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Sechser im Lotto – die zulässige Verfahrensrüge

Mal wieder mit der nicht ausreichenden Begründung von Verfahrensrügen befasst sich der BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 1 StR 647/11, und zwar im wesentlichen mit der Begründung der Verfahrensrügen, mit denen die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen gerügt wird.

Der BGH hat sie als unzulässig angesehen, und zwar:

die 1. Rüge, weil nicht alle Verfahrenstatsachen vorgetragen waren:

Rügt der Revisionsführer die Verletzung des Beweisantragsrechts, muss er – neben dem abgelehnten Beweisantrag und dem Ablehnungsbe-schluss – auch für die Prüfung der Rüge etwaig notwendige, weitere Verfah-renstatsachen vollständig vortragen (BGHSt 37, 168, 174; Kuckein in Karlsru-her Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 38, 43 mwN). Der Revisionsführer  hat jedoch nicht mitgeteilt, dass der abgelehnte Beweisantrag – bei identischem Inhalt und nur minimal abweichendem Wortlaut – unter Ziffer 6 eines Schriftsatzes vom 3. September 2011 erneut gestellt und im Hauptverhandlungstermin vom 5. September 2011 neu beschieden worden ist. Dieser Vortrag wäre jedoch notwendig gewesen; die neue Bescheidung eines wiederholt gestellten Beweisantrages kann etwaige Fehler der ersten Ablehnung heilen, weil – anders als beim Nachschieben von Ablehnungsgründen in den schriftlichen Urteilsgründen (dazu BGHSt 19, 24, 26; BGH NStZ 2000, 437, 438) – der Angeklagte seine Verteidigung auf die neue Beurteilung einstellen kann. ...“

die 2. Rüge, mit der die Nichteinhaltung einer von der Kammer konstatierten Wahrunterstellung gerügt worden ist,

weil zwar der Ablehnungsbeschluss der Jugendschutzkammer vom 5. September 2011 mitgeteilt wird, vom zugrunde liegen-den Beweisantrag aus dem Schriftsatz vom 3. September 2011 jedoch nur Beweisbehauptung und Beweismittel, nicht aber die zum Verständnis des Antrags bedeutsame Antragsbegründung. Zwar kann der Umfang des notwendigen Vortrages – insbesondere zum Beweisantrag – beim Vorwurf der Nichteinhaltung einer Wahrunterstellung je nach Angriffsrichtung der Rüge divergieren; bei der Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts ist die (vollständige) Mitteilung des Beweisantrages jedoch erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1983 – 2 StR 222/83, BGHSt 32, 44, 46).

und die 3. Rüge, mit der die Ablehnung mehrerer, auf eine psychologische Begutachtung der Zeugen P. , S. und K. sowie auf eine psychiatrische Begutachtung des Zeugen K. gerichteter Beweisanträge geltend gemacht worden ist,

weil nicht mitgeteilt wird, ob die Zeugen oder gegebenenfalls deren gesetzliche Vertreter (vgl. dazu Senge in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 81c Rn. 8) sich mit einer solchen Untersuchung einverstanden erklärt haben. Ohne Einverständniserklärung wären die beantragten Untersuchungen bereits wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung abzulehnen gewesen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. September 1990 – 5 StR 184/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 5; Beschluss vom 25. September 1990 – 5 StR 401/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6).

Man sieht mal wieder: Es ist schon fast ein Sechser im Lotto, wenn man eine Verfahrensrüge ausreichend begründet ist, na ja, zumindest Fünf mit Zusatzzahl

Eine Fundgrube an nicht erfolgreichen Verfahrensrügen… heute I: Alternatives Verfahrensgeschehen

ist der BGH, Beschl, v. 12.01.2012 – 1 StR 373/11. Damit ist der Beschluss sicherlich auch eine Anleitung zur Verfahrensrüge, vor allem, was an der ein oder anderen Stelle vorgetragen werden muss . Hier will ich heute gleich die erste Rüge heraus greifen. Mit der war ein Verstoß gegen § 229 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StPO geltend gemacht worden. Sie hatte keinen Erfolg:

a) Die Revision macht einen Verstoß gegen § 229 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StPO geltend, der darin liege, dass „die dort gesetzlich vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten“ worden seien. Gegenstand der Rüge ist eine Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen einer vom Angeklagten behaupteten Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Revision stützt den von ihr angenommenen Verstoß auf einen Alternativsachverhalt. Entweder sei der Angeklagte zum Zeitpunkt der Fortsetzung der Hauptverhandlung noch nicht gesund oder aber sei er gar nicht krank gewesen, und habe seine Krankheit nur vorgetäuscht (RB S. 267).

b) Die Rüge entspricht nicht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist deshalb bereits unzulässig, denn mit ihr wird kein bestimmter Verfahrensverstoß behauptet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, schließen sich beide Sachverhaltsvarianten gegenseitig aus. Letztlich wird das Revisionsgericht lediglich aufgefordert zu prüfen, ob in irgendeiner Richtung ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 229 StPO vorliege. Damit lässt das Revisionsvorbringen eine bestimmte Angriffsrichtung nicht erkennen.

Der Angeklagte war auch in der Lage, klar anzugeben, ob er seine Krankheit lediglich vorgetäuscht hatte oder nicht. Er wusste selbst am besten, welche Krankheitssymptome er verspürte, als er – wie im Observationsbericht und im daraufhin gegen ihn ergangenen Haftbefehl festgestellt – Müllsäcke mit einem Gewicht von 25 kg eine Treppe hinuntertrug, Einkaufs-, Schul- und Sporttaschen zwischen Auto und Haus hin- und herschleppte, täglich mit einem Porsche Carrera am Straßenverkehr teilnahm und über drei Stunden in gebückter Haltung den Garagenvorplatz reinigte.“

Also: Behauptet werden muss ein „bestimmter Verfahrensstoß“. Das Vortragen alternativen Verfahrensgeschehens ist schädlich.

Verfahrensrüge ist schon schwer…

Ein Beispiel, wie schwer es ist bzw. wie schwer es ggf. die Revisionsgerichte den Verteidigern häufig auch machen, eine ordnungsgemäß begründete Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) auf die Reihe zu bekommen ist der BGH, Beschl. v. 07.02.2012 – 4 StR 552/11. In dem heißt es zur Verfahrensrüge:

Die von Rechtsanwalt M. erhobene 2. Verfahrensrüge (Revisionsbegründung vom 8. Juli 2011, S. 5 ff.) ist auch deshalb unzulässig, weil das schriftliche Gutachten des Sachverständigen nicht vollständig mitgeteilt wird; zur 7. Verfahrensrüge (S. 18 ff. der Revisionsbegründung) wurden die in dem Beweisantrag aufgeführten Lichtbilder nicht vorgelegt. Die 8. Verfahrensrüge (S. 22 ff. der Revisionsbegründung) ist auch deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision nicht mitteilt, dass – und in welchem Umfang – die Zeugin zunächst in öffentlicher Hauptverhandlung Angaben zur Sache gemacht hat.

Man weiß natürlich nicht, was im Einzelnen gerügt war, aber: Man sieht, an welchen Kleinigkeiten es manchmal scheitern kann.

Aufmucken in der Hauptverhandlung – lieber einmal mehr…

Der BGH, Beschl. v.10.01.2012 –  5 StR 508/11 ist wieder mal ein schöne Beweis für die/meine Behauptung, dass in der Hauptverhandlung Schweigen des Verteidigers häufig nicht Gold ist, sondern nur Silber. Denn, wenn der Verteidiger in verfahrensrechtlichen Situationen, in denen es um Fragen der sog. Verhandlungsleitung des Vorsitzenden schweigt, wird es häufig mit der Verfahrensrüge in der Revision schwierig. Denn ist nicht gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet und ein Beschluss des Gerichts herbeigeführt worden, fehlt es an den Voraussetzungen des § 338 Nr. 8 StPO.

Dazu der BGH, Beschl.:

„Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge eines Fairnessverstoßes ist unzulässig. Der erst nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft erteilte Hinweis des Landgerichts auf veränderte Konkurrenzen hätte, wenn die Verteidigung ihn als verspätet beanstanden wollte, einen Zwischenrechtsbehelf erfordert: Die als Maßnahme der Verhandlungsleitung unmittelbar danach ergangene Aufforderung an den Verteidiger, den Schlussvortrag zu halten, wäre gemäß § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden gewesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 238 Rn. 22), anstatt – wie geschehen – widerspruchslos den Schlussvortrag zu halten. „

Allerdings: Wenn die Rechtsprechung an immer mehr Stellen den Widerspruch/Zwischenrechtsbehelf verlangt, dann darf man sich nicht beklagen, dass die Hauptverhandlungen so unruhig werden/sind. Der Verteidiger hat dann keine andere Wahl.

Verfahrensrüge ist schon schwer – und manchmal unverständlich

Was auf der Grundlage des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO von den Revisionsgerichten vom Verteidiger für einen für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ausreichenden Vortrag verlangt wird, ist viel. Das macht das ausreichende Begründen einer Verfahrensrüge schwer. Dem ein oder anderen wird mancher Beschluss auch unverständlich sein – wobei man mal die Frage, ob dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei seiner Einfühung dieses Gewicht zugedacht war, dahinstehen lassen kann.

Ein Beispiel ist m.E. BGH, Beschl. v.08.11.2011 – 4 StR 472/11, in dem es heißt:

„Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
Sie genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer stützt den behaupteten Verstoß gegen § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO auf im Hauptverhandlungsprotokoll beurkundete Verfahrensvorgänge, ohne den diesbezüglichen Inhalt der Sitzungsniederschrift in der Revisionsrechtfertigung mitzuteilen. Eine bloße Bezugnahme reicht nicht aus. Die Rüge hätte auch in der Sache keinen Erfolg. Eine Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO liegt schon deshalb nicht vor, weil es, wie die Revision selbst vorträgt, zu einer Verständigung nicht gekommen ist.“

Eine bloße Bezugnahme auf das Protokoll der HV reicht eben nicht. Es muss schon vorgetragen werden, welchen Inhalt das Protokoll hat. Allerdings tröstet (?), dass die Rüge auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte. dazu fragt man sich allerdings – was man jedoch ohne nähere Verfahrenskenntnisse nicht beantworten kann – wieso ein Verstoß gegegn § 257c StPO gerügt wird, wenn eine Verständigung gar nicht zustande gekommen ist.