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Zusätzliche Verfahrensgebühr nach einer Einstellung gem. § 154 StPO, oder: Umfang der Mitwirkung

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So, heute dann noch einmal in 2020 ein RVG-Tag. Das letzte Mal, denn am nächsten Freitag ist ja schon Weihnachten und da stelle ich ja keine Gebührenentscheidungen vor.Und an der Stelle heute herzlichen Dank an alle Kollegen, die mir im letzten Jahr gebührenrechtliche Entscheidungen geschickt haben. Sie sind fast alle auf der Homepage eingestellt und waren häufig auch Gegenstand der Berichterstattung hie rim Blog. Der – und auch der RVG-Kommentar – leben von diesen Einsendungen. Also bitte: Weiter machen.

Zum Jahresschluss stellt ich heute dann zwei positive landgerichtliche Entscheidungen vor. Zunächst kommt der LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 – 4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20). Er äußert sich noch einmal zur Nr. 4141 VV RVG, und zwar zum Entstehen in den Fällen der Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO sowie zum Umfang der Mitwirkung:

„Die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG ist entstanden.

Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG (fortan: VV RVG), die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – IX ZR 153/10 Rn. 7, juris).

Zunächst entspricht es der herrschenden Meinung, dass auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung im Sinne der Norm ist, da der Fortführung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 4 und 5 StPO erhebliche Hindernisse entgegenstehen (OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 – 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).

Darüber hinaus liegt auch eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahren vor. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt gebührenrechtlich jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.

Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist dagegen unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung kann keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden.

Für die Beurteilung kommt es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern.

Dem steht auch nicht der Zweck der Regelung entgegen. Die jetzt geltende Regelung der Nr. 4141 VV RVG hat den Grundgedanken des § 84 Abs. 2 BRAGO übernommen, nämlich intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich zu honorieren. Ziel der Regelung ist damit eine Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte. Dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (BGH, Urteil vom 05. November 2009 – IX ZR 237/08 Rn. 10, juris).

Die Begründung zeigt nur, weshalb der Gesetzgeber diesen Gebührentatbestand geschaffen hat. Angesichts des Gesetz gewordenen Wortlauts selbst kann hieraus aber keine einschränkende Auslegung im dem Sinn vorgenommen werden, dass unter anwaltlicher Mitwirkung nur intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten zu verstehen wären. Die gebotene Auslegung des Gesetzes hat den in der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dessen Sinnzusammenhang ergibt. Die Materialien zur Entstehungsgeschichte dürfen dabei nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden, sondern sind nur unterstützend heranzuziehen. Die Begrifflichkeit „anwaltliche Mitwirkung“ der Nr. 4141 VV RVG ist daher unter Berücksichtigung des in Absatz 2 ausformulierten Ausschlusstatbestandes in dem Sinn auszulegen, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert, „eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit“ entfaltet haben muss (OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 — 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).

Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der anwaltlichen Mitwirkung in Bußgeldsachen vor der Verwaltungsbehörde nach Nr.  5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, dessen Wortlaut Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entspricht. Auch dort genügt jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist. Der strengere Maßstab nach Nr. 1002 VV RVG, welcher eine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit verlangt, lässt sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht auf Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VVRVG übertragen, da Nr. 1002 VV RVG keine den Grad der Mitwirkung konkretisierende Regelung aufweist, wie sie in Nr. 5115 Abs. 2 und auch Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG ausdrücklich aufgenommen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008- IX ZR 174/07 -, juris). Nach Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG genügt für das Anfallen der Zusatzgebühr bereits ein Beitrag zur Förderung des Verfahrens. Dies ist ersichtlich weniger als eine Mitwirkung zur Erledigung des Verfahrens.

Vorliegend hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 03.08.2020 einer Verfahrenseinstellung zugestimmt und den Verzicht auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände erklärt. Diese Tätigkeit war geeignet, die Einstellung des Verfahrens zu fördern, da das Gericht gegenüber dem Erinnerungsführer erklärt hat, die Einstellung des Verfahrens solle vom dem Verzicht abhängig gemacht werden.

Ob der Verzicht in tatsächlicher Hinsicht für die darauffolgende Einstellungsentscheidung von Bedeutung gewesen ist, ist dagegen unerheblich. Die auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Mitwirkungshandlung muss für die Entscheidung des Gerichts nicht ursächlich oder mitursächlich sein. Denn im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens soll vermieden werden, dass nachträglich die subjektiven Erwägungen und Vorstellungen der entscheidenden Richter ermittelt werden müssen und als Maßstab für die Bewertung zugrunde gelegt werden (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 – 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).“