Schlagwort-Archive: Urteilsanforderungen

Immer wieder dasselbe: Liest denn keiner BGH-Entscheidungen?

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Immer wieder Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB). Man ist erstaunt, dass die Revisionsgerichte sich dazu so häufig äußern müssen, fast mag man es schon nicht mehr lesen. Diese Häufigkeit von Entscheidungen zu den §315b-StGB-Fragen zeigt, dass die ständige Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen und den Urteilsanforderungen offenbar bei den Instanzgerichten nicht ankommt (vgl. zuletzt u.a. zum BGH Endlich mal wieder was zum Verkehrsstrafrecht: Der “Rammer” im Straßenverkehr bzw. die “Rambofahrt”). Diese Rechtsprechung hat das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2013 – 5 RVs 41/13 – noch einmal schön zusammengefasst (vgl. auch meinen Beitrag „Die „konkrete Gefahr“ i.S. der §§ 315c, 315b StGB“ aus VRR 2011, 369.Auf folgende Punkte ist bei der Prüfung eines Urteils u.a. zu achten:

  • Ergibt sich aus den Feststellungen, dass Leib oder Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden sind? Erforderlich sind Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und ggf. der Kollisionsintensität zwischen den beteiligten Fahrzeugen.
  • Ist die konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert belegt. Hat dieser fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht?. Sind insoweit die beiden Prüfschritte eingehalten?

„Immer wieder Sonntags“ – gilt das Sonntagsfahrverbot

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Wenn man derzeit am Wochenende auf der Autobahn unterwegs ist, dann ist man froh, dass es ein Sonntagsfahrverbot für Lkw (§ 30 Abs. 3 Satz 1 StVO) gibt. Schleichende Wohnwagen und Wohnmobile – bestückt mit Surfbrettern und mindestens vier Fahrrädern – sorgen schon für genügend Staupotenial, das braucht es nicht noch lange Schlangen von Lkw`s. Von diesem Sonntagsfahrverbot gibt es allerdings Ausnahmen. Eine solche war einem Transportunternehmen in Schleswig-Holstein erteilt, allerdings nur für Transporte, die unvermeidlich in dem Verbotszeitraum durchgeführt werden müssen. Einer seiner Lkws wurde dann aber an einem Sonntag in Herford „erwischt“. Transportiert wurden Gestelle und Leergu. Es erging gegen den Halter ein Bußgeldbescheid. Der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2013 – 3 RBs 336/13 – sagt dazu: Ja, aber….

Das Amtsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Fahrzeughalter Täter einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 25, 30 Abs. 3 Satz 1 StVO sein kann (vgl. BayObLG, VRS 70, 471). Dies bedeutet aber nicht, dass der Fahrzeughalter stets persönlich für einen Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot verantwortlich ist. Vielmehr gelten auch insoweit die von der Rechtsprechung in Bezug auf den Halter entwickelten Grundsätze (BayObLG, a.a.O.). Danach kann der Inhaber eines Betriebes seine Halterpflichten einer anderen Person nicht nur dergestalt übertragen, dass diese sie in eigener Verantwortung zu erfüllen hat; er kann sich auch bei der Erfüllung seiner Pflichten anderer als Hilfspersonen bedienen (BayObLG, a.a.O.). Entsprechend der Größe seines Betriebes hat er die organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die ein Höchstmaß an Sicherheit gegen einen vorschriftswidrigen Einsatz seiner Fahrzeuge gewährleisten (BayObLG, a.a.O. m.w.N.). Damit bleibt er zwar Normadressat; seine Verantwortlichkeit wird aber inhaltlich dahin abgeändert, dass er nur für die Auswahl geeigneter Hilfspersonen und für deren Überwachung einzustehen hat (BayObLG, a.a.O.). Art und Umfang der Überwachungspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Größe und der Organisation des Betriebes sowie der Zuverlässigkeit und der Fachkunde der beauftragten Aufsichts- und Hilfspersonen sowie der Fahrzeugführer (BayObLG, a.a.O.).

Ob dem Betroffenen, gemessen an diesen Grundsätzen, ein fahrlässiges Zulassen des Verstoßes gegen das Sonntagsfahrverbot zur Last gelegt werden kann, lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts nicht entnehmen. Die Gründe des angefochtenen Urteils beschränken sich insoweit nur auf pauschale Ausführungen ohne konkreten Tatsachenbezug; insbesondere fehlen Feststellungen zur Organisation und zu den Entscheidungsprozessen in dem von dem Betroffenen geleiteten Betrieb.“

Also: „Immer wieder Sonntags“…..

OLG Frankfurt zu Provida – bin etwas verwirrt

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Der OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.03.2013, 2 Ss-OWi 1003/12 – lässt mich etwas verwirrt zurück. Das OLG hat in ihm zu „Provida 2000 Modular“ Stellung genommen. Die Leitsätze:

Auch bei dem Messverfahren „Provida 2000 Modular“ reicht es aus, darzulegen, dass ein sog. standardisiertes Verfahren zum Einsatz gekommen ist, die Messung ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sowie die gewonnenen Messergebnisse und die in Ansatz gebrachte Messtoleranz mitzuteilen.

Sollte die konkrete Verwendung des Messgeräts einen anderen als vom Amtsgericht zugrunde gelegten Toleranzwert notwendig machen, bedarf es einer Verfahrensrüge, in der der Betroffene konkret darlegen muss, in welcher Art und Weise die Messanlage in Einsatz gebracht worden ist und welcher anderer, als der festgestellte Toleranzwert sich daraus ergibt.

So weit, so gut. Aber: Das OLG führt aus:

„Die Rechtsprechung auf die sich der Betroffene und in Teilen auch die Generalstaatsanwaltschaft bezieht, sind allgemein gehalten und gehen auf eine Zeit zurück, in der es aufgrund bauartbedingter Besonderheiten dazu gekommen ist, dass für einen bestimmten Einsatz der Nachfahrt mit dem vorliegenden Messgerät keine PTB-Zulassung vorlag und somit kein standardisiertes Messverfahren gegeben war (vgl. OLG Hamm Beschluss v. 26.02.2009 – 3 SsOwi 871/08). Diese Besonderheiten im Tatsächlichen sind allerdings längst beseitigt (vgl. bereits klarstellend OLG Hamm Beschluss v. 15.11.2000 – 2 Ss OWi 1057/00; OLG Düsseldorf Beschluss v. 13.06.2000 – 2b Ss (Owi) 125/00; OLG Köln DAR 1999, 516 [OLG Köln 30.07.1999 – Ss 343/99 B]; etwas missverständlich als obiter dictum OLG Bamberg DAR 2012, 154 Rn. 18).

Das Tatgericht ist deswegen auch nicht gehalten, auch wenn es hilfreich ist, mitzuteilen, in welcher Art und Weise die ProVida 2000 Modular-Messanlage vorliegend zum Einsatz gekommen ist, da der Einsatz keine Auswirkungen auf das standarisierte Messergebnis (mehr) hat.“

Und das verwirrt mich: Das OLG weist darauf hin, dass die Rechtsprechung, auf die sich der Betroffene zur Begründung bezogen habe, auf eine Zeit zurückgehe, in der es aufgrund bauartbedingter Besonderheiten dazu gekommen sei, dass für einen bestimmten Einsatz der Nachfahrt mit dem vorliegenden Messgerät keine PTB-Zulassung vorlag und somit kein standardisiertes Messverfahren gegeben war. Dazu wird verwiesen auf OLG Hamm, Beschl. v. 26. 2. 2009 (3 Ss Owi 871/08, VRR 2009, 195), woraus das jedoch nicht folgt. Diese Besonderheiten im Tatsächlichen seien allerdings – so das OLG – längst beseitigt, wozu – angeblich „bereits klarstellend“ – verwiesen wird auf OLG DAR 2001, 85 = VRS 100, 61; OLG Düsseldorf VRS 99, 133; OLG Köln DAR 1999, 516, und auf „etwas missverständlich als obiter dictum“ OLG Bamberg DAR 2012, 154 Rn. 18). M.E. ist in den Entscheidungen gar nichts klar gestellt und kann ja auch wohl auf eine erst 2009 ergehende Entscheidung nicht klar gestellt werden. Für mich ist nicht ersichtlich, was das OLG eigentlich sagen will. Dass „Provida“ ein standardisiertes Messverfahren für Geschwindigkeitsüberschreitung ist, ist ständige Rechtsprechung der OLG, etwas anderes gilt für Abstandsmessungen. Die OLG verlangen aber auch immer noch wegen der unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Provida deren Mitteilung, da das für den anzunehmenden Toleranzwert von Bedeutung sein kann (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.). Also was nun?


 

 

 

 

„Ich habe dich gesehen – du warst zu schnell“ – OLG Celle zum Nachfahren

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Wir haben länger nichts mehr zu Messverfahren pp. gebracht. Daher heute der Hinweis auf den OLG Celle, Beschl. v.11.03.2013 – 322 SsBs 69/13, der sich mit der Messung durch Nachfahren zur Nachzeit befasst. Das ist ein Messverfahren, bei dem es in den amtsrichterlichen Urteilen häufig zu Fehlern kommt. Das Messverfahren ist nämlich nach der Rechtsprechung der OLG nicht standardisiert, was zur Folge hat, dass der Amtsrichter das Verfahren und die Messung im Einzelnen beschreiben muss.

Daran hapert es aber häufig, weil die Anforderungen der OLG hier sehr streng sind. Erforderlich ist u.a. die Angabe eines/des sog. gleich bleibenden Verfolgungsabstandes. Dazu muss dann u.a. auch dargelegt werden, an welchen an welchen äußeren Anzeichen die Messbeamten die Einhaltung diese gleichbleibenden Abstandes zum gemessenen Fahrzeug erkannt haben, was ja zur Nachtzeit nicht so ganz einfach sein kann. Ein wenig leichter macht es nun der OLG Beschluss. Danach sind  solche Feststellungen nicht erforderlich, wenn sich das gemessene Fahrzeug ständig im Lichtkegel des folgenden Polizeifahrzeuges befand:

„Weiterer Feststellungen zur Beleuchtungssituation und zu Markierungspunkten auf der Messstrecke bedurfte es deshalb hier nicht. Das angefochtene Urteil stellt fest, dass der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem Polizeifahrzeug über eine Strecke von 500 m gleichbleibend nur 30 m betrug, sodass das Fahrzeug des Betroffenen sich ständig im Lichtkegel des nachfahrenden Polizeifahrzeuges befand (vgl. zur Reichweite moderner Scheinwerferanlagen Daur in Hentschel/König/Daur, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 50 StVZO Rdnr. 15). Bei dem geringen Abstand von 30 m und den durch die Scheinwerfer des folgenden Polizeifahrzeuges sichergestellte ständige Erkennbarkeit des verfolgten Fahrzeuges sind besondere Feststellungen zum gleichbleibenden Abstand zwischen beiden Fahrzeugen entbehrlich (ebenso OLG Köln a. a. O.). Polizeibeamte in dem folgenden Fahrzeug können im Lichtkegel ihres Fahrzeuges jederzeit erkennen, ob sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug verkürzt, verlängert oder gleich bleibt.“

Verwertung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens – was muss ins Urteil?

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Von Kollegen höre ich auf Fortbildungen, dass dann doch im Zusammenhang mit der  Täteridentifizierung auch in Bußgelvderfahren immer mehr anthropologische Vergleichsgutachten eingeholt und zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden. Daher stellt sich immer häufiger die Frage: Was gehört dann eigentlich ins Urteil?

Mit der Frage befasst sich der OLG Celle, Beschl. v. 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12. Das AG hatte der Verurteilung des Betroffenen wegen einer  Geschwindigkeitsüberschreitung die nach seiner Auffassung schlüssigen gutachterlichen Ausführungen eines Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten zugrunde gelegt. Der Sachverständige habe 21 prägnante Gesichtsmerkmale auf dem qualitativ sehr guten Messfoto feststellen können, die sämtlich mit denen des Gesichts des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen übereinstimmten. Das OLG hat auch die Rechtsbeschwerde aufgehoben. Wesentlich aus Aufhebungsentscheidung sind zwei Punkte:

  1. Nach der Rechtsprechung des BGH und der OLG muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer – wenn auch nur ge­drängten – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde­liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nach­prüfung zu ermöglichen. Hiervon kann lediglich bei sogenannten standardisierten Untersuchungsmethoden abgewichen werden, bei welchen sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens be­schränken kann. Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich indessen nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode. Dem ist der AG nicht gerecht geworden.
  2. Eine ausdrückliche Absage hat das OLG der Auffassung in der Rechtsprechung erteilt, die in diesen Fällen auch noch konkrete Angaben zu der Merkmalshäufigkeit verlangt (OLG Bamberg VA 2010, 138; OLG Braunschweig NStZ-RR 2007, 180; OLG Celle [2. Senat für Bußgeldsachen] NZV 2002, 472; OLG Jena DAR 2006, 523), und sich damit dem OLG Oldenburg (NZV 2009, 52) und dem OLG Hamm (DAR 2008, 395) angeschlossen. Begründet hat das OLG diese Ansicht damit, dass zwischen den Klassifizierungen von Einzelmerkmalen ein gleitender Übergang bestehe, weswegen in der Regel keine genauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person angehört, gemacht werden können (vgl. BGH StV 2005, 374). Zwar könne es Merkmale geben, die äußerst selten sind und bei denen Angaben zu Häufigkeiten illustrativ und nützlich sein können. Bei einem „Durchschnittsgesicht“ kommt es jedoch viel mehr auf die Anzahl der Merkmale an, die der Sachverständige erkennen und gewichten könne.