Und als letztes heute dann noch ein OLG-Beschluss, der bei mir auch Kopfschütteln hinterlässt. Es geht um ein Verfahren, das nun auch bereits zum zweiten Mal beim OLG Dresden anhängig war. Gegenstand des Verfahrens ist eine fahrlässige Tötung im Straßenverkehr. Das hatte das OLG Dresden bereits mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 07.04.2020 – 1 OLG 23 Ss 218/20 – eine Entscheidung des LG Dresden aufgehoben (dazu Strafzumessung III: Fahrlässige Tötung infolge Trunkenheitsfahrt, oder: Generalprävention?) und zurückverwiesen.
„2. Das Urteil kann jedoch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht, was ihm wegen der Bindung an die den Schuldspruch tragenden Feststellungen verwehrt war, zusätzliche Feststellungen, die zu einer Änderung des Schuldumfangs geführt haben, zuungunsten des Angeklagten gewertet hat.
a) Durch die rechtswirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erwächst der Schuldspruch des Ersturteils in Rechtskraft. Damit werden neben den Feststellungen des Erstgerichts, in denen die Merkmale des angewandten Strafgesetzes zu finden sind, auch die weitergehenden Feststellungen zum Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs für das weitere Verfahren bindend festgestellt. Wegen der Notwendigkeit des Zusammenhangs und der Einheitlichkeit des Urteils unterliegen dieser Bindungswirkung auch die doppelrelevanten Tatsachen, die für den Schuld- wie auch für den Strafausspruch von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16 – BGHSt 62, 202). Beweiserhebungen, die darauf abzielen, aufrechterhaltene und damit bindende Feststellungen in Zweifel zu ziehen, sind unzulässig. Beweisergebnisse, die in Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben. Dem Widerspruchsverbot unterliegt nicht nur das Mindestmaß an Tatsachen, ohne dass der Schuldspruch überhaupt keinen Bestand hätte. Unzulässig sind auch Abweichungen, durch die nur der Schuldumfang betroffen, die rechtliche Beurteilung aber nicht in Frage gestellt wird (BGHSt 30, 340; BayObLGSt NJW 1994, 1358). Dazu gehört auch die Art und Weise, wie ein Tatentschluss entstanden ist und wie er sich bis zur Umsetzung der Handlung entwickelt hat. Feststellungen des ersten Tatrichters zu ihrem Vorliegen oder Nichtvorliegen nehmen an der Bindungswirkung teil (OLG Stuttgart, Justiz 1996, 26ff.).
Demzufolge darf das Landgericht die Feststellungen des Amtsgerichts zwar durch eigene den bisherigen nicht widersprechende – ergänzen, es ist ihm aber verwehrt, bei der Strafzumessung einen Sachverhalt, der zu einer Änderung des vom Amtsgericht festgestellten Schuldumfangs führt (BayObLG a.a.O.), zugrunde zu legen und strafschärfend zu würdigen. Dies ist vorliegend aber der Fall.
a) Das Amtsgericht hat – soweit hier von Bedeutung – zum Verschulden des Angeklagten fest-gestellt, dass dieser am Tattag gegen 21.30 Uhr ein Fahrzeug geführt hat, „obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war.“ Seine Blutalkoholkonzentration zur Unfallzeit habe 1,21 %o betragen. Der Angeklagte habe seine Fahruntüchtigkeit „vor allem auf-grund der genossenen Menge alkoholischer Getränke und seiner Lebenserfahrung bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.“
Das Landgericht hat – über den Sachverhalt des amtsgerichtlichen Urteils hinaus – ergänzend festgestellt, dass der Angeklagte, der in der Gaststätte seiner Eltern arbeitete, an dem Tattag frühzeitig Feierabend machen wollte, um den Abend mit seinem Sohn zu verbringen. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch, weil er an dem Abend noch Gäste bewirten musste. „Aus Frust hierüber begann der Angeklagte … entgegen seiner sonstigen Übung nunmehr vermehrt zu Alkohol zu greifen; er trank über den Abend hinweg kurz hintereinander mindestens 5 Bier zu jeweils 0,5 Liter. Nachdem die letzten Gäste die Gaststätte gegen 20.30 Uhr verlassen hatten, sperrte der Angeklagte diese schnell zu, um so möglichst rasch nach Hause zu fahren und um seinen Sohn noch vor Ort antreffen zu können.“
Dies zugrunde gelegt hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt, dem „Umstand, dass der Angeklagte hier zumindest damit rechnen musste, dass er noch am Abend ein Kraftfahrzeug führen werde und – wie er zugab – gleichwohl Alkohol trank“, komme „eigenständig strafschärfende Bedeutung“ zu, da der Angeklagte „gleichsam in Fahrbereitschaft“ getrunken habe. Das Landgericht hat dadurch, dass es dem Angeklagten aufgrund seiner ergänzenden Feststellungen ein höheres Maß an Pflichtwidrigkeit – als dies im Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig festgestellt war – angelastet hat, den Schuldumfang zu Ungunsten des Angeklagten verändert. Dies war ihm jedoch aufgrund der durch die Berufungs-beschränkung eingetretenen Bindungswirkung verwehrt (vgl. BayObLGSt 1988, 173 ff.; OLG Stuttgart a.a.O.). Gleiches gilt auch, soweit das Landgericht zu Lasten des Angeklagten davon ausging, dass er „grob fahrlässig bzw. leichtfertig“ gehandelt habe. Auch hierdurch vergrößerte es den Schuldumfang, den das Amtsgericht in seinem Urteil dahingehend gekennzeichnet hatte, dass der Angeklagte seine Fahruntüchtigkeit „bei kritischer Selbstprüfung“ hätte erkennen können und müssen.“ Weitere Feststellungen zum Schuldumfang, insbesondere in Richtung „grober Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit“, hat das Amtsgericht dagegen nicht getroffen. Infolgedessen durften insoweit durch das Landgericht ergänzend getroffene Feststellungen auch nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden.
Der Senat kann nicht gänzlich ausschließen, dass das Landgericht ohne die vorgenannten Er-wägungen zum Schuldumfang eine mildere Strafe verhängt hätte. Da auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Tatrichter bei der Dauer der angeordneten Sperrfrist nach § 69a StGB von einem zu großen Schuldumfang hat leiten lassen, hebt der Senat den Maßregelausspruch insgesamt mit auf, um dem neuen Tatrichter – auch angesichts des Zeit-ablaufs – Gelegenheit zu geben, eine in sich stimmige Rechtsfolge zu finden.“