichtung von mehreren Rügen, oder: Man muss schon sagen, was man will

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Und dann habe ich hier noch einmal etwas vom OLG Frankfurt am Main, nämlich den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 22/23 – zur Abgrenzung und zur jeweiligen Stoßrichtung der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO einerseits und der Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO andererseits betreffend Feststellungen zum Nettoeinkommen des Angeklagten.

Das AG hat die Angeklagte wegen Körperverletzung in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt. Auf ihre Berufung hin hat das LG die Angeklagte am 23.03.2023 zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100,00 EUR verurteilt. Dagegen u.a. die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„1. Soweit der Angeklagte das Verfahren beanstandet, wird eine den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge nicht ausgeführt.

a) Die Revision vermag mit der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO bzw. mit einer Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO nicht durchzudringen, denn sie entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Kommt nach den vorgetragenen Tatsachen mehr als ein Verfahrensmangel in Betracht, muss die Angriffsrichtung der Rüge bestimmt werden. Es muss im Revisionsvortrag eindeutig konkretisiert werden, welcher behauptete Verfahrensmangel mit welcher Begründung angegriffen wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18, NJW 2018, 2279, 2280 Tz. 10; Herb, NStZ-RR 2023, 33, 34 f. m.w.N.).

Für den Senat ist schon die Stoßrichtung der Rüge nicht erkennbar. In Betracht käme die – in die Gestalt einer Sachrüge des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB gekleidete – Verfahrensrüge, dass das Landgericht seine Feststellungen zum Nettoeinkommen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen hat (§ 261 StPO), da ein Nettoverdienst von 3.600 € sich nicht aus der Vernehmung der Angeklagten herleiten lasse. Der Vortrag lässt sich aber auch so verstehen, dass die fehlende Aufklärung des Nettoeinkommens gerügt wird. Allerdings setzte das ausgebliebene „Hinterfragen“ des Nettoeinkommens zunächst einmal voraus, dass die Angeklagte tatsächlich gerade ihr Nettoeinkommen gegenüber dem Landgericht beziffert hätte; das wird aber nicht mit Bestimmtheit behauptet. Es bleibt somit schon unklar, ob die Angeklagte bei der Vernehmung über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Vorderrichter ihr Gehalt als brutto, netto oder ohne eine diesbezügliche Klarstellung angeben haben will.

b) Abgesehen hiervon würden beide Stoßrichtungen der Verfahrensrüge nicht zum Erfolg verhelfen.

aa) Zunächst kann die Revision nicht mit Erfolg rügen, der Vorderrichter habe bei der Vernehmung der Angeklagten über ihre persönlichen Verhältnisse bestimmte, sich aufdrängende Vorhalte nicht gemacht oder bestimmte Fragen nicht gestellt. Denn eine Aufklärungsrüge kann nicht erfolgreich allein auf die Behauptung gestützt werden, ein Angeklagter habe in der Hauptverhandlung anders als im Urteil festgestellt ausgesagt und dies habe dem Tatrichter Anlass zu weiterer Beweiserhebung geben müssen (statt Vieler KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 222). Eine solche Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist – abgesehen von Ausnahmefällen bestimmter parater Beweismittel (vgl. KK-StPO/Krehl a.a.O., § 244 Rn. 221 m.w.N.) – de lege lata unzulässig. Vorhalte und Nachfragen sind aber nicht protokollierungspflichtig (KK-StPO/Tiemann a.a.O., § 261 Rn. 216). Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Der dafür bestimmte Ort ist das Urteil (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 03.07.1991 – 2 StR 45/91, BGHSt 38, 14, 15 f.).

bb) Auch eine Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO mit dem Ziel anzugreifen, im Urteil sei die Aussage der Angeklagten unvollständig, unzutreffend oder überhaupt nicht wiedergegeben oder bewertet worden, ist wegen des Rekonstruktionsverbots unbehelflich. Die Rechtsprechung hat Ausnahmen nur dann zugelassen, wenn der Wortlaut einer in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig wiedergegeben worden ist oder in Fällen der wörtlichen Protokollierung einer Aussage (vgl. BGH, Beschl. v. 03.09.1997 – 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, 214 m.w.N.). So liegt es hier aber nicht. Die Revision trägt vor, dass die mit der Revisionsbegründung vorgelegte Verdienstabrechnung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht zur Verfügung stand. Mit ihr lässt sich also nicht der Nachweis führen, dass die – nicht wörtlich protokollierte – Einlassung der Angeklagten zu ihrem Einkommen im Urteil unrichtig wiedergegeben ist.

2. Schließlich dringt die Revision auch nicht mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung der Verletzung des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB durch.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Landgericht Gießen bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ein Nettoeinkommen von 3.600 € zugrunde gelegt hat; das Bruttoeinkommen hat der Vorderrichter nicht festgestellt. Das Vorbringen zur Verdienstabrechnung ist urteilsfremd.“

Verfahrensrüge I: Bündel von Verfahrensrügen, oder u.a. Notfallmahlzeit des Verteidigers in der HV

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Das Osterfest 2021 liegt hinter uns. War wieder – wie schon 2020 – coronabedingt anders als „normal“. Hoffen wir auf 2022 – ist ja nicht mehr lange 🙂

Ich stelle dann heuet am ersten Arbeitstag der Wochen Entscheidungen vor, die sich mit Verfahrensrügen befassen. Und da kommt als erstes der BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 4 StR 519/19 – mit einem ganzen Bündel von Verfahrensrügen – des Angeklagten und des Nebenklägers, die alle keinen Erfolg hatten, weil sie alle nicht ausreichend begründet waren:

„a) Die Revision des Angeklagten dringt – von der Schuldspruchänderung abgesehen – mit der Sachrüge und den Verfahrensrügen nicht durch. Einzugehen ist nur auf Folgendes:

aa) Die Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe zeitweise in Abwesenheit des Verteidigers stattgefunden, da dieser am zweiten Hauptverhandlungstag während der Vernehmung eines Zeugen einen akuten Schwächeanfall erlitten und deshalb an seinem Platz eine „Notfallmahlzeit“ habe zubereiten und einnehmen müssen, ist bereits nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. September 2018 – 4 StR 135/18; vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, Rn. 8; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; vgl. auch LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 372; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 224).

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts musste der Beschwerdeführer zwar nicht den Inhalt zweier Vermerke über den Vorfall vortragen, die der Vorsitzende bzw. eine beisitzende Richterin der Strafkammer verfasst hatten. Denn diese Vermerke hatte der Vorsitzende erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu den Akten genommen, so dass der Beschwerdeführer sie nicht rechtzeitig zur Kenntnis hatte nehmen können. Dem Rügevortrag lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei entnehmen, ob der körperliche oder geistige Zustand des Verteidigers infolge des behaupteten Schwächeanfalls den Grad der Verhandlungsunfähigkeit erreichte. Nur in diesem Fall wäre der Verteidiger als abwesend anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1999 – 3 StR 390/99; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 83; Knauer/Kudlich in MK-StPO, 1. Aufl., § 338 Rn. 107).

Jedenfalls wäre die Rüge unbegründet, da sich aus den richterlichen Vermerken im Einzelnen ergibt, dass der Verteidiger tatsächlich nicht verhandlungsunfähig war.

bb) Die Rüge, die Verteidigung sei dadurch unzulässig beschränkt worden, dass das Landgericht ein Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. S. rechtsfehlerhaft zurückgewiesen habe, ist ebenfalls bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.

Die Revision teilt das Ablehnungsgesuch zwar wörtlich mit, doch leitet das Gesuch die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen maßgeblich aus dessen vorbereitendem schriftlichen Gutachten ab und nimmt darauf inhaltlich Bezug. In einem solchen Fall dürfen die betreffenden Stellen des schriftlichen Gutachtens nicht nur summarisch und ohne den zugehörigen Kontext mitgeteilt werden (BGH, Urteil vom 14. Januar 1987 – 3 StR 546/86, BGHR StPO § 74 Abs. 1 Satz 1 Befangenheit 1). Entgegen diesen Anforderungen enthält das Ablehnungsgesuch jedoch nur kurze, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und knappe Zusammenfassungen des schriftlichen Gutachtens.

cc) Weiter ist auch die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO zur „Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ unzulässig. Der Sache nach handelt es sich um sechs getrennt zu beurteilende Aufklärungsrügen, die sämtlich den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügen. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt neben der Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, die Angabe eines bestimmten zu erwartenden Beweisergebnisses sowie der Umstände voraus, aufgrund derer sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1998 – 4 StR 618/97 mwN). Dem entspricht die Revisionsbegründung nicht.

b) Die Revision der Nebenklage dringt ebenfalls nicht durch. Einzugehen ist auf Folgendes:

aa) Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Beweisantrag auf Vernehmung der Polizeibeamtin O. als Zeugin abgelehnt, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da die Revision den polizeilichen Vermerk, auf den der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts und die Revisionsbegründung Bezug nehmen, nicht vollständig mitteilt.

bb) Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht einen Beweisantrag auf Einnahme des richterlichen Augenscheins abgelehnt, ist zulässig erhoben, aber unbegründet.

Der Antrag des Beschwerdeführers war darauf gerichtet, zum Beweis der akustischen Wahrnehmbarkeit der herannahenden Motorräder durch den Angeklagten die Unfallstelle (erneut) zu besichtigen und dabei das Vorbeifahren von zwei einander folgenden Motorrädern am Gespann nachzustellen. An einem früheren Hauptverhandlungstag hatte das Landgericht bereits die Unfallstelle in Augenschein genommen und das Tatgeschehen mit dem Vorbeifahren des Motorrads nur des Nebenklägers nachgestellt. Den Antrag hat das Landgericht nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 StPO aF abgelehnt und hilfsweise darauf verwiesen, die Aufklärungspflicht gebiete „einen weiteren Ortstermin“ nicht.

Es kann offenbleiben, ob sich das Landgericht zu Recht auf die von ihm genannten Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO aF gestützt hat oder ob der Antrag schon deshalb nur im Rahmen der Aufklärungspflicht zu behandeln und abzulehnen war, weil es sich um einen Antrag auf wiederholte Beweiserhebung handelte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 4 StR 533/19; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2001 – 3 StR 211/01; BGH, Urteil vom 7. August 1990 – 1 StR 263/90, BGHR § 244 Abs. 6 Beweisantrag 16; BGH, Urteil vom 21. Juni 1995 – 2 StR 67/95, BGHR § 244 Abs. 6 Beweisantrag 32). Auf einem etwaigen Rechtsfehler würde das Urteil jedenfalls nicht beruhen. Denn dass die Vorbeifahrt zweier Motorräder einen erhöhten, für den Angeklagten wahrnehmbaren Lärmpegel erzeugt hätte, hat das Landgericht in seiner Beweiswürdigung ausdrücklich erwogen, jedoch hat es mit rechtsfehlerfreier Begründung die Schlussfolgerung verneint, aus der Wahrnehmbarkeit der Motorräder sei abzuleiten, der Angeklagte habe sie tatsächlich wahrgenommen.“

Viele „Dauerbrenner“ dabei.

Revision III: Wenn man das Revisions 1 x 1 nicht beherrscht, oder: Finger weg….

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Und die letzte Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 29.01.2018 –  2 StR 416/18 – ist mal wieder eine, bei der man in die Tischkante beißen möchte, wenn man den Beschluss liest. Aber nicht wegen der Ausführungen des BGH, sondern wegen des Unvermögens des Verteidigers, der es nicht auf die Reihe gebracht hat, eine seine offenbar zahlreichen Verfahrensrügen zulässig zu begründen. Und das in einem Verfahren, in dem das LG den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte. Das bleibt nur ein ungläubiges Kopfschütteln:

a) Die Rügen der Verletzung formellen Rechts sind unzulässig, da sie nicht in dem nach § 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Umfang ausgeführt sind.

aa) Die Rüge, das Landgericht habe gegen seine Amtsaufklärungspflicht verstoßen, indem es pflichtwidrig unterlassen habe, Protokolle der aufgezeichneten Telefongespräche zu verlesen, wurde nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben, da die Revision nicht vorträgt, welches bestimmte, für den Beschwerdeführer günstige Beweisergebnis erzielt worden wäre, sondern lediglich auf vermutete und mögliche Beweisergebnisse abstellt.

bb) Die Rüge der unrechtmäßigen Mitwirkung von als befangen abgelehnten Richtern ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, da bereits der Inhalt der Ablehnungsanträge nicht mitgeteilt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338 Rn. 29 mwN).

cc) Auch soweit die Revision die Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rügt, ist die Rüge unzulässig erhoben, da weder der Beweisantrag noch der Ablehnungsbeschluss mitgeteilt werden, sondern insofern lediglich auf das Protokoll Bezug genommen wird.

dd) Soweit die Revision ein „Verwertungsverbot gem. § 100a StPO“ rügt, wird aus den Ausführungen nicht erkennbar, welches Verfahrensgeschehen der Beschwerdeführer im Einzelnen beanstandet. Auch diese Rüge ist daher unzulässig.“

Ungläubiges Kopfschütteln und der Aufruf: Lasst doch die Finger von der Revision, wenn ihr es nicht könnt. Hier war es ja auch nichts Besonderes/Außergewöhnliches, was der BGH verlangt/lesen möchte, sondern schlichtes „Revisions 1 x 1“.

Verfahrensrüge I: Scharfes Schwert, oder: Der BGH schlägt mal wieder zu

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Auf den BGH, Beschl. v. 08.02.2018 – 3 StR 400/17 – hatte ich ja bereits einmal hingewiesen, und zwar im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage für das Versenden stiller SMS (vgl. hier: Handy II: Der BGH und die “stille SMS”, oder: Wo ist die Ermächtigungsgrundlage?).

Der Beschluss ist aber darüber hinaus von Interesse, und zwar für den Revisionsrechtlicher, da der BGH zu den Anforderungen verschiedener Verfahrensrügen Stellung genommen hat. Den „kundigen“ Leser wird es nicht erstaunen, dass jeweils die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfüllt waren; das „scharfe Schwert“ des Revisionsrecht:

„a) Die Rüge, das Kammergericht hätte zur Überprüfung der Verwertbarkeit verfahrensfremder Telekommunikationsüberwachungserkenntnisse die vollständigen Akten der Drittverfahren beiziehen müssen (II.1. der Revisionsbegründung), ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Rügt die Revision eine unterlassene Beiziehung von Akten, handelt es sich der Sache nach um eine Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327; vom 17. Juli 2008 – 3 StR 250/08, NStZ 2009, 51 f.). Der erforderliche Tatsachenvortrag muss sich daher auch darauf erstrecken, aufgrund welcher Umstände sich das Tatgericht zur Beiziehung der verfahrensfremden Akten hätte gedrängt sehen müssen.

In Bezug auf die Überprüfung der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gilt, dass dem eine solche Maßnahme anordnenden Richter bei der Prüfung nach § 100a StPO, ob ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Tatverdacht gegeben ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht entgegensteht, ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Nachprüfung durch den Tatrichter – und durch das Revisionsgericht -, ob die Anordnung rechtmäßig war und die Ergebnisse der Überwachung verwertbar sind, ist daher auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt (BGH, Urteil vom 16. Februar 1995 – 4 StR 729/94, BGHSt 41, 30, 33 f.). Ist die Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende Richter in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende Richter die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen. War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu in der Regel die Akten dieses Verfahrens beizuziehen (BGH, Beschluss vom 1. August 2002 – 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 367). Um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob die jeweiligen Anordnungen der Überwachungsmaßnahmen ausreichend und plausibel begründet waren und das Kammergericht sich mangels konkreter Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnungsbeschlüsse auf deren Begründungen verlassen durfte, hätte der Revisionsführer jedenfalls alle in den hiesigen Verfahrensakten enthaltenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse mitteilen müssen. Daran fehlt es hier, weil die gegen den gesondert Verfolgten A. erlassenen Beschlüsse 6 BGs 83/14 vom 8. April 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 113), 6 BGs 260/14 vom 30. Dezember 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 122), 6 BGs 80/14 vom 8. April 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 124), 6 BGs 141/14 vom 7. Juli 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 127), 6 BGs 202/14 vom 7. Oktober 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 130) und 6 BGs 259/14 vom 30. Dezember 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 133) nicht vorgelegt werden. Auch der ermittlungsrichterliche Beschluss vom 16. Juli 2015 – 6 BGs 251/15 – aus dem gegen K. geführten Verfahren ist Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten (Sbd. Kontakte D. – K. Bl. 83), wird jedoch von der Revision nicht mitgeteilt. Und schließlich legt der Beschwerdeführer nicht dar, welche Teile aus verfahrensfremden Akten Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten geworden sind. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Kammergericht bereits aufgrund der entsprechenden Akteninhalte die Rechtmäßigkeit der verfahrensfremden ermittlungsrichterlichen Anordnungen kontrollieren konnte oder ob es darüber hinaus die vollständigen Akten hätte beiziehen müssen.

b) Die Rüge der Verletzung des § 250 Satz 2 StPO durch Verlesung polizeilicher Observationsberichte und weiterer polizeilicher Vermerke und Berichte (II.3. der Revisionsbegründung) ist neben den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen im Hinblick auf den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen Schlussbericht auch deshalb unbegründet, weil dessen Verfasser in der Hauptverhandlung als Zeuge auch zum Inhalt dieses Berichts vernommen wurde. Damit handelte es sich um eine zulässige vernehmungsergänzende Verlesung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 350/07, NStZ-RR 2008, 48). Da der in § 250 Satz 2 StPO normierte Vorrang des Personalbeweises den grundsätzlich zulässigen (BGH, Urteil vom 16. Februar 1965 – 1 StR 4/65, BGHSt 20, 160, 161 f.) Urkundenbeweis nicht weiter als für seine Zielsetzung einer besseren Sachaufklärung erforderlich einschränkt, ist die eigenständige Beweisverwendung des Inhalts einer verlesenen Urkunde auch dann zulässig, wenn sie beispielsweise Lücken der Zeugenaussage schließt (vgl. im Einzelnen LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 250 Rn. 17 ff.). Eine solche Urkunde kann dabei auch im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, wenn es nicht ausnahmsweise darauf ankommt, einen in ihr enthaltenen bestimmten Wortlaut unmittelbar mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern (LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 46, 53; aA LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 250 Rn. 17 aE).

c) Die Unzulässigkeit der Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts (§ 338 Nr. 1, § 222b StPO) ergibt sich entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht schon daraus, dass die Revision das Protokoll des ersten Hauptverhandlungstages nicht vorgelegt und damit belegt hat, dass der Besetzungseinwand nach § 222b StPO vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache erhoben wurde. Denn der Revisionsführer erfüllt seine die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge bewirkende Pflicht aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bereits mit insoweit vollständigem Vortrag aller entscheidungserheblichen Tatsachen. Ob die von der Revision behaupteten Verfahrenstatsachen als erwiesen angesehen werden können, ist jedoch eine Frage des Beweises, deren Beantwortung dem Revisionsgericht obliegt (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 40 mwN).

Die Unzulässigkeit der Rüge folgt indes daraus, dass die Revision den die Maßnahmen bei Überlastung des 1. Strafsenats regelnden Teil des Geschäftsverteilungsplans des Kammergerichts für das Jahr 2016 (III.B.2.5.) nicht mitgeteilt hat und dieser für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der unterjährigen Übertragung von Zuständigkeiten des 1. Strafsenats auf den 2. Strafsenat von Bedeutung war. Im Übrigen wäre die Rüge aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Erwägungen auch unbegründet.“