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DNA passt, also Sack zu = Verurteilung, so geht es nicht

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In der letzten Zeit hat der BGH in mehreren Entscheidungen zur Beweisführung mit/durch ein DNA-Gutachten und zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung genommen. So z.B. im BGH, Urt. v. 03.05.2012 – 3 StR 46/12. Aus der Rechtsprechung des BGH kann man ableiten, dass es sich die Tatgerichte manchmal zu einfach machen. Jedenfalls passt die Argumentation: DNA passt, also Sack zu = Verurteilung, so nicht.

Das lässt sich sehr schön aus dem BGH, Urt. v. 03.05.2012 ableiten. Danach sind auch bei einem DNA-Gutachten zwei Schritte zu unterscheiden, und zwar:

1. Schritt:

Für DNA-Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Zwar ist das in der forensischen Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren, das dazu dient, aus der Probe sowie aus der Vergleichsprobe jeweils eine bestimmte Anzahl in der Kern-DNA auftretender Systeme (sog. short tandem repeats; STR) eindeutig zu iden-tifizieren, um so (zunächst) Übereinstimmungen festzustellen, inzwischen in seinen Abläufen so weit standardisiert, dass es im Urteil keiner näheren Darlegungen hierzu bedarf.

2. Schritt:

Kein in diesem Sinne standardisiertes Verfahren ist aber die im zweiten Schritt an die so gewonnenen Daten anknüpfende Wahrscheinlichkeitsberechnung, denn die Aussage darüber, mit welcher statistischen Häufigkeit ein bestimmtes Merkmal oder eine bestimmte Merkmalskombination auftritt, hängt zunächst von einer wertenden Entscheidung des Gutachters ab, welche Vergleichspopulation er ausgehend von der genetischen Herkunft des Täters heranzieht und inwieweit er aufgrund voneinander unabhängiger Vererbung der übereinstimmenden Merkmale die sog. Produktregel anwendet. Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Wahrscheinlichkeitsberechnung auf ihre Plausibilität zu ermöglichen, verlangt der Bundesgerichtshof deshalb in ständiger Rechtsprechung die Mitteilung ihrer Grundlagen im Urteil (Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12; Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 53; Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 StR 722/08, NJW 2009, 1159; Beschluss vom 5. Februar 1992 – 5 StR 677/91, NStZ 1992, 601; Urteil vom 12. August 1992 – 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320). Hierzu gehören – zumindest wenn der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört – eine hinreichend deutliche Umschreibung der zum Vergleich herangezogenen Bevölke-rungsgruppe sowie jedenfalls die Häufigkeit der einzelnen als übereinstimmend festgestellten Merkmale in dieser Vergleichspopulation sowie eine Aussage dazu, inwieweit in wissenschaftlich zulässiger Weise die sog. Produktregel zur Anwendung kam.

Zum konkreten Fall dann:

Diesen Maßstäben wird hier die bloße Mitteilung im Urteil, unter Anwendung biostatistischer Berechnungsmethoden ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von eins zu mehr als zehn Milliarden, nicht gerecht. Weder werden die Faktoren erkennbar, auf denen dieses rechnerische Ergebnis beruht, noch wird ersichtlich, inwieweit der Gutachter bei der Auswahl der Vergleichspopulation mögliche aus der ethnischen Herkunft des Angeklagten – eines marokkanischen Staatsangehörigen – herrührende Besonderheiten berücksichtigt hat.


Messung mit VAMA – Urteilsanforderungen

Ich habe schon länger nicht mehr über interessante Entscheidungen zum Owi-Verfahren berichten können. Was ist los? Flaute? Die ein oder andere Entscheidung habe ich aber noch im Bestand. So den OLG Bamberg, Beschl. v. 01.09.2011 – 2 Ss OWi 1036/11 – also auch schon nicht mehr ganz taufrisch.

Der Beschluss nimmt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei Verurteilung wegen Nichteinhaltung der Höchstgeschwindigkeit und des Sicherheitsabstands Stellung, und zwar mit folgenden Leitsätzen.

1. Die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung mit dem Video-Abstands-Messverfahren VAMA erfüllt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens.

2. Die auf den Videoaufnahmen dokumentierten Verstöße werden jedoch im Rahmen einer nachträglichen Auswertung des Videobandes durch eine Weg-Zeit-Berechnung ermittelt, wobei sich die für die jeweiligen Zeitnahmen maßgeblichen Zeitpunkte aus der Richtlinie des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren zur polizeilichen Verkehrsüberwachung vom 12.05.2006 (VÜR), Ergänzende Weisung Nr. 6.1 Ziff. 7, ergeben.

3. Da diese Weg-Zeit-Berechnung nicht automatisiert erfolgt, muss der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung seiner Berechnung ermöglichen, wobei er im Regelfall zumindest die in den polizeilichen Richtlinien genannten Zeitpunkte mitzuteilen und auch darzulegen hat, dass die nach den polizeilichen Richtlinien vorgeschriebenen Toleranzen eingehalten worden sind.

Und: Bedenken hatte das OLG hinsichtlich der Ausführungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen.

Zwar hat das Amtsgericht auf das bei der Akte befindliche Fahrerlichtbild (Bl. 7 d.A) gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verwiesen. Allerdings scheint die Tatrichterin gewisse Bedenken hinsichtlich der Qualität und Eignung der (bisher) bei der Akte befindlichen Beweisbilder gehabt zu haben. Dies entnimmt der Senat aus folgendem Passus der Urteilsgründe:

„Die Lichtbilder sind im Bezug auf Farbqualität und Schärfe von mittlerer Qualität. Im Bezug auf die Anzahl erkennbarer Merkmale aus Gesicht und Ohren sind die Bilder von mittlerer Qualität.“

Wenn aber Lichtbilder eines Betroffenen zur Identifizierung nur eingeschränkt geeignet sind, dann muss der Tatrichter weiter darlegen, warum ihm die Identifizierung trotz der eingeschränkten Bildqualität möglich erscheint. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale des Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend sind, sind zu benennen und zu beschreiben (OLG Hamm NZV 2006, 162 [OLG Hamm 13.05.2005 – 2 Ss OWi 274/05]).

Für den Fortgang des Verfahrens weist der Senat rein vorsorglich darauf hin, dass Hochglanzabzüge vom Fahrerlichtbild, die beim Bayerischen Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi-Stelle – Straubing angefordert werden können, unter Umständen eine bessere Qualität aufweisen, als normale Videoprints.

 

Providamessung – sag mir, wie du gemessen hast

Passt nicht ganz zum Blitzmarathon, habe ein wenig doch, da es auch um Geschwindigkeitsmessung geht. Allerdings Messung mit Provida. Die Messung mit Provida ist nach allgemeiner Meinung ein sog. standardisierte Messverfahren. Das heißt, die Feststellungen im Urteil des Amtsrichters müssen nicht so umfangreich sein. Messverfahren und Messtoleranz reichen. Allerdings: Auch die Betriebsart wollen die OLG wissen. Dazu jetzt noch einmal der OLG Bamberg, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 Ss OWi 11904/11 – mit den Leitsätzen:

1. Erfüllt die Geschwindigkeitsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt (Anschluss an BGHSt 39, 291/301 ff.; 43, 277/282 ff.; BayObLGSt 1993, 55/56 f.; stRspr.).

2. Zu den in den Urteilsgründen niederzulegenden Mindestangaben zählt beim Einsatz des ProVida-Systems zur Geschwindigkeitsmessung allerdings grundsätzlich auch die Mitteilung, welche der nach diesem System mögliche Betriebsart bzw. Messmethode konkret angewandt und welcher Toleranzwert demgemäß zugrunde gelegt wurde.

„Starenkasten“ reicht nicht, ..

wenn damit eine Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren dargestellt/beschrieben werden soll. So zutreffend der OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2011 – 322 SsRs 328/11.  Denn die Bezeichnung lässt nun in keiner Weise erkennen, welches Messverfahren verwandt worden ist, insbesondere, ob es sich überhaupt um ein sog. standardisiertes Messverfahren, bei dem die Anforderungen an die Urteilsgründe reduziert sind gehandelt hat. Mitgeteilt werden muss daher auf jeden Fall das Messverfahren und der in Abzug gebrachte Toleranzwert. Umstritten. ist, ob das Urteil, wovon offenbar auch das OLG Celle ausgeht, darüber hinaus grds. Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss.

Der einsendende Kollege weist mit Recht darauf hin, dass, auch wenn die Entscheidung in rechtlicher Hinsicht wenig Neues bietet, sie doch zeigt, dass eine genaue Prüfung der Urteilsgründe auf „Standardfehler“ selbst dann sinnvoll ist, wenn die erhöhte Hürde des Zulassungantrages zu überspringen ist.

Zu begrüßen ist es zudem, dass das OLG die Rechtsbeschwerde zugelassen und sich nicht auf die häufig(er) zu lesende Argumentation „Fehler im Einzelfall, der sich nach einem Hinweis des OLG nicht wiederholen wird“, zurückgezogene und den Zulassungsantrag dann mit der Begründung verworfen hat.

Messen durch Nachfahren ist schwer

na ja, jedenfalls scheint es für die AG schwer zu sein, wenn sie den Geschwindigkeitsverstoß im Urteil darstellen sollen/müssen. Das zeigt die verhältnismäßig hohe Anzahl von Rechtsbeschwerden, die in diesen Fällen Erfolg haben. Denn anders als bei standardisierten Messverfahren genügt bei dieser Art von Geschwindigkeitsmessung nicht, wenn nur das Messverfahren und der Toleranzwert mitgeteilt werden (vgl. zum standardisierten Verfahren Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2011, Rn. 1513 ff.). Vielmehr muss der Tatrichter die Messung im Einzelnen beschreiben. Und dazu gehört bei der Messung durch Nachfahren zur Nachtzeit eben auch, wie eigentlich die Messbeamten bei den bei Dunkelheit i.d.R. schlecht(eren) Sichtverhältnissen den gleichbleibenden Abstand zwischen dem Messfahrzeug und dem voraus fahrenden Fahrzeug des Betroffenen ermittelt haben. Das fehlt nicht selten, so auch hier (eingehend zu den erforderlichen Ausführungen im Urteil bei einer Messung durch Nachfahren Burhoff/Burhoff, a.a.O., Rn. 1529 ff.). Zu allem jetzt mal wieder der OLG Hamm, Beschl. v. 15. 9.2011 – III -2 RBs 108/11, der zur Rechtsbeschwerde in den Fällen „einlädt“.