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Unterbringung – wann reicht es?

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Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur  Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230)„, so formuliert der BGH zu § 63 StGB im BGH, Beschl. v. 04.07.2012 – 4 StR 224/12 – und fasst dann noch einmal zusammen, wie die Anlasstaten beschaffen sein müssen, um Grudnlage für eine Unterbringungsanordnung sein können:

Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Dabei kann sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittle-ren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens dagegen nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304).

Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr  es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).

In dem dem BGH, Beschl. zugrunde liegenden Verfahren hatte es dann nicht gereicht.

 

Ein „bisschen“ BtM führt nicht zur Unterbringung

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In BtM-Verfahren spielen häufig (auch) die Fragen einer Unterbringung nach den § 64 StGB eine Rolle. In dem Zusammenhang hat jetzt der OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.06.2012 – 1 St OLG Ss 128/2012 – vor kurzem darauf hingewiesen, dass allein der Erwerb von kleinen Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht rechtfertigt.

 Die Drogenabhängigkeit des Angeklagten lässt zwar weitere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in Form des Erwerbs von kleinen Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum erwarten. Dies allein kann aber eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht rechtfertigen (vgl. BGH NStZ 1994, 280 m.w.N.; Fischer, StGB 59. Auflage § 64 Rn. 16 m.w.N.). Die bisher abgeurteilten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und auch die vorliegend relevante Tat – Symptomcharakter wurde insoweit nur hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von 0,258 g Metamphetamin festgestellt, nicht jedoch hinsichtlich der Widerstandshandlungen – können die Annahme künftiger erheblicher Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht nahe legen; hinreichende Anhaltspunkte für Beschaffungsdelinquenz sind im Urteil nicht festgestellt.

Sechs Monate Freiheitsstrafe – erhebliche rechtswidrige Tat?

Die Unterbringung nach § 64 StGB setzt die Verurteilung wegen einer erheblichen rechtswidrigen Tat voraus. Von einer solchen geht der OLG Celle, Beschl. v. 17.11.2011 – 32 Ss 140/11 – aus, wenn der Angeklagte wegen eines Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung, bei der der Angeklagte im Zustand der alkoholbedingt erheblich verminderten Schuldfähigkeit einem Polizeibeamten einen gezielten Faustschlag gegen die Stirn versetzt hat, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist, so handelt es sich um eine erhebliche rechtswidrige Tat i. S. d. § 64 StGB. Dazu heißt es:

„Zwar steht dem Tatrichter bei der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ein Ermessensspielraum zu, und zwar sowohl materiellrechtlich gem. § 64 S. 1 StGB (als Sollvorschrift) als auch prozessual hinsichtlich der Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 246a S. 2 StPO in Fällen, in denen das Gericht die Anordnung der Maßregel nicht einmal erwägt (zu den Kriterien hierfür und den schon im Gesetzgebungsverfahren vertretenen unterschiedlichen Ansichten vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 246a Rn. 3 m.w.N.). Insoweit ist es auch nicht rechtsfehlerhaft, von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abzusehen, wenn das Gericht bereits aus rechtlichen Gründen, die der Bewertung durch einen Sachverständigen entzogen sind, von der Anordnung der Maßregel absehen will, namentlich deswegen, weil die vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten keine erheblichen Straftaten i. S. d. § 64 StGB sind oder weil die Anordnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen würde.

 Im konkreten Fall steht jedoch zu besorgen, dass das Landgericht zu enge Kriterien an den Begriff der erheblichen rechtswidrigen Tat i. S. d. § 64 StGB angelegt hat. Zwar reichen hierfür geringfügige Taten wie der Erwerb kleiner Rauschgiftmengen zum Eigenverbrauch (BGH NStZ 1994, 280), kleine Diebstähle oder Betrügereien (BGH NStZ 1992, 178) nicht aus. Insoweit hat das Landgericht, ausgehend von der Prämisse, dass von dem Angeklagten nur solche Taten zu erwarten seien, die er schon begangen hat, rechtsfehlerfrei Taten der Leistungserschleichung und des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum als erhebliche rechtswidrige Taten ausgeschlossen.

 Etwas anderes gilt jedoch insbesondere für das Anlassgeschehen selbst, das das Landgericht (wie auch die Vorverurteilung wegen Erwerbs von Kokain) als Straftaten von einer „erheblicheren Kriminalität“, aber angesichts der Freiheitsstrafe von 6 Monaten als nicht „so schwerwiegend“ bezeichnet hat. § 64 StGB setzt keine schwerwiegende Kriminalität voraus; in Abweichung von § 63 StGB ist auch keine Gefahr für die Allgemeinheit erforderlich. Das Anlassgeschehen stellt sich als empfindliche Störung des Rechtsfriedens dar, indem der Angeklagte durch den Faustschlag gezielte körperliche Gewalt gegen einen Ermittlungsbeamten eingesetzt hat. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bei einem nach §§ 21, 49 StGB bereits reduzierten Strafrahmen hebt die Tat deutlich aus dem Kreis geringfügiger Straftaten heraus.

 Bei der Abwägung, ob die Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wird das Landgericht auch zu berücksichtigen haben, dass neben dem Vollzug der hier zu verhängenden Freiheitsstrafe auch der zu erwartende Widerruf zweier Bewährungsstrafen tritt. Zwar kann die Dauer des Maßregelvollzugs auf in anderen Verfahren verhängte Strafen nicht angerechnet werden (§ 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollzO); die erfolgreiche Absolvierung der Maßregel kann aber auch bei diesen Strafen für Entscheidungen nach § 57 StGB von erheblicher Relevanz sein.

Unterbringung bei Erwerb geringer Mengen BtM?

Die Antwort auf die Frage: Unterbringung nach § 64 StGB (auch) bei Erwerb geringer Mengen BtM?, lautet nein: Darauf weist der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.11.2011 – III – 3 RVs 138/11. Dazu heißt es im Beschluss.

Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) begegnet insoweit durchgreifenden Bedenken,  als die Gefahr der Begehung künftiger erheblicher rechtswidriger Taten nicht belegt ist. Gegenstand der bisherigen Betäubungsmitteldelikte des Angeklagten waren geringe Cannabismengen zum Eigenkonsum (zuletzt am 30. Januar 2009 Einfuhr von 1,8 Gramm Marihuana und am 18. November 2009 Einfuhr von 1,6 Gramm Marihuana). Zwar lassen diese Umstände in Anbetracht der unbehandelten Cannabisabhängigkeit auch künftig vergleichbare Taten erwarten. Allein die Gefahr des Erwerbs geringer Betäubungsmittelmengen zum Eigenkonsum kann die Unterbringung gemäß § 64 StGB indes nicht rechtfertigen…………“

Ich will in die Unterbringung…

Liest man ja auch nicht so häufig, dass Revision nur eingelegt wird, weil die Unterbringung des Angeklagten in der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht angeordnet worden ist; verstehen kann man es grds., wenn die Unterbringung dem Knast vorgezogen wird. So aber z.B. im BGH, Beschl. v. 29.08.2011 – 5 StR 329/11, vgl. auch noch hier. Dazu, dass das nicht geht, führt der BGH aus:

Das Rechtsmittel ist bereits mangels Beschwer des Angeklagten unzulässig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Angeklagter ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten kann, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f., und vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 7; Beschlüsse vom 13. Juni 1991 – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 7, und vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 459/10, NStZ-RR 2011, 255). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Revisionsschrift entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts neben der ausdrücklich und insoweit aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht ordnungsgemäß nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge auch die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts entnommen werden könnte.“