Die zweite Entscheidung kommt heute vom LG Wuppertal, und zwar ist es das (ebenfalls) schon etwas ältere LG Wuppertal, Urt. v. 05.07.2018 – 5 O 124/15. Auch hier liegt eine häufigere Verkehrssituattion zugrunde. Geltend gemacht werden von der Klägerin nämlich Schadensersatzansprüche aus einem Abbiegeunfall, bei dem das (Leasing)Fahrzeug der Klägering mit dem überholenden Pkw des Beklagten kollidiert ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte die Kollision, als das klägerische Fahrzeug bereits vor dem Abbiegevorgang längere Zeit zur Mittellinie hin eingeordnet mit links gesetzten Blinker gestanden hat und dann in den Abbiegevorgang gesteuert wurde. Das Abbiegen selber wurde in einen Zufahrtsweg vorgenommen, der von dem fließenden Verkehr baulich abgetrennt gewesen ist und später zu verschiedenen Grundstücken geführt hat, ohne dass der abbiegende Bereich bereits selber von einem Grundstück erfasst worden wäre.
Gestritten worden ist ua. über die zu bildende Haftungsquote und auch über die Höhe der Ersatzansprüche, letzteres lasse ich hier aber mal außen vor. Das LG Wuppertal hat der Klage lediglich in Höhe von 40 % stattgegeben. Zu Lasten der Beklagtenseite wäre ein Überholen in einer unklaren Verkehrslage nach dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO anzunehmen, da aufgrund der Einordnung des klägerischen Fahrzeuges zur Fahrbahnmitte hin bei einem links gesetzten Blinker ein Überholvorgang nicht hätte stattfinden dürfen. Gegen die Klägerseite würde dagegen der Beweis des ersten Anscheins im Hinblick auf einen schuldhaften Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO sprechen. Darüber hinaus wäre nach Auffassung auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO wegen des Abbiegens vom fließenden in den ruhenden Verkehr anzunehmen, bei dem die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hätte ausgeschlossen werden müssen. Maßgeblich dafür sei der vorzugswürdige funktionale Begriff eines „Grundstücks“ im Sinne dieser Vorschrift, wonach – unabhängig von einer Zuordnung zu einem einzelnen Grundstück – insgesamt der Bereich des ruhenden Verkehrs mit dem Ziel des Abbiegemanövers erreicht werden solle.
Die Kernaussagen/Leitsätze der Entscheidungen:
- Gegen den abbiegenden Fahrzeugführer spricht der Beweis des ersten Anscheins wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang die Kollision mit einem überholenden Fahrzeug geschieht.
- Biegt er vom fließenden in einen Bereich des ruhenden Verkehrs ab, der erkennbar nicht dem fließenden Verkehr zuzuordnen ist, spricht der Anscheinsbeweis auch für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO – dies unabhängig davon, ob tatsächlich in ein Grundstück oder einen anderen Bereich des ruhenden Verkehrs abgebogen wird.
- Aufgrund des Verstoßens gegen § 9 Abs. 5 StVO trifft den abbiegenden Fahrzeugführer wegen der damit verbundenen höheren Betriebsgefahr eine Mithaftung in Höhe von 60 % gegenüber dem Überhohler, der bei dem Überholen in einer unklaren Verkehrslage bei einem gut erkennbar eingeleiteten Abbiegevorgang eines zuvor gestoppten Fahrzeuges zu 40 % mithaftet.